Urteil des BFH vom 19.03.2013

Keine Zollpräferenzen gemäß Assoziierungsabkommen EG-Israel für im Westjordanland hergestellte Erzeugnisse - Keine Präferenzbehandlung nach dem Assoziierungsabkommen EG-PLO - Ursprungseigenschaft einer Ware - Keine Bindung der Behörden des Einfuhrlands an

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.3.2013, VII R 6/12
Keine Zollpräferenzen gemäß Assoziierungsabkommen EG-Israel für im Westjordanland
hergestellte Erzeugnisse - Keine Präferenzbehandlung nach dem Assoziierungsabkommen EG-
PLO - Ursprungseigenschaft einer Ware - Keine Bindung der Behörden des Einfuhrlands an die
Beurteilung der Behörden des Ausfuhrlands - Völkergewohnheitsrecht
Leitsätze
1. Für im Westjordanland hergestellte Waren, für die bei der Einfuhr ein den Ursprung "Israel"
ausweisendes Ursprungszeugnis vorgelegt wird, kann eine Präferenzbehandlung weder nach
dem Assoziierungsabkommen EG-Israel noch dem Assoziierungsabkommen EG-PLO gewährt
werden.
2. Soweit in Teilen des Westjordanlands Zuständigkeiten zur Ausstellung von
Ursprungszeugnissen möglicherweise allein von israelischen Behörden wahrgenommen
werden, verleiht dieser Umstand im Westjordanland hergestellten Erzeugnissen keinen
israelischen Ursprung.
3. Auch im Fall fehlender Möglichkeiten, palästinensische Ursprungszeugnisse für Waren aus
dem Westjordanland zu erhalten, lässt sich eine Präferenzbehandlung jedenfalls dann nicht mit
außergewöhnlichen Umständen rechtfertigen, wenn die Kommission bereits im Amtsblatt darauf
hingewiesen hat, dass für Einfuhrwaren mit Ursprung Westjordanland, die von israelischen
Ursprungszeugnissen begleitet werden, keine Zollpräferenzen gewährt werden.
4. Die Frage, ob im Westjordanland hergestellte Erzeugnisse präferenzrechtlich als
Ursprungserzeugnisse Israels angesehen werden können, betrifft die rechtliche Auslegung der
Assoziierungsabkommen und der Ursprungsprotokolle. An die Beantwortung dieser Frage
durch die Behörden des Ausfuhrlands im Rahmen eines Nachprüfungsersuchens sind die
Behörden des Einfuhrlands nicht gebunden.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete im Jahr 2002 mehrfach Waren zur
Überführung in den freien Verkehr an, für die sie mit der Ursprungsangabe "Israel" die
Abfertigung zum Präferenzzollsatz gemäß dem Europa-Mittelmeer-Abkommen zur
Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und dem Staat Israel andererseits --Assoziierungsabkommen
EG-Israel-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 2000, Nr. L 147/3)
beantragte. Als Präferenznachweise für die in einem Betrieb im Westjordanland
hergestellten Waren legte die Klägerin Rechnungen des Lieferanten und Ausführers vor,
mit denen dieser (insoweit von der israelischen Zollverwaltung ermächtigt) bestätigte, es
handele sich um Ware mit Ursprung "Israel".
2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) gewährte die
Zollpräferenz vorläufig, leitete aber ein nachträgliches Prüfungsverfahren durch ein
entsprechendes Ersuchen an die israelische Zollverwaltung ein, die darauf antwortete, die
Prüfung habe ergeben, dass die Waren aus einer Zone stammten, die unter israelischer
Zollzuständigkeit stehe. Demgemäß handele es sich um Ursprungsware, die
präferenzberechtigt im Sinne des Assoziierungsabkommens EG-Israel sei. Eine weitere
Nachfrage der deutschen Zollbehörden, ob die Waren in den israelischen
Siedlungsgebieten im Westjordanland, im Gazastreifen, in Ost-Jerusalem oder auf den
Golanhöhen hergestellt worden seien, blieb unbeantwortet.
3 Das HZA lehnte daraufhin die Präferenzbehandlung ab und erhob mit Bescheid vom
25. September 2003 den auf die Einfuhrwaren entfallenden Zoll nach. Der Einspruch der
Klägerin blieb ohne Erfolg.
