Urteil des BFH vom 06.02.2013

Beihilfeleistungen als Versorgungsbezüge

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 6.2.2013, VI R 28/11
Beihilfeleistungen als Versorgungsbezüge
Leitsätze
An nichtbeamtete Versorgungsempfänger gezahlte Beihilfen im Krankheitsfall sind Bezüge aus
früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Arbeitnehmer des A e.V. Er hat seit Beginn
seines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Betriebsvereinbarung über die Beihilfegewährung
Anspruch auf eine Beihilfe in Krankheits-, Geburts- oder Todesfällen. Im Streitjahr 2006 bezog
der Kläger eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Versorgungsbezüge
von der A ... GmbH. Er erhielt Versorgungsbezüge in Höhe von 30.977,87 EUR und
Beihilfeleistungen in Höhe von 2.789,28 EUR.
2 Nach § 1 der Beihilferichtlinie des A e.V. werden Beihilfen gewährt an
1. "alle Belegschaftsangehörigen (...)"
2. "die Versorgungsempfänger (...), bei denen die Zurruhesetzung unmittelbar aus einem
aktiven Beschäftigungsverhältnis beim A e.V. (...) erfolgte".
3 Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr behandelte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Zahlungen als Arbeitslohn und zog einen
Freibetrag für Versorgungsbezüge in Höhe von 3.900 EUR sowie einen Werbungskosten-
Pauschbetrag für Versorgungsbezüge in Höhe von 102 EUR ab. Seinen hiergegen
eingelegten Einspruch begründete der Kläger damit, dass die Beihilfeleistungen nicht als
Versorgungsbezüge anzusehen seien. Vielmehr handele es sich um Bezüge und Vorteile aus
früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in
der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Insoweit sei der Arbeitnehmer-Pauschbetrag
in Höhe von 920 EUR in Ansatz zu bringen. Mit Einspruchsentscheidung vom 25. Februar
2008 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) wies die
hiergegen erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1780
veröffentlichten Gründen ab.
4 Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
5 Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG Köln vom 24. März 2011 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid
2006 vom 21. Juni 2007 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2008
dahingehend abzuändern, dass von den als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
berücksichtigten Beihilfeleistungen der Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 920 EUR
abgesetzt wird.
6 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung). Das FG hat die streitigen Beihilfeleistungen zu Recht als
Versorgungsbezüge angesehen und bei der Ermittlung der Einkünfte lediglich einen
Pauschbetrag für Werbungskosten in Höhe von 102 EUR (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG)
angesetzt.
8 1. Nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit von den Einnahmen ein Pauschbetrag in Höhe von 102 EUR
abzuziehen, soweit es sich um Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG handelt; im
Übrigen ist ein Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 920 EUR abzuziehen (§ 9a Satz 1
Nr. 1 Buchst. a EStG).
9 2. Versorgungsbezüge sind u.a. Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen wegen
Erreichens einer Altersgrenze, verminderter Erwerbsfähigkeit oder Hinterbliebenenbezüge
(§ 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG). Bezüge wegen Erreichens einer Altersgrenze gelten erst
dann als Versorgungsbezüge, wenn der Steuerpflichtige das 63. Lebensjahr oder, wenn er
schwer behindert ist, das 60. Lebensjahr vollendet hat. Sind diese Voraussetzungen (noch)
nicht erfüllt, handelt es sich um Einnahmen i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, von
denen, wenn keine höheren Werbungskosten nachgewiesen werden, der Arbeitnehmer-
Pauschbetrag von 920 EUR abgezogen wird (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG).
10 3. Im Streitfall handelt es sich bei den Beihilfeleistungen um Bezüge aus früheren
Dienstleistungen wegen Erreichens einer Altersgrenze (§ 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG).
11 a) Versorgungsbezüge aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften (§ 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
Buchst. a EStG) oder nach beamtenrechtlichen Grundsätzen (§ 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
Buchst. b EStG) liegen im Streitfall nicht vor. Zwar übt der A e.V. im Rahmen seiner Tätigkeit
als sog. Beliehener hoheitliche Befugnisse aus (vgl. Siegmund in Brandt/Sachs, Handbuch
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 3. Aufl., Rz B 50; Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 30. November 1967 VII ZR 34/65, BGHZ 49, 108). Als juristische
Person des Privatrechts besitzt er jedoch nicht die Dienstherrnfähigkeit, die auf
Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts beschränkt ist (vgl. § 121
Nr. 2 des Beamtenrechtsrahmengesetzes).
12 aa) Entscheidend für das Merkmal von Bezügen aus früheren Dienstleistungen wegen
Erreichens einer Altersgrenze i.S. des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG ist, dass der
Steuerpflichtige wegen Erreichens dieser Altersgrenze von der Verpflichtung zu
Dienstleistungen entbunden worden ist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juni
1974 VI R 37/70, BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23, und vom 12. Februar 2009 VI R 50/07,
BFHE 224, 310, BStBl II 2009, 460). Das vom Arbeitgeber geleistete Entgelt stellt damit
keine Gegenleistung für Dienstleistungen des Arbeitnehmers dar, die im gleichen Zeitraum
geschuldet und erbracht werden (BFH-Urteile in BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23, und in
BFHE 224, 310, BStBl II 2009, 460).
13 bb) Der Kläger war im Streitfall aufgrund seines Alters Versorgungsempfänger und als
solcher zu Dienstleistungen nicht mehr verpflichtet; ferner hatte er das 63. Lebensjahr
vollendet. Da die Beihilfen aufgrund der früheren Tätigkeit des Klägers für den A e.V. gezahlt
wurden, liegen auch insoweit Bezüge aus früheren Dienstleistungen vor. Denn nach § 1
Buchst. b der Beihilferichtlinie des A e.V. hatte er als Versorgungsempfänger Anspruch auf
Beihilfegewährung. Damit handelt es sich letztlich bei dem Beihilfeanspruch um einen
Anspruch, der an den Status als Versorgungsempfänger anknüpft und die Versorgung um
einen Anspruch auf Gewährung von Beihilfen u.a. im Krankheitsfall ergänzt.
14 b) Der Besteuerung der Beihilfeleistungen als Versorgungsbezüge steht nicht entgegen,
dass der Beihilfeanspruch des Klägers an das Vorliegen von Krankheitskosten anknüpft.
Grund und Zweck von Versorgungsbezügen ist die Versorgung von nicht mehr zu
Dienstleistungen Verpflichteten im weiteren Sinne (vgl. BFH-Urteile vom 8. Februar 1974
VI R 303/70, BFHE 111, 339, BStBl II 1974, 303; vom 21. August 1974 VI R 243/71, BFHE
113, 370, BStBl II 1975, 62, und in BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23). Hat eine Leistung
Versorgungscharakter, kann sie danach ebenso wie das Ruhegehalt als solches als
Versorgungsleistung anzusehen sein, auch wenn die Leistungen im Einzelnen an ein
spezifisches Risiko anknüpfen, das im Rahmen der Gesamtversorgung des ehemals zu
Dienstleistungen Verpflichteten abgedeckt werden soll.
15 4. Die streitigen Beihilfeleistungen sind auch nicht nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei. Hierunter
fallen u.a. Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligt werden.
Dazu zählen auch die im öffentlichen Dienst gewährten Beihilfen im Krankheitsfall (BFH-
Urteil vom 18. Mai 2004 VI R 128/99, BFH/NV 2005, 22). Im Streitfall werden die Beihilfen
indes nicht aus öffentlichen Mitteln gezahlt, so dass eine Steuerbefreiung ausscheidet.