Urteil des OLG Hamburg vom 06.12.2013

OLG Hamburg: 1. Für die Entscheidung über den Antrag eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
1. Für die Entscheidung über den Antrag eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten,
Aktenbestandteile schriftlich in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen und ihm auszuhändigen,
ist der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers zuständig; eine Entscheidung des Spruchkörpers
anstelle des Vorsitzenden ist unschädlich.
2. § 187 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 GVG in der Fassung seit dem 6. Juli 2013 (Gesetz vom 2. Juli 2013,
BGBl. I S. 1938) begründet keinen Anspruch auf schriftliche Übersetzung von in der Akte befindlichen
Zeugenaussagen oder Urteilen, die gegen gesondert verfolgte Beschuldigte ergangen sind.
3. Hat der Beschuldigte einen Verteidiger, ist ein solcher Anspruch auf Grundlage des Art. 6 Abs. 3 lit. e
EMRK und § 147 Abs. 7 StPO grundsätzlich ausgeschlossen, auch wenn der Beschuldigte der deutschen
Sprache nicht mächtig ist.
Maßnahmen der §§ 186, 187 GVG werden allein vom Vorsitzenden getroffen. Die Neufassung des § 187
GVG enthält keine erweiternde Zuständigkeitsregelung.
§ 187 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 GVG in der Fassung seit dem 6. Juli 2013 begründet keinen Anspruch
auf schriftliche Übersetzung von in der Akte befindlichen Zeugenaussagen oder Urteilen, die gegen
gesondert verfolgte Beschuldigte ergangen sind.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 2. Strafsenat, Beschluss vom 06.12.2013, 2 Ws 253/13, 2 Ws 253/13 -
1 OBL 88/13
§ 186 GVG, § 187 Abs 1 S 1 GVG vom 06.07.2013, § 187 Abs 2 S 1 GVG vom 06.07.2013, Art 6 Abs 3 Buchst e
MRK, § 147 Abs 7 StPO
Tenor
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 12. November 2013
wird kostenpflichtig verworfen.
Gründe
I.
Der in Untersuchungshaft befindliche Beschwerdeführer wird mit Anklageschrift vom 14. Oktober 2013
angeschuldigt, in zwei Fällen, davon in einem Fall gemeinschaftlich, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Er ist paraguayischer Staatsbürger und der deutschen Sprache
nicht mächtig.
Unter dem 6. November 2013 hat der dem Beschwerdeführer beigeordnete Verteidiger beantragt, „folgende
Beweismittel dem Beschwerdeführer in spanischer Übersetzung auszuhändigen:
1.) Vernehmung des ...(Anklage, Beweismittel I. 1.)
2.) Vernehmung ...(Anklage, Beweismittel I. 2.)
3.) Urteil des Landgerichts gg. ...(Anklage, Beweismittel II. 39.)
4.) Urteil des Landgerichts gg. ...und ...(Anklage, Beweismittel II. 40.)
5.) Urteil des Landgerichts gg. ...und ...(Anklage, Beweismittel II. 41.)
6.) Urteil des Landgerichts gg. ...…(Anklage, Beweismittel II. 42.)“
Das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 31, hat den Antrag am 12. November 2013 in der Besetzung
mit drei Berufsrichtern abgelehnt und am 21. November 2013 die Eröffnung des Hauptverfahrens
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beschlossen.
Der Beschwerdeführer richtet sich mit seinem am 22. November 2013 erhobenem Rechtsmittel gegen den
Beschluss vom 12. November 2013.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat angetragen, die Beschwerde kostenpflichtig zu verwerfen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat sachlich keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO zulässig.
§ 305 Abs. 1 StPO steht der Beschwerde schon deshalb nicht entgegen, da der angefochtene Beschluss vor
der Eröffnung des Hauptverfahrens ergangen ist. Vor der Eröffnung des Hauptverfahrens ergangene
Entscheidungen werden indes von § 305 Abs. 1 StPO nicht erfasst (Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, § 305
Rdn. 2; Matt in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage § 305 Rdn. 2; Frisch in SK-StPO, 4. Auflage, § 305 Rdn.
9; KK-Zabeck, StPO, 7. Auflage, § 305 Rdn. 2).
2. Die Beschwerde ist unbegründet, da der Beschluss in formeller Hinsicht keine durchgreifenden Mängel
aufweist und dem Angeklagten kein Recht auf Übersetzung und Aushändigung der von ihm benannten
Aktenbestandteile zusteht.
a) Der Beschluss der Kammer ist nicht deshalb aufzuheben und die Sache an den Kammervorsitzenden
zurückzuverweisen, weil die Kammer an dessen Stelle entschieden hat.
aa) Zuständig für die Bescheidung des Antrags auf schriftliche Übersetzung von Aktenbestandteilen
und Überlassung dieser Übersetzungen ist der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers, dem die
Vorbereitung der Hauptverhandlung im Wesentlichen obliegt (Meyer-Goßner, a.a.O. Vor. § 212 Rdn.
