Urteil des OLG Hamburg vom 30.11.2012

OLG Hamburg: Der Versorgungsfestsetzungsbescheid regelt in aller Regel nicht, ob der Auszahlung ein rechtliches Hindernis, u.a. eine Anrechnung einer Rente nach § 55 BeamtVG

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Der Versorgungsfestsetzungsbescheid regelt in aller Regel nicht, ob der Auszahlung ein rechtliches
Hindernis, u.a. eine Anrechnung einer Rente nach § 55 BeamtVG, entgegensteht.
Erkennt die Behörde die Überzahlung grob fahrlässig nicht, so beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist
von 3 Jahren unabhängig davon zu laufen, ob auch der Beamte grob fahrlässig gehandelt hat.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 1. Senat, Urteil vom 30.11.2012, 1 Bf 41/12
§ 49 BeamtVG, § 55 BeamtVG, § 52 BeamtVG, § 199 BGB
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22. Dezember 2011
ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden,
falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der zu vollstreckenden Kosten leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, ein Universitätsprofessor im Ruhestand, wendet sich gegen die Rückforderung von
Versorgungsbezügen.
Der … geborene Kläger war vom 14. August 1969 bis zum 20. Juli 1977 als wissenschaftlicher Angestellter
tätig und wurde anschließend in das Beamtenverhältnis übernommen. Zum 1. Oktober 2000 wurde er auf
eigenen Antrag wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Mit Bescheid vom 24. August 2000 setzte
die Beklagte seine Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung seiner Zeiten als Angestellter auf 75 % fest und
wies ihn darauf hin, dass die Versorgungsbezüge beim Bezug einer Rente nur bis zu der in § 55 Abs. 2
BeamtVG bezeichneten Höchstgrenze zu zahlen seien. Zugleich forderte sie ihn auf, umgehend mitzuteilen, ob
ihm eine Rente zustehe und er entsprechende Anträge bereits gestellt habe. Werde eine Rente nicht oder
verspätet beantragt, so trete an die Stelle der Rente der Betrag, der vom Leistungsträger ansonsten zu zahlen
wäre. Die Berechnung der Bruttoversorgungsbezüge auf 6487,54 DM in der Anlage zu dem Bescheid nahm sie
ausdrücklich vor Anwendung von Anrechnungs-, Kürzungs- und Ruhensvorschriften vor. In ihrem dem Kläger
übersandten Merkblatt heißt es unter der Überschrift „Zusammentreffen des Ruhegehalts mit Renten“ u.a.: Die
Rente werde vom Rentenversicherungsträger stets in voller Höhe gezahlt. Das Ruhegehalt werde jedoch soweit
gekürzt, dass es zusammen mit der Rente die Höchstgrenze nicht überschreite. Die Anrechnung sei auch dann
vorzunehmen, wenn eine Rente nicht beantragt, verspätet beantragt oder auf sie verzichtet werde. In einem
weiteren Merkblatt über Anzeigepflichten wies die Beklagte den Kläger auf die Verpflichtung hin, alle
Sachverhalte unverzüglich schriftlich anzuzeigen, die auf die Dienstbezüge Einfluss haben könnten,
insbesondere Beantragung, Bezug und Veränderung von Renten, gleiches gelte, wenn eine Rente nicht
beantragt werde.
Nach Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze für die Rentenversicherung 2004 beantragte der Kläger keine
Rente und zeigte dies der Beklagten nicht an. Die Beklagte, die seine Versorgungsbezüge ungekürzt weiter
zahlte, fragte mit Schreiben vom 25. Februar 2009 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund nach, ob der
Kläger die Wartezeit für eine Rente erfülle und falls ja, welche Rente der Kläger zu erwarten hätte, wenn er die
Rente rechtzeitig beantragt hätte. Auf die entsprechende an den Kläger gerichtete Anfrage erklärte dieser, dass
er neben den Versorgungsbezügen keine Rente erhalte. Nachdem die Beklagte die Deutsche
Rentenversicherung gemahnt und darauf hingewiesen hatte, dass der Kläger mindestens 7 Jahre als
Angestellter tätig gewesen sei, teilte diese mit, Rentenbeginn wäre der 1. Juli 2004 gewesen und die Rente
betrage 414,60 Euro. Nachdem der Kläger daraufhin eine Regelaltersrente beantragt hatte, erhielt er mit
Rentenbescheid vom 3. Juni 2009 rückwirkend ab 1. Mai 2009 eine Altersrente von 527,55 Euro.
