Urteil des BFH vom 06.07.2018

Vereinbarkeit der nationalen Milchquote für das Milchwirtschaftsjahr 2013/14 mit Unionsrecht - Keine laufende Anpassung der einzelstaatlichen Milchquoten an die jeweilige Marktsituation

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 6.7.2018, VII B 126/17
ECLI:DE:BFH:2018:B.060718.VIIB126.17.0
Vereinbarkeit der nationalen Milchquote für das Milchwirtschaftsjahr
2013/14 mit Unionsrecht - Keine laufende Anpassung der
einzelstaatlichen Milchquoten an die jeweilige Marktsituation
Leitsätze
1. NV: Die VO Nr. 1234/2007 einschließlich der Festsetzung der
nationalen Milchquote für das Milchwirtschaftsjahr 2013/14 ist zur
Stabilisierung der Märkte nicht offensichtlich ungeeignet.
2. NV: An der Vereinbarkeit der unionsrechtlichen Vorschriften über das
Milchquotensystem und die Milchabgabe mit höherrangigem Recht und
insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestehen keine
Zweifel.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen
das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 23. Juni 2017 4 K 150/16 wird
als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
1
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist
Rechtsnachfolgerin des Herrn X, der im Zwölfmonatszeitraum
2013/2014 über eine Milchquote von ... kg verfügte. Tatsächlich
lieferte er in diesem Zeitraum der Molkerei ... kg. Nach
Fettgehaltskorrektur sowie Molkerei- und Bundessaldierung ergab
sich eine Überlieferung von ... kg und eine Abgabenforderung in
Höhe von ... EUR, die die Molkerei beim Beklagten und
Beschwerdegegner (Hauptzollamt) anmeldete.
2
Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Abgabenfestsetzung sei
rechtmäßig und mit höherrangigem Recht vereinbar. Die
Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007
über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit
Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse --
VO Nr. 1234/2007-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU--
Nr. L 299/1), die für den Zwölfmonatszeitraum 2013/ 2014 bei
Überschreitung der einzelstaatlichen Quote die Erhebung einer
Überschussabgabe vorsehe, verstoße weder gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch gegen das
Diskriminierungsverbot. Es halte an der in seinem Urteil vom
30. September 2016 4 K 157/15 (Agrar- und Umweltrecht 2017,
33) geäußerten Auffassung fest. Der Unionsgesetzgeber verfüge
zudem im Bereich der Agrarpolitik über ein weites Ermessen. Ihm
stehe in Bezug auf das jeweilige Milchquotenjahr eine
Einschätzungsprärogative zu, die vor Beginn des jeweiligen
Milchquotenjahres ausgeübt werde und sich auch auf längere
Zeiträume erstrecken dürfe und gerichtlich nur in engen Grenzen,
d.h. auf offensichtliche Fehleinschätzungen, überprüfbar sei.
Letzteres sei im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere entspreche
die in der VO Nr. 1234/2007 niedergelegte Milchquotenregelung im
Wesentlichen dem Regelungswerk der Verordnung (EG)
Nr. 1788/2003 des Rates vom 29. September 2003 über die
Erhebung einer Abgabe im Milchsektor --VO Nr. 1788/2003--
(ABlEU Nr. L 270/123), die der Gerichtshof der Europäischen Union
(EuGH) nicht für offensichtlich ungeeignet gehalten habe, um das
Ziel der Stabilisierung der Märkte zu verfolgen. Die Milcherzeuger in
der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) befänden sich in
keiner anderen Situation als die Milcherzeuger anderer
Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU).
