Urteil des BFH vom 18.11.2009
Keine Grundsteuerbefreiung für eine sich selbst überlassene Waldfläche --aussetzender Forstbetrieb-- - Entscheidung über Grundsteuerbefreiung im Grundsteuermessbetragsverfahren
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.11.2009, II R 30/08
Keine Grundsteuerbefreiung für eine sich selbst überlassene Waldfläche --aussetzender Forstbetrieb-- - Entscheidung über
Grundsteuerbefreiung im Grundsteuermessbetragsverfahren
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) verfolgt als eingetragener Verein gemeinnützige Zwecke im Naturschutz. Er
erwarb bis dahin land- oder forstwirtschaftlich genutzte Flächen, um diese sich selbst zu überlassen.
2 Für die aus landwirtschaftlich genutzten Flächen von 0,8921 ha bestehende Nutzungseinheit war gegen ihn im Wege
der Nachveranlagung auf den 1. Januar 1995 ein Grundsteuermessbescheid ergangen, mit dem der Messbetrag bei
einem Ersatzwirtschaftswert von 1.500 DM auf 9 DM festgesetzt worden war.
3 Unter dem Datum des 10. Mai 2001 übersandte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) dem
Kläger eine "Mitteilung über Neuveranlagungsberechnung", mit der er ihn darüber unterrichtete, dass trotz der
Veränderung im Grundstücksbestand der Nutzungseinheit --Zugang von zwei Waldflächen im Gesamtumfang von
8,7546 ha; Abgang bei den landwirtschaftlich genutzten Flächen von 0,4641 ha-- und eines sich daraus ergebenden
Ersatzwirtschaftswerts von 1.800 DM für die Gesamtfläche von (8,7546 + 0,4280 =) 9,1826 ha eine Neuveranlagung auf
den 1. Januar 2000 nicht in Betracht komme, da die Wertgrenzen des § 22 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht
überschritten seien. Auf diese Mitteilung reagierte der Kläger mit einem als "Widerspruch" bezeichneten Schreiben, mit
dem er verlangte, ihm Grundsteuerbefreiung zu gewähren, da er die Grundstücke nicht nutze, sondern sich selbst
überlasse (natürliche Sukzession).
4 Das FA behandelte dieses Schreiben als Einspruch, den es sodann als unbegründet zurückwies. Dagegen erhob der
Kläger Klage mit dem Begehren, das FA zu verpflichten, bei einem Ersatzwirtschaftswert von 0 DM den
Grundsteuermessbetrag auf den 1. Januar 2000 auf 0 DM festzusetzen, hilfsweise den Ersatzwirtschaftswert sowie den
Grundsteuermessbetrag unter der Annahme zu berechnen, dass die streitgegenständlichen Flächen Geringst- oder
Unland seien.
5 Das Finanzgericht (FG) hielt die Mitteilung vom 10. Mai 2001 nicht für einen Verwaltungsakt, sah aber in dem Einspruch
des Klägers einen Antrag auf Neufestsetzung des Grundsteuermessbetrags auf den 1. Januar 2000, der spätestens mit
der Einspruchsentscheidung abgelehnt worden sei. Davon ausgehend hielt es die Klage für zulässig und insofern für
teilweise begründet, als die ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen seiner Ansicht nach gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 Buchst. b des Grundsteuergesetzes (GrStG) von der Grundsteuer befreit seien. Diese Flächen würden für den
steuerbegünstigten Zweck des Naturschutzes benutzt, ohne gleichzeitig landwirtschaftlich genutzt zu werden, sodass §
6 GrStG nicht einschlägig sei. Anders sei die Rechtslage bei den Waldflächen. Bezüglich dieser Flächen dauere die
forstwirtschaftliche Nutzung nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Mai 2000 IV R
28/98 (BFH/NV 2000, 1455) über den Eigentumserwerb durch den Kläger hinaus fort. Bei einem sogenannten
aussetzenden Forstbetrieb verkörpere nämlich allein der natürlich wachsende Baumbestand bereits den Betrieb.
6 Die Steuerbefreiung der landwirtschaftlich genutzten Flächen führte zu einer Ermäßigung des Ersatzwirtschaftswerts
auf 1.000 DM. Damit waren die Wertgrenzen für eine Neufestsetzung des Grundsteuermessbetrags auf den 1. Januar
2000 (Herabsetzung auf 6 DM) überschritten. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008,
1815 veröffentlicht.
7 Mit der Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Anwendung des § 6 GrStG sowie eine mangelnde Sachaufklärung
durch Übergehen eines Beweisangebots. Er, der Kläger, unterhalte keinen aussetzenden Forstbetrieb, da er die
erworbenen Waldflächen auf Dauer --d.h. unter Ausschluss jeder künftigen Holzernte-- sich selbst überlasse.