4 Im anschließenden Klageverfahren legte das Finanzgericht (FG) dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zur Auslegung des
Assoziierungsabkommens EG-Israel sowie des Europa-Mittelmeer-
Interimsassoziationsabkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der
Europäischen Gemeinschaft einerseits und der Palästinensischen Befreiungsorganisation
(PLO) zugunsten der Palästinensischen Behörde für das Westjordanland und den Gaza-
Streifen andererseits --Assoziierungsabkommen EG-PLO-- (ABlEG 1997, Nr. L 187/3) zur
Vorabentscheidung vor (FG-Beschluss vom 30. Juli 2008 4 K 133/06, nicht veröffentlicht),
die der EuGH mit Urteil vom 25. Februar 2010 C-386/08 (Slg. 2010, I-1289, Zeitschrift für
Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2010, 104) wie folgt beantwortete:
5 "1. Die Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats können die durch das am 20. November
1995 in Brüssel unterzeichnete Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer
Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und dem Staat Israel andererseits eingeführte Gewährung der
Präferenzbehandlung verweigern, wenn die betreffenden Waren ihren Ursprung im
Westjordanland haben. Die Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats können keine
Wahlfeststellung treffen, indem sie die Frage offenlassen, welches der in Betracht
kommenden Abkommen, nämlich das Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer
Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und dem Staat Israel andererseits und das am 24. Februar 1997 in Brüssel
unterzeichnete Europa-Mittelmeer-Interimsassoziationsabkommen über Handel und
Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der
Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zugunsten der Palästinensischen
Behörde für das Westjordanland und den Gaza-Streifen andererseits, im vorliegenden Fall
anzuwenden ist und ob der Ursprungsnachweis von den israelischen oder von den
palästinensischen Behörden stammen muss.
6 2. Die Zollbehörden des Einfuhrstaats sind im Rahmen des Verfahrens nach Art. 32 des
Protokolls Nr. 4 im Anhang des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer
Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und dem Staat Israel andererseits nicht an den vorgelegten Ursprungsnachweis
und die Antwort der Zollbehörden des Ausfuhrstaats gebunden, wenn diese Antwort im
Sinne von Art. 32 Abs. 6 des Protokolls keine ausreichenden Angaben enthält, um den
tatsächlichen Ursprung der Waren feststellen zu können. Die Zollbehörden des
Einfuhrstaats sind nicht verpflichtet, dem nach Art. 39 dieses Protokolls eingerichteten
Ausschuss für Zusammenarbeit im Zollwesen eine Streitigkeit über die Auslegung des
räumlichen Geltungsbereichs des Abkommens vorzulegen."
7 Daraufhin wies das FG die Klage ab. Nach dem EuGH-Urteil in Slg. 2010, I-1289, ZfZ
2010, 104 könnten die Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats die Präferenzbehandlung
nach dem Assoziierungsabkommen EG-Israel verweigern, wenn die betreffenden Waren
ihren Ursprung im Westjordanland hätten. Die von der Klägerin für ihren Rechtsstandpunkt
angeführten bilateralen Abkommen zwischen Israel und der PLO änderten daran nichts.
Die EuGH-Entscheidung sei verbindlich und eindeutig. Im Übrigen könne die
Präferenzbehandlung schon wegen der unterbliebenen Antwort der israelischen
Zollverwaltung auf die Frage nach dem Herstellungsort der Waren abgelehnt werden. Die
Präferenz sei auch nicht wegen außergewöhnlicher Umstände zu gewähren, weil die
Kommission im Amtsblatt auf bestehende Zweifel an der Richtigkeit in Israel ausgestellter
Ursprungsnachweise hingewiesen habe. Für eine Präferenzbehandlung der aus dem
Westjordanland stammenden Waren gemäß dem Assoziierungsabkommen EG-PLO
fehlten die entsprechenden Ursprungsnachweise.
