Urteil des BFH vom 17.04.2013

Anlaufhemmung der Feststellungsfrist für Bedarfsbewertung bei Anforderung einer Feststellungserklärung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.4.2013, II R 59/11
Anlaufhemmung der Feststellungsfrist für Bedarfsbewertung bei Anforderung einer
Feststellungserklärung
Leitsätze
Fordert das Lagefinanzamt vom Steuerpflichtigen innerhalb der Feststellungsfrist eine
Feststellungserklärung für Zwecke der Grunderwerbsteuer an, führt dies unabhängig vom Zeitpunkt
der Erstattung der Anzeige nach §§ 18 und 19 GrEStG zu einer Anlaufhemmung der
Feststellungsfrist.
Tatbestand
1 I. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 20. Juli 2005 wurde die Verschmelzung der I-
GmbH, die Eigentümerin zahlreicher Grundstücke war, auf die Klägerin und Revisionsklägerin
(Klägerin), eine GmbH, vereinbart. Die Verschmelzung wurde am 21. Juli 2005 für die
Klägerin in das Handelsregister eingetragen. Die Klägerin zeigte den mit der Verschmelzung
verbundenen Übergang der Grundstücke der I-GmbH auf sie im Jahr 2005 der
Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts an.
2 Die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) im April 2009 angeforderte
Erklärung zur Feststellung u.a. des Grundbesitzwerts für das Grundstück ... gab die Klägerin
im November 2009 ab. Den Grundbesitzwert für dieses Grundstück stellte das FA durch
Bescheid vom 5. Januar 2010 auf den 21. Juli 2005 für Zwecke der Grunderwerbsteuer in der
von der Klägerin erklärten Höhe gesondert fest. Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als
das FA die Feststellung des Grundbesitzwerts in Bezug auf die Frage der
Verfassungsmäßigkeit der Heranziehung des Grundbesitzwerts als Bemessungsgrundlage für
die Grunderwerbsteuer gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung (AO) für
vorläufig erklärte.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte
(EFG) 2012, 908 veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab, die Feststellungsfrist sei
entgegen der Ansicht der Klägerin beim Erlass des Bescheids vom 5. Januar 2010 noch nicht
abgelaufen gewesen.
4 Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.
5 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Feststellungsbescheid vom 5. Januar
2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2010 aufzuheben.
6 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht angenommen, dass die
Feststellungsfrist beim Erlass des Bescheids vom 5. Januar 2010 noch nicht abgelaufen war.
8 1. Nach § 138 Abs. 5 Satz 1 des Bewertungsgesetzes in der im Jahr 2005 geltenden
Fassung des Art. 1 Nr. 36 des Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 vom 20. Dezember 1996 --
BewG-- (BGBl I 1996, 2049) sind die Grundbesitzwerte (§ 138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3
BewG) gesondert festzustellen, wenn sie für die Erbschaftsteuer oder Grunderwerbsteuer
erforderlich sind (Bedarfsbewertung).
9 a) Für die Feststellung von Grundbesitzwerten gelten gemäß § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG die
Vorschriften der AO über die Feststellung von Einheitswerten des Grundbesitzes
sinngemäß. Das für die Feststellung von Grundbesitzwerten zuständige Finanzamt kann
nach § 138 Abs. 6 BewG von jedermann, für dessen Besteuerung eine Bedarfsbewertung
erforderlich ist, die Abgabe einer Feststellungserklärung innerhalb einer von ihm zu
bestimmenden Frist, die mindestens einen Monat betragen muss, verlangen.
10 b) Die Frist für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist unabhängig von
der Festsetzungsfrist für die Folgesteuern zu ermitteln (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3; vom 12. Juli 2005
II R 10/04, BFH/NV 2006, 228, und vom 25. November 2008 II R 11/07, BFHE 223, 326,
BStBl II 2009, 287; BFH-Beschluss vom 5. August 2004 II B 26/04, BFH/NV 2005, 7). Sie
kann später beginnen als die Festsetzungsfrist für die Folgesteuern und daher noch laufen,
nachdem die reguläre Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist. Für einen solchen Fall sieht
§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist für die Folgesteuern
vor.
