Urteil des BFH vom 29.03.2017
BFH (unternehmen, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, eugh, verbundenes unternehmen, steuerbefreiung, zins, begriff der doppelbesteuerung, richtlinie, europäische union, hinzurechnung)
BUNDESFINANZHOF Entscheidung vom 27.5.2009, I R 30/08
Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen - Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht - Verletzung der
Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinienbestimmungen durch Mitgliedstaat
Leitsätze
Dem EuGH werden die folgenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :
1. Steht Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für
Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (ABlEU Nr.
L 157, 49) --EU-Zins- und Lizenzrichtlinie (ZLR)-- einer Regelung entgegen, wonach die von einem Unternehmen eines
Mitgliedstaates an ein verbundenes Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates gezahlten Darlehenszinsen bei dem
erstgenannten Unternehmen der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer hinzugerechnet werden?
2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 1 Abs. 10 ZLR dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten auch dann freisteht,
die Richtlinie nicht anzuwenden, wenn die in Art. 3 Buchst. b ZLR genannten Voraussetzungen für das Vorliegen eines
verbundenen Unternehmens zum Zeitpunkt der Zinszahlung noch nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von
mindestens zwei Jahren erfüllt waren? Können sich die Mitgliedstaaten in diesem Fall gegenüber dem zahlenden
Unternehmen unmittelbar auf Art. 1 Abs. 10 ZLR berufen?
Tatbestand
1 I. Sachverhalt und Streitstand Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren alleinige
Anteilseignerin seit dem 8. August 2003 die S-B.V. (S) mit Sitz in den Niederlanden ist. S gewährte der Klägerin mit elf
weitgehend gleichlautenden Verträgen, die in der Zeit zwischen dem 27. August 2003 und dem 1. Dezember 2004
abgeschlossen wurden, Darlehen über insgesamt 5.180.000 EUR zu einem Zinssatz von 5 %. Die Rückzahlung sollte
auf Abruf der S erfolgen. Die Klägerin zahlte im Streitjahr 2004 Zinsen in Höhe von 154.584 EUR an S.
2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) rechnete im Gewerbesteuermessbescheid für das
Streitjahr unter Berufung auf § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 2002) die Hälfte dieses Zinsbetrags dem
Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzu.
3 Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) Münster mit Urteil vom 22. Februar 2008 9 K 5143/06 G,
veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 968, ab.
4 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr in Gestalt der
Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag unter Berücksichtigung eines
Gewerbeertrags vor Verlustabzug in Höhe von 3.187 EUR und eines verbleibenden Verlustvortrags in Höhe von 5.313
EUR auf O EUR festgesetzt wird.
5 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Rechtslage nach deutschem Steuerrecht Die Entscheidung über die Revision ist von der Beantwortung der im
Leitsatz formulierten Vorlagefragen abhängig. Sofern die erste, nicht aber eine der folgenden Fragen zu bejahen ist,
muss das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben werden. Andernfalls ist die Revision der
Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
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1. Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer (als einer Gemeindesteuer, vgl. § 1 GewStG 2002) ist nach § 6
GewStG 2002 der Gewerbeertrag. Dieser ist nach § 7 Satz 1 GewStG 2002 definiert als "der nach den Vorschriften des
Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb,
der bei der Ermittlung des Einkommens für den (...) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist,
vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 bezeichneten Beträge". Gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 werden
dem Gewinn aus Gewerbebetrieb u.a. die Hälfte der Entgelte für Schulden, die der nicht nur vorübergehenden
Verstärkung des Betriebskapitals dienen, wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt
worden sind. Zu derartigen Entgelten für sog. Dauerschulden gehören Zinsen für ein Darlehen, dessen tatsächliche
Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt.
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Die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 führt damit im Ergebnis dazu, dass die Hälfte der Darlehenszinsen
bei der Ermittlung des Gewerbeertrags des zahlenden Unternehmens nicht abzugsfähig ist. Diese Regelung dient,
wie die Hinzurechnungsvorschriften des § 8 GewStG 2002 insgesamt, der Ermittlung des objektiven, von den
Beziehungen des Inhabers zum Betrieb losgelösten Gewerbeertrags. Ihr Zweck liegt in einer weitgehenden
gewerbesteuerrechtlichen Gleichstellung von Erträgen aus eigen- und fremdfinanziertem Kapital.
