Urteil des OLG Hamburg vom 27.06.2013

OLG Hamburg: Die Entschädigung für den immateriellen Schaden eines entgegen § 82 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenen schwerbehinderten Beförderungsbewerbers bemisst sich in der Regel an der Orientierungsgröße einer Monatsbesoldung bzw.

1
2
3
--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Die Entschädigung für den immateriellen Schaden eines entgegen § 82 SGB IX nicht zu einem
Vorstellungsgespräch eingeladenen schwerbehinderten Beförderungsbewerbers bemisst sich in der Regel
an der Orientierungsgröße einer Monatsbesoldung bzw. Monatsgehalts.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 1. Senat, Urteil vom 27.06.2013, 1 Bf 108/12
§ 15 AGG, § 82 SGB 9
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2012 ergangene Urteil
des Verwaltungsgerichts Hamburg abgeändert:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 14. September 2009 und des Widerspruchsbescheids
vom 25. Juni 2010 verpflichtet, dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.972,44 Euro zu zahlen und
diesen Betrag mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 19. Juli 2010 zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4. Die Kosten des
Berufungsverfahrens trägt der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.
Das Berufungsurteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der jeweils festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht
die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der zu vollstreckenden Kosten leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Schadensersatz sowie Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz,
weil er in einem Bewerbungsverfahren trotz seiner Schwerbehinderung nicht zu einem Bewerbungsgespräch
eingeladen worden sei.
Der 1952 geborene Kläger trat 1974 zunächst als Angestellter in den Dienst der Beklagten. Er wurde am 28.
November 1980 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Regierungsinspektor z.A.
(Besoldungsgruppe A 9), am 20. November 1981 zum Beamten auf Lebenszeit und am 18. Mai 1983 zum
Regierungsoberinspektor (Besoldungsgruppe A 10) ernannt. Seit dem 18. Januar 1988 ist er
Regierungsamtmann (Besoldungsgruppe A 11). Der Kläger übte seit 1978 ununterbrochen Tätigkeiten in einer
Fachbehörde aus und zwar zunächst im Amt für Arbeitsschutz, seit 1987 im Amt für Soziales und
Rehabilitation und seit 2003 im Amt für Gesundheit und Verbraucherschutz. Seit dem 1. Dezember 2006
arbeitet der Kläger im Amt für Gesundheit. Der Kläger ist schwerbehindert. Bei seiner Einstellung in den Dienst
der Beklagten bestand ein Grad der Erwerbsminderung von 50 v.H. Seit dem 7. Januar 1998 beträgt der Grad
der Behinderung 100. Er ist seit dem 1. Dezember 2006 Vertrauensperson der Schwerbehinderten und in dieser
Funktion mit der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von seinen anderen dienstlichen Aufgaben
freigestellt. Er war in dieser Funktion vor allem mit rückkehrwilligen ehemaligen Bediensteten des
Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) und von Pflegen & Wohnen (P & W) befasst.
Die Beklagte (Personalamt - Personalmanagement) schrieb im Januar 2009 unter der Kennziffer 25856 eine
unbefristete Vollzeitstelle für den gehobenen Dienst - Amtsrätin/Amtsrat bzw. Angestellte/Angestellter,
Besoldungsgruppe A 12 / EGr. 11 - mit dem Tätigkeitsbereich „Beratung und Vermittlung von Beschäftigten der
Freien und Hansestadt Hamburg (Wiedereingliederungsmanagement“, Bewerbungsschluss 20.2.2009) aus.
Dabei handelte es sich um eine Stelle im Projekt Interner Arbeitsmarkt (PIA), das als zentrale
Personalberatungs- und Vermittlungsagentur alle Beschäftigten unterstützte, die sich innerhalb der Freien und
Hansestadt Hamburg beruflich verändern wollten oder dies aufgrund struktureller Maßnahmen mussten; dem
PIA zugeordnet war zudem das überbehördliche Wiedereingliederungsmanagement (WilMa). Als
Tätigkeitsschwerpunkte wurden in der Stellenbeschreibung u.a. genannt die Beratung und Vermittlung
ehemaliger Beschäftigter der A. Kliniken Hamburg GmbH, die z.B. aufgrund der Art und Schwere ihrer
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Behinderung besondere Unterstützung im Integrationsprozess benötigen, aber auch die Beratung von
Beschäftigten, die sich beruflich verändern wollen oder müssen, die Entwicklung von
Qualifizierungsmaßnahmen im Einzelfall, die Teilnahme an Personalauswahlverfahren, die Implementierung
und Pflege eines Netzwerkes zum vorhandenen Rat- und Hilfeangebot für den zu betreuenden Personenkreis,
die Unterstützung von Personalverantwortlichen in Behörden und Ämtern, die Erschließung neuer (interner und
externer) refinanzierbarer Aufgabenfelder und die Vertretung des PIA bei Personal- und
Mitarbeiterversammlungen in Behörden, Ämtern und Landesbetrieben. Entsprechend der Ausschreibung wurde
eine Laufbahnbefähigung für den gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienst erwartet. Weiter heißt es in der
Ausschreibung:
„(..) Schwerbehinderte haben Vorrang vor gesetzlich nicht bevorrechtigten Bewerberinnen und
Bewerbern gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. (…)
Neben umfassenden Kenntnissen von Struktur, Funktion, Aufgaben, Aufbau und Arbeitsweise der
hamburgischen Verwaltung bringen Sie die Bereitschaft und Fähigkeit mit, sich mit personalrechtlichen
Fragen auseinanderzusetzen. Falls Sie mit den aktuellen personalwirtschaftlichen Konzepten des
Personalamtes und den sich daraus ergebenden Handlungsschwerpunkten noch nicht vertraut sind,
sind Sie bereit, sich diese rasch anzueignen. (…)
Wir berücksichtigen in angemessener Weise, dass bei der Bewertung Ihrer Qualifikation auch durch
Familienarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse einbezogen
werden.“
Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 16. Februar 2009 auf die ausgeschriebene Stelle und hob im
Bewerbungsschreiben insbesondere hervor, dass seine Tätigkeit als Vertrauensperson der Schwerbehinderten
im Amt für Gesundheit seit fast 2 ½ Jahren in hohem Maße durch das aktive Mitwirken bei und die Einbindung
in Maßnahmen zur Personalbetreuung, Personalentwicklung und Personalförderung geprägt sei, die die
Problematik der rückkehrwilligen ehemaligen Bediensteten des LBK und P & W eingeschlossen habe, zu
denen auch übermäßig viele schwerbehinderte Personen zählten. Zugleich legte der Kläger eine
Regelbeurteilung vom Juni 2008 vor, wonach seine Leistungen im Bereich „Denken und Urteilen“ die
Anforderungen übertrifft, in den übrigen Bereich den Anforderungen in vollem Umfang entspricht.