11 c) Diese Grundsätze gelten auch für die Frist für die gesonderte Feststellung von
Einheitswerten. Diese Feststellungsfrist beginnt nach § 181 Abs. 3 Satz 1 AO mit Ablauf des
Kalenderjahres, auf dessen Beginn die Hauptfeststellung, die Fortschreibung, die
Nachfeststellung oder die Aufhebung eines Einheitswerts vorzunehmen ist. Ist eine
Erklärung zur gesonderten Feststellung des Einheitswerts abzugeben, beginnt die
Feststellungsfrist gemäß § 181 Abs. 3 Satz 2 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Erklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf
das Kalenderjahr folgt, auf dessen Beginn die Einheitswertfeststellung vorzunehmen oder
aufzuheben ist.
12 d) Aufgrund der gemäß § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG gebotenen sinngemäßen Anwendung
dieser Vorschriften auf die Bedarfsbewertung beginnt die Frist für die Feststellung eines
Grundbesitzwerts für die Erbschaftsteuer oder Grunderwerbsteuer grundsätzlich mit Ablauf
des Kalenderjahres, in das der Bewertungsstichtag fällt. Auf den Beginn der
Festsetzungsfrist für die Folgesteuer(n) kommt es nicht an (BFH-Urteil in BFHE 223, 326,
BStBl II 2009, 287).
13 Hat das Lagefinanzamt nach § 138 Abs. 6 BewG von einem Steuerpflichtigen eine
Feststellungserklärung angefordert, führt dies nach Maßgabe des § 181 Abs. 3 Satz 2 AO
diesem Steuerpflichtigen gegenüber zu einer Anlaufhemmung der Feststellungsfrist (BFH-
Urteil in BFHE 223, 326, BStBl II 2009, 287; Hartmann in Gürsching/Stenger,
Bewertungsrecht, § 153 BewG Rz 113 f.). Die Feststellungsfrist beginnt mit Ablauf des
Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des
dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, auf dessen Beginn die
Wertfeststellung vorzunehmen ist. Es genügt dabei, wenn das Finanzamt die
Feststellungserklärung verlangt, bevor die Feststellungsfrist abgelaufen ist (vgl. BFH-Urteil
vom 18. Oktober 2000 II R 50/98, BFHE 193, 48, BStBl II 2001, 14). Die Aufforderung zur
Abgabe der Feststellungserklärung verpflichtet den Steuerpflichtigen gemäß § 181 Abs. 1
Satz 1 i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 2 AO zur Abgabe der Erklärung.
14 e) Die Anforderung einer Feststellungserklärung führt unabhängig davon, wann die in §§ 18
und 19 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vorgeschriebene Anzeige erstattet wurde,
zur Anlaufhemmung der Feststellungsfrist für die Bedarfsbewertung für Zwecke der
Grunderwerbsteuer. § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG knüpft aufgrund der ausdrücklichen
Bezugnahme auf § 181 Abs. 3 Satz 2 AO hinsichtlich der Anlaufhemmung an den Zeitpunkt
der Abgabe der angeforderten Feststellungserklärung und nicht an den Zeitpunkt der
Erstattung der Anzeige nach §§ 18 und 19 GrEStG an. Der Gesetzgeber sieht in § 138 Abs. 6
BewG die Möglichkeit vor, über die Anzeige nach §§ 18 und 19 GrEStG hinaus eine
Feststellungserklärung als Grundlage für die Bedarfsbewertung zu verlangen. Die durch
dieses Verlangen begründete Handlungspflicht des Steuerpflichtigen beruht darauf, dass die
Anzeige nach §§ 18 und 19 GrEStG gemäß § 20 GrEStG nicht alle Angaben zu enthalten
braucht, die für die Feststellung von Grundbesitzwerten regelmäßig erforderlich sind. Dem
für die Bedarfsbewertung zuständigen Finanzamt soll aufgrund der vom Zeitpunkt der
Abgabe der Feststellungserklärung abhängigen Anlaufhemmung eine ausreichende Frist für
die Bedarfsbewertung zur Verfügung stehen. Dieses Ziel erreicht der Gesetzgeber dadurch,
dass er für die Feststellungsfrist eine vom Zeitpunkt der Erstattung der Anzeige nach §§ 18
und 19 GrEStG unabhängige Anlaufhemmung vorsieht. Das von der Klägerin angeführte
Urteil des FG Hamburg vom 18. Juli 2007 3 K 70/07 (EFG 2007, 1978) hatte keinen
Bestand. Es wurde durch das BFH-Urteil vom 29. Oktober 2008 II R 9/08 (BFH/NV 2009,
1832) aufgehoben.
