Urteil des OLG Hamburg vom 15.09.2014

OLG Hamburg: In die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG können bei der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls strafrechtliche Verurteilungen einbezogen werden

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In die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG können bei
der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls strafrechtliche Verurteilungen einbezogen werden, auch wenn keine
Ausweisungsverfügung wegen dieser Verurteilungen ergangen ist. Dies steht mit Art. 11 Abs. 2 RL 2008/115/EG in Einklang.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 3. Senat, Beschluss vom 15.09.2014, 3 Bs 185/14
§ 11 Abs 1 AufenthG, § 58 Abs 1 AufenthG, Art 11 Abs 2 EGRL 115/2008
Verfahrensgang
vorgehend VG Hamburg, 15. September 2014, Az: 5 E 4237/14, Beschluss
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 15. September 2014 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein 1995 geborener serbischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen
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Rechtsschutz gegen seine Abschiebung.
Nach unerlaubter Einreise seiner Eltern wurde der Antragsteller in Hamburg geboren. Die
Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurden 1997 und 2013, ein Asylantrag
2004 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die Bescheide sind unanfechtbar, der
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3.
September 2004 enthält eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Der
Antragssteller wurde, mit Ausnahme der Dauer des Asylverfahrens, lediglich geduldet.
Von 2008 an ist der Antragsteller strafrechtlich in Erscheinung getreten. Strafgerichtliche
Sanktionen erfolgten 2008 wegen Beleidigung, 2009 wegen Diebstahls, 2010 wegen
räuberischer Erpressung. Die Verurteilungen 2011 wegen Diebstahls,
Wohnungseinbruchsdiebstahls, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Raubes sowie
2012 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl führten zu einer
Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten, von der der Antragsteller zunächst
eineinhalb Jahre verbüßte. Während der Bewährungszeit beging er dann weitere
Straftaten, die im Juni 2014 zu einer Verurteilung als Heranwachsender wegen schweren
Bandendiebstahls und versuchten Computerbetruges zu einer Jugendstrafe von zwei
Jahren führten, die noch nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Antragsteller befand
sich aufgrund eines Vorbewährungsbeschlusses vom 5. Juni 2014 bis zum 10.
September 2014 in jugendgerichtlicher Unterbringung.
Die Antragsgegnerin hat die Wirkung der vorgesehenen Abschiebung des Antragstellers
mit Bescheid vom 28. August 2014 auf drei Jahre ab der Abschiebung befristet. Über
seinen Widerspruch hat sie noch nicht entschieden.
Am 15. September 2014 beantragte der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen die
für den 16. September vorgesehene Abschiebung. Seine Freundin, eine deutsche
Staatsangehörige, sei schwanger, voraussichtlicher Geburtstermin sei der 9. April 2015.
Er habe die Vaterschaft anerkannt und eine notarielle Erklärung über das gemeinsame
Sorgerecht abgegeben. Es handle sich wegen möglicher Behinderungen des Kindes um
eine Risikoschwangerschaft, Mutter und Kind bedürften seiner Anwesenheit.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Die Ausreise sei für den Antragsteller
zumutbar, angesichts des verbleibenden Zeitraums von 6 ½ Monaten könne bis zur
Geburt ein mögliches Visumsverfahren durchgeführt werden. Die Befristung der Wirkung
der Abschiebung auf drei Jahre stehe dem nicht entgegen, da die Antragsgegnerin die
neuen Umstände der Schwangerschaft im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
entscheidend zu berücksichtigen habe.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Beschwerdebegründung
erschüttert zwar die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht gegebenen Begründung (1.).
Die dadurch veranlasste, nicht mehr nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO begrenzte Prüfung
durch das Beschwerdegericht führt allerdings zur Aufrechterhaltung des angefochtenen
Beschlusses aus anderen Gründen (2.).
1. Zutreffend macht der Antragsteller mit der Beschwerde geltend, dass ein Abschluss des
Befristungsverfahrens entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts innerhalb von 6
½ Monaten sehr unwahrscheinlich sei. Eine Rückkehr des Antragstellers nach
Durchführung des Befristungs- und Visumsverfahrens bis zum Geburtstermin sei nicht zu
erwarten.