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Mit Bescheid vom 2. Juli 2009 ordnete die Beklagte das Ruhen der Versorgungsbezüge des Klägers für die
Zeit ab 1. August 2009 an kündigte eine Ruhensberechnung in Höhe seiner fiktiven Rente für die Zeit vom 1.
Juli 2004 bis zum 31. Juli 2009 an. Dies teilte sie ihm mit Schreiben vom 15. Juli 2009 mit und hörte den
Kläger zu der beabsichtigten Rückforderung an. Der Kläger berief sich auf Verjährung und wandte ein, die
Beklagte hätte ihn auf die Notwendigkeit hinweisen müssen, einen Rentenantrag zu stellen. Er sei Historiker
und davon ausgegangen, dass eine interne Verrechnung mit möglicherweise bestehenden Rentenansprüchen
erfolge. Mit Bescheid vom 21. September 2009 forderte die Beklagte 24.083,88 Euro überzahlte
Ruhestandsbezüge zurück und bat in Hinblick auf eine Billigkeitsentscheidung um Vorschläge für eine Tilgung.
Ab dem 1. Oktober 2009 erklärte sie die Aufrechnung mit den laufenden Versorgungsbezügen in Höhe von
monatlich 1.000 Euro. Der Kläger legte aus Gründen der Verjährung Widerspruch in Höhe von 7.071,66 Euro
ein und erklärte sich bereit, den nicht verjährten Teil des Rückforderungsbetrages in Höhe von 17.012,22 Euro
in monatlichen Raten von 2.000 Euro ab dem 3. Januar 2010 zu tilgen.
Mit Bescheid vom 29. April 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Der Kläger sei seit dem 1. Juli
2004 überzahlt worden, da nach § 55 BeamtVG die Versorgungsbezüge nur bis zu der dort bestimmten
Höchstgrenze unter Anrechnung der Rente zu zahlen seien, die er bei einer rechtzeitigen Antragstellung
erhalten hätte. Der Kläger könne sich auch nicht auf Entreicherung berufen, da ihm bei Durchsicht der ihm von
seinem Dienstherrn überlassenen Unterlagen bei einfacher Überlegung hätte vor Augen stehen müssen, dass
ihm ein Teil der Bezüge mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht zustehen könne. Darüber hinaus seien die
Zahlungen entsprechend § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB unter dem gesetzesimmanenten Vorbehalt der Nachprüfung
erbracht und müsse deshalb von vornherein mit einer Rückzahlung gerechnet werden. Die Rückforderung sei
auch nicht verjährt. Das Zentrum für Personaldienste habe erst 2009 von dem Bestehen des Rentenanspruchs
dem Grunde nach erfahren. Dem Zentrum sei keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Die Verantwortung für
die Stellung des Rentenantrags liege bei dem Kläger. Erst nachdem die Deutsche Rentenversicherung Bund
mit Schreiben vom 29. April 2009 mitgeteilt habe, dass der Rentenbeginn der 1. Juli 2004 sei, könne die
Verjährungsfrist zu laufen begonnen haben. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung wiege der Verstoß des
Klägers gegen seine Obliegenheitspflichten schwer, während ein Verursachungsanteil der Beklagten nicht zu
erkennen sei. Sie habe den Kläger ausreichend auf seine gesetzlichen Verpflichtungen hingewiesen. Da sich
der Kläger unter der unzutreffenden Annahme einer Verjährung eines Teils der Rückforderung bereit erklärt
habe, Raten in Höhe von 2.000 Euro monatlich zu leisten, sollten diese Raten nicht zugrunde gelegt werden.