Auf die ausgeschriebene Stelle bewarben sich 54 Bewerberinnen und Bewerber, darunter 13 schwerbehinderte
Menschen. Unter den 12 zu einem Vorstellungsgespräch am 7. und 8. April 2009 geladenen Bewerberinnen und
Bewerbern war eine schwerbehinderte Bewerberin; der Kläger wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch
geladen. Auf die vor dem Auswahlgespräch gefertigte Synopse der Bewerberinnen und Bewerber, sowie die
von der Beklagten eingereichten Lebensläufe der 12 zum Vorstellungsgespräch geladenen Bewerberinnen und
Bewerber wird Bezug genommen. Nach dem Auswahlvermerk vom 13. Mai 2009 wurde keiner der dort
aufgeführten 9 Bewerber für die ausgeschriebene Position ausgewählt, das Auswahlverfahren sei gescheitert.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2009 teilte das Personalamt dem Kläger mit, dass das Verfahren zur Besetzung
der Stelle mittlerweile abgeschlossen sei, die Ausschreibung das Interesse einer Vielzahl qualifizierter
Bewerberinnen und Bewerber gefunden habe, das Auswahlgremium sich aber nicht für ihn entschieden habe.
Mit Schreiben vom 24. Juli 2009 machte der Kläger Schadensersatz nach § 15 AGG in Höhe von insgesamt
14.641,62 Euro geltend.
Mit Schreiben vom 14. September 2009 teilte die Beklagte mit, dass das Auswahlverfahren für gescheitert
erklärt und die Stelle erneut mit Bewerbungsschluss zum 31. August 2009 ausgeschrieben worden sei
(Stellennummer 32218). Die Bewerbung des Klägers vom 16. Februar 2009 werde dabei berücksichtigt. Der
Kläger teilte daraufhin der Beklagten mit, dass er sich auf die neu ausgeschriebene Stelle nicht beworben
habe.
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch gegen das Schreiben vom 14.
September 2009 und machte geltend, ihm stehe ein Anspruch auf Schadenersatz nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG
zu, da er wegen seiner Behinderung im Vergleich zu anderen Bewerbern ungleich behandelt und wegen seiner
Behinderung bei der Stellenbesetzung nicht berücksichtigt und zudem im Auswahlverfahren - entgegen den
Anforderungen aus §§ 81, 82 SGB IX - nicht zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch eingeladen worden
sei, obwohl er das Anforderungsprofil der Stellenausschreibung 25856 erfüllt habe. Die Höhe des
Schadenersatzes ergebe sich aus der sechsmonatigen Differenz zwischen seinem jetzigen Einkommen und
demjenigen, das er erzielt hätte, wenn er die ausgeschriebene Stelle bekommen hätte. Zudem sei der
immaterielle Schaden in Höhe von drei Monatsgehältern zu zahlen.
13
14
16
19
20
15
17
18
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Kläger stehe
kein Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG bzw. Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu, da
er im Verfahren um die Besetzung der unter der Stellennummer 25856 ausgeschriebenen Stelle nicht
unmittelbar wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei. Die unterbliebene Einladung zu einem
Vorstellungsgespräch verstoße nicht gegen § 82 Satz 2 SGB IX dar, da dem Kläger offensichtlich die fachliche
Eignung für die Stelle fehle. Entsprechend der Stellenausschreibung gehöre zum Anforderungsprofil, dass der
Beamte im Personalbereich bzw. im Personalwesen tätig gewesen sein müsse. Die Tätigkeit als
Vertrauensperson der Schwerbehinderten reiche insoweit nicht aus. Die Beklagte habe nicht gegen die sich aus
§ 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ergebende Begründungspflicht verstoßen, da diese nur solche Arbeitgeber treffe,
die die gesetzliche Beschäftigungsquote nach § 71 Abs. 1 SGB IX nicht erfüllt hätten; dies sei beim
Personalamt nicht der Fall. Eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG liege ebenfalls nicht vor.