8 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe den zwischen Israel und der
PLO 1994 bzw. 1995 getroffenen Gaza-Jericho-Abkommen und Israel-Palästina-
Interimsabkommen zu Unrecht keine Bedeutung für den Streitfall beigemessen. Auch der
EuGH habe diese bilateralen Abkommen nicht in seine Beurteilung einbezogen. Die PLO
habe jedoch in diesen Abkommen einer Zollabfertigung durch israelische Zollbehörden für
Produkte aus bestimmten Gebieten des Westjordanlands, in denen Israel die Hoheitsrechte
ausübe, zugestimmt. Insbesondere nach dem Israel-Palästina-Interimsabkommen
bestünden keine Zweifel, dass die israelische Zollbehörde die einzige Zollbehörde sei, die
in dem betreffenden Gebiet des Westjordanlands, aus dem die streitigen Waren stammten,
die Hoheitsbefugnisse über israelische Unternehmen und Exporteure innehabe und
ausüben könne. Das Assoziierungsabkommen EG-Israel lasse es deshalb auch unter
Berücksichtigung des vom EuGH herangezogenen völkerrechtlichen Grundsatzes der
relativen Wirkung von Verträgen durchaus zu, dass Israel für Waren aus Gebieten des
Westjordanlands, in denen es die Hoheitsrechte ausübe, wirksam Ursprungszeugnisse
erteilen dürfe. Die nach den bilateralen Abkommen bestehenden Hoheitsrechte Israels in
der sog. Zone C des Westjordanlands seien dahin auszulegen, dass Israel auch
präferenzrechtlich berechtigt sei, für Waren aus diesem Gebiet den Ursprung "Israel"
anzugeben. Da die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung vorlägen, dürfe diese
auch nicht allein wegen der unterbliebenen Antwort auf ein Schreiben der deutschen
Zollverwaltung versagt werden. Darüber hinaus führe die frühere jahrelange Praxis der
Anerkennung israelischer Ursprungsnachweise für Waren aus dem Westjordanland durch
die Zollbehörden der Mitgliedstaaten dazu, dass aufgrund Völkergewohnheitsrechts solche
Ursprungsnachweise auch weiterhin anzuerkennen seien. Die Auswirkungen des
Völkergewohnheitsrechts seien dem EuGH im Rahmen des
Vorabentscheidungsersuchens nicht vorgetragen worden. Schließlich lägen wegen der
nicht gegebenen Möglichkeit, palästinensische Ursprungsnachweise für die Waren zu
erhalten, außergewöhnliche Umstände vor, auf die die Klägerin keinen Einfluss gehabt
habe und die sie nicht hätte vermeiden können.
9 Das HZA hält die Vorentscheidung für zutreffend und schließt sich ihr an.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der
angefochtene Einfuhrabgabenbescheid ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
11 Die für die streitigen Einfuhren zunächst nicht festgesetzten Abgaben sind gemäß Art. 220
Abs. 1 des Zollkodex (ZK) nachzuerheben, weil sich die für die beantragte Zollpräferenz
vorgelegten Präferenznachweise als unzutreffend erwiesen haben.
12 1. Nach Art. 17 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 im Anhang des Assoziierungsabkommens EG-
Israel über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder
"Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen
(Protokoll Nr. 4) erhalten Ursprungserzeugnisse im Sinne dieses Protokolls bei der
Einfuhr in eine Vertragspartei die Begünstigungen des Abkommens, sofern entweder eine
Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 vorgelegt wird oder vom Ausführer eine Erklärung
über die Ursprungseigenschaft der Waren auf der Rechnung gemäß Art. 22 Protokoll Nr. 4
abgegeben wird.
13 Im Streitfall sind für die von der Klägerin für die Einfuhrwaren beantragte Zollpräferenz
solche Erklärungen auf den Rechnungen des Lieferanten und Ausführers vorgelegt
worden. Diese Erklärungen sind allerdings unzutreffend und somit ungültig. Das HZA hat
daher die Gewährung der begehrten Präferenz zu Recht versagt.
14 Nach Art. 22 Abs. 2 Protokoll Nr. 4 kann vom Ausführer eine Erklärung auf der Rechnung
ausgefertigt werden, wenn die Erzeugnisse als Ursprungserzeugnisse einer
Vertragspartei angesehen werden können und die übrigen Bedingungen dieses
Protokolls erfüllt sind. Im Streitfall können die Ausfuhrwaren, für die Erklärungen auf den
Rechnungen abgegeben worden sind, jedoch nicht als Ursprungserzeugnisse Israels
angesehen werden. Die Erklärungen auf den Rechnungen sind daher zu Unrecht
abgegeben worden.