2. Die somit nicht mehr nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO begrenzte Prüfung durch das
Beschwerdegericht führt zur Aufrechterhaltung des angefochtenen Beschlusses aus
anderen Gründen. Es bestehen bereits Zweifel, ob die vom Beschwerdesenat
üblicherweise an eine Abschiebungsschutz begründende Vorwirkung einer
bevorstehenden Vaterschaft gestellten Anforderungen im vorliegenden Fall erfüllt sind (a).
Jedenfalls wird diese Frage hier überlagert durch die Straftaten des Antragstellers, die die
Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der
Abschiebung berücksichtigen durfte, wobei auch unter Berücksichtigung der
bevorstehenden Vaterschaft die Sperrfrist jedenfalls nicht auf einen Zeitpunkt vor dem
Geburtstermin zu verkürzen sein dürfte (b). Auch die geltend gemachte
Risikoschwangerschaft der Kindesmutter führt zu keinem anderen Ergebnis (c).
Schließlich ist die Abschiebung entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht durch §
60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK deshalb gehindert, weil er hier geboren und
aufgewachsen ist und sich als faktischer Inländer bezeichnet (d).
a) Nach der Rechtsprechung des Beschwerdesenats, die zu ändern kein Anlass besteht,
ist eine Abschiebung wegen der bevorstehenden Vaterschaft des Ausländers in
Vorwirkung des Schutzes aus Art. 6 GG rechtlich unmöglich, wenn - erstens - der
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ausländische Vater gegenüber den zuständigen Behörden seine Vaterschaft (mit
Zustimmung der Mutter) anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, welche
die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame
Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen, und wenn - zweitens - dem
Ausländer eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines
Sichtvermerksverfahrens nicht mehr zumutbar ist, weil nach den im Einzelfall gegebenen
tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit seiner Rückkehr vor dem
voraussichtlichen Geburtstermin nicht gerechnet werden könnte (vgl. OVG Hamburg,
Beschl. v. 10.12.2009, NVwZ-RR 2010, 701 f.). Im vorliegenden Fall erscheint es als
zweifelhaft, ob der Antragsteller und die Kindesmutter, Frau S., bereits in Verhältnissen
leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine
gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen.
Dafür könnte zwar der Umstand sprechen, dass sie am 10. September 2014 in notarieller
Form das gemeinsame Sorgerecht vereinbart haben. Die Richtigkeit der von Frau S. in
der eidesstattlichen Versicherung vom 12. September 2014 aufgestellten Behauptungen,
sie sei seit etwa drei Jahren mit dem Antragsteller befreundet und halte sich seit zwei
Jahren überwiegend in der Wohnung der Mutter des Antragstellers auf, so dass sie
praktisch zusammenlebten, erscheint angesichts der Feststellungen in dem Urteil des
Landgerichts Hamburg vom 5. Juni 2014 jedoch als zweifelhaft. Das Landgericht hat in
jenem Urteil festgestellt, dass der Antragsteller und Frau S. seit eineinhalb Jahren eine
Beziehung führten, der Antragsteller sich von Januar 2012 bis Februar 2013 sowie von
August 2013 bis Februar 2014 in Straf- und Untersuchungshaft befunden habe und nach
der ersten Haftentlassung bei seiner Mutter gewohnt habe, wo er sich mit seinen
Geschwistern, er sei ältestes von fünf Geschwistern im Alter zwischen fünf und 18 Jahren,
ein Zimmer geteilt habe. Die Mutter lebe von Kindergeld und Arbeitslosengeld II. Ob
angesichts dessen Verhältnisse vorliegen, die die gemeinsame Übernahme der
elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes
sicher erwarten lassen, erscheint als fraglich.
b) Unabhängig davon ist die auf die bestandskräftige Abschiebungsandrohung vom 3.
