Urteil des BFH vom 17.12.2009

BFH: Studiengebühren sind keine außergewöhnlichen Belastungen, Abzugsverbot begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, Studiengebühren kein atypischer Unterhaltsaufwand, eltern, unterbringung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.12.2009, VI R 63/08
Studiengebühren sind keine außergewöhnlichen Belastungen - Abzugsverbot begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken - Studiengebühren kein atypischer Unterhaltsaufwand
Leitsätze
1. Studiengebühren für den Besuch einer (privaten) Hochschule sind weder nach § 33a Abs. 2 EStG noch nach § 33 EStG als
außergewöhnliche Belastung abziehbar .
2. Das Abzugsverbot begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Vielmehr hat der Gesetzgeber dem
Ausbildungsbedarf von Kindern in § 32 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz EStG und § 33a Abs. 2 EStG --jedenfalls im Streitjahr--
ausreichend Rechnung getragen .
3. § 33a Abs. 2 EStG ist eine zusätzliche Ausbildungskomponente im Familienleistungsausgleich. Eine isolierte Betrachtung
der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift scheidet damit aus .
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob Eltern Studiengebühren für die Hochschulausbildung ihres Kindes als außergewöhnliche Belastung
abziehen können.
2 Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer
Einkommensteuererklärung für das Jahr 2004 machten sie die für das Studium des am 11. Juni 1982 geborenen
Sohnes an die Akademie ..., einer privaten Hochschule, entrichteten Studiengebühren in Höhe von 7.080 EUR
steuermindernd als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA-
-) anerkannte die Aufwendungen nicht, gewährte jedoch den Sonderbedarfsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 924 EUR.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach erfolglosem Vorverfahren mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte
(EFG) 2009, 128 veröffentlichten Gründen ab.
4 Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
5 Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Bremen vom 16. Juli 2008 4 K 205/06 (4) und die Einspruchsentscheidung vom 26. April 2006
aufzuheben und unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 2004 vom 22. November 2005 weitere
außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 7.080 EUR für das Jahr 2004 zu berücksichtigen, hilfsweise das Urteil des
FG Bremen vom 16. Juli 2008 4 K 205/06 (4) aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
6 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG
hat zu Recht entschieden, dass die von den Klägern aufgewendeten Gebühren für das Studium ihres Sohnes nicht als
außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind.
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1. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit, dass den Klägern der Sonderbedarfsfreibetrag nach § 33a
Abs. 2 Satz 1 EStG zusteht.
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a) Danach kann ein Steuerpflichtiger zur Abgeltung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindenden,
auswärtig untergebrachten, volljährigen Kindes einen Freibetrag in Höhe von 924 EUR je Kalenderjahr vom
Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass für dieses Kind ein Anspruch auf einen
Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder auf Kindergeld besteht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung
des Sonderbedarfsfreibetrags liegen im Streitfall unstreitig vor.
10 b) Mit § 33a Abs. 2 Satz 1 EStG ist der durch die auswärtige Unterbringung des Kindes entstandene Sonderbedarf
abgegolten (Görke in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 33a Rz 87; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33a Rz 282). Wegen der in § 33a Abs. 2 Satz 1 EStG ausdrücklich
angeordneten Abgeltungswirkung und der in § 33a Abs. 5 EStG geregelten Sperrwirkung können jedenfalls über den
Freibetrag hinausgehende Mehraufwendungen für eine auswärtige Unterbringung des Kindes von den Eltern weder
nach § 33a Abs. 2 EStG noch als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG abgezogen werden
(Blümich/Heger, § 33a EStG Rz 296; Pust in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 33a Rz 282).
11 c) Eine weitergehende Abgeltungswirkung vermag § 33a Abs. 2 EStG i.V.m. § 33a Abs. 5 EStG jedoch nicht zu
entfalten. Durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung (BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) ist § 33a Abs. 2 EStG
neu gefasst worden. Seither dient die Vorschrift, in der bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2001 ein
Ausbildungsfreibetrag für den Ausbildungsbedarf von Kindern geregelt war, nur noch dem Sonderbedarf des
auswärtig untergebrachten Kindes in Berufsausbildung (Pust in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 33a Rz 281). Den
allgemeinen Ausbildungsbedarf des volljährigen Kindes gilt die Vorschrift beginnend mit dem Veranlagungszeitraum
2002 nicht länger ab.