15 f) Dieses Verständnis des § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG i.V.m. § 181 Abs. 3 Satz 2 AO
entspricht den Wertungen, die der Rechtsprechung zur Anlaufhemmung bei der
Schenkungsteuer zugrunde liegen. Fordert die Finanzbehörde nach Anzeigeerstattung
gemäß § 30 Abs. 1 und 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) die
Einreichung einer Schenkungsteuererklärung (§ 31 Abs. 1 ErbStG), endet die
Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nach den BFH-Urteilen vom
27. August 2008 II R 36/06 (BFHE 222, 83, BStBl II 2009, 232) und II R 37/06 (BFH/NV 2009,
173) erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird,
spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der
Steuerentstehung. Die bloße Erstattung der Anzeige führt noch nicht zu einer endgültigen
Beendigung der Anlaufhemmung. Die Schenkungsteuererklärung dient nämlich weiter
gehenden Zwecken als die Anzeige nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG.
16 2. Entgegen der von der Klägerin im Klageverfahren vertretenen Ansicht ergibt sich aus der
Neuregelung des Verfahrens bei der Feststellung von Grundbesitzwerten durch Art. 18 JStG
2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) nichts anderes. Zum einen ist die
Neuregelung gemäß § 158 Abs. 1 BewG i.d.F. des Art. 18 Nr. 9 JStG 2007 (BewG n.F.)
erstmals für Besteuerungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 2006 anzuwenden und somit
im Streitfall nicht maßgeblich. Zum anderen hat sich durch die Neuregelung im vorliegenden
Zusammenhang keine Änderung ergeben. Nunmehr ist die Befugnis des für die Feststellung
des Grundbesitzwerts zuständigen Finanzamts, von jedermann, für dessen Besteuerung
eine gesonderte Feststellung von Bedeutung ist, die Abgabe einer Feststellungserklärung zu
verlangen, in § 153 Abs. 1 Satz 1 BewG n.F. vorgesehen. Gemäß § 153 Abs. 5 BewG n.F. ist
§ 181 Abs. 1 und 5 AO entsprechend anzuwenden. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO ordnet
seinerseits die sinngemäße Geltung der Vorschriften über die Durchführung der
Besteuerung für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen an. Dies gilt auch
für die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung gemäß §§ 169 ff. AO und damit u.a. für
die Regelung in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH-Urteil in BFHE 171, 392, BStBl II 1994,
3; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 7). Steuererklärung i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AO ist gemäß § 181 Abs. 1 Satz 2 AO die Erklärung zur gesonderten Feststellung.
17 Ist aufgrund des Verlangens des für die Feststellung zuständigen Finanzamts gemäß § 153
Abs. 1 Satz 1 BewG n.F. eine Feststellungserklärung einzureichen, beginnt somit die Frist für
die Feststellung eines Grundbesitzwerts in sinngemäßer Anwendung des § 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Feststellungserklärung
eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das
Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Feststellungsfrist
in sinngemäßer Anwendung des § 170 Abs. 1 AO später beginnt. Wenn die Anzeige nach
§§ 18 und 19 GrEStG bereits in einem früheren Jahr erstattet worden war, ist dies auch
insoweit unerheblich (Hofmann in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 153 BewG Rz 14; Halaczinsky in
Rössler/Troll, BewG, § 153 Rz 25; zur Schenkungsteuer vgl. BFH-Urteil in BFHE 222, 83,
BStBl II 2009, 232; Hartmann, a.a.O., § 153 BewG Rz 109 f.).
18 3. Die Feststellungsfrist war somit bei Erlass des Feststellungsbescheids vom 5. Januar
2010 noch nicht abgelaufen. Sie beträgt gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und hat nach § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit
Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, begonnen. Die Steuer ist mit
Eintragung der Verschmelzung der I-GmbH in das Handelsregister für den Sitz der Klägerin
am 21. Juli 2005 entstanden; denn die Eintragung führte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 des
Umwandlungsgesetzes zum Übergang der der I-GmbH gehörenden Grundstücke auf die
Klägerin und somit zur Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG (BFH-
Urteil vom 29. September 2005 II R 23/04, BFHE 210, 531, BStBl II 2006, 137). Da das FA im
Jahr 2009 und somit noch vor dem Ablauf der Frist die Abgabe einer Feststellungserklärung
verlangt hat, kam es rückwirkend zu einer Anlaufhemmung von drei Jahren. Der Ablauf der
Feststellungsfrist verschob sich somit auf das Ende des Jahres 2012. Der angefochtene
Feststellungsbescheid vom 5. Januar 2010 wurde demnach innerhalb der Feststellungsfrist
erlassen.