1).
Soweit § 187 Abs. 1 GVG (in Verbindung mit § 187 Abs. 2 GVG) als eine mögliche gesetzliche
Grundlage hierfür die Regelung enthält, dass „das Gericht“ in bestimmten Fällen einen Dolmetscher
oder Übersetzer heranzieht, wird hiermit keineswegs die Zuständigkeit des jeweiligen Spruchkörpers
in seiner Besetzung (vgl. §§ 30 Abs. 2, 76 Abs. 1, 122 Abs. 1 GVG) geregelt; Maßnahmen der §§
186, 187 GVG sind vielmehr solche der Verhandlungsleitung und werden zunächst nach
pflichtgemäßem Ermessen allein vom Vorsitzenden getroffen (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 7. Auflage, §
186 Rdn. 15). Die Neufassung des § 187 GVG, der lediglich die §§ 185, 186 GVG im Straf- und
Bußgeldverfahren ergänzt, enthält insoweit auch keine neue, gar erweiternde Zuständigkeitsregelung
(vgl. amtl. Begründung, Drucksache 17/12578, S. 10).
bb. Allerdings ist es im Ergebnis unschädlich, dass die Kammer anstelle des Vorsitzenden über den
Antrag entschieden hat. Eine Einbuße bei der Qualität der Entscheidung ist durch die Mitwirkung der
anderen Kammermitglieder nicht zu besorgen (vgl. Senat, Beschluss vom 9. August 2010, Az.: 2 Ws
121/10; OLG Hamburg, JZ 1965, 587 f.; ebenso Meyer-Goßner, a.a.O. § 141 Rdn. 6 zur
Verteidigerbestellung).
b) Ein Anspruch auf die Übersetzung und Aushändigung der vom Angeklagten bezeichneten
Aktenbestandteile ergibt sich vorliegend unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
aa) Insbesondere kann der Angeklagte dies nicht aus § 187 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 GVG in
der Fassung seit dem 6. Juli 2013 verlangen, wonach einem der deutschen Sprache nicht mächtigen
Beschuldigten in der Regel Übersetzungen freiheitsentziehender Anordnungen sowie von
Anklageschriften, Strafbefehlen und nicht rechtskräftigen Urteilen auszuhändigen sind, soweit dies
zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist.
(1) § 187 GVG ist in Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU, die der Schaffung von Mindeststandards
im Bereich der Dolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren dient (Amtliche Begründung,
Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12578 S. 7), nur punktuell ergänzt worden. Dabei bringt diese
punktuelle Ergänzung die bisher geltende Rechtspraxis unter Berücksichtigung der obergerichtlichen
Rechtsprechung mit den Verpflichtungen der Richtlinie 2010/64/EU in Einklang, indem § 187 Abs. 2
GVG nunmehr eine Aufzählung von Anordnungen und Entscheidungen gegen den Beschuldigten
enthält, die schon vorher - sei es aufgrund bestehender Einzelregelungen wie im Fall des Haftbefehls
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(§ 114 a StPO), sei es aufgrund der RiStBV - im Regelfall vollständig übersetzt wurden. Außerdem
nennt § 187 Abs. 2 S. 5 GVG - der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend -
als Regelbeispiel für die fehlende Notwendigkeit einer schriftlichen Übersetzung den Fall des
verteidigten Angeklagten.
(2) Nach diesen Maßstäben scheidet eine Übersetzung und anschließende Überlassung der
verschrifteten Übersetzungen an den Angeklagte aus.
Die von der Verteidigung bezeichneten Aktenbestandteile fallen bereits nicht in den sachlichen
Anwendungsbereich des § 187 Abs. 2 S. 1 GVG, da es sich bei ihnen der Art nach um keine der dort
genannten Anordnungen und Entscheidungen gegen einen Beschuldigten handelt.
Hinsichtlich der schriftlichen Zeugenaussagen versteht sich dieses von selbst.
Ebenso gilt dies für die benannten Urteile, da diese zum einen nicht gegen den Angeklagten
ergangen sind, zum anderen Rechtskraft erlangt haben.
Insofern kommt es nicht mehr darauf an, dass der Angeklagte überdies verteidigt ist.
bb) Ein Anspruch auf Übersetzung und Überlassung der von Angeklagten benannten
Aktenbestandteile ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 147 Abs. 7 StPO.
Nach dieser Vorschrift sind einem sich selbst verteidigenden Beschuldigten Abschriften aus den
Akten zu stellen, wenn er sich ohne Aktenkenntnis nicht angemessen verteidigen kann (vgl.
