Urteil des OLG Hamburg vom 09.07.2013
OLG Hamburg: Erstattungsfähigkeit einer 1,3 Verfahrensgebühr für eine nach Klagrücknahme eingereichte Klagerwiderung
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Erstattungsfähigkeit einer 1,3 Verfahrensgebühr für eine nach Klagrücknahme eingereichte
Klagerwiderung
Erlangen die Beklagten Kenntnis von der Klagrücknahme und informieren sie hierüber nicht zeitnah ihre
Prozessbevollmächtigten, können sie nicht die Erstattung einer 1,3 Verfahrensgebühr nach Ziff.3100 VV
RVG für die Einreichung einer Klagerwiderung nach Eingang der Klagrücknahme beanspruchen. Innerhalb
von sechs Tagen nach Absendung der Klagrücknahme an die Beklagten kann eine Information ihrer
Prozessbevollmächtigten erwartet werden. Es kann aber eine 0,8 Gebühr nach Ziff.3101 VV RVG
erstattungsfähig sein.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 8. Zivilsenat, Beschluss vom 09.07.2013, 8 W 62/13
§ 91 Abs 1 S 1 ZPO, Nr 3100 RVG-VV, Nr 3101 RVG-VV
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hamburg
vom 11.2.2013 teilweise geändert :
Die von der Klägerin an die Beklagten zu 2. und 3. zu erstattenden Kosten werden auf € 659,97 nebst Zinsen in
Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2012 festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Klägerin 70 % und die Beklagten 30 % zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt € 949,14.
Gründe
I.
Die Klägerin hat die Beklagten zu 2. und 3. ( nachfolgend : die Beklagten ) mit Schriftsatz vom 11.10.2012 –in
Änderung einer zunächst gegen einen Beklagten zu 1. gerichteten Klage - als Gesamtschuldner auf
Unterlassung beleidigender Telefonanrufe in Anspruch genommen. Diese Klage hat sie mit Schriftsatz vom
29.10.2012 zurückgenommen. Der Schriftsatz ging per Telefax am gleichen Tage beim Landgericht Hamburg
ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich noch kein Prozessbevollmächtigter für die Beklagten zur Akte legitimiert.
Das Landgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 30.10.2012 die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin
auferlegt und die Absendung des Beschlusses sowie des Schriftsatzes vom 29.10.2012 an die Beklagten
persönlich verfügt. Am 6.11.2012 ging ein auf den 1.11.2012 datierter Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten
der Beklagten beim Landgericht Hamburg ein, mit dem diese die Vertretung der Beklagten anzeigten, einen
Klagabweisungsantrag ankündigten und Ausführungen zum Klaganspruch machten. Nachdem daraufhin das
Landgericht Hamburg auch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Kostenbeschluss vom 30.10.2012
übersandt hatten, beantragten diese die Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr nach Ziff.3100 VV RVG, einer
0,3 Erhöhungsgebühr nach Ziff. 1008 VV RVG und einer Postpauschale nach Ziff.7002 VV RVG zuzüglich
19% Umsatzsteuer gegen die Klägerin. Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Landgericht diese
Kosten- insgesamt € 949, 14 - zur Erstattung fest.
Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde macht die Klägerin geltend, dass sie nicht zur
Kostenerstattung verpflichtet sei, weil der Klagerwiderungsschriftsatz erst am 6.11.2012, mithin nach Eingang
der Klagrücknahme, bei Gericht eingegangen sei. Die Beklagten hätten keinen Anlass gehabt, sich noch einen
Rechtsanwalt zu nehmen. Außerdem habe Frau Rechtsanwältin G. bereits am 26.10.2012 mit dem Beklagten
zu 3. telefoniert und ihm mitgeteilt, dass die Belästigungen nicht mehr stattfänden und bereits aus diesem
Grund überlegt werde, die Klage zurückzunehmen.
II.
Die gemäß den §§ 104 Abs.3, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat im erkannten Umfang Erfolg.
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Allerdings sind die zur Erstattung beantragten und vom Landgericht festgesetzten Gebühren im Verhältnis
zwischen den Beklagten und ihren Prozessbevollmächtigten in der geltend gemachten Höhe entstanden. Die
Verfahrensgebühr nach Ziff.3100 VV RVG ist mit der Einreichung des Schriftsatzes vom 1.11.2012 beim
Landgericht Hamburg angefallen ( vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG , 20.Aufl., VV 3100, Rn.57 ff. ) .