Darüber hinaus sei der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG auch deshalb nicht
gegeben, weil es an der Kausalität zwischen einem etwaigen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot und
dem geltend gemachten Vermögensschaden fehle. Die Differenz zwischen den Besoldungsgruppen A 11 und A
12 für die Dauer von 6 Monaten könne auch deshalb als Schadenersatz nicht beansprucht werden, da der
Kläger schon nach der Vorauswahl als nicht geeignet angesehen worden sei. Ein Schadenersatz- oder
Entschädigungsanspruch sei auch deshalb auszuschließen, weil Schadenersatz in Form der Naturalrestitution
geleistet worden sei, indem der Kläger im Rahmen der erneuten Ausschreibung der Stelle zu einem
Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Schließlich habe der Kläger es unterlassen, im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes gegen die unterbliebene Einladung vorzugehen.
Mit der am 19. Juli 2010 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und sein Vorbringen
wiederholt und vertieft: Die Beklagte habe die Vermutung, dass er wegen seiner Behinderung benachteiligt
worden sei, nicht widerlegt. Die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung des
Personalamts nach §§ 95 Abs. 2 i.V.m. 81 Abs. 1 Satz 6 SGB IX und die frühzeitige Kontaktaufnahme mit der
Agentur für Arbeit gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, 82 Satz 1 SGB IX werde mit Nichtwissen bestritten.
Der Kläger hat beantragt,
den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 14. September 2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 25. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger
2.224,38 Euro Schadenersatz nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit Rechtshängigkeit der Klage als Ersatz für materielle Schäden und einen weiteren angemessenen
Betrag als Ersatz für immaterielle Schäden, der mindestens 12.417,24 Euro betragen soll, nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug und führt ergänzend aus:
Der Kläger verfüge über keine Kenntnisse im Personalwesen. Soweit er behaupte, eine einschlägige
Vorerfahrung im Personalwesen sei in der Stellenausschreibung nicht gefordert, verkenne er die
beamtenrechtlich geprägte Rechtslage. Bei der Stellenausschreibung unter der Stellennummer 32218 handele
es sich exakt um die Stelle, die Gegenstand der Ausschreibung unter der Stellennummer 25856 gewesen sei.
Die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ergebe sich aus dem Sachvorgang. Die
frühzeitige Beteiligung der Agentur für Arbeit sei per Internet erfolgt.
Mit Urteil vom 21. Februar 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage teilweise stattgegeben. Dem Kläger
stehe ein Entschädigungsanspruch nur aus § 15 Abs. 2 AGG zu, da die Beklagte gegen das
Benachteiligungsverbot verstoßen habe, indem sie den Kläger unter Verletzung von § 82 Satz 2 und 3 SGB IX
nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen habe; dem Kläger fehle nicht offensichtlich die fachliche
Eignung, da er das Anforderungsprofil erfülle. Die pflichtwidrig unterlassene Einladung zum
Vorstellungsgespräch indiziere die Kausalität. Die Beklagte habe nicht bewiesen, dass kein Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot vorgelegen habe. Die Verletzung sei nicht durch die Einladung zu einem
Vorstellungsgespräch im Bewerbungsverfahren mit der Stellennummer 32218 geheilt worden, da es sich um ein
anderes Bewerbungsverfahren gehandelt habe. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei die Höhe des
immateriellen Schadens mit 1 ½ Monatsgehältern anzusetzen. In Regelfällen könne ein Monatsgehalt als
Orientierungsgröße als Regelentschädigung angesehen werden. Erschwerend falle ins Gewicht, dass das
Vorstellungsverfahren abgebrochen worden sei, weil kein geeigneter Bewerber habe gefunden werden können.
21
22
23
28
24
25
26
27
30
31
29
Auf Antrag der Beklagten hat der Senat durch Beschluss vom 27. Februar 2013 die Berufung zugelassen. Die
Beklagte hat die Berufung mit Schriftsatz vom 28. März 2013 begründet. Sie trägt insbesondere vor:
Aus dem in der Ausschreibung beschriebenen Funktionsposten ergebe sich die Notwendigkeit von
Vorerfahrungen im Personalbereich als Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle. Selbst bei Annahme
eines Verstoßes gegen die Pflicht des § 82 Satz 2 und 3 SGB IX fehle es an dem erforderlichen
Kausalzusammenhang zwischen Behinderung und Benachteiligung. Die Indizwirkung des § 22 AGG werde
durch ihren Vortrag widerlegt. Sie habe den Kläger nur deshalb nicht zu einem Vorstellungsgespräch
eingeladen, weil sie davon ausgegangen sei, dass sie in der Stellenausschreibung die Vorerfahrungen im
Personalbereich als Anforderungsprofil festgelegt habe. Dieser Irrtum widerlege die Vermutung des § 22 AGG.