15 Ursprungserzeugnisse Israels sind nach Art. 2 Nr. 2 Protokoll Nr. 4 Erzeugnisse, die i.S.
des Art. 4 Protokoll Nr. 4 vollständig in Israel gewonnen oder hergestellt oder --falls dort
nicht vollständig gewonnen oder hergestellt-- i.S. des Art. 5 Protokoll Nr. 4 in
ausreichendem Maße in Israel be- oder verarbeitet worden sind. Diese Bedingungen für
den Erwerb der Ursprungseigenschaft müssen nach Art. 11 Satz 1 Protokoll Nr. 4 ohne
Unterbrechung in Israel erfüllt werden. Die Waren des Streitfalls sind nach den
Feststellungen des FG jedoch vollständig im Westjordanland und somit nicht in Israel
hergestellt worden.
16 Wie der EuGH mit Urteil in Slg. 2010, I-1289, ZfZ 2010, 104 entschieden hat, ist das
Assoziierungsabkommen EG-Israel dahin auszulegen, dass das Gebiet des Staates
Israel, für den das Abkommen nach seinem Art. 83 gilt, die von Israel besetzten Gebiete
des Westjordanlands nicht erfasst (Rz 53 des Urteils). Danach besteht kein Zweifel, dass
das Protokoll Nr. 4 für im Westjordanland hergestellte Erzeugnisse die Ausstellung den
Ursprung "Israel" bestätigender Ursprungszeugnisse nicht erlaubt.
17 Anders als die Revision meint, gebieten die zwischen Israel und der PLO getroffenen
bilateralen Abkommen keine andere Auslegung. Auch wenn das Vorbringen der Revision
zutreffen sollte, nach diesen Abkommen liege in dem betreffenden Gebiet des
Westjordanlands die Zuständigkeit für den Im- und Exportbereich allein bei den
israelischen Zollbehörden, die damit von der PLO auch ermächtigt worden seien,
Ursprungszeugnisse für in diesem Gebiet hergestellte Waren auszustellen, sind
gleichwohl für die im Streitfall zu entscheidende Frage der Gültigkeit von
Präferenzbescheinigungen allein das Assoziierungsabkommen EG-Israel sowie das
Assoziierungsabkommen EG-PLO maßgebend, die nach vorgenannter Entscheidung des
EuGH dahin auszulegen sind, dass Bescheinigungen, die von anderen Behörden
ausgestellt wurden als den namentlich in den betreffenden Assoziierungsabkommen
bezeichneten, nicht als gültig anerkannt werden können (Rz 57 des Urteils). Es verstieße
gegen den vom EuGH in seinem Urteil in Slg. 2010, I-1289, ZfZ 2010, 104
hervorgehobenen Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen, wollte man das
Assoziierungsabkommen EG-Israel und die dort beschriebenen Voraussetzungen einer
Präferenzbehandlung für Einfuhrwaren unter Berücksichtigung bilateraler Abkommen
zwischen Israel und der PLO auslegen. Die Europäische Union wäre dann wegen eines
zwischen anderen Vertragsparteien getroffenen Abkommens verpflichtet, bei beantragter
Präferenzbehandlung für im Westjordanland hergestellte Erzeugnisse andere
Ursprungszeugnisse anzuerkennen, als es die Assoziierungsabkommen EG-Israel bzw.
EG-PLO vorsehen.
18 Um dem Einwand der Revision bezüglich der im Westjordanland fehlenden Zuständigkeit
palästinensischer Zollbehörden folgen zu können, müssten sich im
Assoziierungsabkommen
EG-PLO
Regelungen finden lassen, die es der PLO gestatten,
ihre nach dem Abkommen bestehenden präferenzrechtlichen Zuständigkeiten für die
Ausstellung von Ursprungszeugnissen israelischen Zollbehörden zu übertragen.
Derartige Regelungen existieren indes nicht. Nach Art. 16 Abs. 4 des Protokolls Nr. 3 im
Anhang des Assoziierungsabkommens EG-PLO über die Bestimmung des Begriffs
"Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der
Zusammenarbeit der Verwaltungen (Protokoll Nr. 3) sind es vielmehr allein die
Zollbehörden des Westjordanlands und des Gaza-Streifens, die
Ursprungsbescheinigungen für Ursprungserzeugnisse dieser Gebiete ausstellen.
