Urteil des BFH vom 12.12.2006
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BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 13.11.2008, X B 105/08
Zurückweisung eines nicht im Inland ansässigen Prozessbevollmächtigten ohne Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit
- keine Änderung durch Neuregelung
Tatbestand
1 I. In dem Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) Köln 11 K 363/08 hat das FG die Prozessbevollmächtigte der
Kläger (Beschwerdeführerin), eine nach englischem Recht gegründete Limited, die über Geschäftsadressen in Belgien
und in den Niederlanden verfügt, gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- (in der bis 30. Juni
2008 geltenden Fassung) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das FG im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
2 Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO seien Bevollmächtigte und Beistände zurückzuweisen, die geschäftsmäßig Hilfe in
Steuersachen leisteten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) befugt zu sein. Diese
Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Die Beschwerdeführerin leiste unbefugt geschäftsmäßig Hilfe in
Steuersachen. Sie gehöre nicht zu dem Kreis der nach §§ 3 und 4 StBerG zur Hilfeleistung in Steuersachen befugten
Personen.
3 Offen könne bleiben, ob die Beschwerdeführerin nach dem Recht der Staaten, in denen sie niedergelassen sei, zur
geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt sei. Sie erfülle nämlich die Voraussetzungen des § 3 Nr. 4
StBerG schon deshalb nicht, weil sie nicht nur vorübergehend im Inland tätig sei, wie ihre vielfältigen Tätigkeiten für
mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten vor verschiedenen Finanzämtern und Finanzgerichten im Inland
zeigen würden. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin sei somit auf eine geschäftsmäßige und dauerhafte Hilfeleistung
im Inland gerichtet. Vom Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (EGV) seien aber nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
(EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) nur vorübergehende grenzüberschreitende Dienstleistungen erfasst. Daran
habe weder die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die
Anerkennung von Berufsqualifikationen --Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Union --
ABlEU-- Nr. L 255/22) noch die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.
Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt --Dienstleistungsrichtlinie-- (ABlEU Nr. L 376/36) etwas
geändert. Das FG hat ausdrücklich festgestellt, dass diese Richtlinien die Kriterien zur Beurteilung des
vorübergehenden Charakters einer Dienstleistung nicht verändert haben und hat auch deshalb eine Vorlage an den
EuGH wegen der unstreitigen Auslegung des Begriffs der Dienstleistung ausgeschlossen.
4 Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluss des FG Köln aufzuheben. Sie macht geltend, der angefochtene
Beschluss beruhe auf § 3 Nr. 4 StBerG und damit auf einer Bestimmung, die bei Beschlussfassung am 2. Mai 2008
längst aufgehoben gewesen sei.
Entscheidungsgründe
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II. Zwar trifft das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu, dass § 3 Nr. 4 StBerG im Zeitpunkt der Beschlussfassung
außer Kraft gewesen ist. Dennoch ist die Beschwerde unbegründet.
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An die Stelle von § 3 Nr. 4 StBerG ist seit dem 12. April 2008 § 3a StBerG getreten. Diese Bestimmung setzt die
Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie um, deren für die Entscheidung des FG maßgeblicher Inhalt vom FG in vollem
Umfang berücksichtigt wurde.
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Weil die Beschwerdeführerin auch unter Beachtung des § 3a StBerG im Inland nicht zur geschäftsmäßigen
Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist, hat das FG die Beschwerdeführerin zu Recht gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO
zurückgewiesen.
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1. Die Beschwerdeführerin kann eine Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen nicht aus § 3 Nr. 3
StBerG herleiten. Sie ist nicht als eine der dort genannten Steuerberatungsgesellschaften,
Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften anerkannt. Die
Rechtsform der Limited wird in § 49 Abs. 1 und 2 StBerG nicht genannt. Einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft kommt
unabhängig von ihrer Rechtsform ohnehin nicht die Befugnis zur Beratung in steuerlichen Angelegenheiten zu.
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2. Die Befugnis der Beschwerdeführerin zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen folgt auch nicht aus § 3a StBerG.
10 Danach sind Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen
Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz beruflich niedergelassen
sind und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaates leisten, zur
vorübergehenden und gelegentlichen geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen auf dem Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland befugt.
11 Wenn weder der Beruf noch die Ausbildung zu diesem Beruf im Staat der Niederlassung reglementiert ist, gilt die
Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen im Inland nur, wenn die Person den Beruf dort während
der vorhergehenden zehn Jahre mindestens zwei Jahre ausgeübt hat.
12 a) Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführerin nach dem Recht der Staaten, in denen sie niedergelassen ist, zur
geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist. Es bedarf auch keiner Prüfung, ob die Beschwerdeführerin
ihre Tätigkeit im Staat der Niederlassung während der vorhergehenden zehn Jahre mindestens zwei Jahre ausgeübt
hat und ob sie die in § 3a Abs. 2 Satz 1 StBerG enthaltene Meldepflicht erfüllt hat. Ebenso kann unentschieden
bleiben, ob das zum Schutz der Steuerpflichtigen in § 3a Abs. 5 StBerG enthaltene Transparenzgebot und dessen
Missachtung durch die Beschwerdeführerin ihre Zurückweisung rechtfertigen würden (vgl. zum früheren
13 § 3 Nr. 4 Sätze 2 und 3 StBerG die Auffassung von Gehre/ v. Borstel, Steuerberatungsgesetz, 5. Aufl., § 3 Rz 18).
