Urteil des BFH vom 27.05.2009
BFH: Bekanntgabe von Steuerverwaltungsakten an Ehegatten, bedürfnis, bereinigung, unparteilichkeit, offenkundig, adresse, verwaltungsverfahren, verzinsung, verschulden
BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 27.5.2009, X R 45/08
Bekanntgabe von Steuerverwaltungsakten an Ehegatten - Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags kann bei
Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer auch gegenüber einem Ehegatten ohne eigene Einkünfte erfolgen
Gründe
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Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden
und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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1. Das Finanzgericht (FG) ist zutreffend davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die
Festsetzung von Verspätungszuschlägen sowohl zur Einkommensteuer 2002 als auch zur Einkommensteuer 2003
gegenüber beiden Klägern und Revisionsklägern (Kläger) vorgelegen haben und der Prozessbevollmächtigte der
Kläger, dessen Verschulden diesen nach § 152 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO) zuzurechnen ist, die
Abgabefristen in nicht entschuldbarer Weise überschritten hat.
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2.a) Die Entscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--), gegenüber beiden Klägern für
beide Streitjahre einen Verspätungszuschlag festzusetzen, lässt keine Ermessensfehler erkennen. Die
Ermessenskriterien des § 152 Abs.1 und Abs. 2 AO wurden von der Behörde angemessen berücksichtigt und
sachgerecht gegeneinander abgewogen. Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, den Zinsvorteil
aufgrund der verspätet festgesetzten Einkommensteuer in die Bemessung des Verspätungszuschlags nicht
einzubeziehen, weil der daraus resultierende wirtschaftliche Vorteil mit der Verzinsung der Steuernachzahlung
abgeschöpft sei, ist ermessensgerecht. Zutreffend hat das FA bei der Festsetzung der Verspätungszuschläge auch
das Abgabeverhalten der Kläger in den Vor- und Folgejahren berücksichtigt.
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b) Das FA hat die Ermessensentscheidung auch nicht verspätet begründet. Nach § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO kann
die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines
finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Im Streitfall hat das FA lange vor Abschluss des
Einspruchsverfahrens, nämlich ca. 1 1/2 Monate nach Festsetzung der Verspätungszuschläge den Klägern die
angestellten Ermessenserwägungen dargelegt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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c) Zu Recht hat das FA die Verspätungszuschläge auch gegen die Klägerin gerichtet, da auch sie --sie wurde gemäß
§ 26b des Einkommensteuergesetzes zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt-- ihre
Steuererklärungspflichten verletzt hat. Auf den Umstand, ob sie in den Streitjahren eigene Einkünfte erzielt hat, kommt
es nicht an.
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d) Die Ausgestaltung des § 152 Abs. 1 Satz 1 AO als "Kann"-Vorschrift ist nach Auffassung des Senats
verfassungsgemäß (so auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Februar 1987 1 BvR 1323/86,
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1988, 34).
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3. Die festgesetzten Verspätungszuschläge zur Einkommensteuer 2002 und zur Einkommensteuer 2003 wurden den
Klägern gegenüber ordnungsgemäß bekannt gegeben.
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a) Soweit sich die Festsetzung gegen den Kläger richtet, folgt dies schon daraus, dass der Kläger dem
Prozessbevollmächtigten am 22. Mai 2002 ausdrücklich eine Bekanntgabevollmacht erteilt hatte.
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b) Es kann dahinstehen, ob die Bescheide vom 29. August 2005 und 11. Oktober 2005 der Klägerin gegenüber
wirksam bekannt gegeben worden sind. Etwaige Mängel in der Bekanntgabe dieser Bescheide sind jedenfalls durch
die fehlerfreie Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2007, die dem Prozessbevollmächtigten
der Klägerin als ihrem seinerzeitigen Verfahrensbevollmächtigten durch Boten übermittelt wurde, geheilt worden
(ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Juni 2008 IV R 89/05, BFH/NV
2008, 1984). Dass sich der Tenor der Einspruchsentscheidung in der Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet
erschöpft, ist unerheblich (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2001 X B 63/01,
BFH/NV 2002, 504, unter 1.b). Der spätere Prozessbevollmächtigte hat --wie im Schriftsatz vom 29. April 2009
eingeräumt wurde-- auch im Namen der Klägerin Einsprüche gegen die Bescheide über die Festsetzung von
Verspätungszuschlägen vom 29. August 2005 bzw. 11. Oktober 2005 eingelegt. Zu keinem Zeitpunkt wurde im
Einspruchsverfahren dessen fehlende Bevollmächtigung geltend gemacht. Damit hat die Klägerin schlüssig zu
erkennen gegeben, sie billige jedenfalls die Bekanntgabe der auf die Einsprüche folgenden Einspruchsentscheidung
an den Prozessbevollmächtigten als ihrem derzeitigen Verfahrensbevollmächtigten.
10 c) Aus § 122 Abs. 7 Satz 2 AO folgt nichts Gegenteiliges. Die Norm gilt nur für den Fall der Übersendung des
Bescheids bzw. der Einspruchsentscheidung unmittelbar an den Steuerpflichtigen selbst, nämlich an beide Eheleute
unter ihrer unmittelbaren Adresse (BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 169/90, BFH/NV 1992, 433, unter 1.a zur
inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 155 Abs. 5 AO i.d.F. bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bereinigung von
steuerlichen Vorschriften vom 22. Dezember 1999, BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13). Nur in diesen Fällen besteht
ein Bedürfnis dafür, auf Antrag oder bei Bekanntwerden ernstlicher Meinungsverschiedenheiten zwischen den
Eheleuten zwei Ausfertigungen des zusammengefassten Steuerverwaltungsakts den Ehegatten einzeln bekannt zu
geben, weil andernfalls nicht auszuschließen wäre, dass ein Ehegatte die einzige Ausfertigung des Bescheids oder
der Einspruchsentscheidung entgegennimmt und der andere von deren Inhalt keinerlei Kenntnis erlangt. Ein
gemeinsamer Bevollmächtigter der Ehegatten ist hingegen bereits kraft des ihm erteilten Auftrags zur Rechenschaft
gegenüber beiden Auftraggebern und zur Weiterleitung des Steuerverwaltungsakts bzw. der Einspruchsentscheidung
verpflichtet (§ 666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).
11 4. Umstände, aufgrund derer die mit der Besteuerung der Kläger befassten Mitarbeiter des FA gemäß § 82 Abs. 1 Satz
1 AO im Verwaltungsverfahren nicht hätten tätig werden dürfen bzw. die nach § 83 Abs. 1 Satz 1 AO geeignet
gewesen wären, Misstrauen gegen deren Unparteilichkeit zu rechtfertigen, liegen nach den den Senat nach § 118
Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG nicht vor. Das Schreiben des Amtsleiters des FA vom 27. August 2004
bezog sich offenkundig nicht auf das Besteuerungsverfahren der Kläger.