12 d) Gleichwohl können Eltern Aufwendungen für die Berufsausbildung ihrer Kinder nicht nach § 33 EStG in Abzug
bringen. Ausbildungsunterhalt i.S. von § 1610 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) --zu dem wie im Streitfall auch
Studiengebühren gehören können (vgl. Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 23. Dezember 2008 11 UF 519/08,
Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2009, 1153)-- ist kein atypischer
Unterhaltsaufwand. Von § 33 EStG werden jedoch nur solche Unterhaltskosten erfasst, die einem über den üblichen
Lebensunterhalt hinausgehenden besonderen und damit außergewöhnlichen Bedarf, beispielsweise einem
krankheitsbedingten Ausbildungsmehrbedarf (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Dezember 2004 III B
169/03, BFH/NV 2005, 699), dienen (Hufeld, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33a Rz B 1; Kanzler in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz 189). Typische (übliche) Unterhaltsaufwendungen sind lediglich nach §
33a Abs. 1 EStG --dessen Voraussetzungen hier unstreitig nicht vorliegen-- abziehbar (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juni
2008 III R 57/05, BFHE 222, 338, BStBl II 2009, 365).
13 2. Hat der Steuerpflichtige ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die keine Krankheitskosten sind, wird er in erster
Linie durch den Kinderfreibetrag bzw. das Kindergeld sowie seit dem Veranlagungszeitraum 2002 den
Sonderbedarfsfreibetrag (bis Veranlagungszeitraum 2001 durch den Ausbildungsfreibetrag) steuerlich entlastet. Die
typisierenden und pauschalierenden besonderen Regelungen im Rahmen des Familienleistungsausgleichs und des
§ 33a Abs. 2 EStG gelten alle durch den Unterhalt und die Ausbildung verursachten Belastungen ab und schließen
damit eine Berücksichtigung von zusätzlichen Kosten für den Unterhalt und die Ausbildung eines Kindes gemäß § 33
EStG grundsätzlich aus (vgl. Hufeld, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 33a Rz C 1; Blümich/Heger, § 33 EStG Rz
142; Görke in Frotscher, a.a.O., § 33 Rz 48; Schmidt/ Loschelder, EStG, 28. Aufl., § 33 Rz 3). Dies gilt selbst dann,
wenn die Aufwendungen im Einzelfall außergewöhnlich hoch sind und zwangsläufig entstehen (BFH-Beschluss in
BFH/NV 2005, 699).
14 3. Entgegen der Auffassung der Kläger begegnet dieser Umstand keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und das daraus
folgende Gebot horizontaler Steuergerechtigkeit vor.
15 a) Mit dem Zweiten Gesetz zur Familienförderung hat der Gesetzgeber den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91 (BVerfGE 99, 216) umgesetzt und
den Familienleistungsausgleich zum 1. Januar 2002 neu gestaltet. Seither wird der Erziehungsbedarf des Kindes
unabhängig vom Familienstand bei allen Eltern, die einen Kinderfreibetrag oder ein Kindergeld erhalten,
berücksichtigt. Hierzu hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 6 EStG neben dem Kinderfreibetrag in Höhe von 3.648 EUR
einen zusätzlichen (einheitlichen) Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung in Höhe von 2.160 EUR
geschaffen (§ 32 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz EStG). Damit hat er dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die
Bedarfsansprüche eines Kindes im Laufe dessen Berücksichtigungszeitraums verändern und der zunächst
überwiegende Betreuungsbedarf im Laufe der Zeit durch den Erziehungsbedarf und für ältere Kinder durch den
Ausbildungsbedarf überlagert bzw. abgelöst wird.
16 b) Bei Kindern in Ausbildung dient der Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung der Abdeckung des
allgemeinen Ausbildungsbedarfs (Jachmann, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 32 Rz A 91), zu dem der
erkennende Senat auch den Ausbildungsunterhalt i.S. von § 1610 BGB und damit gegebenenfalls auch
Studiengebühren zählt. Da sich der Gesetzgeber bei der Quantifizierung dieses einheitlichen Freibetrags an der Höhe
des bisherigen höchstmöglichen Ausbildungsfreibetrags (§ 33a Abs. 2 EStG a.F.) orientiert hat (BTDrucks 14/6160,
13), ist dadurch die bei den Eltern entstehende Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit durch ein Kind in
Ausbildung in genügender Höhe berücksichtigt (Jachmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rz A 91). Eine
weitergehende steuerliche Berücksichtigung des allgemeinen Ausbildungsbedarfs außerhalb des
Familienleistungsausgleichs ist damit --jedenfalls im Streitjahr-- nicht erforderlich (vgl. Jachmann, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rz A 91; Kanzler, Finanz-Rundschau 2001, 921 <938>).