Auch sei die Vermutung des Kausalzusammenhangs zwischen Behinderung und Benachteiligung dadurch
widerlegt, dass sie eine andere schwerbehinderte Bewerberin zum Vorstellungsgespräch eingeladen und auch
im unter der Stellennummer 25844 parallel laufenden Bewerbungsverfahren auf Anregung der
Schwerbehindertenvertretung mehrere schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber zu einem
Vorstellungsgespräch geladen habe. Im Verfahren mit der Stellennummer 25856 sei die
Schwerbehindertenvertretung beteiligt worden, habe jedoch nicht Stellung genommen. Die
Schwerbehindertenvertretung habe hierzu auf interne Nachfrage mitgeteilt, dass dies bedeute, dass diese mit
der Vorauswahl einverstanden sei. Jedenfalls sei ein Schadenersatzanspruch des Klägers nach Treu und
Glauben unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, da er sich nicht ernsthaft um die
Stelle bemüht habe. Dies zeige sich darin, dass er die ihm angebotene Einladung zu einem
Vorstellungsgespräch für die Stelle 32218 ausgeschlagen habe, obwohl das Aufgabenprofil in großen Teilen mit
der Stelle Nummer 25856 übereinstimme. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Höhe der Entschädigung
sei unangemessen.
Auf Nachfrage des Gerichts hat die Beklagte mitgeteilt, dass ihr von den nicht eingeladenen schwerbehinderten
Bewerberinnen und Bewerbern neben dem Lebenslauf des Klägers nur noch der Lebenslauf des in der Synopse
unter der Nummer 50 aufgeführten schwerbehinderten Bewerbers vorliege.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Februar 2012 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen sowie die
Ausführungen in dem angefochtenen Urteil. Ergänzend führt er u.a. aus, das Verwaltungsgericht habe nicht
rechtsfehlerhaft die Höhe der Entschädigungssumme mit mehr als einem Monatsgehalt bemessen, sondern
rechtsfehlerfrei die maßgeblichen Umstände gewürdigt. In der mündlichen Verhandlung hat er zudem
vorgetragen, dass er seit 25 Jahren nicht befördert worden sei, was er als belastend empfinde und für ihn auch
in Zusammenhang mit seiner Schwerbehinderung und seinen damit im Zusammenhang stehenden
Beeinträchtigungen stehe.
Entscheidungsgründe
A.
Die zulässige Berufung hat hinsichtlich der Höhe des Entschädigungsanspruches teilweise Erfolg.
I.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Monatsgehalts (A 12
brutto, Endstufe, Stand Mai 2009, zuzüglich Familienzuschlag und allgemeiner Stellenzulage) zu (I.), der zu
verzinsen ist (III.). Ein darüber hinausgehender Schadenersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG ist nicht
gegeben (II.). Soweit dem Kläger ein Anspruch auf Entschädigung zusteht, ist die Berufung zurückzuweisen.
Soweit das Verwaltungsgericht einen darüber hinausgehenden Entschädigungsanspruch angenommen hat, ist
der Berufung stattzugeben und die Klage insoweit abzuweisen.
I.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Monatsgehalts (A 12
brutto, Endstufe, Stand Mai 2009, zuzüglich Familienzuschlag und allgemeiner Stellenzulage) zu. Gemäß § 15
32
33
34
35
36
37
38
39
Abs. 2 AGG kann ein Beschäftigter wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine
angemessene Entschädigung in Geld verlangen, wenn der Arbeitgeber gegen das Benachteiligungsverbot aus
§ 7 Abs. 1 AGG verstoßen hat. Die Vorschrift findet auch auf Bewerberinnen und Bewerber für ein
Beschäftigungsverhältnis Anwendung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG) und gilt für Beamtinnen und Beamte
entsprechend (§ 24 Nr. 1 AGG).
1. Die Beklagte hat objektiv gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, indem sie den
schwerbehinderten Kläger im Bewerbungsverfahren mit der Stellennummer 25856 entgegen der Verpflichtung
aus § 82 Satz 2 und 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen hat, obwohl er die nach dem
Anforderungsprofil geforderten fachlichen Qualifikationen erfüllte; der schwerbehinderte Kläger ist damit wegen
seiner Behinderung im Bewerbungsverfahren im Sinne von §§ 1, 7 AGG benachteiligt worden (vgl. BVerwG,
Urt. v. 3.3.2011, BVerwGE 139, 135, juris Rn. 15):
1.1. Gemäß § 82 Satz 2 und 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen zu einem Vorstellungsgespräch
eingeladen, es sei denn ihre fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle fehlt offensichtlich. Hiergegen
hat die Beklagte verstoßen, da der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, obwohl
er nach dem in der Stellenausschreibung zum Ausdruck kommenden Anforderungsprofil die fachlichen
Anforderungen an die ausgeschriebene Stelle erfüllte und ihm daher die fachliche Eignung für die
ausgeschriebene Stelle nicht offensichtlich fehlte (vgl. allgemein: BVerwG, Urt. v. 3.3.2011, juris Rn. 17 - 23).
