Urteil des OLG Hamburg vom 30.01.2014

OLG Hamburg: Heilmittelwerbung: Fachinformation als Nachweis des Standes der Wissenschaft; Wiederholungsgefahr bei Werbung mit veraltetem Inhalt der Fachinformation

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Heilmittelwerbung: Fachinformation als Nachweis des Standes der Wissenschaft;
Wiederholungsgefahr bei Werbung mit veraltetem Inhalt der Fachinformation
Eine werbliche Angabe für ein Arzneimittel, die ein Zitat aus der von der Zulassungsbehörde gebilligten
Fachinformation des Arzneimittels gem. § 11a AMG wiedergibt (hier: eine Äquivalenzbehauptung), ist als
dem Stand der Wissenschaft entsprechend anzusehen und daher nicht irreführend, wenn es dem
Verfügungskläger nicht gelingt glaubhaft zu machen, dass im Zulassungsverfahren nicht berücksichtigte
neue wissenschaftliche Erkenntnisse gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung
belegten Aussagen sprechen (vgl. BGH GRUR 2013, 649 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Ist die in der Werbung zitierte Fachinformation durch eine neue Fassung ersetzt worden, so besteht für
eine Werbung unter Bezugnahme auf die veraltete Fachinformation keine Wiederholungsgefahr, wenn mit
dieser nur während ihrer zeitlichen Gültigkeit geworben worden ist. In dieser Konstellation fehlt es auch
an einer Erstbegehungsgefahr, weil nicht anzunehmen ist, der Werbende werde, nachdem die verwendete
Version der Fachinformation ihre Gültigkeit verloren hat, mit ihr weiterhin werben.
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 3. Zivilsenat, Urteil vom 30.01.2014, 3 U 133/12
§ 11a AMG
Verfahrensgang
vorgehend LG Hamburg, 25. April 2012, Az: 416 HKO 31/12
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegner wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 16 für
Handelssachen, vom 25.4.2012, Geschäfts-Nr. 416 HKO 31/12, abgeändert. Der Verfügungsantrag wird
zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin verlangt von den Antragsgegnern auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage Unterlassung einer
Angabe über das Arzneimittel X.® 50 LD50-Einheiten in einer Werbekarte (Anlage AS 1), die das aus dem
Antrag ersichtliche Zitat aus der Fachinformation (Stand Dezember 2011) wiedergibt.
Die Antragstellerin ist Inhaberin der deutschen Zulassung für das Arzneimittel B.® (Wirkstoff Botulinumtoxin
Typ A, Fachinformation Anlage AS 2). Sie hat die Fa. P.-A. GmbH beauftragt, ihre Interessen im
Zusammenhang mit diesem Arzneimittel in Deutschland wahrzunehmen. B.® ist u.a. zugelassen für die
Behandlung von Blepharospasmus (krampfartiger Lidschluss), zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus,
„Schiefhals“) und fokaler Spastizität des Handgelenks und der Hand bei erwachsenen Schlaganfallpatienten.
Die Antragsgegnerin zu 1. ist Inhaberin der Zulassung für das Arzneimittel X.®100 LD50-Einheiten (Wirkstoff
Botulinumtoxin Typ A, Fachinformation Anlage AS 3, nachfolgend bezeichnet als X.® 100). Die
Antragsgegnerin zu 1. hat im Wege des sog. dezentralen Verfahrens durch das Bundesamt für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) ferner die Zulassung für das Arzneimittel X.® 50 erhalten (Fachinformation
Anlage AS 4). Die Antragsgegnerin zu 2. hat bis Juni 2004 B.® in Deutschland für die Antragstellerin
vertrieben; seit Juli 2005 vertreibt sie X.® 100. X.® 50 wird in Deutschland seit dem 15.1.2012 vertrieben.
X.® ist zugelassen für die „symptomatische Behandlung von Blepharospasmus, zervikaler Dystonie mit
überwiegend rotatorischer Komponente (Torticollis spasmodicus) sowie Spastik der oberen Extremitäten nach
Schlaganfall mit Handgelenkbeugung und gefausteter Hand bei Erwachsenen“.