September 2004 gestützte Abschiebung nicht mit Rücksicht auf die bevorstehende
Vaterschaft gehindert, weil der Antragsteller in erheblichem Maße straffällig geworden ist.
aa) Die Antragsgegnerin durfte die erheblichen Straftaten des Antragstellers im Rahmen
ihrer Entscheidung über den Vollzug und die Befristung der Wirkungen der Abschiebung
durch Bescheid vom 28. August 2014 berücksichtigen. Einer zusätzlichen Ausweisung
bedurfte es hierfür nicht. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG statuiert unterschiedslos als
Rechtsfolge einer Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, dass der Ausländer
nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Die Frist für
diese Wirkungen ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls festzusetzen. Als Kriterien sind u.a. Aspekte der
Gefahrenabwehr aber auch der Generalprävention von Bedeutung (vgl. Bauer in
Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Komm. 10. A. 2013, § 11 Rn. 48). Die Frist darf fünf
Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung
ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Eine Unterscheidung der zulässigen Gründe
für die Befristung danach, ob es sich um die Wirkungen einer Ausweisung, einer
Rückschiebung oder einer Abschiebung handelt, ist dem nur insoweit zu entnehmen, als
dass die Überschreitung einer Frist von fünf Jahren nur zulässig ist, wenn entweder eine
Ausweisung aufgrund strafrechtlicher Verurteilung erfolgt ist oder von dem Ausländer eine
schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Im letzteren
Fall ist, da im Gegensatz zur ersten Alternative ein Bezug zur Ausweisung fehlt, die
Befristung über fünf Jahre hinaus unabhängig davon möglich, ob es sich um die
Wirkungen einer Ausweisung, einer Rückschiebung oder einer Abschiebung handelt.
Ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut für die Befristung über fünf Jahre hinaus nichts für
eine Beschränkung der Entscheidungskriterien für die Befristungsentscheidung auf den
Zweck der die Wirkung auslösenden Maßnahme (Ausweisung, Zurückschiebung oder
Abschiebung), kann eine solche Beschränkung auch nicht für die Festsetzung einer
kürzeren Frist angenommen werden. Der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG gibt
hierfür auch bei kürzeren Befristungen keinen Anhalt, wenn er unterschiedslos für Fristen
jeglicher Dauer und ohne zwischen den zugrundeliegenden Maßnahmen zu
differenzieren die Umstände des Einzelfalls als Maßstab für die Befristungsentscheidung
statuiert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei einer Berücksichtigung der Richtlinie
2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie). Nach Art. 11 Abs. 1 RL 2008/115/EG gehen
Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher, wenn (b) der
Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde, wie es hier der Fall ist. Nach Abs. 2
Satz 1 dieser Vorschrift wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen
Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre.
Auch hier wird die Frist für den Fall des mit Abschiebung verbundenen Einreiseverbots
nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls festgesetzt, ohne dass einzelne
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Umstände wie strafrechtliche Verurteilungen von der Berücksichtigung ausgeschlossen
wären.
bb) Auch unter Berücksichtigung der bevorstehenden Vaterschaft wird die Sperrfrist
jedenfalls nicht auf einen Zeitpunkt vor dem Geburtstermin zu verkürzen sein.
Abschiebungsschutz wegen eines bis dahin nicht von Serbien aus durchführbaren
Visumsverfahrens zur Familienzusammenführung kann der Antragsteller nicht
beanspruchen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von Ausländern
aus Art. 6 GG vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, die im Bundesgebiet in
schutzwürdigen familiären Gemeinschaften mit kleinen Kindern leben (vgl. BVerfG,
Kammerbeschlüsse vom 31.8.1999, NVwZ 2000, 59; vom 8.12.2005, InfAuslR 2006, 122;
vom 23.1.2006, NVwZ 2006, 320; vom 10.5.2008, InfAuslR 2008, 347; vom 1.12.2008, 2
BvR 1830/08, juris; vom 9.1.2009, NVwZ 2009, 387; vom 5.6.2013, NVwZ 2013, 1207) ist
von den folgenden Grundsätzen auszugehen: Auch wenn Art. 6 GG unmittelbar keinen
Aufenthaltsanspruch gewährt, müssen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte
gemäß der in Art. 6 GG enthaltenen Grundsatznorm bei der Entscheidung über
aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an im
Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Entscheidend für den
Schutz des Art. 6 GG ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den
Familienmitgliedern, ohne dass es in diesem Zusammenhang zwingend darauf ankäme,
ob eine Hausgemeinschaft vorliegt. Von einer familiären Gemeinschaft wird in der Regel
im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst
Üblichen entspricht, auszugehen sein. Die Folgen einer vorübergehenden Trennung
haben insbesondere dann hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes
Gewicht, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden
Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann. Kann die
Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der
Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher
Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der
Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die
Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück.