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2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Hinzurechnung der Hälfte der von der Klägerin an S gezahlten
Darlehenszinsen im Streitfall --zwischen den Beteiligten unstreitig-- nach deutschem Recht zu bejahen. S hat der
Klägerin im Zeitraum vom 27. August 2003 bis zum 1. Dezember 2004 Darlehen über insgesamt 5.180.000 EUR zu
einem Zinssatz von 5 % gewährt, deren Rückzahlung auf Abruf der S erfolgen sollte. Die tatsächliche Laufzeit der
Darlehen betrug nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten mehr als zwölf Monate. Die im Streitjahr an S
gezahlten Darlehenszinsen in Höhe von 154.584 EUR sind als Betriebsausgabe bei der Klägerin abgezogen worden.
10 III. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht
11 Die Revision wäre danach zurückzuweisen. Der vorlegende Senat erachtet die Hinzurechnung der Darlehenszinsen
gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht jedoch nicht als zweifelsfrei. Die Hinzurechnung
könnte gegen Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame
Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener
Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 157, 49) --EU-Zins- und Lizenzrichtlinie (ZLR)-- verstoßen,
dessen Auslegung dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorbehalten ist (vgl. Art. 234 Abs. 1
Buchst. b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Nizza zur Änderung
des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie
einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 2002 Nr. C
325, 1 --EG--).
12 1. Nach Art. 1 Abs. 1 ZLR werden in einem Mitgliedstaat angefallene Einkünfte in Form von Zinsen von allen in diesem
Staat darauf erhebbaren Steuern --unabhängig davon, ob sie an der Quelle abgezogen oder durch Veranlagung
erhoben werden-- befreit, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates
ist. Gemäß Art. 1 Abs. 7 ZLR findet Art. 1 Abs. 1 ZLR nur Anwendung auf grenzüberschreitende Zinszahlungen
zwischen verbundenen Unternehmen.
13 2. Im Streitfall führen die Zinszahlungen der Klägerin an S nach Art. 1 Abs. 1 ZLR zu Einkünften in Form von Zinsen
(vgl. Art. 2 Buchst. a ZLR), die nach Art. 1 Abs. 2 ZLR in Deutschland als Quellenstaat angefallen sind. S ist als
Nutzungsberechtigter der Zinsen (vgl. Art. 1 Abs. 4 ZLR) ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates i.S. des Art. 3
Buchst. a ZLR. Die Klägerin ist ein der S verbundenes Unternehmen, da S alleinige Anteilseignerin der Klägerin ist
(vgl. Art. 3 Buchst. b ZLR).
14 3. Aus der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ergibt sich indes nicht eindeutig, ob die in Art. 1 Abs. 1 ZLR angeordnete
Steuerbefreiung im Quellenstaat die steuerliche Abzugsfähigkeit der Zinsen beim zahlenden Unternehmen gebietet.
15 a) Für eine Beschränkung der Steuerbefreiung auf das die Zinsen empfangende Unternehmen spricht, dass
"Einkünfte in Form von Zinsen" i.S. des Art. 1 Abs. 1 ZLR nur der Zahlungsempfänger haben kann.
16 Der Ausschluss des zahlenden Unternehmens von der Steuerbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR lässt sich zudem aus
dem Zweck der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ableiten. Nach der 1. Begründungserwägung der EU-Zins- und
Lizenzrichtlinie sollen grenzüberschreitende Finanzbeziehungen zwischen Unternehmen nicht gegenüber
gleichartigen Beziehungen innerhalb eines Mitgliedstaates benachteiligt werden. Die Hinzurechnung der
Darlehenszinsen beim zahlenden Unternehmen erfolgt jedoch nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 unabhängig davon, ob
der Zahlungsempfänger im Inland oder im Ausland ansässig ist. Sie führt damit nicht zu einer Ungleichbehandlung
grenzüberschreitender Zinszahlungen gegenüber vergleichbaren inländischen Finanzbeziehungen.
17 Nach der dortigen 2. Begründungserwägung bezweckt die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie die Vermeidung der
Doppelbesteuerung. Durch die Hinzurechnung der Darlehenszinsen nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 kommt es indessen
weder beim zahlenden Unternehmen noch beim Zahlungsempfänger zu einer Doppelbesteuerung, sondern lediglich
zu einer kumulativen Belastung beider Unternehmen.
18 b) Für die Einbeziehung des zahlenden Unternehmens in die Steuererbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR spricht, dass
die Steuerbefreiung sich nach anderen Sprachfassungen nicht auf "Einkünfte in Form von Zinsen", sondern auf die
Zinszahlung bezieht.