Auch die Erhöhungsgebühr ist gerechtfertigt, weil die Beklagten hier gemäß Klagantrag ausdrücklich als
Gesamtschuldner in Anspruch genommen worden sind ( Gerold/ Schmidt/Müller-Rabe a.a.O., VV 1008, Rn.
150 ).
Für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten kommt es jedoch weiter darauf an, ob sie zur
zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren ( § 91 Abs.1 S.1 ZPO ). Wie das Landgericht in
dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, sind die Kosten eines Klagerwiderungsschriftsatzes,
der nach Eingang der Klagrücknahme bei Gericht eingeht, dann erstattungsfähig, wenn der
Prozessbevollmächtigte den Schriftsatz in entschuldbarer Unkenntnis der Klagrücknahme einreicht (Zöller-
Herget, ZPO, 29.Aufl., § 91, Rn.13, Stichwort „Klagerücknahme"). Allerdings liegt keine entschuldbare
Unkenntnis vor, wenn die Partei von der Klagrücknahme Kenntnis erlangt und ihren Prozessbevollmächtigten
nicht zeitnah darüber informiert ( OLG Schleswig, Beschluss v. 27.7.90 zum Aktz. 9 W 137/90, Rn.3, zit. nach
juris ). Denn aus dem Prozessrechtsverhältnis ergibt sich die Pflicht gegenüber der Gegenpartei, die Kosten
möglichst niedrig zu halten.
Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagten hätten wegen des Telefonats vom 26.10.2012 schon keinen
Rechtsanwalt beauftragen dürfen, ist ihr nicht zu folgen. Wie das Landgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss
vom 11.6.2013 überzeugend ausgeführt hat, bietet eine nur mündliche Ankündigung eines eventuell
beabsichtigten Verhaltens keinen ausreichenden Vertrauensschutz, dass die Klagepartei die Klage tatsächlich
zurücknimmt.
Die Beklagten haben ihre Prozessbevollmächtigten am 1.11.2012 mit ihrer Vertretung beauftragt und zu diesem
Zeitpunkt die tatsächliche Klagrücknahme noch nicht gekannt. Dies haben ihre Prozessbevollmächtigten mit
Schriftsatz vom 21.3.2013 unbestritten vorgetragen. Der Vortrag steht auch im Einklang mit dem Datum und
dem Inhalt des Klagerwiderungsschriftsatzes und ist schließlich auch unter Zugrundelegung normaler
Postlaufzeiten für ausgehende gerichtliche Post noch plausibel ( Ausgang des Klagrücknahmeschriftsatzes
laut Akte : 30.10.2012 ).
Allerdings hätten die Beklagten nach Erhalt des an sie persönlich geschickten Klagrücknahmeschriftsatzes
und des Kostenbeschlusses ihre Prozessbevollmächtigten hiervon unverzüglich informieren müssen, um keine
überflüssigen Kosten entstehen zu lassen, wie oben ausgeführt. Unter Zugrundelegung normaler Postlaufzeiten
hatten die Beklagten den am 30.10.2012 an sie abgesandten Klagerwiderungsschriftsatz vom 29.10.2012 und
den Kostenbeschluss vom 30.10.2012 jedenfalls so rechtzeitig in Händen, dass sie ihre
Prozessbevollmächtigten spätestens im Laufe des Vormittags des 6.11.2012 noch hätten informieren können
und müssen ; der Schriftsatz ist ausweislich des Eingangsstempels erst am Abend am 6.11.2012 zwischen
Dienstschluss und 24 Uhr in den Gerichtsbriefkasten der Gemeinsamen Annahmestelle der Hamburger
Gerichte eingeworfen worden.
Die durch den Klagerwiderungsschriftsatz entstandene 1,3 Verfahrensgebühr nach Ziff.3100 VV RVG hat die
Klägerin den Beklagten folglich nicht zu erstatten, sondern nur eine 0,8 Gebühr nach Ziff.3101 VV RVG. Denn
diese Gebühr ist durch die Mandatierung ihrer Prozessbevollmächtigten und Anfertigung des Schriftsatzes vom
1.11.2012 vor Kenntnis von der Klagrücknahme jedenfalls entstanden ( vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe
a.a.O., VV 3100, Rn.57 ff.). Bei einem Streitwert von €10.000 beträgt die Gebühr € 388,80. Zuzüglich der
Erhöhungsgebühr von € 145,80 ( s.o.), der Postpauschale und der Umsatzsteuer belaufen sich die insgesamt
zu erstattenden Kosten auf € 659,97.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO analog.