Ist der betroffene Ausländer wegen einer schweren Straftat verurteilt, so setzen sich nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei einer Ausweisung auch
gewichtige familiäre Belange gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen an einer
zumindest zeitweiligen Fernhaltung des Ausländers nicht ohne weiteres durch; die
familiären Belange sind allerdings, soweit noch nicht geschehen, im Befristungsverfahren
des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu würdigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.1.2006,
a. a. O., juris Rn. 23).
Bei den von der Antragsgegnerin im Rahmen der Befristungsentscheidung vom 28.
August 2014 berücksichtigten Straftaten handelt es sich nicht um bloß
„einwanderungspolitische Belange“. Der Antragsteller hat mit den oben dargestellten
Straftaten nicht nur „lästige“ Bagatellstraftaten begangen, sondern sich als ein
gewalttätiger, vor der Konfrontation mit seinen Opfern seiner Bandendiebstähle nicht
zurückschreckender und durch Strafvollstreckung kaum zu beeindruckender
Bewährungsversager gezeigt, dessen Straftaten eine über die Jahre zunehmende
Intensität und Schwere aufweisen. Von dem Strafgericht wurde im Urteil vom 5. Juni 2014
nicht zuletzt deshalb für den Antragsteller eine ungünstige Rückfallprognose gestellt, weil
aus seinem familiären Umfeld heraus „offensichtlich die Begehung von Straftaten
gebilligt“ werde. Auch wenn seine schwangere Freundin, Frau S., in dem Urteil vom
Vorwurf der Beteiligung an dort abgeurteilten schweren Bandendiebstählen des
Antragstellers freigesprochen wurde, weil nicht habe festgestellt werden können, dass
ihre Bereitschaft zur Warnung den Tätern bekannt gewesen sei und ihnen tatsächlich ein
Gefühl erhöhter Sicherheit vermittelt habe oder ihren Tatentschluss gestärkt habe, ist doch
nicht zu übersehen, dass sie zumindest physisch und mit Bereitschaft zu
Unterstützungshandlungen bei der Begehung einiger Bandendiebstähle des
Antragstellers anwesend war, ihn mithin nicht von der Begehung dieser Straftaten
abgehalten hat, vielmehr bereit war, zumindest Beihilfe dazu zu leisten.
Angesichts dessen geht es bei der Befristung der Abschiebung nicht um
einwanderungspolitische Belange, sondern um den Schutz der öffentlichen Sicherheit im
Hinblick auf die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, dem die
Fernhaltung des Antragstellers aus spezialpräventiven Gründen dienen soll.
Wegen der bevorstehenden Vaterschaft des Antragstellers für ein Kind mit deutscher
Staatsangehörigkeit wird die mit der Abschiebung verbundene Sperrfrist nicht „auf Null“
oder auf einen Zeitpunkt vor der Geburt seines Kindes zu verkürzen sein.
Ein Anspruch auf der Verkürzung der Sperrfrist „auf Null“ ist nach der diesbezüglichen
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Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Ausweisungen, der das
Beschwerdegericht folgt, nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen denkbar (vgl. BVerwG,
Urt. v. 6.3.2014, InfAuslR 2014, 223, juris Rn. 13; Urt. v. 10.7.2012, BVerwGE 143, 277,
juris Rn. 33; Urt. v. 13.4.2010, BVerwGE 136, 284, juris Rn.17; Urt. v. 4.9.2007, BVerwGE
129, 226, juris Rn. 28). Zum einen kommt dies in Betracht, wenn seit dem Erlass einer
nicht vollzogenen Ausweisung ein so langer Zeitraum verstrichen ist, dass die zum
Zeitpunkt der Ausweisung bestehenden spezial- bzw. generalpräventiven Gründe
entfallen sind (zu einem solchen Fall vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.3.2011,
OVG 12 B 12.10, juris Rn. 22 ff., 26). Zum anderen kommt ein Befristungsanspruch „auf
Null“ in Frage, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit
schützenswerten familiären Belangen im Sinne von Art. 6 GG dies erfordern. Ein solcher
Fall kann etwa vorliegen, wenn der wegen unerlaubter Einreise (und nicht wegen
schwerer Straftaten) ausgewiesene Ausländer seinen schwerkranken deutschen
Ehegatten mit einer „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ pflegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.3.2014, a.
a. O., Rn. 13, mit der dortigen Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 4.9.2007, a. a. O., Rn. 28).
Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Im Rahmen der
Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hier zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller nicht
Verstöße gegen Einreisebestimmungen, sondern seine Verurteilungen zu Jugendstrafen
zum einen von einem Jahr und neun Monaten wegen Diebstahls,
Wohnungseinbruchsdiebstahls, Verstoßes gegen das Waffengesetz und Raubes sowie
wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl und zum anderen von
zwei Jahren wegen schweren Bandendiebstahls und versuchten Computerbetruges im
Rahmen der Befristungsentscheidung vorgehalten werden. Auch wenn es nicht
aussichtslos erscheint, dass der Antragsteller angesichts seines Alters von 19 Jahren
seine vom Landgericht angenommenen Entwicklungsdefizite aufarbeiten und damit
seinen bisher gezeigten Hang zu Straftaten bekämpfen könnte, ist angesichts der
bisherigen Verfestigung des Verhaltens nicht zu erwarten, dass dies mit Erfolg innerhalb
kurzer Zeit in Serbien erreicht werden kann. Die von der Antragsgegnerin verfügte
Sperrfrist von drei Jahren ist daher grundsätzlich nicht unangemessen lang und nicht
außer Verhältnis zu den strafrechtlichen Verurteilungen von insgesamt drei Jahren und
neun Monaten Jugendstrafe.
Die bisher verfügte dreijährige Sperrfrist wird angesichts der bevorstehenden Vaterschaft
des Antragstellers für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit, sofern sich bestätigt,
dass der Antragsteller tatsächlich gewillt ist, in familiärer Lebensgemeinschaft das Kind zu
erziehen und zu pflegen, voraussichtlich zu verkürzen sein. Die angemessene neue Frist
dürfte (vorbehaltlich anderweitiger Erkenntnisse im Rahmen des Befristungsverfahrens)
nach der aktuell möglichen Einschätzung des Beschwerdegerichts (vgl. BVerfG,
Kammerbeschl. v. 23.1.2006, a. a. O., Rn. 22; Kammerbeschl. v. 1.12.2008, a. a. O., Rn.
33) nicht bloß wenige Monate, aber jedenfalls auch nicht mehr als zwei Jahre betragen.
Insoweit ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur
Befristung von Ausweisungsverfügungen in einem ersten Schritt die unter
Präventionsgesichtspunkten im Rahmen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
angemessene Sperrfrist zu bestimmen. Sodann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob
diese sich an der Erreichung des Fernhaltungszwecks orientierende Frist mit
verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben
aus Art. 7 GrCh und Art. 8 EMRK vereinbaren lässt; ggf. ist die Frist im Hinblick auf diese
Bestimmungen angemessen zu verkürzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.7.2012, a. a. O., Rn.
42).
Wird somit voraussichtlich auch unter Berücksichtigung der bevorstehenden Vaterschaft
des Antragstellers für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit die Sperrfrist nicht „auf
Null“ oder einen Zeitpunkt vor der Geburt des Kindes zu verkürzen sein, so bleibt es auch
unter Berücksichtigung dieser bevorstehenden Vaterschaft dabei, dass es dem
Antragsteller zuzumuten ist, das Bundesgebiet zu verlassen und (vorbehaltlich etwaiger
Betretenserlaubnisse gemäß § 11 Abs.2 AufenthG) während der Dauer der
angemessenen Sperrfrist dem Bundesgebiet fernzubleiben. Aus den o. g. Gründen ist es
auch dem erwarteten Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit zuzumuten, diese
gegenüber dem Antragsteller erforderliche Maßnahme hinzunehmen.