Dementsprechend hat der EuGH mit Urteil in Slg. 2010, I-1289, ZfZ 2010, 104 (Rz 51)
ausgeführt, die Zollbehörden des Ausfuhrstaats im Sinne der Ursprungsprotokolle
verfügten im Rahmen des räumlichen Geltungsbereichs der Assoziierungsabkommen
über eine ausschließliche Zuständigkeit zur Ausstellung von Ursprungszeugnissen bzw.
zur Ermächtigung der Ausführer, Ursprungserklärungen auf der Rechnung auszufertigen.
19 Um im Streitfall der Klägerin die Zollpräferenz gewähren zu können, müsste es der PLO
nach dem Assoziierungsabkommen EG-PLO darüber hinaus erlaubt sein, den
israelischen Zollbehörden die Befugnis zur Ausstellung von Bescheinigungen des
Ursprungs "Israel" für Ursprungserzeugnisse des Westjordanlands und des Gaza-
Streifens zu übertragen, womit sie gleichsam berechtigt wären, dieses Ursprungsgebiet
dem Gebiet des Staates Israel zuzuschlagen. Dass eine solche Annahme fernliegt, bedarf
keiner weiteren Begründung.
20 Es ist nach alledem nicht zu klären, ob die --von Seiten der Revision hinsichtlich der sog.
Zone C des Westjordanlands bezweifelten-- Angaben des Generalanwalts zutreffen, es
gebe nach den zwischen Israel und der PLO getroffenen Abkommen auch durchaus
palästinensische Behörden, die zollbehördliche Befugnisse hätten und diese auch
ausübten (Slg. 2010, I-1289, Rz 126 ff.). Denn wollte man mit der Revision annehmen,
nach den israelisch-palästinensischen Abkommen übten allein die israelischen
Zollbehörden in diesem Gebiet zollrechtliche Befugnisse aus und seien deshalb zur
Ausstellung von Ursprungszeugnissen berechtigt, so sind sie jedenfalls weder nach dem
Assoziierungsabkommen EG-Israel noch nach dem Assoziierungsabkommen EG-PLO
berechtigt, für in diesem Gebiet des Westjordanlands hergestellte Erzeugnisse den
Ursprung "Israel" zu bescheinigen, noch ist ein Ausführer berechtigt, entsprechende
Erklärungen auf der Rechnung abzugeben. Daran ändert auch der Hinweis der Revision
nichts, es handele sich bei dem Ausführer des Streitfalls um ein israelisches
Unternehmen. Die Ursprungseigenschaft einer Ware wird nicht durch die
Staatszugehörigkeit ihres Herstellers, sondern allein durch den geografischen Ort ihrer
Herstellung begründet.
21 Aus den vorgenannten Gründen sowie im Hinblick auf die Ausführungen des
Generalanwalts in seinen Schlussanträgen vom 29. Oktober 2009 (Slg. 2010, I-1289,
Rz 38 ff.) spricht nichts für die Vermutung der Revision, der EuGH habe die bilateralen
Abkommen zwischen Israel und der PLO unberücksichtigt gelassen, weil diese nicht
Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des FG gewesen seien, und er werde
bei einer erneuten Vorlage die Zuständigkeit israelischer Behörden zur Ausstellung von
Ursprungszeugnissen für Waren aus dem Westjordanland möglicherweise bejahen. Der
erkennende Senat sieht daher keinen Anlass, die im Streitfall maßgebenden Fragen zur
Auslegung der Assoziierungsabkommen EG-Israel und EG-PLO dem EuGH erneut zur
Vorabentscheidung vorzulegen.
22 2. Anders als die Revision meint, lässt sich die Bescheinigung des israelischen
Ursprungs im Westjordanland hergestellter Erzeugnisse auch nicht nach
Völkergewohnheitsrecht rechtfertigen.
23 Die im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (Wiener
Übereinkommen) wiedergegebenen Regeln des Völkergewohnheitsrechts binden zwar
die Organe der Union, sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH-Urteile in Slg.