Der Billigkeit genüge, die Rückforderungssumme in monatlichen Raten von 1.000 Euro im Wege der
Aufrechnung zu realisieren.
Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 5. Mai 2010 hat der Kläger am 1. Juni 2010 Klage erhoben:
Der Rückzahlungsanspruch sei für die in dem Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2005 erfolgten
Überzahlungen verjährt. Die Beklagte habe es grob fahrlässig unterlassen, wegen der Höhe der Rente bereits
zum Zeitpunkt der Vollendung seines 65. Lebensjahres nachzufragen. Denn ihr seien die Umstände bekannt
gewesen, die zu der Entstehung des Rentenanspruches geführt hätten.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 21. September 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 29. April 2010
aufzuheben, soweit ein 17.012,22 Euro übersteigender Betrag zurückgefordert wird.
Die Beklagte hat den Antrag gestellt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat ihren Widerspruchsbescheid verteidigt und nach § 114 Satz 2 VwGO vorgetragen: Ihr
Verursachungsbeitrag bestehe darin, dass sie die Angaben in den Kontrollblättern vom 17. August 2000 und
vom 23. August 2000 sowie in der Anlage zu dem Versorgungsbescheid vom 24. August 2000 hinsichtlich der
Angestelltentätigkeit des Klägers nicht veranlasst hätten, eine Wiedervorlage kurz vor dem 65. Geburtstag des
Klägers zu notieren. Wäre dies geschehen, so wäre die Akte, die wegen einer von dem Kläger mitgeteilten
Adressänderung im September 2004 in der Sachbearbeitung gewesen sei, auch in Hinblick auf das Erreichen
der Altersgrenze durchgesehen worden. 2009 habe die Sachbearbeitung dann gesehen, dass der Kläger
mindestens 7 Jahre als Angestellter tätig gewesen sei. Bei der Abwägung der beiderseitigen
Verursachungsanteile sei zu berücksichtigen, dass der aufgetretene Fehler punktuell sei und von einer Art, die
sich im Bereich von Massenverfahren auch bei hoher Kontrolldichte nie ganz vermeiden lasse. Der sich über
einen längeren Zeitraum erstreckende Verursachungsanteil des Klägers wiege deutlich schwerer. Der Anspruch
sei nicht verjährt, da er erst mit den Entscheidungen des Rentenversicherungsträgers und des Zentrums für
Personaldienste 2009 entstanden sei.
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Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide hinsichtlich des 17.012,22 Euro übersteigenden Betrages mit
aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. Dezember 2011 ergangenem Urteil aufgehoben: Der
Rückforderungsanspruch sei insoweit nach 3 Jahren verjährt. Die zuständige Stelle der Beklagten hätte ab Juli
2004 Kenntnis von den Überzahlungen haben müssen. Den Bediensteten der Abteilung Personalservice
Beamtenversorgung hätte sich die Möglichkeit aufdrängen müssen, dass der Kläger ab Juli 2004 Rente
beanspruchen könnte. Ihnen seien sowohl sein Geburtsdatum als auch die Zeiten seiner Angestelltentätigkeit
bekannt gewesen. Ob auch dem Kläger ein Fehlverhalten vorzuwerfen sei, sei unerheblich.