19 Die Steuerbefreiung ist zudem nicht auf den Steuerabzug an der Quelle beschränkt; sie erfasst vielmehr ausdrücklich
auch die im Wege der Veranlagung erhobenen Steuern. Im Gegensatz zu den vom EuGH zum Steuerabzug an der
Quelle aufgestellten Grundsätzen (vgl. EuGH-Urteile vom 8. Juni 2000 C-375/98 "Epson Europe BV", Slg. 2000, I-
4243, Rz 23; vom 4. Oktober 2001 C-294/99 "Athinaïki Zythopoiia", Slg. 2001, I-6797, Rz 28; vom 26. Juni 2008 C-
284/06 "Burda", Internationales Steuerrecht --IStR-- 2008, 515, Rz 52, m.w.N.) setzt die Steuerbefreiung nach Art. 1
Abs. 1 ZLR daher möglicherweise nicht voraus, dass die Steuerbelastung den Zahlungsempfänger trifft.
20 Der in der 2. Begründungserwägung verwendete Begriff der Doppelbesteuerung ist nicht zwingend auf die rechtliche
Doppelbesteuerung desselben Unternehmens beschränkt; er kann auch im Sinne einer wirtschaftlichen
Doppelbesteuerung verstanden werden. In diesem Fall wäre der Zweck der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie nach der 2.
Begründungserwägung darauf gerichtet, die durch die Hinzurechnung der Darlehenszinsen ausgelöste
Doppelbelastung des zahlenden Unternehmens einerseits und des Zahlungsempfängers andererseits zu beseitigen.
21 Für die Erstreckung der Steuerbefreiung auf das zahlende Unternehmen spricht schließlich die Effektivität der EU-
Zins- und Lizenzrichtlinie. Denn bei einer Beschränkung der Steuerbefreiung auf den Zahlungsempfänger könnte die
Steuerbefreiung im Quellenstaat durch die steuerliche Belastung des zahlenden Unternehmens unterlaufen werden.
22 4. Für den Fall, dass die Steuerbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR die steuerliche Abzugsfähigkeit der Zinsen beim
zahlenden Unternehmen gebietet, hält es der vorlegende Senat für zweifelhaft, ob im Streitfall die Ausnahmeregelung
des Art. 1 Abs. 10 ZLR eingreift.
23 a) Nach Art. 1 Abs. 10 ZLR steht es den Mitgliedstaaten frei, die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie nicht auf ein
Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats anzuwenden, wenn die in Art. 3 Buchst. b ZLR genannten
Voraussetzungen während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren nicht erfüllt waren. Diese
Regelung könnte im Streitfall deshalb eingreifen, weil S die Beteiligung an der Klägerin im August 2003 erworben hat
und die in Rede stehenden Zinszahlungen im Jahr 2004 geleistet worden sind.
24 b) Für das Eingreifen der Ausnahmeregelung im Streitfall spricht die Verwendung der Vergangenheitsform im Wortlaut
des Art. 1 Abs. 10 ZLR. Denn der EuGH hat für die mit Art. 1 Abs. 10 ZLR vergleichbare Ausnahmeregelung des Art. 3
Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und
Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABlEG Nr. L 225, 6, berichtigt ABlEG Nr. L 226, 20) --Mutter-
Tochter-Richtlinie (MTR)-- unter Berufung auf die Verwendung des Präsens im Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 MTR
angenommen, dass der Zeitpunkt der Steuerbefreiung für den Ablauf der Mindestbeteiligungszeit ohne Bedeutung ist
(EuGH-Urteil vom 17. Oktober 1996 C-283/94, C-291/94, C-292/94 "Denkavit International BV", Slg. 1996, I-5063, Rz
24).
25 Dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR kommt auch im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Ausnahmeregelung
besondere Bedeutung zu. Danach wurde im ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission, KOM (90) 571
endg. vom 6. Dezember 1990 (ABlEG Nr. C 53, 26 vom 28. Februar 1991) zunächst --in Übereinstimmung mit Art. 3
Abs. 2 MTR-- die Gegenwartsform verwendet. Im Gegensatz dazu enthielt Art. 3 Abs. 2 des --erneuten--
Richtlinienvorschlags der Kommission, KOM (98) 67 endg. vom 6. März 1998 (ABlEG Nr. C 123, 9 vom 22. April 1998)
die Vergangenheitsform, die sodann in Art. 1 Abs. 10 ZLR übernommen wurde.
26 c) Die aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR abgeleitete Schlussfolgerung, dass die Mindestbeteiligungszeit zum
Zeitpunkt der Zinszahlung bereits abgelaufen sein müsse, ist indessen nicht zwingend. Denn die Verwendung der
Vergangenheitsform im deutschen Text ist in dem erneuten Richtlinienvorschlag und bei deren Übernahme in Art. 1
Abs. 10 ZLR nicht in allen Sprachfassungen einheitlich erfolgt.