2010, I-1289, ZfZ 2010, 104, Rz 42; vom 21. Dezember 2011 C-366/10 --Air Transport
Association of America u.a.--, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2012, 226, Rz 101;
vom 22. November 2012 C-410/11 --Espada Sánchez u.a.--, Europäisches Wirtschafts-
und Steuerrecht 2012, 540, Rz 21) und daher zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge
heranzuziehen (EuGH-Urteil vom 19. November 2009 C-118/07 --Kommission/Finnland--,
Slg. 2009, I-10889, Rz 39). Bezogen auf die im Streitfall erforderliche Auslegung des den
räumlichen Geltungsbereich des Abkommens bezeichnenden Art. 83 des
Assoziierungsabkommens EG-Israel müsste es aber, um der Ansicht der Revision folgen
zu können, einen auf allgemeiner Übung und übereinstimmender Rechtsüberzeugung der
Staatengemeinschaft beruhenden Grundsatz geben, dem zufolge zum "Gebiet des
Staates Israel" auch die von Israel besetzten Gebiete gehören. Dass es einen solchen
völkerrechtlichen Grundsatz gibt, ist jedoch weder ersichtlich noch wird solches von der
Revision behauptet.
24 Die Revision macht lediglich geltend, bei Einfuhren aus Israel bezogener Waren in das
Zollgebiet der Union seien in der Vergangenheit über einen langen Zeitraum hinweg den
Ursprung "Israel" bescheinigende Ursprungszeugnisse auch dann unbeanstandet
geblieben, wenn es sich um in den besetzten Gebieten hergestellte Erzeugnisse
gehandelt habe. Auch wenn dies zuträfe, ließe sich daraus zum einen kein Grundsatz des
Völkergewohnheitsrechts herleiten, die besetzten Gebiete seien als zum Gebiet des
Staates Israel gehörig anzusehen. Zum anderen könnte von einer entsprechenden
Rechtsauffassung in der Europäischen Union (sollte sie überhaupt bestanden haben)
jedenfalls nicht mehr nach dem Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens EG-PLO im
Jahr 1997 ausgegangen werden, welches spezielle Zollpräferenzen für
Ursprungserzeugnisse aus den besetzten Gebieten vorsieht.
25 Jedenfalls lässt sich die Auffassung der Revision, die versagte Anerkennung israelischer
Ursprungsnachweise für Waren aus dem Westjordanland verletze
Völkergewohnheitsrecht, nicht mit der Vorabentscheidung des EuGH vereinbaren. Da der
EuGH sein Urteil in Slg. 2010, I-1289, ZfZ 2010, 104, Rz 40 ff. auf das Wiener
Übereinkommen, das die Regeln des Völkergewohnheitsrechts wiedergibt, gestützt hat,
besteht auch kein Grund für die Vermutung der Revision, der EuGH habe bei seiner
Vorabentscheidung das Völkergewohnheitsrecht unberücksichtigt gelassen, weil ihm
dieser rechtliche Gesichtspunkt nicht vorgetragen worden sei.
26 Aus der behaupteten früheren Praxis, israelische Ursprungsnachweise auch für aus dem
Westjordanland stammende Waren anzuerkennen (zu der das FG-Urteil keine
Feststellungen enthält) kann die Klägerin auch kein berechtigtes Vertrauen auf eine den
Waren des Streitfalls ebenfalls zu gewährende Präferenzbehandlung herleiten. Im
Zeitpunkt der hier streitigen Einfuhren war im Amtsblatt (ABlEG 2001, Nr. C 328/6) bereits
ein Hinweis der Kommission auf Zweifel an in Israel ausgestellten Ursprungsnachweisen
veröffentlicht worden (Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 5 ZK).