Mit dem Anforderungsprofil beschreibt der Dienstherr diejenigen formalen Voraussetzungen, fachlichen
Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen, die eine Bewerberin oder ein Bewerber für
eine erfolgreiche Bewältigung der künftigen Tätigkeit benötigt. Insoweit wird mit dem Anforderungsprofil ein
wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Nach dem in der Stellenausschreibung zum
Ausdruck kommenden Anforderungsprofil sollen die Bewerberinnen und Bewerber die Bereitschaft und
Fähigkeit mitbringen, sich mit personalrechtlichen Fragen auseinanderzusetzen. Diese Voraussetzung erfüllt
der Kläger bereits deshalb, weil er im Hinblick auf seine zum Zeitpunkt der Bewerbung 2 ½-jährige Tätigkeit als
Vertrauensmann der Schwerbehinderten die Fähigkeit mitbringt, sich mit personalrechtlichen Fragen
auseinanderzusetzen. Es kann dahinstehen, ob sich - wie die Beklagte vorträgt - aus der
Funktionsbeschreibung ergibt, dass die Bewerber über Erfahrungen im Personalbereich bzw. im Personalwesen
verfügen müssen. Denn jedenfalls kann der Stellenausschreibung nicht entnommen werden, dass die Tätigkeit
als Vertrauensmann der Schwerbehinderten, durch welche der Kläger Erfahrungen im Personalbereich
mitbringt, hierfür nicht ausreichend ist; dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass in der Ausschreibung
darauf hingewiesen wird, dass bei der Bewertung der Qualifikation in angemessener Weise die durch
Familienarbeit und ehrenamtliche Tätigkeit erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse berücksichtigt werden. Eine
weitergehende Eingrenzung in dem Sinne, dass die Tätigkeit zwingend im Rahmen einer beruflichen
Haupttätigkeit im Personalwesen erworben sein müsste, kann weder dem Wortlaut der Stellenausschreibung
(„Fähigkeit, sich mit personalrechtlichen Fragen auseinanderzusetzen“) noch der Funktionsbeschreibung
entnommen werden.
Es ist weder vorgetragen noch für das Gericht ersichtlich, dass der Kläger in weiteren Punkten das
Anforderungsprofil nicht erfüllt.
1.2. Der Kläger hat keine weiteren Benachteiligungen im Bewerbungsverfahren wegen seiner Behinderung
nachgewiesen.
Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass der Vertreter der Schwerbehinderten beim Personalamt, Herr ..., nicht
nach § 95 Abs. 2 i.V.m. 81 Abs. 1 Satz 6 SGB IX an dem Bewerbungsverfahren beteiligt worden ist. Vielmehr
hat dieser entsprechend dem hierüber gefertigten Vermerk an dem Auswahlgespräch teilgenommen. Die nach
§§ 81 Abs. 1 Satz 2, 82 Satz 1 SGB IX erforderliche frühzeitige Kontaktaufnahme mit der Agentur für Arbeit ist
nach Stellungnahme der Beklagten per Internet erfolgt.
2. Zwischen der Behinderung des Klägers und seiner Benachteiligung im Bewerbungsverfahren besteht ein
Kausalzusammenhang. Der pflichtwidrig unterlassenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch entgegen der
gesetzlichen Verpflichtung aus § 82 SGB IX ist eine Indizwirkung im Sinne des § 22 AGG dahingehend
beizumessen, dass vermutet wird, dass die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes
(vorliegend wegen der Schwerbehinderung) erfolgt ist (2.1.). Diese Vermutung ist von der Beklagten nicht
widerlegt worden (2.2.).
2.1. Der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG erfordert, dass die
Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - hier der Schwerbehinderung - erfolgt ist, wobei
Mitursächlichkeit ausreicht. § 22 AGG senkt zu Gunsten des Betroffenen das Beweismaß, da dieser nur
40
41
42
43
44
Indizien vortragen und beweisen muss, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes
vermuten lassen (sog. Vermutungstatsachen). Dabei genügt die Überzeugung des Gerichts von der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Grund und Nachteil. Die Vorenthaltung des nach
§ 82 SGB IX gesetzlich eingeräumten Chancenvorteils ist Vermutungstatsache für die Kausalität. Zugleich
liegt in ihr eine weniger günstige Behandlung (Benachteiligung, Diskriminierung). Die Indizwirkung ergibt sich
daraus, dass der in Bezug auf das Bewerbungsverfahren gesetzlich eingeräumte Chancenvorteil - hier
Einladung zu einem Vorstellungsgespräch - seine entscheidende Rechtfertigung in der Schwerbehinderung oder
einer ihr gleichgestellten Behinderung findet. Wird der oder dem Beschäftigten die gerade wegen einer
Behinderung zu gewährende verfahrensrechtliche Besserstellung pflichtwidrig vorenthalten, spricht zumindest
der erste Anschein dafür, dass dieses Verhalten des öffentlichen Arbeitgebers gleichfalls seinen Grund in der
Behinderung hat. Andernfalls würde der durch besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu gewährende
Schutz vor einer Benachteiligung weitgehend leerlaufen (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.3.2011, a.a.O., juris Rn. 26 f.).
2.2. Die Beklagte hat nicht widerlegen können, dass die Behinderung des Klägers (mit-) ursächlich für seine
Benachteiligung war.
