Urteil des BFH vom 29.03.2017
BFH (stille reserven, 1995, buchwert, reserven, wert, handelsregister, handelsbilanz, wahlrecht, körperschaft, höhe)
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 5.6.2007, I R 97/06
Bewertungswahlrecht bei einer Verschmelzung
Leitsätze
Im Falle einer Verschmelzung darf die übertragende Kapitalgesellschaft das übergehende Betriebsvermögen gemäß § 11
Abs. 1 Satz 2 UmwStG 1995 mit seinem Buchwert oder mit einem höheren Wert ansetzen (entgegen BMF-Schreiben vom 25.
März 1998, BStBl I 1998, 268 Tz. 03.01, 11.01) .
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, auf die durch Vertrag vom 6. August 1999 eine andere
GmbH, die K-GmbH, zum 30. Dezember 1998 im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme gemäß § 2 Nr. 1 und §§
46 ff. des Umwandlungsgesetzes (UmwG 1995) übergegangen ist. Der Verschmelzung wurde die Schlussbilanz der K-
GmbH zum Verschmelzungsstichtag zugrunde gelegt. In dieser wurde dabei das Betriebsgrundstück mit einem
höheren Wert (3 100 556,32 DM) als dem in der Handelsbilanz ausgewiesenen Buchwert (1 133 123,32 DM) angesetzt
und wurden damit in Höhe des Unterschiedsbetrages stille Reserven aufgedeckt. Der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt --FA--) folgte dem unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom
25. März 1998 (BStBl I 1998, 268, Tz. 03.01 und 11.01) nicht. Er verminderte dementsprechend den
Steuerbilanzgewinn der K-GmbH. Zugleich berichtigte er die Wertansätze in der Bilanz der Klägerin als übernehmende
Rechtsträgerin und setzte dieser gegenüber die Körperschaftsteuer für das Streitjahr 1998 hiernach unter Erhöhung
des nach § 12 Abs. 2 des Umwandlungsteuergesetzes (UmwStG 1995) nicht abzugsfähigen Übernahmeverlustes fest.
2 Die anschließende Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) Köln gab ihr durch Urteil vom 20. September
2006 13 K 6307/02 statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 309 veröffentlicht.
3 Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
4 Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
5 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet.
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1. Das Vermögen der K-GmbH ist mit der Eintragung der Verschmelzung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Nr. 1 UmwG 1995)
im Handelsregister des übernehmenden Rechtsträgers auf die Klägerin als übernehmende Rechtsträgerin
übergegangen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG 1995). Für die der Anmeldung der Verschmelzung zum Handelsregister
beizufügende Schlussbilanz (§ 16, § 17 Abs. 2 Satz 1 UmwG 1995) gelten nach § 17 Abs. 2 Satz 2 UmwG 1995 die
Vorschriften über die Jahresbilanz und deren Prüfung entsprechend. Nach den damit angesprochenen Regeln der §§
238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind die handelsrechtlichen Buchwerte grundsätzlich fortzuführen. Stille
Reserven können handelsrechtlich nur aufgedeckt werden, wenn ein Gewinnrealisierungstatbestand vorliegt. Ein
über dem Buchwert liegender Wertansatz ist im Übrigen nur im Rahmen der Wertaufholung gemäß § 280 HGB
möglich. Ein Wahlrecht für den Ansatz der Buch-, Zwischen- oder Teilwerte besteht daher handelsrechtlich nicht. Ob
der Anmeldung der Verschmelzung zum Handelsregister eine diesen Voraussetzungen genügende handelsrechtliche
Umwandlungsbilanz beigefügt war, ist für den Eintritt der zivilrechtlichen Wirkungen der Eintragung ohne Belang
(Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 24 UmwG Rz 159; siehe dort auch Vossius, § 20 UmwG Rz 373
f.).
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2. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 UmwStG 1995 können demgegenüber in der steuerlichen Schlussbilanz der
übertragenden Körperschaft die übergegangenen Wirtschaftsgüter mit einem über dem Buchwert liegenden Wert
angesetzt werden, soweit der Teilwert nicht überschritten wird. In diesem Rahmen halten sich nach den
Feststellungen des FG die in der steuerlichen Schlussbilanz der K-GmbH zum 30. Dezember 1998 ausgewiesenen
Zwischenwertansätze, die insoweit von den in der Handelsbilanz zum 31. Dezember 1998 angesetzten Buchwerten
abweichen. Damit hat die K-GmbH als Rechtsvorgängerin der Klägerin zulässigerweise das ihr in § 11 Abs. 1 Satz 2
UmwStG 1995 eingeräumte Wahlrecht ausgeübt. Die Frage der einheitlichen Ausübung des Bewertungswahlrechts in
Bezug auf alle stille Reserven enthaltenden Wirtschaftsgüter (vgl. dazu Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/ Witt, Die
Körperschaftsteuer, § 11 UmwStG Rz 10) ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich, da sich hieraus nur von der
Höhe der Absetzungen für Abnutzung abhängige Einkommensauswirkungen bei der Besteuerung der
übernehmenden Gesellschaft ergeben können.