8 Der Kläger beantragt, das FA unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Ablehnungsverfügung in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2002 zu verpflichten, den Grundsteuermessbetrag für die streitbefangene
Nutzungseinheit --bestehend aus 0,4280 ha ehemals landwirtschaftlich genutzter Fläche und 8,7546 ha Waldfläche--
auf den 1. Januar 2000 bei einem Ersatzwirtschaftswert von 0 DM auf 0 DM festzusetzen.
9 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Recht eine Grundsteuerbefreiung für die streitbefangene Nutzungseinheit verneint.
11 1. Das FG hat zutreffend die Klage als zulässig angesehen. Dem Erfordernis des § 44 Abs. 1 FGO ist genügt. Die
Einspruchsentscheidung ist zu Recht als solche bezeichnet und stellt nicht etwa lediglich einen einfachen
Verwaltungsakt dar (vgl. zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen: Bartone in Beermann/Gosch, § 348 AO Rz 4). Sollte
die "Mitteilung" des FA vom 10. Mai 2001, wonach auf den 1. Januar 2000 keine Neuveranlagung durchzuführen sei,
noch keine Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des Steuerrechts dargestellt haben (§ 118 Satz 1 der
Abgabenordnung --AO--) und daher noch kein Verwaltungsakt gewesen sein, wären jedoch dem Schriftwechsel
zwischen dem Kläger und dem FA in der Zeit vom 10. Mai 2001 bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung sowohl
ein Antrag auf Neuveranlagung auf den 1. Januar 2000 als auch dessen Ablehnung durch die Behörde und ein
Einspruch des Klägers zu entnehmen. Der Antrag läge dann in dem als Widerspruch bezeichneten Schreiben, die
Ablehnung entweder in dem Schriftsatz des FA vom 16. Juli 2001 oder in dem vom 19. September 2001 und der
Einspruch in dem Schriftsatz des Klägers vom 12. Oktober 2001. Der Einspruch wäre auf jeden Fall fristgemäß
eingelegt, da weder der Schriftsatz vom 16. Juli 2001 noch derjenige vom 19. September 2001 eine
Rechtsbehelfsbelehrung enthielt (§ 356 Abs. 2 Satz 1 AO).
12 2. Gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 BewG werden im Beitrittsgebiet für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft (mit
Ausnahme der Wohngebäude und des zu diesen Gebäuden gehörenden Grund und Bodens) anstelle der
Einheitswerte und damit abweichend von § 19 Abs. 1 BewG Ersatzwirtschaftswerte ermittelt und ab 1. Januar 1991 der
Besteuerung zugrunde gelegt. Diese Ersatzwirtschaftswerte sind gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 BewG für sogenannte
Nutzungseinheiten zu ermitteln, in die alle von derselben Person (Nutzer) regelmäßig selbst genutzten
Wirtschaftsgüter des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens i.S. des § 33 Abs. 2 BewG einbezogen werden, und
zwar auch dann, wenn der Nutzer nicht Eigentümer ist. Gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 BewG gelten die
Ersatzwirtschaftswerte für die Grundsteuer und sind als unselbständige Besteuerungsgrundlagen im
Grundsteuermessbetragsverfahren zu ermitteln. Wird wegen Änderung des Ersatzwirtschaftswerts eine
Neuveranlagung des Grundsteuermessbetrages erforderlich, gelten nach § 126 Abs. 1 Satz 2 BewG sinngemäß die
Fortschreibungsgrenzen des § 22 Abs. 1 BewG. Diese Grenzen sind vorliegend überschritten.
13 3. Mangels einer gesonderten Feststellung der Ersatzwirtschaftswerte ist über das Vorliegen eines der
Befreiungstatbestände der §§ 3 und 4 GrStG im Grundsteuermessbetragsverfahren zu entscheiden (vgl. dazu BFH-
Urteil vom 24. Juli 1985 II R 227/82, BFHE 144, 201, BStBl II 1986, 128).
14 a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG ist --soweit hier maßgebend-- Grundbesitz einer Körperschaft, die
nach Satzung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen
Zwecken dient, von der Grundsteuer befreit. Wird ein solchermaßen gemeinnützigen Zwecken dienender Grundbesitz
zugleich land- und forstwirtschaftlich genutzt, gilt jedoch gemäß § 6 GrStG die Befreiung nur, wenn weitere
Voraussetzungen erfüllt sind. Scheidet deren Erfüllung --wie hier-- von vornherein aus, ist entscheidend, ob
tatsächlich eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung vorliegt. Anders als gemäß § 33 Abs. 1 BewG, nach dem auch
dann auf die Zweckbestimmung zur land- und forstwirtschaftlichen Nutzung abzustellen ist, wenn das Grundstück auf
bestimmte oder unbestimmte Zeit nicht bewirtschaftet wird (vgl. dazu BFH-Urteil vom 9. April 2008 II R 24/06, BFHE
220, 508, BStBl II 2008, 951), muss im Anwendungsbereich des § 6 GrStG eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung
tatsächlich vorliegen (so BFH-Urteil vom 16. Oktober 1996 II R 17/96, BFHE 181, 515, BStBl II 1997, 228, sowie Urteil
des FG Düsseldorf vom 1. September 2005 11 K 5169/02 Gr, BG, EFG 2006, 528, 529; vgl. auch Erlass des
Niedersächsischen Finanzministeriums vom 16. März 1981 - G 1102 - 18 - 34, Der Betrieb 1981, 1164; dagegen
widersprüchlich: Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2006, § 6 Rz 2).