Im Falle der vermuteten Kausalität trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen
die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Hierfür muss er Tatsachen darlegen und
beweisen, aus denen sich ergibt, dass die in § 1 AGG genannten Gründe sein benachteiligendes Verhalten
tatsächlich weder als negatives noch als positives Kriterium allein oder neben anderen Gründen
(mit)beeinflusst haben. Zu den Anforderungen an den Gegenbeweis hat das Bundesverwaltungsgericht im
Zusammenhang mit der Verletzung der Verpflichtung zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nach § 82
SGB IX ausgeführt (Urt. v. 3.3.2011, juris Rn. 29 f.):
„Die durch die Vorenthaltung des in § 82 Satz 2 SGB IX eingeräumten Chancenvorteils vermutete
Kausalität kann nicht mit dem Hinweis darauf widerlegt werden, dass das Ergebnis des
Bewerbungsverfahrens, d.h. die Auswahlentscheidung und die daraufhin erfolgte Einstellung, unter
dem Aspekt der fachlichen Eignung rechtlich nicht zu beanstanden sind. Für den nach § 22 AGG
möglichen Nachweis, dass für die Nichteinladung einer Bewerberin oder eines Bewerbers entgegen §
82 Satz 2 SGB IX ausschließlich andere Gründe als die Behinderung erheblich waren, können nur
solche Gründe herangezogen werden, die nicht die fachliche Eignung betreffen. Hierfür enthält die in §
82 Satz 3 SGB IX geregelte Ausnahme mit dem Erfordernis der "offenkundigen" Nichteignung eine
abschließende Regelung. Sie prägt auch die Anforderungen, die bei Verstößen im
Bewerbungsverfahren bei auf die fachliche Eignung bezogenen Erwägungen für den Gegenbeweis
zugrunde zu legen wären. Dies entspricht dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 82 Satz 2
SGB IX, der das Recht schwerbehinderter Menschen und der ihnen gleichgestellten behinderten
Menschen auf ein benachteiligungsfreies Bewerbungsverfahren schützt (BAG, Urteile vom 21. Juli
2009 a.a.O. und vom 17. August 2010 a.a.O. Rn. 48). Dementsprechend knüpft der
Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht an die behinderungsbedingte
Nichteinstellung, sondern ausschließlich an Benachteiligungen im Bewerbungsverfahren an, z.B. an
einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 82 Satz 2 SGB IX. Die - als Ergebnis des
Bewerbungs- und Auswahlverfahrens - nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG festgestellte bessere
Eignung anderer Bewerberinnen und Bewerber rechtfertigt nur die Auswahlentscheidung und lässt nicht
darauf schließen, dass auch das Bewerbungsverfahren tatsächlich ohne Benachteiligung einer
Mitbewerberin oder eines Mitbewerbers durchgeführt worden ist. Wenn - wie durch § 82 Satz 3 SGB IX
vorgegeben - die Frage der fachlichen Eignung bereits bei der Reichweite der verfahrensbezogenen
Pflichten des Arbeitgebers zu prüfen ist, würde es das dort normierte Offensichtlichkeitserfordernis
unterlaufen, wenn die fachliche Eignung auch für den Gegenbeweis herangezogen werden könnte;
dieser ist auf andere Gesichtspunkte zu begrenzen. Nur dieses Verständnis entspricht § 15 Abs. 2
Satz 2 AGG, der eine Entschädigung in Fällen, in denen der oder die Beschäftigte auch bei
benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, gerade nicht ausschließt, sondern diese
lediglich der Höhe nach begrenzt. Beruht auch das Auswahlergebnis auf der Benachteiligung, besteht
Anspruch auf vollen Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG.
Die Widerlegung der infolge der Verletzung des § 82 Satz 2 SGB IX vermuteten Kausalität setzt daher
den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen
unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung der
Bewerberin oder des Bewerbers berühren. Letzteres folgt aus dem insoweit abschließenden Charakter
des § 82 Satz 3 SGB IX.“
Die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass die Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch
44
45
46
47
48
49
50
51
52
aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die
fachliche Eignung des Klägers berühren.
2.2.1. Soweit die Beklagte geltend macht, sie habe sich über die Bedeutung des Anforderungsprofils geirrt und
angenommen, dass darin eine Vorerfahrung im Personalbereich bzw. Personalwesen festgelegt sei, widerlegt
dies nach den oben ausgeführten Maßstäben nicht die Vermutung der Kausalität, da dieser Einwand die
fachliche Eignung des Klägers berührt (vgl. auch: BAG, Urt. v. 16.9.2008, BAGE 127, 367, juris Rn. 39; EuGH,
Urt. v. 17.7.2008, C-303/06, Coleman, Slg. 2008 I-05603, Rn. 52 ff., 55, 61 f.).
2.2.2. Dass die Beklagte eine schwerbehinderte Bewerberin (Nr. 20) zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen
hat, führt nicht den Nachweis, dass die Einladung des Klägers aufgrund von Umständen unterblieben ist, die
weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch seine fachliche Eignung berühren. Denn die Einladung der
schwerbehinderten Bewerberin zum Vorstellungsgespräch erfolgte, weil diese nach ihrem Lebenslauf im
Bereich der Personalvermittlung tätig war. Sie erfolgte damit im Hinblick auf deren fachlichen Qualifikation und
führt gerade keinen Nachweis darüber, dass die Einladung des Klägers aufgrund von Umständen unterblieben
ist, die keinen Bezug zu seiner fachlichen Eignung haben.
Entsprechendes gilt für den Hinweis der Beklagten, dass die Schwerbehindertenvertretung beteiligt worden sei,
da deren Beteiligungsanspruch neben und unabhängig von dem Recht des Klägers auf Einladung zum
Vorstellungsgespräch steht und möglicherweise auch die Schwerbehindertenvertretung fälschlicherweise davon
ausgegangen ist, dass der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen war, weil er keine reelle
Chance hatte ausgewählt zu werden.
2.2.3. Soweit die Beklagte geltend macht, in einem anderen Bewerbungsverfahren (zur Stellennummer 32218)
auf Wunsch der Schwerbehindertenvertretung weitere Bewerberinnen und Bewerber zu einem
Vorstellungsgespräch geladen zu haben, führt dieses Verhalten keinen Beweis darüber, dass im vorliegenden
Bewerbungsverfahren die Benachteiligung aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur
Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung des Klägers berühren.