Begründung des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 21. Januar 2009, BT-
Drucksache 16/11644S. 34). Ist der Beschuldigte jedoch - wie vorliegend - verteidigt, besteht ein
solcher Anspruch nicht. Der Verteidiger kann sich im Wege der Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 1
StPO über den Inhalt der Akte informieren und den Beschuldigten entsprechend unterrichten. Für das
Gespräch mit dem Verteidiger hat der nicht ausreichend sprachkundige Beschuldigte aus Art. 6 Abs.
3 lit. e EMRK sowie Art. 3 Abs. 3 S. 1 und Art. 2 Abs. 1 des GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip einen Anspruch auf einen kostenlosen Dolmetscher für das Gespräch mit
seinem Verteidiger (BVerfG NJW 2004, 50f; Meyer-Goßner, a.a.O. § 148 Rdn. 13). Die Beratung mit
dem Verteidiger ermöglicht damit auch dem der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen
Beschuldigten die Wahrung seiner Verteidigungsrechte und gewährleistet ein faires Verfahren (vgl.
„Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren“
vom 28. Februar 2013, BT-Drucksache 17/12578, S. 12).
cc) Der von dem Angeklagten geltend gemachte Anspruch, schriftliche Übersetzungen der durch
seinen Verteidiger benannten Aktenbestandteile zu erhalten, ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 3
lit. e EMRK.
Dabei kann dahinstehen, ob das Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK sich
überhaupt auf die von der Verteidigung benannten Dokumente bezieht bzw. ob es sich bei diesen
Schriftstücken um solche handelt, auf deren Verständnis der Angeklagte angewiesen ist, um ein
faires Verfahren zu haben (vgl. hierzu Paeffgen in SK-StPO, 4. Auflage, Art. 6 EMRK, Rdn. 169;
Esser in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, Art. 6 EMRK, Rdn. 838); jedenfalls besteht vorliegend
kein Anspruch auf die Anfertigung und Herausgabe schriftlicher Übersetzungen, da der Angeklagte
einen Verteidiger hat.
Soweit vertreten wird, dass ein auch der deutschen Sprache unkundiger verteidigter Beschuldigter in
Fällen, in denen er in erster Linie durch Zeugenaussagen belastet wird, einen Anspruch auf
Überlassung von verschrifteten und in die deutsche Sprache übersetzten Fassungen dieser
Aussagen hat (LG Osnabrück, Beschluss vom 7. September 2012, 1 Qs 57/12 - juris; vgl. OLG
Dresden, Beschluss vom 19. April 2011, 2 Ws 96/11 - juris), teilt der Senat diese Ansicht nicht.
Bei einem verteidigten Beschuldigten kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der
Pflichtverteidiger über die notwendigen Informationen des Ermittlungsstandes verfügt und diese unter
Zuhilfenahme eines Dolmetschers - mithin in der Muttersprache des Beschuldigten - mit dem
Beschuldigten erörtern kann (so auch OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 158, 159; Esser a.a.O., Rdn.
860).
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ein fremdsprachiger Beschuldigter einem Beschuldigten
gleichgestellt werden sollen, der die Gerichtssprache beherrscht. Denn mangelnde Sprachkenntnisse
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sollen die Verteidigung nicht beeinträchtigen (Esser a.a.O., Rdn. 828; Paeffgen a.a.O., Rdn. 169).
Dass der fremdsprachige Beschuldigte bei seiner Information über den Akteninhalt auf die
Vermittlung seines Verteidigers angewiesen ist, führt im Vergleich zum deutschsprachigen
Beschuldigten grundsätzlich zu keinem die Verteidigung maßgeblich beschränkenden Nachteil. Auch
der deutschsprachige verteidigte Beschuldigte ist darauf angewiesen, dass sein Verteidiger gemäß §
147 Abs. 1 StPO Akteneinsicht nimmt und die so erlangten Kenntnisse an ihn weitergibt. Hierzu ist
der Verteidiger in der Regel auch verpflichtet (vgl. BGHSt 29, 99, 102; Meyer-Goßner, StPO, 56.
Auflage, § 147 Rdn 20.). Dabei kann es der Senat dahingestellt sein lassen, ob es in besonderen
Ausnahmefällen gerechtfertigt sein mag, den fremdsprachigen Beschuldigten durch die Bereitstellung
übersetzter Aktenbestandteile gegenüber dem deutschsprachigen besser zu stellen, da vorliegend
keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen sind, die eine solche Ausnahme rechtfertigen würden.
dd) Der Anspruch ergibt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen auch nicht aus der Richtlinie
2010/64/EU des Europäischen Parlamentes vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf
Dolmetscherleistungen und Übersetzungen, da diese durch das Gesetz zur Stärkung der
Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren mit Wirkung vom 6. Juli 2013 vollständig in
das deutsche Recht umgesetzt worden ist (vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der
Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren“ vom 28. Februar 2013, BT-Drucksache
17/12578, S. 1, 7, 9, 10 ff.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.