Mit ihrer nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses vom 21. Mai 2012 am 7. Juni 2012 begründeten
Berufung trägt die Beklagte vor: Nach der zivilrechtlichen Literatur entstehe ein Anspruch erst, sobald er im
Wege der Klage geltend gemacht werden könne. Der Rückforderungsanspruch entstehe infolge der
notwendigen Ruhensberechnung nach § 55 BeamtVG erst mit dem definitiven Wissen, dass und in welcher
Höhe Rente bezogen werde. Nur so sei der Anspruch zu beziffern und geltend zu machen. Das Wissen um
eine Rentenanwartschaft genüge nicht. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der für den Beginn
der Verjährung eines Ausgleichsanspruchs unter Gesamtschuldnern die Möglichkeit einer Feststellungsklage
genüge, besage nichts zu der Situation im öffentlichen Recht. Die der Personalakte zu entnehmenden
Vordienstzeiten seien lediglich Hinweise auf den Anspruch begründende Umstände im Sinn des § 199 BGB.
Dass den Indizien für einen Rentenanspruch nicht nachgegangen sei, beinhalte keine grobe Fahrlässigkeit.
Über seine Erwerbsbiographie wisse der Beamte am besten Bescheid. Es würde den Dienstherrn überfordern,
ihm Hinweispflichten auf mögliche Ansprüche aufzubürden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 22. Dezember 2011 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger stellt den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erwidert: Da auf die Versorgungsbezüge auch eine Rente angerechnet werde, die nicht beantragt oder auf
die verzichtet worden sei, entstehe der Rückforderungsanspruch nicht erst mit dem Ergehen des
Rentenbescheids. Die Beklagte berufe sich auf Urteile des VG Bayreuth, VG Minden und VG Düsseldorf. Die
diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte unterschieden sich aber von dem hier vorliegenden.
Er habe anders als die Kläger jener Verfahren nie erklärt, keinen Rentenanspruch zu haben.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den
Rückforderungsbescheid vom 21. September 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 24. April 2010 zu
Recht hinsichtlich des 17.012,22 Euro übersteigenden Betrages aufgehoben. Richtig hat das
Verwaltungsgericht erkannt, dass die Rückforderung der Beklagten für die in dem Zeitraum vom 1. Juli 2004
bis zum 31. Dezember 2005 zu viel gezahlten Versorgungsbezüge verjährt ist.
Es kann dahinstehen, ob – wofür viel spricht - die Beklagte grundsätzlich die Erstattung der dem Kläger wegen
der zunächst nicht erfolgten Anrechnung seiner fiktiven Rente, d.h. des Rentenbetrages, den er bei
rechtzeitiger Beantragung seiner Altersrente erhalten hätte, nach § 55 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG in dem
Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2005 zu viel gezahlten Versorgungsbezüge gemäß § 52 Abs.
2 Satz 1 und 2 BeamtVG (= § 63 Abs. 2 Satz 1 und 2 HmbBeamtVG) verlangen kann. Es bedarf keiner
Entscheidung, in welcher Höhe der Kläger überzahlt wurde, ob er entreichert ist und ob er, was kaum
anzunehmen ist, sich auf seine etwaige Entreicherung berufen kann. Ebenso bedarf keiner Prüfung, ob – wofür
sehr viel spricht – die Beklagte ihre Billigkeitsentscheidung nach § 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG
ermessensfehlerfrei getroffen hat. Denn jedenfalls ist ihre Rückforderung verjährt.
Die Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren
entsprechend § 195 BGB (BVerwG, Urt. v. 26.4.2012, 2 C 15.10; Beschl. v. 20.8.2009, 2 B24/09, juris; OVG
Hamburg, Urt. v. 10.12.2009, NordÖR 2010, 209). Sie beginnt entsprechend § 199 Abs. 1 BGB mit dem
Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (dazu unter 1.) und die Behörde von den den
Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (dazu
unter 2.).