3. Der Entschädigungsanspruch ist vom Kläger innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zugang der
Ablehnung schriftlich geltend gemacht worden, § 15 Abs. 4 AGG: Das Personalamt hat dem Kläger mit
Schreiben vom 28. Mai 2009 mitgeteilt, dass das Verfahren zur Besetzung der ausgeschriebenen Stelle
mittlerweile abgeschlossen sei. Mit spätestens am 28. Juli 2009 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben
des Klägers hat er einen Schadenersatz- bzw. Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG geltend
gemacht.
4. Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist nicht ausnahmsweise nach dem auch im öffentlichen Recht
geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs,
insbesondere wegen mangelnder Ernsthaftigkeit der Bewerbung, ausgeschlossen. Mit Rücksicht auf die
Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes vor Benachteiligungen in Beschäftigung
und Beruf ist an einen derartigen Anspruchsausschluss ein strenger Maßstab anzulegen (BVerwG, Urt. v.
3.3.2011, a.a.O., juris Rn. 33).
Aus dem Umstand, dass der Kläger die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch im Rahmen des
Bewerbungsverfahrens mit der Stellennummer 32218 abgelehnt hat, kann nicht die mangelnde Ernsthaftigkeit
seiner Bewerbung auf die Stelle mit der Stellennummer 25856 geschlossen werden. Denn in der Ausschreibung
der Stelle 32218 ist - anders als in der Ausschreibung der Stelle 25856 - nicht erwähnt, dass zu den Klientinnen
und Klienten von PIA vor allem Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus der A. Kliniken Hamburg GmbH zählen,
die aufgrund Art und Schwere ihrer Behinderung besondere Unterstützung im Integrationsprozess benötigen.
Gerade in Bezug auf dieses Klientel konnte der Kläger aber durch seine Tätigkeit als
Schwerbehindertenvertreter Erfahrungen aufweisen, die es nachvollziehbar erscheinen lassen, sich nur auf
diese Stelle, nicht aber auf die Stelle mit der Stellenummer 32218 zu bewerben. Zum Aufgabengebiet der unter
der Stellennummer 3218 ausgeschriebenen Stelle zählte lediglich die Beratung und Vermittlung von
Beschäftigten, die sich aus gesundheitlichen Gründen neu orientieren müssen; dies bedeutet nicht zwingend,
dass diese eine Behinderung haben. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dementsprechend
vorgetragen, dass er sich auf jene Stelle nicht beworben habe, weil es dort nicht speziell um die Befassung mit
schwerbehinderten Menschen gegangen sei.
5. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist mit einem Monatsgehalt festzusetzen (5.1.) und
bemisst sich nach dem Bruttomonatsgehalt A 12, Endstufe, mit Familienzuschlag und allgemeiner
Stellenzulage Stand Mai 2009 (5.2.).
53
54
55
56
57
5.1. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG darf die Entschädigung bei Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht
übersteigen. Die Vorschrift gilt nicht nur bei Einstellungen, sondern auch bei Beförderungen (BAG, Urt. v.
17.8.2010, NJW 2011, 550, juris Rn. 61; OVG Lüneburg, Urt. v. 10.1.2012, DÖD 2012, 88; Adomeit/Mohr,
AGG, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 57; Palandt, BGB, 72. Auflage 2013, AGG 15 Rn. 7). Der gesetzliche Rahmen
von bis zu drei Monatsgehältern gilt auch bei Beförderungsentscheidungen; insbesondere lässt sich die
Entschädigungssumme im Fall einer Beförderungsentscheidung nicht von vorneherein auf die dreifache
Vergütungsdifferenz beschränken, wenn der Beschäftigte die Stelle auch bei benachteiligungsfreier Auswahl
nicht erhalten hätte (BAG, Urt. v. 17.8.2010, a.a.O., juris Rn. 61; Belling in: Ermann, BGB, 13. Auflage 2011, §
15 AGG Rn. 9; Palandt, BGB, 72. Auflage 2013, AGG 15 Rn. 7).
Die Bemessung des Entschädigungsanspruchs ist Aufgabe des Gerichts (vgl. Adomeit/Mohr, a.a.O., § 15 Rn.
77; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 3. Aufl. 2011, § 15 Rn. 35; BAG, Urt. v. 16.2.2012, NZA 2012, 667, juris Rn.
68 f.): Im Vordergrund steht der Ersatz des immateriellen Schadens, daneben sind bei der Bemessung der
Entschädigungshöhe aber auch Aspekte der Verhaltenslenkung zu berücksichtigen. Maßgebend sind die
Umstände des Einzelfalls. Dazu zählen etwa Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und ihre Folgen
und der Grad des Verschuldens. Zusätzlich ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen. Die Höhe ist
auch danach zu bemessen, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist (BAG Urt. v.
16.2.2012, a.a.O., juris Rn. 68 ff.). In "Regelfällen" einer Benachteiligung kann als Orientierungsgröße ein
Monatsverdienst als "Regelentschädigung" herangezogen werden (vgl. Adomeit/Mohr, a.a.O., § 15 Rn. 67, 71
m. w. N.; LAG Hessen, Urt. v. 28.8.2009, 19/3 Sa 1636/08, juris; vgl. insgesamt: OVG Lüneburg, Urt. v.