c) Die von dem Antragsteller geltend gemachte Risikoschwangerschaft bei Frau S. führt
hier zu keinem anderen Ergebnis. Es ist jedenfalls unter den derzeitig gegebenen
Umständen nicht ersichtlich, in welcher Weise der Antragsteller maßgeblich dazu
beitragen kann und will, die betreffenden Risiken für das Kind abzumildern. Angesichts
der im Arztbericht über die Schwangerschaft vom 2. September 2014 zum weiteren
Vorgehen lediglich vorgesehenen „Verlaufskontrolle in 4 Wochen“ ist nicht erkennbar,
dass Frau S. oder das Ungeborene der Hilfe des Antragstellers bedürftig ist oder alsbald
bedürftig sein wird. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem darin geäußerten
Verdacht auf fetale Anomalie (Hygroma colli.). Ob sich dieser verdichtet oder gar bestätigt
und wenn ja, mit welchen Folgen, ist gegenwärtig völlig offen. Der vom Antragsteller
geäußerte Verdacht auf Down-Syndrom des Kindes hat keinen objektiven Anhalt. Bei
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ernsthaften, schweren Komplikationen in der Schwangerschaft hat die Antragsgegnerin in
der Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht vom 15. September 2014 auf die
Möglichkeit einer Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG hingewiesen. Hiervon
wird der Antragsteller gegebenenfalls Gebrauch machen können, was die Auswirkungen
von Abschiebung und Befristung des Einreiseverbots auf das (ungeborene) Kind des
Antragstellers und die Mutter im Lichte von Art. 6 GG weniger gravierend erscheinen lässt.
d) Die Abschiebung ist entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht gemäß § 60a Abs. 2
AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK deshalb gehindert, weil der Antragsteller behauptet
„faktischer Inländer“ zu sein.
Aus Art. 8 EMRK folgt kein rechtliches Ausreisehindernis. Ein rechtswidriger Eingriff in
das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens, der der
Ausreise entgegenstehen könnte, setzt neben einer tief greifenden Integration in die
Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats („Verwurzelung“) gleichzeitig eine Entfremdung
von den Lebensverhältnissen des Herkunftsstaats („Entwurzelung“) voraus, die dazu
geführt hat, dass der Ausländer faktisch zum Inländer geworden ist und ihn nur noch das
rechtliche Band der Staatsangehörigkeit mit dem Herkunftsstaat verbindet und sich
deshalb ein Rückkehrverlangen als unverhältnismäßig, weil unzumutbar, erweist.
Bei einem Eingriff in die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Rechte ist eine Abwägung
vorzunehmen, bei der unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das
Ausmaß der Verwurzelung und die mit einer Aufenthaltsbeendigung verbundenen Folgen
mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen sind. Insoweit
ist dem fortlaufenden kriminellen Verhalten des Antragstellers ein erhebliches Gewicht
zuzumessen. Zwar ist der Antragsteller hier geboren und aufgewachsen und hat auch (in
der Strafhaft) einen Hauptschulabschluss nachgeholt. Auch bestehen persönliche
Bindungen zu Frau S. und dem zu erwartenden Kind. Eine Berufsausbildung hat er aber
nicht absolviert und hat bisher von öffentlichen Unterstützungsleistungen gelebt. Von
einer wirtschaftlichen Integration kann mithin nicht gesprochen werden. Sein
Aufenthaltsstatus war seit seiner Geburt nur ein unsicherer, überwiegend geduldeter.
Seine mangelnde Integrationsfähigkeit hat der Antragsteller durch die oben dargestellten,
wiederholten und gravierenden Straftaten unter Beweis gestellt. Öffentliche Hilfsangebote
und Maßnahmen haben den Antragsteller von der fortlaufenden Begehung von Straftaten
ebenso wenig abgehalten wie strafgerichtliche Sanktionen bis hin zu nicht nur
kurzfristiger Strafvollstreckung. Von einer „Verwurzelung“ des Antragstellers in die
hiesigen Verhältnisse kann mithin keine Rede sein.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts
für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das
Beschwerdegericht geht dabei davon aus, dass sich der Antragsteller mit dem
vorliegenden Beschwerdeverfahren nur gegen die Abschiebung wendet und nicht
gleichzeitig einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sichern wollte.