17 c) Schließlich entscheidet der Gesetzgeber über die Verschonung der privaten Einkommensverwendung für
Ausbildungskosten in erweiterter Gestaltungsfreiheit (Hufeld, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 33a Rz A 102,
m.w.N). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Unterhaltsleistungen, die einem Kind eine berufliche Ausbildung mit einer
auswärtigen Unterbringung ermöglichen sollen, nicht zum (Familien-)Existenzminimum gehören, weil sie nicht der
Existenzsicherung im engeren Sinn, d.h. der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins, dienen (vgl. BVerfG-
Beschluss vom 12. Januar 2006 2 BvR 660/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 506, m.w.N.).
18 Das bedeutet allerdings nicht, dass die steuerliche Berücksichtigung solcher Belastungen vollständig in das
Ermessen des Gesetzgebers gestellt wäre. Die Eltern können sich ihnen nicht beliebig entziehen, wie das bei
anderen privaten Aufwendungen in der Regel der Fall ist. Im Gegenteil sind Eltern schon nach dem Unterhaltsrecht
des Bürgerlichen Gesetzbuchs weitgehend dazu verpflichtet, ihren Kindern zumindest eine Berufsausbildung zu
finanzieren, und außerdem bestehen insoweit sittliche Verpflichtungen, wie sie gerade auch im
Einkommensteuerrecht als Steuerminderungsgrund anerkannt werden (vgl. etwa § 33 EStG). Hinzu kommt, dass der
Wert der Investition mindestens ebenso der Allgemeinheit zugute kommt, in deren Interesse es liegt, dass möglichst
viele ihrer Mitglieder eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Aus diesem Grunde ist der Staat von Verfassungs wegen
verpflichtet, einen gewissen Anteil der Ausbildungskosten entweder unmittelbar zu übernehmen oder ihn doch
wenigstens bei der Besteuerung der Eltern als Minderung ihrer Leistungsfähigkeit anzuerkennen. Die Entscheidung
darüber, in welchem Umfang das zu geschehen hat, liegt jedoch grundsätzlich beim Gesetzgeber. Es kann
offenbleiben, bis zu welcher Untergrenze er sich dabei bewegen kann, ohne Verfassungsrecht zu verletzen. Wählt er
den Weg der einkommensteuerlichen Absetzbarkeit von Aufwendungen bei auswärtiger Unterbringung, so
unterschreitet er diese Grenze jedenfalls noch nicht, wenn er die Absetzbarkeit auf die Hälfte der üblicherweise
anfallenden Kosten begrenzt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Staat die Ausbildung durch die
Bereitstellung des öffentlichen Bildungswesens bereits fördert (BVerfG-Beschluss vom 26. Januar 1994 1 BvL 12/86,
BVerfGE 89, 346). Die Frage, ob § 33a Abs. 2 EStG den Sonderbedarf --zu dem Studiengebühren ohnehin nicht zu
zählen sind--, der aus einer auswärtigen Unterbringung erwächst, realitätsgerecht abbildet, stellt sich damit nicht. Eine
isolierte Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 33a Abs. 2 EStG scheidet deshalb aus (Hufeld, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33a Rz C 2; Urteil des Sächsischen FG vom 15. November 2007 4 K 17/05, EFG
2009, 836; Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 21. Juni 2007 4 K 2094/03, EFG 2008, 955; Schmidt/Loschelder, a.a.O.,
§ 33a Rz 54; vgl. auch Blümich/Heger, § 33a EStG Rz 48). Denn § 33a Abs. 2 EStG ist vielmehr als zusätzliche
Ausbildungskomponente im Familienleistungsausgleich zu beurteilen, die jedenfalls im Streitjahr
verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (vgl. II. 3. b).
19 Nach alldem konnte die Revision weder erfolgreich sein noch das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und
eine Entscheidung des BVerfG in dieser Sache eingeholt werden.