In der Fachinformation für X.® 50 (Stand Dezember 2011) heißt es u.a. (Ziff. 4.2):
„Ergebnisse vergleichender Studien weisen auf eine Äquipotenz von X. und dem Vergleichspräparat mit
herkömmlichem Botulinum-Toxin-Typ-A-Komplex (900 kDa) hin, wenn sie in einem
Umrechnungsverhältnis von 1:1 dosiert werden.“
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In der Fachinformation mit dem Stand April 2012 heißt es nunmehr u.a.:
[Ziffer 4.2]
„Für detaillierte Informationen zu klinischen Studien mit X. im Vergleich zum herkömmlichen
Botulinumtoxin Typ A-Komplex (900 kD) siehe Abschnitt 5.1.“
[Ziffer 5.1]
„Ergebnisse klinischer Studien
Nichtunterlegenheit der Wirksamkeit von X. zum Vergleichsprodukt, welches den herkömmlichen
Botulinumtoxin Typ A Komplex Onabotulinumtoxin A (900 kD) enthält, wurde in zwei Phase III
Vergleichsstudien nach Einmalgabe gezeigt, eine davon in Patienten mit Blepharospasmus (Studie MRZ
60201-0003; 300 Patienten), die andere in Patienten mit zervikaler Dystonie (Studie MRZ 60201-0013;
463 Patienten). Die Studienergebnisse weisen auch darauf hin, dass X. und dieses Vergleichspräparat
ein ähnliches Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil bei Patienten mit Blepharospasmus oder zervikaler
Dystonie haben, wenn sie in einem Umrechnungsverhältnis von 1:1 angewendet werden.“
Die Antragstellerin hat geltend gemacht: Die werbliche Angabe über die vermeintliche Äquipotenz seien
irreführend und verstießen daher gegen §§ 3, 5 UWG sowie gegen § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 8 AMG. Die
angegriffene Angaben beinhalte auch unter Berücksichtigung der Formulierung Studien weisen darauf hin die
Behauptung, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass die Arzneimittel X.® 50 und B.® bei gleicher Dosierung
auch die gleiche Wirkung entfalteten. Diese Behauptung sei nicht belegt, denn es existierten keine klinischen
Studien, die ein Dosisverhältnis oder die Wirksamkeit bei entsprechendem Dosisverhältnis belegten.
Tatsächlich existiere kein Dosierungsverhältnis von 1:1 zwischen B.® und X.®. Hinsichtlich X.® beruhten die
Angaben in der Fachinformation auf den Zulassungsstudien von R. und B., die gerade keine 1:1-Dosierung
belegten. Die Studien könnten hierfür nicht herangezogen werden, da sie keine Dosisfindungsstudien,
sondern Nichtunterlegenheitsstudien gewesen seien und zudem mangels Auswaschphase von einer
Restaktivität der Vorbehandlung mit B. auszugehen sei. In keiner Studie sei bisher die Dosisäquivalenz
zweier Botulinumtoxin-Präparate untersucht worden. Der Beitrag von J. et al. stelle nur eine
Zusammenfassung der genannten Arbeiten von R. und B. dar. Auch die weiteren von den Antragsgegnern in
Bezug genommenen Arbeiten seien zum Nachweis der Behauptung der Äquipotenz bei Dosierung 1:1 nicht
geeignet. Es liege sogar eine vergleichende klinische Head-to-Head-Studie sowie ein „Case Report“ vor, die
gezeigt hätten, dass weder von einem gleichen Dosierungsverhältnis noch von einer gleichen Wirksamkeit
bei gleicher Dosierung ausgegangen werden könne. Der Umstand, dass die beanstandeten Angaben in der
Fachinformation enthalten seien, stehe einem Verbot nicht entgegen. Denn die Fachinformation sei als Teil
des Zulassungs-Verwaltungsakts nichtig, weil sie offensichtlich an einem schwerwiegenden Fehler leide. Das
BfArM habe die beanstandeten Angaben offenbar übersehen, so dass es insoweit nicht zu einer Prüfung
gekommen sei.
Die Antragstellerin hat beantragt,
es den Antragsgegnern im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung der gesetzlichen
Ordnungsmittel zu verbieten,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs wie mit der als Anlage AS 1 (in Fotokopie)
beigefügten Abgabekarte zuX.® 50 („Ihre Kunst. Unsere Forschung.“) die Angaben zu machen:
„Ergebnisse vergleichender klinischer Studien weisen auf eine Äquipotenz von X. und dem
Vergleichspräparat mit herkömmlichem Botulinum Toxin Typ A-Komplex (900 kDa) hin, wenn sie in
einem Umrechnungsverhältnis von 1:1 dosiert werden.“
Die Antragsgegner haben beantragt,
den Verfügungsantragzurückzuweisen.