3
Die Klägerin begründet ihre Nichtzulassungsbeschwerde mit der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Verletzung
rechtlichen Gehörs. Es sei zu klären, ob der Unionsgesetzgeber
trotz des ihm zukommenden weiten Ermessensspielraums im Fall
einer grundlegenden Änderung der Marktverhältnisse zum
kurzfristigen Einschreiten und zur Anpassung der festgesetzten
Quoten und Mengen verpflichtet sei, wenn anderenfalls der mit den
Marktordnungsregeln verfolgte Zweck verfehlt und das Gegenteil
erreicht würde. Konkret sei zu klären, ob der Rat der EU wegen der
grundlegenden Änderung der Marktverhältnisse im
Milchwirtschaftsjahr 2013/14 und der Umkehrung der vom
Gesetzgeber bei Erlass der Regelung vorausgesetzten Situation
verpflichtet gewesen sei, die einzelstaatlichen Quoten für die
jeweiligen Mitgliedstaaten, jedenfalls aber für Deutschland,
nachträglich mit Wirkung für das am 31. März 2014 endende
Milchwirtschaftsjahr zu erhöhen. Der durchschnittliche Milchpreis in
der gesamten EU sei im Laufe des Jahres 2013 stetig gestiegen
und die Nachfrage habe das Angebot überstiegen. Das FG
verkenne bei dem Hinweis, die Milcherzeuger in den anderen
Mitgliedstaaten hätten sich in keiner anderen Situation befunden,
dass in den meisten Mitgliedstaaten die einzelstaatliche Quote
überhaupt nicht überschritten worden sei. Dem EuGH sei die Frage
vorzulegen, ob Art. 66 Abs. 3 VO Nr. 1234/2007 so auszulegen sei,
dass im Fall eines festgestellten Nachfrageüberhangs auf dem
gesamten Milchmarkt in allen EU-Mitgliedstaaten eine Verpflichtung
des Rates bestehe, die einzelstaatlichen Quoten in den
Mitgliedstaaten, in denen eine Überschreitung zu erwarten sei, für
den betroffenen Zeitraum der erhöhten Nachfrage anzupassen und
zu erhöhen. Abgesehen davon habe sich das FG mit ihrer (der
Klägerin) Argumentation im Streitfall nicht hinreichend
auseinandergesetzt.
Entscheidungsgründe
II.
4 Die Beschwerde ist nicht begründet, weil die geltend gemachten
Zulassungsgründe nicht vorliegen.
5 1. Der Streitsache kommt keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115
Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zu. Es fehlt an
der Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen
Rechtsfrage, weil sich deren Beantwortung ohne Weiteres aus
dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt und sie
daher offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner
Entscheidung getan hat (vgl. ständige Rechtsprechung,
Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Dezember
1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom
21. Februar 2014 X B 142/13, BFH/NV 2014, 899).
6 Gemäß Art. 66 Abs. 3 VO Nr. 1234/2007 werden die
einzelstaatlichen Quoten gemäß Anhang IX Nummer 1
vorbehaltlich einer etwaigen Überprüfung auf der Grundlage der
allgemeinen Marktlage und besonderen Bedingungen in
bestimmten Mitgliedstaaten festgesetzt.
7 Die Festsetzung der nationalen Milchquoten ist nur einer
eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Denn im
Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik verfügt der Rat über einen
Ermessensspielraum, dessen gerichtliche Kontrolle auf die
Überprüfung beschränkt ist, ob eine in diesem Bereich erlassene
Maßnahme zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ
verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist (EuGH-Urteil Azienda
Agricola Disarò Antonio u.a. vom 14. Mai 2009 C-34/08,
EU:C:2009:304, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ--
2009, 219).
8 Die Auslegung des Art. 66 Abs. 3 VO Nr. 1234/2007 ist weder
zweifelhaft noch ist die VO Nr. 1234/2007 einschließlich der
Festsetzung der nationalen Milchquote für das
Milchwirtschaftsjahr 2013/14 zur Stabilisierung der Märkte (vgl.