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1. Die Rückforderungsansprüche der Beklagten, einmal vorausgesetzt sie bestehen, sind mit dem Monat
entstanden, in dem dem Kläger die vollen Versorgungsbezüge ohne Anrechnung des Rentenbetrages
ausgezahlt worden sind, den er bei einer rechtzeitigen Beantragung seiner Altersrente erhalten hätte. Der
Rückforderungsanspruch ist hingegen nicht erst mit der mit Anhörungsschreiben vom 15. Juli 2007 zu der
beabsichtigten Rückforderung mitgeteilten Ruhensberechnung für die vergangenen Zeiträume ab 1. Juli 2004
oder mit Erlass des Rückforderungsbescheids vom 21. September 2009 entstanden.
a. Allerdings sind Versorgungsbezüge in der Regel nur zuviel gezahlt im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1
BeamtVG, wenn die Zahlungen nicht von den Festsetzungen des Versorgungsfestsetzungsbescheids gedeckt
sind. Dieser ist nach dem durch § 49 Abs. 1 BeamtVG vorgegebenen Regelungsgehalt die gesetzlich
vorgeschriebene verbindliche Mitteilung über die Höhe der Versorgungsbezüge. Er regelt die
Versorgungsbezüge in ihrer Gesamtheit (BVerwG, Urt. v. 28.6.2012, ZBR 2012, 383; vgl. Urt. v. 24.4.1959,
BVerwGE 8, 261). Deshalb kann der Dienstherr festgesetzte Versorgungsbezüge erst zurückfordern, wenn er
den Versorgungsfestsetzungsbescheid insoweit für den Zeitraum der Zahlungen aufgehoben hat (BVerwG, Urt.
v. 28.6.2012, a.a.O.). Jedoch enthält der Versorgungsbescheid vom 24. August 2000 keine Regelung über die
Anrechnung künftiger Renten. Er setzt lediglich den Ruhegehaltssatz und die Höhe des monatlichen
Ruhegehalts des Klägers vor Anwendung der Ruhensregelung über die Anrechnung von Renten fest. In ihm
heißt es, dass die Versorgungsbezüge auch im Falle einer verspäteten Beantragung einer Rente nur bis zum
Erreichen der in § 55 Abs. 2 BeamtVG bezeichneten Höchstgrenze zu zahlen sind. Auch die Berechnung der
monatlichen Bruttoversorgungsbezüge ist ausdrücklich lediglich vor Anwendung von Anrechnungs-, Kürzungs-
und Ruhensvorschriften erfolgt.
Dies entspricht dem gesetzlichen Regelungskonzept des § 49 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG. Danach setzt die
oberste Dienstbehörde die Versorgungsbezüge fest, sie bestimmt die Person des Zahlungsempfängers und
entscheidet über die Berücksichtigung von Zeiten als ruhegehaltsfähige Dienstzeit. § 49 BeamtVG verlangt
nicht, dass als integraler Bestandteil der Festsetzung der Versorgungsbezüge zugleich über die Anwendung
der Ruhensvorschrift des § 55 BeamtVG entschieden wird. Vielmehr sieht § 55 Abs. 1 BeamtVG lediglich vor,
dass die – durch den Versorgungsbescheid festgesetzten - Versorgungsbezüge neben Renten nur bis zu der
vorgesehenen Höchstgrenze gezahlt werden. Der Versorgungsfestsetzungsbescheid regelt in aller Regel nicht,
ob der Auszahlung des als Versorgung festgesetzten Betrages ein rechtliches Hindernis, nämlich u.a. eine
Anrechnung eines Rentenbetrages nach § 55 BeamtVG entgegensteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1966,
BVerwGE 25, 291; OVG Hamburg, Beschl. v. 14.8.1984, I Bs 75/84; VGH Kassel, Beschl. v. 20.12.2007, 1 ZU
1485/07, juris Rn 3).