Die Antragsgegner haben vorgetragen: Die mit dem Antrag beanstandete Angabe sei nicht irreführend. Denn
die vorliegenden Studien sprächen tatsächlich für eine gleiche Wirksamkeit der Präparate bei Dosierung im
Verhältnis 1:1. Die Studien R. und B. seien randomisierte doppelblinde aktiv-kontrollierte klinische Studien,
deren Ergebnisse in einer international anerkannten Fachzeitschrift mit Peer-Review veröffentlicht worden
seien. Beide Studien hätten gezeigt, dass B.® und X.® unter Verwendung eines Dosisverhältnisses von 1:1
bezüglich aller Wirksamkeitsparameter (Wirkeintritt, Wirkstärke, Wirkdauer) äquivalent seien. Die Anlage als
Nichtunterlegenheitsstudie schließe eine Aussage zur Vergleichbarkeit nicht aus. Dieser Auffassung sei auch
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die EMA, die im EPAR für X. ausgeführt habe, dass auf der Grundlage des nicht klinischen und klinischen
Entwicklungsprogramms auf ein Dosisverhältnis von 1:1 zwischen X.® und B.® in Bezug auf Wirksamkeit
und Sicherheit geschlossen werden könne und die Übernahme der für B.® festgelegten Dosierung
hinreichend gerechtfertigt sei. Entsprechendes ergebe sich auch aus weiteren fachlichen Beiträgen und
Stellungnahmen. Auch die Angaben in der Fachinformation, die von der Genehmigungswirkung der
Arzneimittelzulassung erfasst sei, belegten die Richtigkeit der angegriffenen Aussage. X.® 50 sei mit
Bescheid vom 22.8.2011 auf der Grundlage der für X.® 100 durchgeführten Zulassungsstudien wirksam
zugelassen worden. Mit Änderungsanzeige vom 5.10.2011 hätten die Antragsgegner gegenüber dem BfArM
gem. § 29 Abs. 2a AMG zustimmungspflichtige Änderungen der Packungsbeilage und der Fachinformation
angezeigt. Einer wegen der Bedenken des BfArM modifizierten Änderungsanzeige habe das BfArM sodann
zugestimmt. Angesichts dieses Geschehensablaufs könne auch keine Rede davon sein, die angegriffene
Formulierung sei dem BfArM „durchgerutscht“ oder sie habe sie übersehen.
Das Landgericht Hamburg hat mit Urteil vom 25.4.2012 antragsgemäß eine Urteilsverfügung erlassen.
Hinsichtlich der Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen. Gegen dieses Urteil wenden sich
die Antragsgegner mit der Berufung.
Die Antragsgegner wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend tragen sie vor: Das
Landgericht habe nicht beachtet, dass das BfArM die angegriffenen Formulierungen der Fachinformation
genehmigt habe, weshalb diese einer wettbewerbsrechtlichen Überprüfung entzogen seien. Die Prüfung durch
das BfArM habe sich gem. § 8 AMG auch auf eine etwaige Irreführung bezogen. Zudem sei die
Antragstellerin ihrer heilmittelwerberechtlichen Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen, weil sie
keine einzige valide Untersuchung angeführt habe, die gegen eine Wirkäquivalenz bei einem Dosisverhältnis
von 1:1 spreche. Die von der Antragstellerin angeführten Studien und Erfahrungsberichte seien hierfür nicht
geeignet. Infolge der erneuten Änderung der Fachinformation fehle es an einer Begehungsgefahr hinsichtlich
der streitgegenständlichen Angaben, die auf Fachinformation Stand 12/2011 Bezug nähmen. Die
Antragsgegner bezögen sich in ihrer Werbung stets nur auf die aktuell gültige Fachinformation.
Die Antragsgegner beantragen,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 25.4.2012 (Az. 416 HKO 31/12) den
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Berufung der Antragsgegner zurückzuweisen.