27 3. Obwohl die israelische Zollverwaltung auf den Antrag auf nachträgliche Prüfung
erwiderte, die Waren seien präferenzberechtigt im Sinne des Assoziierungsabkommens
EG-Israel, durfte das HZA die Erklärungen auf den Rechnungen des Ausführers als
ungültig ansehen und die Präferenzgewährung versagen. Wie der EuGH wiederholt
entschieden hat, beruht zwar das in den Präferenzabkommen vorgesehene System der
Zusammenarbeit der Verwaltungen auf einer Verteilung der Aufgaben sowie auf einem
gegenseitigen Vertrauen zwischen den Behörden der Einfuhr- und der Ausfuhrstaaten,
weshalb die dem Ausfuhrland obliegende Beurteilung der Gültigkeit ausgestellter
Ursprungsnachweise von den Behörden des Einfuhrlands anzuerkennen ist (vgl. EuGH-
Urteile vom 9. Februar 2006 C-23 bis 25/04 --Sfakianakis-- Slg. 2006, I-1265, ZfZ 2006,
154; vom 15. Dezember 2011 C-409/10 --Afasia Knits Deutschland--, ZfZ 2012, 79;
ebenso in Slg. 2010, I-1289, ZfZ 2010, 104, Rz 60 ff.). Vorliegend geht es jedoch nicht um
die Klärung der Frage, ob aus dem Ausfuhrland bezogene Waren in tatsächlicher Hinsicht
die Voraussetzungen des Abkommens erfüllen, um sie als Ursprungserzeugnisse des
Ausfuhrlands ansehen zu können, sondern um die rechtliche Frage, ob die (unstreitige)
Herstellung der Waren an einem bestimmten Ort im Westjordanland ihnen israelischen
Ursprung im Sinne des Assoziierungsabkommens EG-Israel verleiht, m.a.W. um die
Auslegung des Assoziierungsabkommens hinsichtlich seines räumlichen
Geltungsbereichs. Rechtliche Fragen dieser Art sind nicht im Rahmen einer
nachträglichen Prüfung der Ursprungsnachweise gemäß Art. 32 Protokoll Nr. 4 durch die
Zollbehörden des Ausfuhrlands oder gemäß Art. 33 Unterabs. 1 Protokoll Nr. 4 vom
Ausschuss für die Zusammenarbeit im Zollwesen zu beantworten (vgl. EuGH-Urteil in Slg.
2010, I-1289, ZfZ 2010, 104, Rz 64, 69, 70). Sie können gemäß Art. 75 Abs. 1 des
Assoziierungsabkommens EG-Israel dem Assoziationsrat vorgelegt werden. Geschieht
dies nicht, ist die Zollbehörde des Einfuhrlands allerdings nicht gehindert, die Rechtsfrage
in eigener Zuständigkeit zu beantworten und die Gewährung der Präferenz zu versagen
(EuGH-Urteil in Slg. 2010, I-1289, ZfZ 2010, 104, Rz 69, 72).
28 Bestünden Zweifel, an welchem geografischen Ort die Waren des Streitfalls hergestellt
wurden (was anfangs der Grund für den Antrag auf nachträgliche Prüfung gewesen sein
mag), wäre zwar die seitens der israelischen Zollverwaltung unterlassene Ortsangabe
gemäß Art. 32 Abs. 6 Protokoll Nr. 4 ein Grund für das HZA, die Präferenzbehandlung
abzulehnen. Da jedoch die Herstellung der Waren im Westjordanland feststeht, kommt es
auf diese Vorschrift nicht an.
29 4. Das Protokoll Nr. 3 zum Assoziierungsabkommen EG-PLO sieht zwar für
Ursprungserzeugnisse des Westjordanlands und des Gaza-Streifens ebenfalls dem
Assoziierungsabkommen EG-Israel entsprechende Begünstigungen bei der Einfuhr in die
Union vor. Trotzdem kann --wie der EuGH mit Urteil in Slg. 2010, I-1289, ZfZ 2010, 104
entschieden hat-- bei der Frage der Präferenzbehandlung keine Wahlfeststellung
getroffen und offengelassen werden, welches Abkommen anzuwenden ist. Für eine
Präferenzbehandlung der Waren des Streitfalls nach dem Assoziierungsabkommen EG-
PLO fehlt es --wie das FG zu Recht entschieden hat-- an den Vorschriften des Protokolls
Nr. 3 zu diesem Assoziierungsabkommen entsprechenden Ursprungsnachweisen.
30 5. Die für die Einfuhren der Klägerin beantragte Präferenzbehandlung ist auch nicht
wegen "außergewöhnlicher Umstände" zu gewähren. Der insoweit von der Klägerin (und
auch vom FG) herangezogene Art. 32 Abs. 6 Protokoll Nr. 4 zum
Assoziierungsabkommen EG-Israel begründet den Anspruch der Klägerin nicht.
