Urteil des BFH vom 27.04.2007

BFH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, ablauf der frist, wiedereinsetzung, frist, stand, begründung, kläger, büro, verschulden, glaubhaftmachung)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 8.2.2008, X B 95/07
Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Notierung und Kontrolle von
Fristen - Büroorganisation - Personalüberwachung - besondere Sorgfaltspflichten bei Begründungsfristen für Revisionen und
Nichtzulassungsbeschwerden
Tatbestand
1 I. Das Finanzgericht wies die Klage, mit welcher sich der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gegen die geänderte
Einkommensteuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 1991 sowie die Nichtfeststellung eines Verlustabzugs zum
31. Dezember 1995 gewandt hat, durch Urteil vom 27. April 2007 als unbegründet ab. Die Revision wurde nicht
zugelassen. Das Urteil wurde den früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18. Mai 2007 zugestellt. Der
jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers legte mit Schreiben vom 12. Juni 2007, eingegangen beim
Bundesfinanzhof (BFH) am 18. Juni 2007, Nichtzulassungsbeschwerde ein. Nachdem der Prozessbevollmächtigte
durch Schreiben des Vorsitzenden des Senats vom 31. Juli 2007 sowohl auf den Ablauf der Frist zur Begründung der
Nichtzulassungsbeschwerde am 18. Juli 2007 als auch auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen wurde,
begründete er die Nichtzulassungsbeschwerde mit Schreiben vom 13. August 2007, eingegangen beim BFH am 16.
August 2007.
2 Mit Schreiben vom 14. August 2007, ebenfalls eingegangen am 16. August 2007, begehrt der Prozessbevollmächtigte
des Klägers im Hinblick auf die versäumte Frist die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur
Begründung trägt er vor, aufgrund der in der Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Urteils aufgeführten
zweimonatigen Begründungsfrist sei versehentlich der 18. August 2007 als Frist notiert worden. Wegen des Urlaubs
seiner Chefsekretärin in der Zeit vom 23. Juli 2007 bis 3. August 2007 seien für den 6. August 2007 und 13. August
2007 Vorfristen eingetragen worden. Die Chefsekretärin sei drei Jahre in H ausgebildet worden und in der dortigen
Kanzlei zusammen mit einer anderen Auszubildenden für die Eintragung und Einhaltung von Fristen zuständig
gewesen, ohne dass es zu Beschwerden gekommen sei. Die Chefsekretärin sei von ihm aufgrund ihrer guten
Zeugnisse angestellt worden und habe bei ihm gerade auch im Bereich der Fristenkontrolle sehr sorgfältig und äußerst
zuverlässig gearbeitet.
Entscheidungsgründe
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
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1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu
begründen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO). Im Streitfall ist die Begründungsfrist für eine Nichtzulassungsbeschwerde
gegen das am 18. Mai 2007 zugestellte Urteil am 18. Juli 2007 abgelaufen. Die erst am 16. August 2007 beim BFH
eingegangene Begründung des Klägers war mithin verspätet, da eine Verlängerung der Begründungsfrist nicht
beantragt worden war (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO).
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2. Die von dem Kläger begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der
Beschwerdebegründungsfrist kann nicht bewilligt werden.
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a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist
gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§
56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und
diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die
schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind
innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-
Beschluss vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, m.w.N.). Hiernach schließt jedes Verschulden --also
auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein
Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung --ZPO--).
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b) Im Streitfall scheitert die Wiedereinsetzung daran, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers
Wiedereinsetzungsgründe nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat.
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aa) Wenn --wie im Streitfall-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens
begehrt wird, muss substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des
Prozessbevollmächtigten überwacht werden. Der Prozessbevollmächtigte, der zur Rechtfertigung seines
Wiedereinsetzungsantrags vorbringt, er habe die Notierung und Kontrolle der maßgeblichen Frist für die Einlegung
bzw. Begründung eines Rechtsmittels einer zuverlässigen und erfahrenen Bürokraft überlassen, muss hiernach
vortragen, durch welche Maßnahmen er gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen
Anordnungen notiert und kontrolliert werden (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Mai 2007 VIII B 47/07, BFH/NV 2007, 1684;
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. März 2000 VII ZR 320/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 297).
Dazu gehört auch der Vortrag, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung
dieser Belehrungen überwacht hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 2002 VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795; vom
24. Januar 2005 III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312; in BFH/NV 2003, 1589). Dabei ist zu beachten, dass die
Begründungsfristen sowohl für Revisionen als auch für Nichtzulassungsbeschwerden nicht zu den üblichen, häufig
vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Januar 2007 III R 65/05,
BFH/NV 2007, 945; Kuczynski in Beermann/Gosch, FGO § 56 15.2; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 56 Rz 20, Stichworte Revisionsbegründungsfrist und Nichtzulassungsbeschwerde). Der
Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1312, m.w.N.).
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Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers genügt den dargestellten Anforderungen zur Feststellung der
ordnungsgemäßen Überwachung der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist nicht. Es fehlt jegliche Darstellung
zur regelmäßigen Handhabung der Fristenkontrolle in seinem Büro und zur Überprüfung seines Personals bei der
Einhaltung der Fristen, insbesondere wenn es sich um nicht alltägliche Fristen handelt. Der Vortrag des
Prozessbevollmächtigten des Klägers, seine Chefsekretärin habe gute Arbeitszeugnisse gehabt und sie habe bisher
zuverlässig gearbeitet, bezieht sich lediglich auf die ordnungsgemäße Auswahl einer Angestellten, nicht aber auf
seine Büroorganisation und die dortige Handhabung der Fristenkontrolle. Der Senat kann aufgrund dieser
unzureichenden Darstellung nicht von einem entschuldbaren Büroversehen einer Mitarbeiterin ausgehen, da ein
Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist.
10 bb) Zudem hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die von ihm vorgetragenen Tatsachen nicht glaubhaft
gemacht. Es fehlen sowohl als präsentes Beweismittel i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 ZPO eine Ablichtung der
entsprechenden Seite des Fristenkontrollbuchs sowie als weiteres mögliches Mittel der Glaubhaftmachung eine
eidesstattliche Versicherung seiner Chefsekretärin zur Richtigkeit der Sachverhaltsschilderung des
Prozessbevollmächtigten des Klägers (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2001 X R 42/01, BFH/NV 2002, 533).