Die Antragstellerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie vor: Das
Landgericht habe zu Recht festgestellt, dass die angegriffene Werbung irreführend sei. Eine etwaige
Genehmigung dieser Angaben durch das BfArM bestehe jedenfalls deshalb nicht mehr, weil die
Fachinformation mit dem Stand April 2012 einen anderen Wortlaut habe. Hieraus gehe auch hervor, dass die
Antragsgegner selbst die angegriffene Angabe nicht mehr aufrecht erhielten. Zudem hätten die Antragsgegner
für X. eine von der B.-Dosierung abweichende Dosierung angegeben. Jedenfalls sei, so die Antragstellerin
weiter, eine etwaige Genehmigung des BfArM nichtig, weil die entsprechenden Angaben in der
Fachinformation wissenschaftlich nicht belegt und daher nicht gerechtfertigt seien. Es existierten keine
vergleichenden Studien, die die Dosierung oder Wirksamkeit zum Gegenstand gehabt hätten. Damit sei
offenkundig, dass die entsprechenden Teile der Fachinformation unter einem schwerwiegenden Fehler litten,
der sich geradezu aufdränge. Jedenfalls für die Indikation „Spastik“ sei eine Wirkäquivalenz bei gleicher
Dosierung nicht nachgewiesen, weil die Zulassungsstudie von K. lediglich placebokontrolliert und daher nicht
vergleichend gewesen sei, weshalb die einschränkungslosen Aussagen innerhalb der Fachinformation ohne
weiteres unzutreffend seien.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen überreichten Anlagen wird ergänzend
auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Antragsgegner hat Erfolg. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte
Verfügungsanspruch nicht zu.
1. Die Antragsgegner wenden sich gegen das vom Landgericht ausgesprochene Verbot,
- wie mit der als Anlage AS 1 (in Fotokopie) beigefügten Abgabekarte zu X.® 50 („Ihre Kunst. Unsere
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- wie mit der als Anlage AS 1 (in Fotokopie) beigefügten Abgabekarte zu X.® 50 („Ihre Kunst. Unsere
Forschung.“)
- die Angaben zu machen: „Ergebnisse vergleichender klinischer Studien weisen auf eine Äquipotenz von
X. und dem Vergleichspräparat mit herkömmlichem Botulinum Toxin Typ A-Komplex (900 kDa) hin, wenn
sie in einem Umrechnungsverhältnis von 1:1 dosiert werden.“
Das Verbot ist auf die konkrete Verletzungsform - die vorgelegte Werbeunterlage - bezogen.
2. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen werblichen Angabe gem. §§ 8
Abs. 1 S. 1 Alt. 2, Abs. 3 Nr. 1, 4 Nr. 11 UWG i.V.m.§ 3a HWG, 8 AMG, denn sie ist nicht irreführend.
a) Die Antragstellerin macht geltend, dass die Angabe dahin verstanden werde, dass die Wirkungsäquivalenz
von X. und B. bei einem Dosierungsverhältnis von 1.1 wissenschaftlich erwiesen sei. Das
Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen
Verbrauchers ebenso wie das eines Arztes vermögen die Mitglieder des Senats, die sich hierbei auf ihre
eigene Sachkunde und Lebenserfahrung stützen können, selbst zu beurteilen (st. Rspr. des Senats, s. nur
Senat PharmR 2007, 204). Das von der Antragstellerin geltend gemachte Verkehrsverständnis trifft mit der
Maßgabe zu, dass aufgrund der Formulierung „klinische Studien weisen darauf hin“ nicht der uneingeschränkt
erbrachte wissenschaftliche Nachweis behauptet wird, aber doch eine gewisse wissenschaftliche Evidenz.
b) Es fehlt allerdings an einer Irreführung, weil die werblich in Anspruch genommene wissenschaftliche
Evidenz besteht, also das vorgetragene Verkehrsverständnis mit der Realität übereinstimmt. Denn aufgrund
der entsprechenden Angabe in der Fachinformation ist davon auszugehen, dass für die angegriffene Angabe
ein hinreichender wissenschaftlicher Nachweis besteht.
aa) Aufgrund des Inhalts der durch die Werbung in Bezug genommenen Fachinformation ist vorliegend davon
auszugehen, dass die angegriffene werbliche Angabe, die als Zitat der Fachinformation (Stand Dezember
2011) entnommen ist, dem Stand der Wissenschaft entspricht.