Daran ändert nichts, dass nach der Rechtsprechung des Senats (OVG Hamburg, Beschl. v. 26.10.2006, 1 Bs
239/06) dem Widerspruch gegen einen Ruhensbescheid aufschiebende Wirkung zukommt, die die Behörde an
einer Aufrechnung ihrer Rückforderung gegen den Versorgungsanspruch des Ruhestandsbeamten ohne
vorherige Anordnung der sofortigen Vollziehung hindert. Der Ruhensbescheid kann auch dann als belastender
Verwaltungsakt aufgefasst werden, wenn in ihm keine Abänderung bzw. Teilaufhebung des
Versorgungsfestsetzungsbescheids erblickt wird.
b. Entgegen der Auffassung der Beklagten entsteht der Rückforderungsanspruch nicht erst mit ihrem positiven
Wissen um die Rentenzahlung und ihre Höhe. Zwar entsteht ein Anspruch im Sinne des § 199 Abs. 1 BGB
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 18.6.2009, BGHZ 181, 310, juris Rn. 19) erst,
wenn er geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann. Insoweit kommt es aber
für die Entstehung des Anspruches nicht auf die subjektive Kenntnis des Anspruchsinhabers über die
Umstände an, die die Klagerhebung sinnvoll ermöglichen. Maßgeblich sind die objektiven Gegebenheiten, die
den Anspruch begründen. Die Frage der subjektiven Kenntnis stellt sich erst bei der Prüfung der Anforderung
des § 199 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB. Auch in den Fällen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage, in denen der
Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 BGB ausnahmsweise wegen der Rechtsunkenntnis des
Gläubigers hinausgeschoben ist, beginnt die Verjährung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(BGH, Urt. v. 23.9.2008, XI ZR 262/07, juris; vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.12.2010, 2 B 44/10, NJW-RR 2009,
547, juris) mit der objektiven - höchstrichterlichen - Klärung der Rechtslage, ohne dass es auf die Kenntnis
oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von dieser Klärung ankommt.
2. Gemäß § 199 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB beginnt die Verjährung nicht erst mit der positiven Kenntnis von den
den Anspruch begründenden Umständen zu laufen, sondern bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem der
Anspruchsinhaber ohne grobe Fahrlässigkeit von seinem Anspruch wissen müsste. Der Bundesgerichtshof hat
die Anforderungen für die Annahme grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB wie folgt
präzisiert (vgl. BGH, Urt. v. 27.9.2011, VI ZR 135/10, WM 2011, 2128):
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„Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren
Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige
Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt demnach nur vor, wenn dem Gläubiger die
Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet
hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer
Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung ("Verschulden gegen
sich selbst") vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände
förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (vgl. Senatsurteil vom
10. November 2009 - VI ZR 247/08, VersR 2010, 214 Rn. 13; BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR
249/09, VersR 2011, 395 Rn. 28; vom 23. September 2008 - XI ZR 262/07, NJW-RR 2009, 547 Rn. 16
und vom 22. Juli 2010 - III ZR 203/09, VersR 2011, 1144 Rn. 12). Hierbei trifft den Gläubiger generell
keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der
Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach
Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des
Gläubigers bejahen zu können (vgl. Senatsurteil vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, aaO Rn. 15
f. mwN.; BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, aaO).“
Diesen Maßstab legt das Gericht auch der entsprechenden Anwendung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB im
öffentlichen Recht zugrunde (OVG Hamburg, Urt. v. 9.5.2011, 1 Bf 103/10).
Danach hat sich die Beklagte 2004 grob fahrlässig der Kenntnis verschlossen, dass der Kläger mit Vollendung
seines 65. Lebensjahres einen Anspruch auf Altersrente erworben hatte und der Auszahlungsbetrag seiner
Versorgungsbezüge nach § 55 BeamtVG zu verringern war.