14 b) Die Beschwerdeführerin ist aufgrund folgender Überlegungen vom FG zu Recht als Prozessbevollmächtigte
zurückgewiesen worden.
15 Von dem für § 3a Abs. 1 StBerG maßgebenden Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 EGV werden nur
grenzüberschreitende vorübergehende Hilfeleistungen in Steuersachen erfasst. Darunter fallen solche zeitlich
begrenzten Leistungen, die ohne dauerhafte Niederlassung (nach Art. 50 Satz 3 EGV: "vorübergehend") in dem
betreffenden Mitgliedstaat erbracht werden (EuGH-Urteile vom 4. Dezember 1986 Rs. 205/84, Slg. 1986, 3755, 3801;
vom 11. Dezember 2003 Rs. C-215/01, Slg. 2003, I-14847; BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 VII B 330/02, VII S
41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422, m.w.N.; vom 21. Januar 2004 VII B 99/03, BFH/NV 2004, 827).
16 Der vorübergehende Charakter einer grenzüberschreitenden Dienstleistung ist nach § 3a Abs. 1 Satz 5 StBerG
insbesondere anhand ihrer Dauer, Häufigkeit, regelmäßiger Wiederkehr und Kontinuität zu beurteilen und damit nach
den Kriterien, die bereits unter Geltung des § 3 Nr. 4 StBerG zu beachten waren. Er schließt zwar nicht die Möglichkeit
für den Dienstleistungserbringer i.S. des Art. 50 EGV aus, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten
Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für
die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist. Wer jedoch in "stabiler" und kontinuierlicher Weise eine
Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, fällt unter die Vorschriften des Kapitels über das
Niederlassungsrecht und nicht unter die des Kapitels über die Dienstleistungen. Dies ist in den einführenden
Erwägungen zur genannten Dienstleistungsrichtlinie in Tz 77 ausdrücklich klargestellt und wird entgegen der Ansicht
der Beschwerdeführerin von den Entscheidungen des EuGH vom 11. September 2007 Rs. C-76/05 (BFH/NV 2008,
Beilage 1, S. 5) und Rs. C-318/05 (BFH/NV 2008, Beilage 1, S. 14) in keiner Weise berührt.
17 c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG den vorübergehenden Charakter der Tätigkeit der
Beschwerdeführerin im Inland zutreffend verneint. Wer, wie die Beschwerdeführerin, im Inland nicht nur einzelne,
sondern mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten berät und vor verschiedenen Finanzämtern und
Finanzgerichten in einer Vielzahl von Verfahren vertritt, ist nicht nur vorübergehend im Inland tätig, sondern erbringt
seine Leistungen in "stabiler" und kontinuierlicher Weise. Er überschreitet damit den durch die Dienstleistungsfreiheit
gezogenen Rahmen.
18 Eine solche nicht nur vorübergehende Tätigkeit setzt nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH unter den im
Streitfall gegebenen Umständen nicht als unerlässliches Erfordernis voraus, dass die Beschwerdeführerin im Inland
über (äußerlich als solche erkennbare und für potenzielle Mandanten zugängliche) Praxis- oder Kanzleiräume verfügt.
Das Vorhandensein solcher Räumlichkeiten deutet zwar als (gewichtiges) Indiz auf eine nicht nur vorübergehende
Tätigkeit im Inland i.S. von Art. 50 EGV hin, begründet aber für sich allein genommen eine solche Annahme nicht
zwingend. Umgekehrt gilt Entsprechendes: Das Fehlen derartiger Räumlichkeiten mag zwar als Indiz für eine nur
vorübergehende Tätigkeit im Inland sprechen, kann indessen --wie dies im vorliegenden Fall vom FG zu Recht
angenommen wurde-- durch gewichtige gegenläufige Umstände widerlegt sein.
19 3. Die diesen Überlegungen zugrunde liegenden Grundsätze beruhen auf einer gefestigten Rechtsprechung des
EuGH und des BFH. Der angerufene Senat hat daher keine Zweifel daran, dass durch § 3a StBerG die in Art. 43 ff.
EGV gewährleistete Niederlassungsfreiheit und die in Art. 49, 50 EGV garantierte Dienstleistungsfreiheit nicht
unzulässig beeinträchtigt werden (vgl. auch BFH-Beschlüsse in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422; in BFH/NV 2004,
827; vom 12. März 2007 X B 179/05, BFH/NV 2007, 1197). Zu einer Vorabentscheidung über die Auslegung der für
den Streitfall maßgeblichen Vorschriften des EGV besteht folglich kein Raum.
20 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Der angefochtene Beschluss erweist sich unabhängig von
der vom FG als maßgeblich angesehenen Rechtsnorm als richtig.