Erwägungsgrund 36 der VO Nr. 1234/2007) offensichtlich
ungeeignet. Dies hat der EuGH bezüglich der VO Nr. 1788/2003,
deren Milchquotenregelung im Wesentlichen dem Regelungswerk
der VO Nr. 1234/2007 entspricht und die durch Art. 201 Abs. 1
,
(EuGH-Urteil Azienda Agricola Disarò Antonio u.a.,
EU:C:2009:304, ZfZ 2009, 219). Die im vorliegenden Verfahren
ausschlaggebende Regelung in Art. 66 Abs. 3 VO Nr. 1234/2007
war bereits im Wesentlichen wortgleich in Art. 1 Abs. 3 VO
Nr. 1788/2003 enthalten.
9 Auch der erkennende Senat hat unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des EuGH wiederholt, und zwar für die
Geltungszeiträume sowohl der VO Nr. 1788/2003 als auch der VO
Nr. 1234/2007, entschieden, dass an der Vereinbarkeit der
unionsrechtlichen Vorschriften über das Milchquotensystem und
die Milchabgabe mit höherrangigem Recht und insbesondere mit
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Zweifel bestehen
(vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. April 2015 VII B 44/14, BFH/NV
2016, 947; vom 20. August 2015 VII B 54/15, BFH/NV 2016, 949,
jeweils m.w.N., und vom 13. Juli 2017 VII R 29/16, BFHE 259,
181, ZfZ 2017, 302).
10
Abgesehen davon wurden nach Art. 66 Abs. 1 VO Nr. 1234/2007
die einzelstaatlichen Quoten für die Erzeugung von Milch und
anderen Milcherzeugnissen für sieben aufeinander folgende
Zeiträume festgesetzt. Dies lässt darauf schließen, dass der
Unionsgesetzgeber vorübergehende Beeinträchtigungen der
Marktstabilität nicht in jedem Fall für problematisch erachtet hat.
Auch wenn nach Art. 66 Abs. 3 VO Nr. 1234/2007 die allgemeine
Marktlage und die besonderen Bedingungen in den
Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind, lässt sich daraus kein
Anspruch eines einzelnen Milcherzeugers auf eine laufende oder
zeitnahe Anpassung der einzelstaatlichen Milchquoten an die
jeweilige Marktsituation ableiten. Eine nachträgliche Anhebung
der einzelstaatlichen Quote nach Ablauf des
Milchwirtschaftsjahres allein aufgrund ihrer Überschreitung führte
die Milchquotenregelung vielmehr ad absurdum.
11
Dass in Deutschland besondere Bedingungen bestanden haben,
die eine Überprüfung bzw. Anpassung der einzelstaatlichen
Quoten über die bereits erfolgten Anpassungen hinaus selbst
unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums des
Unionsgesetzgebers erfordert hätten (vgl. Art. 66 Abs. 3 VO
Nr. 1234/2007), hat die Klägerin nicht dargelegt. Der allgemeine
Hinweis auf eine erhöhte Nachfrage nach Milch auf dem
Weltmarkt und einen gestiegenen Milchpreis in der EU genügen
insofern nicht.
12
2. Ein Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 des
Grundgesetzes liegt nicht vor, soweit die Beschwerde rügt, das
FG habe ihr Vorbringen nicht vollständig berücksichtigt. Das FG
ist nicht verpflichtet, sich in der Urteilsbegründung mit jedem
Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Es ist
vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das
Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen hat (BFH-
Beschluss vom 18. Juni 2001 II B 129/00, BFH/NV 2001, 1292).
Daher liegt in derartigen Fällen eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör nur vor, wenn sich aus den besonderen
Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das FG
Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen
oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung
gezogen hat (BFH-Beschluss vom 19. November 2002 X B 78/01,
BFH/NV 2003, 335, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 7. Oktober
2009 VII B 253/08, BFH/NV 2010, 267). Hiervon kann im Streitfall
nicht ausgegangen werden, weil sich das FG mit dem Argument
der Klägerin, im maßgeblichen Zeitraum habe in Deutschland eine
besondere Ausnahmesituation bestanden, auseinandergesetzt
hat. Eine eventuelle Pflicht des Rates der EU zur Erhöhung der
einzelstaatlichen Quote aufgrund der gestiegenen Nachfrage hat
das FG ebenfalls geprüft.
13
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.