27 Der Ausnahmecharakter des Art. 1 Abs. 10 ZLR könnte ebenfalls dafür sprechen, dass für die Erfüllung der
Mindestbeteiligungszeit nicht auf den Zeitpunkt der Zinszahlung abzustellen ist (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-5063,
Rz 27).
28 5. Für den Fall, dass der Streitfall von Art. 1 Abs. 1 ZLR erfasst wird und Art. 1 Abs. 10 ZLR eingreift, ist schließlich
zweifelhaft, ob sich die Klägerin unmittelbar auf Art. 1 Abs. 1 ZLR berufen kann. Der vorlegende Senat neigt dazu,
diese Frage zu bejahen.
29 a) Die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ist hinsichtlich der in Art. 1 Abs. 1 angeordneten Steuerbefreiung inhaltlich
unbedingt und hinreichend genau, da sie insoweit die Bestimmung von Mindestrechten ermöglicht. Durch den in Art. 1
Abs. 10 ZLR enthaltenen Umsetzungsspielraum wird die Bestimmung von Mindestrechten nicht ausgeschlossen (vgl.
EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-5063, Rz 39). Die Umsetzungsfrist ist nach Art. 7 Abs. 1 ZLR zum 1. Januar 2004
abgelaufen; die Steuerbefreiung entfaltet daher im Streitjahr unmittelbare Wirkung.
30 b) Richtlinien begründen zwar nach Art. 249 Abs. 3 EG Verpflichtungen nur für die Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet
sind. Verletzt aber ein Mitgliedstaat seine Verpflichtung zur Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie, so kann er
sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht auf Beschränkungen
berufen, die sich aus den Bestimmungen der Richtlinie ergeben, von ihm aber nicht in seine innerstaatliche
Rechtsordnung umgesetzt worden sind (EuGH-Urteile vom 19. November 1991 C-6/90, C-9/90 "Francovich", Slg.
1991, I-5357, Rz 21; vom 14. Juli 2005 C-142/04 "Aslanidou", Slg. 2005, I-7181, Rz 35; vom 30. März 2006 C-184/04
"Uudenkaupungin kaupunki", Slg. 2006, I-3039, Rz 28; vom 12. Februar 2009 C-138/07 "Cobelfret NV", IStR 2009,
167, Rz 49).
31 Die unmittelbare Wirkung der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie wird danach durch die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs.
10 ZLR auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Quellenstaat die Bestimmungen der Richtlinie --einschließlich der
Ausnahmeregelung-- nicht in seine innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt hat. Denn ein Mitgliedstaat darf aus der
Verletzung seiner Umsetzungspflicht aus Art. 249 Abs. 3 EG keinen Nutzen ziehen, da dieser Verpflichtung ansonsten
jede Wirksamkeit genommen wäre (EuGH-Urteile vom 19. Januar 1982 8/81 "Becker", Slg. 1982, 53, Rz 29; vom 14.
Juli 1994 C-91/92 "Faccini Dori", Slg. 1994, I-3325, Rz 22, m.w.N.).
32 c) Ein Mitgliedstaat kann sich ferner bei unvollständiger Umsetzung einer Richtlinie nicht auf einen
Umsetzungsspielraum berufen, wenn er hiervon im Hinblick auf die in seine innerstaatliche Rechtsordnung
umgesetzten Bestimmungen keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. EuGH-Urteil vom 17. Februar 2005 C-453/02, C-
462/02 "Linneweber und Akritidis", Slg. 2005, I-1131, Rz 35). Für den Bereich der Einkommen- und Körperschaftsteuer
ist die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie unter Verzicht auf die in Art. 1 Abs. 10 ZLR vorgesehenen Einschränkungen des
personellen Anwendungsbereichs vollständig und ordnungsgemäß umgesetzt worden. Ein Rückgriff auf die
Ausnahmeregelung scheidet damit auch für den Bereich der Gewerbesteuer aus, in dem die EU-Zins- und
Lizenzrichtlinie --bei Erstreckung des Anwendungsbereichs auf das zahlende Unternehmen-- nicht umgesetzt worden
ist.
33 IV. Vorlage an den EuGH
34 Die Gemeinschaftsrechtslage ist zu den erwähnten Punkten nicht derart eindeutig, dass von einer Vorlage an den
EuGH abgesehen werden dürfte (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 283/81 "C.I.L.F.I.T.", Slg. 1982, 3415). Der
Senat setzt das Revisionsverfahren deshalb gemäß § 74 i.V.m. § 121 der Finanzgerichtsordnung aus und legt dem
EuGH die im Leitsatz formulierten Rechtsfragen gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorabentscheidung vor.