Urteil des BFH vom 04.08.1999
BFH (anspruch auf rechtliches gehör, kläger, rechtliches gehör, verhandlung, akten, grundstück, beratung, inhalt, kenntnis, erwerb)
BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 20.5.2009, VIII B 44/08
Zur Sachaufklärungspflicht des FG bei Vorgängen in der Klägersphäre
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Rechtsanwalt und Steuerberater,
ein bebautes Grundstück aus betrieblichen Gründen im Wege der Zwangsversteigerung erworben hat. Dieses
Grundstück gehörte einer seiner Mandantinnen, der er es erhalten wollte. Wegen Schwierigkeiten bei der Finanzierung
des in Aussicht genommenen Kaufpreises kam es nicht zu einem Rückerwerb durch die Mandantin oder Angehörige
ihrer Familie. Für die Jahre 1995 bis 1998 erklärte der Kläger Verluste aus Vermietung und Verpachtung aus diesem
Grundstück, das bis dahin keinen Eingang in seine betriebliche Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) gefunden hatte. Erst für das Streitjahr 1998 trug er vor, dass der Verlust aus der
Veräußerung des Objektes seinen freiberuflichen Einkünften zuzurechnen sei. Er habe seinerzeit die anwaltliche
Beratung der ehemaligen Eigentümerin übernommen und im wirtschaftlichen Interesse seiner Mandantin das Objekt
ersteigert als Teil eines Gesamtauftrages der Mandantin. Tätigkeiten dieser Art fielen grundsätzlich in den Bereich
anwaltlichen Wirkens.
2 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--), lehnte die steuerliche Berücksichtigung des
Veräußerungsverlustes im Rahmen der Einkünftefeststellung für die Einzelpraxis des Klägers ab. Einspruch und Klage
blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht begründet.
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Der Kläger macht die Verletzung des rechtlichen Gehörs, unrichtige beziehungsweise unvollständige richterliche
Hinweise, einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und unvollständige Sachverhaltsermittlung als
Verfahrensmängel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend. Die geltend gemachten
Mängel sind nicht feststellbar.
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1. Ein Verstoß des Finanzgerichts (FG) gegen die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) liegt ersichtlich
nicht vor. Das FG hat den Sachverhalt erschöpfend ausgewertet, ohne dabei gegen den klaren Inhalt der Akten zu
verstoßen. Es war nicht gehalten, solchen betrieblichen Gründen des Klägers für den Erwerb des Hauses seiner
Mandantin nachzuspüren und diese gegebenenfalls aufzudecken, die der fachkundige Kläger in einem insgesamt
mehrere Jahre währenden Verfahren selbst nicht vorgebracht hat.
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2. Dem Kläger war nicht das rechtliche Gehör versagt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst in erster Linie das
durch § 96 Abs. 2 FGO gewährleistete Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Ergehen einer Entscheidung zu den
entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Darüber hinaus haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in
rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des
Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen
(Gräber/Ruban, a.a.O., § 119, Rz 10a, m.w.N.). Aus den Akten des FG ist weder ersichtlich, dass der Kläger im Prozess
gehindert gewesen wäre, schriftsätzlich und in der mehrstündigen mündlichen Verhandlung alles aus seiner Sicht
Wesentliche vorzutragen, noch dass das Gericht Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in
Erwägung gezogen hätte.
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3. Auch ein Verstoß gegen Hinweispflichten des FG ist nicht zu verzeichnen. Der Senat nimmt auf die ständige
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) Bezug, nach der § 76 Abs. 2 FGO das FG nicht verpflichtet, die
Beteiligten zu eine Substantiierung ihres Sachvortrags zu veranlassen, wenn die rechtliche Bedeutung der
vorzutragenden Tatsachen für den Ausgang des Klageverfahrens auf der Hand liegt (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 4.
August 1999 VIII B 51/98, BFH/NV 2000, 204). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kläger fachkundig vertreten ist
(BFH- Beschluss vom 16. August 2007 VIII B 211/06, BFH/NV 2007, 2312, m.w.N.), darüber hinaus selbstverständlich
auch für einen sach- und fachkundigen Beteiligten, der sich selbst vertritt. Das nach Abschluss des finanzgerichtlichen
Verfahrens nunmehr vorgetragene Kaufmotiv der Sicherung zusätzlicher Mandate ist ein solcher auf der Hand
liegender sachlicher Gesichtspunkt, der dem Kläger jederzeit hätte präsent sein und dessen Darlegung sich ihm hätte
aufdrängen müssen.
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Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger vom FG bereits mit Schreiben vom 15. April 2003 gebeten wurde,
die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben, dass aber der nunmehr nach
Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens erfolgte Sachvortrag nicht Gegenstand der daraufhin erfolgten
Klagebegründung war, und dass zudem der Kläger nichts auf die Stellungnahme des FA erwidert hat, wonach bei
dem "vergleichsweise kleinen Mandat" der Kläger das Risiko der Ersteigerung des Grundstücks im eigenen Namen
und für eigene Rechnung im Bereich originärer anwaltlicher Tätigkeit nicht eingegangen wäre.
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Soweit der Kläger geltend macht, er hätte seinen Sachvortrag ergänzt, wenn das FG seine bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung erteilten richterlichen Hinweise korrigiert beziehungsweise ergänzt hätte, ist angesichts des
Verfahrensverlaufs nicht ersichtlich, dass das Unterbleiben eines ergänzenden Sachvortrags auf ein irreführendes
Verhalten des Gerichts zurückzuführen wäre. Denn selbst wenn die behauptete Äußerung des Vorsitzenden Richters
in einem aus anderem Grunde geführten Telefonat mit dem Kläger wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung
gefallen sein sollte, wonach der Senat die "Absicht" habe, "die betriebliche Veranlassung im Zusammenhang mit dem
Erwerb des Grundstücks anzuerkennen", mochte der sachkundige Kläger daran zwar die Hoffnung auf einen
Klageerfolg knüpfen. Angesichts der noch ausstehenden mündlichen Verhandlung einschließlich der Durchführung
einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung und der abschließenden Beratung unter Einbeziehung der
ehrenamtlichen Richter musste ihm aber als einem prozesserfahrenen Beteiligten jedenfalls klar sein, dass das
Ergebnis des Klageverfahrens noch nicht feststehen konnte und es deshalb keinen objektiven Grund gab, die
Erfüllung der eigenen prozessualen Mitwirkungspflichten oder der Obliegenheiten bei der Verfolgung des eigenen
Anspruchs zu beschränken. Eine weitere Inaussichtstellung einer Klagestattgabe in der mündlichen Verhandlung
lässt sich dem umfangreichen Sachprotokoll nicht entnehmen. Im Übrigen wären auch daran keine weiteren
prozessrechtlichen Folgen geknüpft.
10 Der vorliegende Fall lässt sich nicht mit dem Sachverhalt vergleichen, der dem BFH-Urteil vom 11. November 2008 IX
R 14/07 (BFHE 223, 308, BStBl II 2009, 309) zu Grunde lag, in dem der IX. Senat einen Verstoß gegen die
Anforderung eines fairen Verfahrens wie auch des rechtlichen Gehörs darin gesehen hat, dass das FG im
Widerspruch zu seiner vorherigen eindeutigen und mit Gründen versehenen schriftlichen Äußerung die Klage im
schriftlichen Verfahren abgewiesen hat.