31 Der letzte Halbsatz dieser Vorschrift "... es sei denn, es liegen Fälle höherer Gewalt oder
außergewöhnliche Umstände vor" bezieht sich auf die aus dem vorangegangenen
Satzteil ergebende Rechtsfolge für die Zollbehörden des Einfuhrlands, die Gewährung
der Präferenzbehandlung abzulehnen, wenn sie auf ihren Antrag auf nachträgliche
Prüfung von Ursprungsnachweisen keine Antwort von den Zollbehörden des
Ausfuhrlands oder keine ausreichenden Angaben zur Feststellung der
Ursprungseigenschaft erhalten haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu anderen
Präferenzabkommen sind die Zollbehörden des Einfuhrlands in Fällen, in denen die
Zollbehörden des Ausfuhrlands zur nachträglichen Überprüfung nicht in der Lage sind,
berechtigt, andere Beweise für den Ursprung der Ware als die im Präferenzabkommen
vorgesehenen Ursprungsnachweise zu berücksichtigen (EuGH-Urteil vom 7. Dezember
1993 C-12/92 --Huygen u.a.--, Slg. 1993, I-6381). Lässt sich damit die
Ursprungseigenschaft der Ware zweifelsfrei feststellen, kann sich der Importeur
hinsichtlich der fehlenden formellen Ursprungsnachweise ggf. auf höhere Gewalt berufen,
wenn er sich ganz außergewöhnlichen Umständen gegenübersieht, auf die er keinen
Einfluss hat und deren Folgen unvermeidbar und unausweichlich sind und ihm die
Einhaltung seiner Verpflichtungen objektiv unmöglich machen (EuGH-Urteile in Slg.
1993, I-6381; vom 23. Februar 1995 C-334/93 --Bonapharma--, Slg. 1995, I-319).
32 Auf diese Grundsätze kann sich die Klägerin im Streitfall nicht berufen, weil die
vorgenannten EuGH-Urteile Fälle betreffen, in denen der Einführer zunächst gutgläubig
Ursprungsnachweise vorgelegt hatte, die nachträglich für ungültig erklärt wurden, und ihm
die nachträgliche Beschaffung gültiger Nachweise objektiv unmöglich gemacht wurde.
Der Streitfall liegt hingegen anders, da die Klägerin nicht als gutgläubig angesehen
werden kann, weil ihr die Herkunft der Einfuhrwaren aus dem Westjordanland bekannt
war und die Importeure aus Israel bezogener Waren bereits im Jahr 2001 durch einen im
Amtsblatt veröffentlichten Hinweis darüber unterrichtet worden waren, dass Israel
Ursprungsnachweise für Waren ausstelle, die nicht unter die Präferenzregelung fielen,
weil sie aus Gebieten stammten, die seit 1967 unter israelischer Verwaltung stünden.
Wirtschaftsbeteiligte, die Ursprungsnachweise vorlegten, um für Waren mit Ursprung (u.a.)
im Westjordanland eine Präferenzbehandlung zu erwirken, hätten alle erforderlichen
Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, weil aus der Überführung der Waren in den
zollrechtlich freien Verkehr eine Zollschuld entstehen könne (Hinweis an die Einführer -
Einfuhren aus Israel in die Gemeinschaft, 2001/C 328/04, ABlEG 2001, Nr. C 328/6).
33 Es kann daher nicht davon gesprochen werden, dass der Klägerin die Einhaltung ihrer
aus den Präferenzvorschriften folgenden Pflicht, für die Inanspruchnahme einer
Präferenzbehandlung gültige Ursprungsnachweise vorzulegen, objektiv unmöglich war.
Ihr trotz des im Amtsblatt bekannt gemachten Hinweises die beantragte
Präferenzbehandlung mit der Begründung zu gewähren, für die im Westjordanland
hergestellten Erzeugnisse könne der Ausführer von den palästinensischen Behörden
keinen Ursprungsnachweis erhalten --wie es die Revision verlangt--, widerspräche der
Regelung in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 5 ZK, welche die für den
Vertrauensschutz erforderliche Gutgläubigkeit ausschließt, wenn im Amtsblatt auf
begründete Zweifel an der ordnungsgemäßen Anwendung der Präferenzregelung durch
das begünstigte Land hingewiesen worden ist.