Die Werbung für Arzneimittel unterliegt den strengen Voraussetzungen der gesundheitsbezogenen Werbung,
wonach wegen des hohen Schutzgutes der Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung an die
Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen besonders strenge Anforderungen zu stellen sind (Senat,
Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204). Daher sind werbende Anpreisungen auf diesem
Gebiet nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (BGH GRUR 1971, 153
- Tampax). Gegenüber der substantiierten Behauptung des Antragstellers, einer von ihm als irreführend
angegriffenen gesundheitsbezogenen Werbung fehle die wissenschaftliche Grundlage bzw. die Aussage sei
wissenschaftlich umstritten, obliegt es dem Antragsgegner, die wissenschaftliche Absicherung der
Werbeaussage zu beweisen (Harte/Henning/Weidert, UWG, 2. Aufl. 2009, § 5 C Rz. 175).
Vorliegend kann offenbleiben, ob die Antragstellerin den Mangel der wissenschaftlichen Grundlage
hinreichend dargelegt hat. Denn jedenfalls ergibt sich aus der Fachinformation für X. 50, die in der
angegriffenen Werbung in Bezug genommen ist, ein hinreichender wissenschaftlicher Nachweis der
werblichen Angabe.
Die in der Fachinformation enthaltenen Angaben geben in der Regel den im Zeitpunkt der behördlichen
Zulassungsentscheidung maßgeblichen Stand der Wissenschaft wieder und können daher indizielle
Bedeutung für den Nachweis der hinreichenden wissenschaftlichen Absicherung erlangen (BGH GRUR 2013,
649 Rn. 35 f., 43 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Denn die Fachinformation ist - wie auch die weiteren, im
arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren gem. §§ 22 bis 24 AMG einzureichenden Unterlagen -
Gegenstand der Prüfung durch die Zulassungsbehörde (BGH GRUR 2013, 649 Rn. 35 - Basisinsulin mit
Gewichtsvorteil). Die Zulassung des Arzneimittels einschließlich des Inhalts der von der Zulassungsbehörde
geprüften Fachinformation steht allerdings dann der Feststellung einer Irreführung nicht entgegen, wenn der
Anspruchsteller im Rahmen der ihm diesbezüglich obliegenden Darlegungs- und Beweislast darlegt und ggf.
beweist, dass neuere, erst nach dem Zulassungszeitpunkt bekanntgewordene oder der Zulassungsbehörde
bei der Zulassungsentscheidung sonst nicht zugängliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die
gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen (BGH GRUR
2013, 649 Rn. 43 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
(1) Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass die Fachinformation in der beanstandeten Passage keine
Grundlage in den Zulassungsstudien von R. und B. finde, so verhilft ihr dieser Einwand nicht zum Erfolg.
Denn die Zulassungsbehörde hat den Inhalt dieser Zulassungsstudien gewürdigt und als Grundlage der
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Zulassung des Präparats und des im Zulassungsverfahren gem. § 22 Abs. 7 S. 1 AMG vorgelegten Wortlauts
des Entwurfs einer Fachinformation für hinreichend befunden. Dass die von der Antragstellerin beanstandete
Formulierung Gegenstand der behördlichen Prüfung und Entscheidung gewesen ist, ergibt sich aus dem von
den Antragsgegnerin vorgetragenen und glaubhaft gemachten Verlauf des mit Änderungsanzeige vom
5.10.2011 eingeleiteten Änderungsverfahrens gem. § 29 Abs. 2a AMG. Der vorliegend relevante Text hat
nach einer Beanstandung der Änderungsanzeige durch das BfArM in der von diesem befürworteten Fassung
in die Fachinformation Stand Dezember 2011 Eingang gefunden.
(2) Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass neuere, erst nach dem Zulassungszeitpunkt
bekanntgewordene oder der Behörde im Entscheidungszeitpunkt sonst nicht zugängliche wissenschaftliche
Erkenntnisse vorliegen, die die Maßgeblichkeit der Fachinformation als Indikator des Standes der
Wissenschaft entkräften würden.