10.1.2012, DÖD 2012, 88, juris Rn. 63). Da nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG drei
Monatsgehälter die Obergrenze der Entschädigung bilden, die auch in extrem schwer wiegenden Fällen nicht
überschritten werden darf, ist es nicht sachgerecht, im Regelfall die Entschädigung mit der Hälfte der
Obergrenze und daher mit 1 ½ Monatsgehältern anzusetzen.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sieht das Gericht als Entschädigung ein Bruttomonatsgehalt der zu
besetzenden Stelle als angemessen an; von der „Regelentschädigung“ ist nicht abzuweichen: Zutreffend hat
das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass die aus der unterbliebenen Einladung zum Auswahlgespräch
folgende Diskriminierung eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers darstellt, welche regelmäßig
schwerwiegender als eine mittelbare Diskriminierung zu werten ist (BAG, Urt. v. 18.3.2010, NJW 2010, 2970,
juris Rn. 43; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, a.a.O., § 15 Rn. 36). Dabei ist zu berücksichtigen, dass, auch wenn
die Stelle bei Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch voraussichtlich nicht mit ihm besetzt
worden wäre, Ziel der gesetzlichen Regelung in § 82 SGB IX gerade die Gewährung einer verfahrensrechtlichen
Chance des schwerbehinderten Bewerbers ist, sich und seine Fähigkeiten darzustellen. Dies gilt in
besonderem Maß für den Kläger, der sich zwar aus einem gesicherten Arbeitsverhältnis beworben hat, für den
die Bewerbung jedoch persönlich eine besondere Bedeutung hatte, da er seit 25 Jahren nicht befördert worden
ist; der Kläger hat überzeugend in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er diesen Umstand als
belastend empfindet und auch einen Zusammenhang mit seiner Schwerbehinderung und seinen damit im
Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen sieht. Auch glaubt das Gericht dem Kläger, dass für ihn die
Wirkung der Diskriminierung dadurch verstärkt wurde, dass das Bewerbungsverfahren insgesamt abgebrochen
wurde und ihm noch nicht einmal die Chance gegeben wurde, die Beklagte von seiner Eignung und seinen
Fähigkeiten zu überzeugen, obwohl kein geeigneter Bewerber gefunden wurde. Es ist daher nicht ersichtlich,
dass die Persönlichkeitsverletzung bei dieser Beförderungsentscheidung eine geringere Bedeutung aufweist,
als bei einer erstmaligen Einstellung. Zu Gunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass sie nach ihren
Einlassungen davon ausgegangen ist, das Anforderungsprofil sei nur erfüllt, wenn eine hauptberufliche
Vorerfahrung im Personalbereich bzw. Personalwesen gegeben sei. Allerdings wirkt sich in diesem
Zusammenhang zu ihren Lasten aus, dass die Beklagte die Hausbewerberin aufgrund einer Vereinbarung mit
dem Personalrat zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, obwohl diese das Anforderungsprofil nach
dem von der Beklagten beigemessenen Inhalt nicht erfüllte und daher kaum eine Chance hatte, für die
ausgeschriebene Stelle ausgewählt zu werden.
5.2. Der anzusetzende monatliche Bruttoarbeitsverdienst bemisst sich nach dem Einkommen, das dem Kläger
zugestanden hätte, wenn die Beförderung eingetreten wäre (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 10.1.2012, DÖD 2012,
88, juris Rn. 68; Palandt, a.a.O., AGG § 15 Rn. 7). Dies beträgt vorliegend - nach dem Stand der Besoldung im
Mai 2009 - insgesamt 3.972,44 Euro und setzt sich aus dem Endgrundgehalt der Besoldungsstufe A 12
(3.786,11 Euro) nebst Familienzuschlag der Stufe 1 in Höhe von 111,58 Euro (§ 40 Abs. 1 BBesG i.V.m.
Anlage V zum BBesG) und der allgemeinen Stellenzulage in Höhe von 74,75 Euro zusammen.
II.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf einen weitergehenden Schadenersatz gemäß § 15 Abs. 1 AGG zu.
57
58
59
Danach ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch
entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen. Ein weitergehender materieller Schaden ist vom Kläger nicht
nachgewiesen. Er hat insbesondere nicht nachgewiesen, dass er nach einem Vorstellungsgespräch auf die
ausgeschriebene Stelle befördert worden wäre. Er hat den Vortrag der Beklagten, sie habe nur solche Bewerber
einstellen wollen, die über eine Vorerfahrung im Personalwesen verfügten, nicht widerlegt.
III.
Die Verzinsung des Anspruchs von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an findet ihre Grundlage in §§ 291, 288
BGB in entsprechender Anwendung; die Klage ist am 19. Juli 2010 vor dem Verwaltungsgericht erhoben
worden, wodurch die Rechtshängigkeit eingetreten ist, § 90 VwGO.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO; danach trägt jeder Beteiligte die Kosten
verhältnismäßig soweit er unterlegen ist. Das Rechtsmittelgericht ist dabei zu einer Abänderung der
erstinstanzlichen Kostenentscheidung von Amts wegen in vollem Umfang befugt (BVerwGE, Urt. v. 23.5.1962,
BVerwGE 14, 171; OVG Berlin, Beschl. v. 27.6.1989, NVwZ 1990, 681). Die vorläufige Vollstreckbarkeit des
Berufungsurteils folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht
zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG nicht vorliegen.