a. Es erscheint als geradezu unverständlich, dass die Zentralen Personaldienste, Beamtenversorgung des
Personalamts anlässlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge des Klägers mit Bescheid vom 24. August
2000 keine Wiedervorlage der Akte 2004 verfügt haben, um dann die Anrechnung des zum 1. Juli 2004
entstandenen Rentenanspruchs des Klägers zu prüfen. Der zuständigen Stelle war bekannt, dass der Kläger
gut 7 Jahre als wissenschaftlicher Angestellter für die Universität Hamburg gearbeitet hatte. Sie hat diese Zeit
in ihrer Berechnung seiner ruhegehaltsfähigen Dienstzeit berücksichtigt. Ebenso kannte sie das Alter des
Klägers, der vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden war. Ihren Versorgungssachbearbeitern musste
bekannt sein, dass eine derart lange Angestelltentätigkeit ausreicht, um einen Anspruch auf Altersrente zu
begründen. Bei einem Zeitraum von nur knapp 4 Jahren bis zum Erreichen der Altersgrenze musste sich der
Beklagten aufdrängen, eine Vorlagefrist zu notieren um sicherzustellen, dass die Rentenberechtigung des
Klägers bei der Auszahlung seiner Versorgungsbezüge nach § 55 BeamtVG 2004 berücksichtigt wurde. Die
Personalakte enthielt nicht lediglich versteckte Hinweise auf eine mögliche Rentenberechtigung des Klägers,
die der Beklagten entgangen waren. Für die Sachbearbeiter der Beklagten war vielmehr bereits 2000 bei der
Festsetzung seiner Versorgungsbezüge offensichtlich, dass 2004 die Altersrente des Klägers nach § 55
BeamtVG anzurechnen war.
Deshalb durfte sie sich nicht darauf verlassen, der Kläger werde von sich aus 2004 seine Rentenberechtigung
mitteilen. Zwar war der Kläger verpflichtet, 2004 seine Rentenberechtigung anzuzeigen und hatte ihn die
Beklagte in dem ihm übersandten Merkblatt über Anzeigeverpflichtungen unmissverständlich darauf
hingewiesen, dass er die Beantragung und den Bezug von Renten der gesetzlichen Rentenversicherung wie
auch die Nichtbeantragung einer ihm zustehenden Rente mitzuteilen habe. Auch ist der Beklagten nicht als
grob fahrlässig vorzuhalten, dass sie nicht ständig von sich aus ermittelt, ob sich die Zahlungsbeträge der
Versorgungsbezüge wegen der Anrechnung von Renten oder anderer Einkünfte vermindern. Insoweit weiß der
Beamte regelmäßig weit besser über seine Rentenberechtigung oder den Bezug anderer anzurechnender
Einkünfte Bescheid als die Behörde, die derartige Umstände erst ermitteln muss. Anders verhält es sich
jedoch, wenn sich der spätere, in wenigen Jahren eintretende Anrechnungsfall ihren Sachbearbeitern bereits bei
der Festsetzung der Versorgungsbezüge auf den ersten Blick aufdrängt. So lag es hier.
Die Beklagte überzeugt dem gegenüber mit ihrem Hinweis nicht, erst nach der Mitteilung der Deutschen
Rentenversicherung Bund vom 18. Juni 2009 über die Höhe des Rentenanspruchs des Klägers habe sie die
Ruhensberechnung nach § 55 BeamtVG durchführen können. Hätte sie es im Jahr 2000 nicht grob fahrlässig
unterlassen, eine rechtzeitige Vorlage der Versorgungsakte des Klägers zu notieren, bzw. eine entsprechende
Benachrichtigung in ihrem EDV-System zu veranlassen, so hätte sie ohne weiteres rechtzeitig vor dem 1. Juli
2004 die Höhe des Rentenanspruchs des Klägers bei der Deutschen Rentenversicherung abfragen können.