Dies gilt zunächst für die von der Antragstellerin hinsichtlich der angegriffenen Äquivalenzaussage in Zweifel
gezogene Aussagekraft der als Nichtunterlegenheitsstudien konzipierten Zulassungsstudien für X.. Denn die
Frage, ob und unter welchen Bedingungen das Ergebnis einer Nichtunterlegenheitsstudie eine
Äquivalenzaussage rechtfertigen kann, war schon lange vor der hier betroffenen Zulassungsentscheidung
Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion (s. EMEA-Papier CPMP/EWP/482/99 Points to consider on
switching between superiority and non-inferiority v. 27.7.2000; s. auch Senat, Beschluss v. 11.8.2009, Az. 3
W 66/09). Der von der Antragstellerin in Bezug genommene, von Dr. R. verfasste "Case Report" ist in der
Zeitschrift „Aktuelle Dystonie“ Heft Nr. 28/2008 erschienen, war also bereits lange vor dem Zeitpunkt der
behördlichen Entscheidung verfügbar. Es ist anzunehmen, dass diese Publikation im Zeitpunkt der
Zulassung bereits zu dem berücksichtigungsfähigen und auch berücksichtigten Wissensbestand gehört hat,
so dass hiermit der Inhalt der Fachinformation nicht mit Erfolg angegriffen werden kann. Gleiches gilt im
Ergebnis schließlich für das weiter von der Antragstellerin gegen den Inhalt der Fachinformation ins Feld
geführte Konferenzposter von M.-C., welches auf dem Kongress „European Masters in Aesthetical and Anti-
Aging Medicine" vom 30.9.-1.10.2011 gezeigt wurde. Wenn man unterstellt, dass die Behörde den Inhalt
dieser Studie mangels gedruckter Veröffentlichung noch nicht kannte, so kann sie vorliegend zwar im Sinne
der Antragstellerin herangezogen werden. Allerdings ist die Studie inhaltlich nicht geeignet, den in der
Fachinformation wiedergegebenen Stand der Wissenschaft zu widerlegen. Bei dieser Studie handelt es sich
um eine multizentrische, randomisierte, doppelblinde Vergleichsstudie zur Wirksamkeit von entweder 20
Einheiten Onabotulinumtoxin Typ A (Wirkstoff von B.) oder 30 Einheiten von Incobotulinumtoxin A (Wirkstoff
von X.) zur Behandlung der Glabellafalte. Primärer Endpunkt der Studie war die Wirksamkeit innerhalb jedes
Behandlungsarms nach Maßgabe der vom Anwender beurteilten Facial Wrinkle Scale (FWS, Skala der
Gesichtsfalte/faltigkeit). Treatment response, also Behandlungserfolg, war definiert als das Erreichen einer
Verbesserung des FWS von einem Punkt oder mehr. Ergebnis der Studie war, dass 20 Einheiten B. ebenso
wirksam waren wie 30 Einheiten von X.. Diese Studie ist zum Nachweis einer fehlenden Äquivalenz bei
gleichem Dosisverhältnis schon deshalb nicht geeignet, weil die zu vergleichenden Präparate in
unterschiedlichen Dosen verabreicht wurden (20 bzw. 30 Einheiten). Die Tatsache, dass bei einer auf das
1,5-fache erhöhten Dosis von X. gleiche Behandlungserfolge erzielt wurden, sagt über die Wirksamkeit bei
gleicher Dosis (1:1) nichts aus.
bb) Die Fachinformation ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil die Zulassung des Präparats X. oder auch
nur die Zulassung der Fachinformation selbst gem. § 44 VwVfG (teil-)nichtig wären.
Nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden
Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
Besonders schwerwiegende Fehler im Sinne der genannten Vorschrift sind solche, die in einem so
schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden
Wertvorstellungen der Gemeinschaft stehen, dass eine Wirksamkeit des Verwaltungsakts unerträglich wäre
(Kopp/Ramsauer,VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 44 Rn. 8 m.w.N.). Diese Voraussetzungen können etwa vorliegen
bei Verstößen gegen zwingende gesetzliche Verbote oder bei offensichtlichen Gefälligkeitsverwaltungsakten,
denen keinerlei rechtfertigender Sachverhalt zugrunde liegt, nicht hingegen schon bei groben
Schätzungsfehlern oder Fehlern eines ärztlichen Gutachtens (Kopp/Ramsauer § 44 Rn. 10f.). Offenkundig ist
ein Fehler, der dem Verwaltungsakt geradezu „auf die Stirn geschrieben“ ist, mit der Folge, dass der
Verwaltungsakt aus Sicht des gerecht und billig denkenden, aufgeschlossenen Staatsbürgers ohne weitere
Ermittlungen oder besondere rechtliche Überlegungen unmöglich als rechtens anzusehen ist (Kopp/Ramsauer
§ 44 Rn. 12).