15 b) Unter Land- und Forstwirtschaft versteht man die planmäßige und nachhaltige Ausnutzung der natürlichen Kräfte
des Grund und Bodens zur Gewinnung pflanzlicher oder tierischer Erzeugnisse sowie deren unmittelbare Verwertung
durch Verkauf und/ oder Selbstverbrauch (so BFH in BFHE 181, 515, BStBl II 1997, 228, unter II.2.b). Die
Forstwirtschaft weist jedoch Besonderheiten auf. Während nämlich bei der Landwirtschaft die planmäßige Nutzung
des Grund und Bodens durch Fruchtziehung in der Regel Jahr für Jahr der Jahreszeit entsprechende Arbeiten
erfordert und jedes Jahr Erträge erwirtschaftet werden können, liegen die Verhältnisse bei der Forstwirtschaft insofern
grundsätzlich anders, als zwischen der Aufforstung einer Waldfläche und der Holzernte je nach Umtriebszeit und
Holzart mehrere Jahrzehnte vergehen können (so BFH-Urteil vom 18. März 1976 IV R 52/72, BFHE 118, 441, BStBl II
1976, 482, 483). Insbesondere bei Waldungen, deren Bestände nur aus einer oder aus wenigen Altersklassen
bestehen --wie dies etwa für Bauernwaldungen typisch ist--, kann sich der Bogen von der Anpflanzung bis zur Ernte
über einen langen Zeitraum erstrecken, ohne dass zwischenzeitlich eine nachhaltige Bestandspflege oder ein
Holzeinschlag stattfindet (BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 1455, unter 2.c). Man spricht dann sowohl ertragsteuer- als
auch bewertungsrechtlich von einem aussetzenden Forstbetrieb. Er ist auch Forstbetrieb in der Hand eines
Eigentümers oder (im Anwendungsbereich des § 125 Abs. 2 BewG) eines Nutzers, der die Waldflächen in dieser Zeit
zwischen Aufforstung und Ernte erwirbt und wieder veräußert bzw. das Nutzungsrecht an diesen Waldungen erlangt
und wieder verliert, weil er bereits durch den natürlichen Baumwuchs schon in der Gegenwart etwa durch den
Veräußerungserlös an der künftigen Fruchtziehung partizipiert (BFH-Urteil in BFHE 118, 441, BStBl II 1976, 482, 484).
16 c) Die Rechtsprechung zum aussetzenden Forstbetrieb beruht auf der Annahme, auf den betroffenen Waldflächen
werde es in der Zukunft zu einer Holzernte kommen. Stünde zu dem maßgebenden Bewertungsstichtag aufgrund
objektiver Kriterien fest, dass eine Ernte des zu diesem Stichtag vorhandenen Baumbestandes künftig unterbleiben
wird, wäre dieser Annahme der Boden entzogen. Jedenfalls bei Grundstücken, die nicht rechtsförmlich als
Naturschutzgebiete ausgewiesen sind, macht aber die bloße Absicht desjenigen, der im Bewertungszeitpunkt
Eigentümer bzw. Nutzer der Waldflächen ist, die Ernte dieses Holzes künftig zu unterlassen, das Unterbleiben der
Ernte noch nicht zur feststehenden Tatsache. Das gilt auch dann, wenn es sich bei dem Eigentümer/Nutzer um eine
Körperschaft handelt, deren Satzung ausdrücklich eine künftige Holzernte untersagt. Vielmehr müssten in einem
derartigen Fall zusätzlich sowohl der Fortbestand der Körperschaft als auch deren Eigentümerstellung bzw.
Nutzungsberechtigung bis zum spätestmöglichen Zeitpunkt einer gedachten, aber satzungsgemäß zu unterlassenden
Holzernte gesichert sein. Daran fehlt es im Streitfall.
17 4. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung greift im Streitfall nicht durch. Unter der auch vom FG vertretenen Annahme
eines aussetzenden Forstbetriebs ist das Unterlassen jeglicher Bestandspflege nicht rechtserheblich. Infolgedessen
brauchte den dazu erfolgten Beweisanträgen nicht entsprochen zu werden.