b. Die grobe Fahrlässigkeit der Beklagten entfällt auch nicht deshalb, weil es der Kläger grob fahrlässig
unterlassen hatte, 2004 seine Altersrente zu beantragen und der Beklagten seine Rentenberechtigung
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mitzuteilen. Allerdings hätte ihm, einem wissenschaftlichen Historiker, schon bei einfacher Durchsicht seines
Versorgungsfestsetzungsbescheids und der ihm dazu ausgehändigten Merkblätter auffallen müssen, dass die
Rente nicht, wie er gemeint hat, intern zwischen der Beklagten und seinem Rentenversicherungsträger
verrechnet wird, sondern sich die Auszahlung seiner Versorgungsbezüge vermindert. Sowohl sein
Versorgungsbescheid wie auch das ihm zur Verfügung gestellte Merkblatt für Ruhestandsbeamte sind insoweit
klar und unmissverständlich formuliert. Für den Beginn der Verjährungsfrist kommt es aber anders als bei der
nach § 55 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG zu treffenden Billigkeitsentscheidung nicht darauf an, dass der
Verursachungsbeitrag des Klägers für die Überzahlung schwerer wiegt als das Versehen der Beklagten. Denn
die grobe Fahrlässigkeit des Klägers ändert an der groben Fahrlässigkeit der Beklagten nichts (vgl. OVG
Magdeburg, Beschl. v. 31.5.2011, 1 L 53/11, juris).
c. Die grob fahrlässig unterbliebene Verfügung einer Aktenvorlage ist auch der für die Rückforderung
zuständigen Stelle der Beklagten zuzurechnen.Insoweit kommt es in Anlehnung an die zu § 48 Abs. 4 Satz 1
VwVfG für die Frist zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte entwickelten Grundsätze auf die Kenntnis
des zuständigen Bediensteten der verfügungsberechtigten Behörde an; verfügungsberechtigt in diesem Sinne
sind dabei solche Behörden, die über den Rückforderungsanspruch entscheiden können; insoweit ist die
behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren (BVerwG, Urt. v. 26.4.2012. 2 C 4.11, juris; Beschl. vom
20.8.2009, 2 B 24/09, juris; OVG Hamburg, Urt. 10.12.2009 NordÖR 2010, 209). Im vorliegenden Fall hat die
für die Rückforderung zuständige Stelle es selbst versäumt, die Wiedervorlage zu veranlassen und die
Auszahlung der Versorgungsbezüge zu verringern. Denn der Geschäftsbereich Personalservice
Beamtenversorgung des Zentrums für Personaldienste, der den Rückforderungsbescheid erlassen hat, ist der
Nachfolger des Bereichs Beamtenversorgung der zentralen Personaldienste, der mit Bescheid vom 24. August
2000 die Versorgungsbezüge des Klägers berechnet und festgesetzt und dabei versäumt hat, eine Vorlagefrist
zu notieren. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass die zentralen Personaldienste 2000 Teil des
Personalamts waren, während sie nunmehr als Landesbetrieb organisiert sind, der als Organisationseinheit des
Senats der Freien und Hansestadt Hamburg – Personalamt – handelt.
3. Die für die Rückforderung der Überzahlungen im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2005 Ende 2004 und Ende
2005 in Lauf gesetzte Verjährungsfrist von 3 Jahren lief zum 31. Dezember 2007 bzw. 2008 ab. Deshalb hat
die Beklagte mit dem Erlass ihres Rückforderungsbescheids vom 2. Juli 2009 den Ablauf der Verjährungsfrist
nicht mehr gemäß § 53 Abs. 1 HmbVwVfG hemmen können.
4. Der Kläger handelt auch nicht treuwidrig, weil er sich auf Verjährung beruft. Jedenfalls weigert er sich nicht,
den Wert einer grob fahrlässig von ihm verursachten Doppelzahlung zu erstatten, obwohl er die zu viel
gezahlten Beträge nicht verbraucht hat. Es kann dahinstehen, ob ein derartiges Verhalten eines
Ruhestandsbeamten gegen Treu und Glauben verstoßen könnte. Da der Kläger es versäumt hatte, rechtzeitig
seine Altersrente zu beantragen, ist es zu keiner Doppelzahlung gekommen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10; 711 ZPO. Die Revision war nicht nach § 132 Abs. 2
VwGO, § 127 BRRG zuzulassen.