Diese Voraussetzungen sind im Falle der Zulassung des Arzneimittels X. 50 und der damit verbundenen
Genehmigung der Fachinformation Stand Dezember 2011 durch das BfArM nicht gegeben. Selbst wenn man
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unterstellte, dass die von der Antragstellerin beanstandete Heranziehung der Zulassungsstudien für die
angegriffene Äquivalenzaussage fehlerhaft wäre, so handelte es sich allenfalls um eine wissenschaftliche
Fehleinschätzung, die - ähnlich wie im Fall eines fehlerhaften ärztlichen Gutachtens (s.o.) - kaum als
„schwerwiegend“ im Sinne des § 44 VwVfG zu beurteilen wäre. Jedenfalls aber fehlt es am weiteren, in § 44
Abs. 1 VwVfG vorgesehenen Nichtigkeitserfordernis der Offenkundigkeit des Fehlers. Unabhängig von der
Frage, ob die Dosisfindung selbst Gegenstand der Zulassungsstudien war, handelt es sich bei der Aussage
über die Äquipotenz bei einem Dosisverhältnis von 1:1 keinesfalls um eine fachliche Bewertung der
Zulassungsbehörde, der die Fehlerhaftigkeit "auf die Stirn geschrieben" wäre. Dies gilt auch mit Blick auf den
Umstand, dass die Indikation „Spastik“ in keiner der Studien vergleichend untersucht worden ist. Denn es
erscheint durchaus vorstellbar, dass eine entsprechende - erweiternde - Schlussfolgerung durch die
Zulassungsstudien wissenschaftlich nahegelegt schien, ohne dass dies als von vornherein haltlos und daher
offenkundig fehlerhaft angesehen werden könnte. Auch die besonderen Nichtigkeitsgründe des § 44 Abs. 2
VwVfG sind nicht gegeben.
3. Der Unterlassungsanspruch ist auch bei Berücksichtigung des Umstands nicht begründet, dass die
Fachinformation Stand Dezember 2011 durch die neugefasste Fachinformation ersetzt worden ist. Denn für
die Verwendung einer Werbung, die nach der Neufassung der Fachinformation ein Zitat aus der veralteten
Version (Stand Dezember 2011) beinhaltet, bestehen weder Wiederholungs- noch Erstbegehungsgefahr. Für
die Inbezugnahme der überholten Fassung der Fachinformation fehlt es an einer die Annahme der
Wiederholungsgefahr begründenden Verletzungshandlung, denn im Zeitpunkt der Verbreitung der
beanstandeten Werbung war die darin zitierte Fassung der Fachinformation noch gültig. Die Antragstellerin
hat nicht vorgetragen, dass die Antragsgegner die angegriffene Werbung nach Neufassung der
Fachinformation noch weiterverwendet hätten. Auch die Annahme einer Erstbegehungsgefahr ist nicht
gerechtfertigt. Erstbegehungsgefahr setzt voraus, dass der Eingriff "greifbar nahe" ist und die Umstände
seine Vorbereitung oder Absicht seiner Verwirklichung erkennen lassen (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche
Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. 2011, Kap. 10 Rn. 2 ff.).
Entsprechende Anhaltspunkte können vorliegend nicht festgestellt werden. Ebenso wenig, wie im Falle einer
Gesetzesänderung ohne entsprechende Anhaltspunkte damit zu rechnen ist, dass eine nach neuer
Rechtslage rechtswidrige Handlung, die in der Vergangenheit (rechtmäßig) vorgenommen wurde, erneut
erfolgen werde (vgl. BGH NJW-RR 1989, 101 - Brillenpreise I; Teplitzky, Kap. 10 Rn. 18), ist im vorliegenden
Fall die Annahme gerechtfertigt, die Antragsgegner würden nach Neufassung der Fachinformation ein
Werbemittel verwenden, das sich auf die überholte Version der Fachinformation bezieht. Jedenfalls aber
haben die Antragsgegner ernsthaft erklärt, in ihrer Werbung stets nur die aktuelle Version der Fachinformation
in Bezug nehmen zu wollen, und somit von einer - unterstelltermaßen - zukünftig zu erwartenden
Verletzungshandlung in hinreichender Weise Abstand genommen (vgl. BGH GRUR 2001, 1174 -
Berühmungsaufgabe).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.