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3. a) Dass die Ausübung des umwandlungssteuerrechtlichen Wahlrechts nicht in Übereinstimmung mit den
handelsrechtlichen Vorgaben ausgeübt wird, ist unbeachtlich. Zwar bestimmt § 5 Abs. 1 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG 1997), dass steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung in
Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Bilanz auszuüben sind. Dieser Grundsatz der Maßgeblichkeit gilt aber
für die hier streitbefangene steuerliche Umwandlungsbilanz gerade nicht. Vielmehr enthält das in § 11 Abs. 1 Satz 2
UmwStG 1995 der übertragenden Körperschaft eingeräumte Bewertungswahlrecht eine Durchbrechung des
Maßgeblichkeitsgrundsatzes in Gestalt einer speziellen und damit jenem Grundsatz vorgehenden gesetzlichen
Regelung.
10 Der Senat folgt insoweit der ganz überwiegend herrschenden Auffassung (vgl. z.B. FG Baden-Württemberg, Urteil vom
4. März 2004 6 K 103/99, EFG 2004, 858; Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/ Witt, a.a.O., § 3 UmwStG Rz 27, und § 11
UmwStG Rz 4 f.; Widmann in Widmann/Mayer, a.a.O., § 3 UmwStG Rz 304, und § 11 UmwStG Rz 13; Gosch,
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung 2006, 171; Kilger/Mathias, Der Konzern
2006, 230; Kempermann, Finanz-Rundschau 2006, 475; Breuninger, GmbH-Rundschau 2006, 325; Kußmaul/Zabel,
Zeitschrift für Steuern und Recht 2006, 92; Blumers, Neue Wirtschafts-Briefe Fach 18, 4327; Frotscher in
Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, § 2 UmwStG Rz 12 f., und § 11 UmwStG Rz 23; Klingberg in Blümich, EStG, KStG,
GewStG, § 11 UmwStG Rz 30; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 25. Aufl., § 5 Rz 46, jeweils m.w.N.) und gelangt damit
zu einem mit der Regelungslage bei der formwechselnden Umwandlung nach § 25 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 1
UmwStG 1995 übereinstimmenden Ergebnis (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 2005 I R 38/04, BFHE 211, 472, BStBl
II 2006, 568; s. dazu BMF-Schreiben vom 4. Juli 2006, BStBl I 2006, 445).
11 b) Der gegenteiligen Auffassung der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 268, Tz 03.01 und 11.01) ist
zwar zuzugeben, dass die in § 3 Satz 2 und § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 1995 enthaltenen Ausnahmen, wonach der
Buchwertansatz auch zulässig ist, wenn in der Handelsbilanz das eingebrachte Betriebsvermögen nach
handelsrechtlichen Vorschriften mit einem höheren Wert angesetzt werden muss, dafür sprechen könnten, dem
Maßgeblichkeitsgrundsatz im Übrigen Geltungsvorrang einzuräumen. Die Vorinstanz hat dem jedoch zu Recht die
Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des Gesetzes entgegengestellt:
12 § 3 Satz 1 und § 11 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 1995 und damit die Einräumung der steuerlichen Wahlrechte einerseits
und § 17 Abs. 2 Satz 2 UmwG 1995 andererseits wurden vom Gesetzgeber zeitgleich beschlossen. Wenn der
Gesetzgeber aber ein steuerliches Wahlrecht für einen Ansatz über dem Buchwert vorsieht, gleichzeitig jedoch für die
handelsrechtliche Schlussbilanz die Aufdeckung der stillen Reserven bis auf den Ausnahmefall der Wertaufholung
verbietet, kann dies in der Gesamtschau nur so verstanden werden, dass ein Ansatz oberhalb der steuerlichen
Buchwerte von handelsrechtlichen Vorgaben unbeeinflusst sein soll. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber gleichzeitig
sich gegenseitig ausschließende Regelungen beschlossen (Widmann in Widmann/Mayer, a.a.O., § 3 UmwStG Rz
304). Das FG weist ebenso zutreffend darauf hin, dass ein solches Regelungsverständnis sinnwidrig wäre, weil die
steuerlich explizit eröffneten Wahlrechte in § 3 Satz 1 und § 11 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 1995 andernfalls faktisch
leerliefen. Wäre dies beabsichtigt gewesen, hätte es näher gelegen, darauf zu verzichten, auf die Bestimmung der
steuerlichen Wahlrechte Bezug zu nehmen. Es spricht nichts dafür, diese Wahlrechte allein auf die Ausnahme der
Wertaufholung zu beziehen. Das FG weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf das steuerliche
Wertaufholungsgebot in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 hin, das durch das Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 geschaffen wurde, ohne die in Rede stehenden Bewertungswahlrechte des
Umwandlungssteuergesetzes entfallen zu lassen.