Urteil des BFH vom 23.09.2008
BFH: anspruch auf rechtliches gehör, einspruch, subsumtion, hinweispflicht, verfahrensbeteiligter, rüge, prozessbeteiligter
BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 23.9.2008, X B 87/08
Nichtzulassungsbeschwerde: Verstoß gegen die Denkgesetze
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ihre Begründung entspricht nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3
Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten
Zulassungsgründe sind auch nicht gegeben.
2 1. Der Kläger hat die Verletzung seines rechtlichen Gehörs nicht schlüssig gerügt.
3 a) Der Kläger hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, seine Behauptung, er habe mit Schreiben vom 25. November
1999 gegen den Einkommensteuerbescheid 1990 Einspruch eingelegt, habe der Beklagte und Beschwerdegegner
(das Finanzamt --FA--) bestritten. Daraufhin habe er mit Schreiben vom 5. Juni 2007 das Gericht gebeten ihm
mitzuteilen, welche zusätzlichen Informationen oder Unterlagen von der Klägerseite noch benötigt würden, um eine
sachliche Entscheidung fällen zu können. Obwohl das Finanzgericht (FG) hierauf nicht reagiert habe, sei es im Urteil
davon ausgegangen, dass der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 1990 nicht wirksam Einspruch eingelegt
habe. Hierin liege eine Verletzung seines Rechts auf Gehör.
4 b) Dieser Vortrag reicht für eine schlüssige Rüge der Gehörsverletzung nicht aus.
5 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt
eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1
des Grundgesetzes --GG--, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin
nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung
gegeben hat, mit der alle oder einige Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten
(vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10, m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör
verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend
erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine
Rechtsauffassung verpflichtet (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Auch wenn die Rechtslage umstritten oder
problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von
sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (BVerfG-Beschluss vom 13. Oktober 1994 2 BvR
126/94, Deutsches Verwaltungsblatt 1995, 34). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt erst dann
vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein
gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter --selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer
Rechtsauffassungen-- nicht zu rechnen brauchte (BVerfG-Beschlüsse vom 15. Januar 1999 1 BvR 1274/92, Neue
Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 3326; vom 12. Juni 2003 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524, jeweils m.w.N. aus
der Rechtsprechung).
6 bb) Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.
1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) wie auch eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) sind nicht gegeben
(vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 8. November 2005 III B 33/05, BFH/NV 2006, 568; vom 7. Dezember 2005 I B 90/05,
BFH/NV 2006, 601).
7 Nach den oben dargelegten Maßstäben musste das FG den Kläger nicht darauf hinweisen, dass durch seinen
bisherigen Vortrag der Eingang des Einspruchschreibens vom 25. November 1999 beim FA nicht nachgewiesen ist.
Streitig zwischen den Beteiligten war, ob der Kläger wirksam Einspruch gegen den geänderten
Einkommensteuerbescheid 1990 erhoben hat. Das FA hat mit Schreiben vom 24. April 2007 dem FG mitgeteilt, dass im
Klageverfahren 13 K 2941/95 E zur Einkommensteuer 1990 am 22. November 1999 aufgrund der gerichtlich
protokollierten Einigung vom 7. Juli 1999 ein entsprechender Änderungsbescheid ergangen sei. Gegen diesen sei kein
Einspruch eingelegt worden. Vielmehr habe der Kläger gegen das Urteil am 13. September 1999
Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die als unbegründet zurückgewiesen worden sei. Vor diesem Hintergrund hätte
sich der Kläger im Schreiben vom 5. Juni 2007 nicht ein weiteres Mal damit begnügen dürfen, das FG um Mitteilung zu
bitten, welche zusätzlichen Informationen oder Unterlagen er noch beibringen solle. Es hätte vielmehr --auch ohne
Aufforderung durch das Gericht-- ihm oblegen, z.B. schriftsätzlich bzw. in der mündlichen Verhandlung seine Ehefrau
als Zeugin für die fristgerechte Einlegung eines Einspruchs gegen den Einkommensteueränderungsbescheid 1990 zu
benennen und das Schreiben vom 6. Dezember 1999 vorzulegen.
8 2. Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen die Denkgesetze führt nicht zur Zulassung der Revision wegen eines
Verfahrensmangels. Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze stellen in der Regel materiell-rechtliche Fehler
dar, und zwar auch dann, wenn sich diese Fehler nicht auf die rechtliche Subsumtion, sondern auf die Würdigung von
Tatsachen erstrecken (vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 83). Abgesehen
davon vermag der angerufene Senat nicht zu erkennen, dass das FG im Rahmen seiner Würdigung der Verhältnisse
des Streitfalls gegen die Denkgesetze verstoßen haben sollte. Insbesondere wurden die Einkommensteuerbescheide
1991 und 1994 nicht aufgrund eines Einspruchs vom 25. November 1999 geändert.
9 3. Die zusätzliche Begründung vom 22. September 2008 ist als nachgereichter Schriftsatz verspätet. Die Zulässigkeit
einer Nichtzulassungsbeschwerde, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung ist nach § 116
Abs. 3 Satz 3 FGO nur nach den innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist (§ 116 Abs. 1 Sätze 1 und 4 FGO)
vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind --abgesehen von bloßen Erläuterungen und
Ergänzungen-- nicht zu berücksichtigen.