Urteil des BFH vom 01.02.2007

BFH (kläger, arbeitnehmer, anlass, mitarbeiter, höhe, arbeit, arbeitgeber, begriff, abteilung, indiz)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.6.2008, VI R 12/07
Sinngemäße Anwendung der Abzugsbeschränkung des § 4 EStG auf Werbungskosten von nichtselbständig Tätigen mit
variablen Bezügen
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (2004) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war als angestellter Abteilungsleiter tätig. Hierfür erhielt er ein festes
Bruttogehalt. Daneben erzielte er eine variable Vergütung, die nur bei erfolgreicher Arbeit der vom Kläger geleiteten
Abteilung ausgezahlt wurde. Der Anteil der variablen Bezüge am Bruttoarbeitslohn des Klägers betrug in den Jahren
2003 bis 2005 durchschnittlich rund 25 %. Der Kläger richtete am 9. Dezember 2004 eine Weihnachtsfeier aus, an der
ausschließlich 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seiner Abteilung teilnahmen.
2 In der Einkommensteuer-Erklärung für das Streitjahr machte der Kläger die Aufwendungen für die Bewirtung in Höhe
von 468 EUR als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend, die vom Beklagten
und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) nicht berücksichtigt wurden.
3 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 916 veröffentlichten
Gründen statt.
4 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
5 Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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Das FG hat zu Recht die Bewirtungsaufwendungen des Klägers als Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt.
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1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1
des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Hierzu können nach § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG
auch Bewirtungsaufwendungen eines Arbeitnehmers zählen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) liegen Werbungskosten dann vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen
ein Veranlassungszusammenhang besteht. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn die Aufwendungen
objektiv mit dem Beruf zusammenhängen und subjektiv zu dessen Förderung erbracht werden (z.B. BFH-Urteil vom 1.
Februar 2007 VI R 25/03, BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459, m.w.N.). Ob der Steuerpflichtige Aufwendungen aus
beruflichem Anlass erbringt oder ob es sich um Aufwendungen für die Lebensführung i.S. von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG
handelt, muss anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die in erster Linie dem FG als
Tatsacheninstanz obliegt, entschieden werden (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile in BFHE 216, 522, BStBl II
2007, 459; vom 12. April 2007 VI R 77/04, BFH/NV 2007, 1643; vom 24. Mai 2007 VI R 78/04, BFHE 218, 177, BStBl II
2007, 721, jeweils m.w.N.).
10 Für die Beurteilung, ob Aufwendungen für eine Feier beruflich oder privat veranlasst sind, ist nach ständiger
Rechtsprechung des BFH in erster Linie auf den Anlass der Feier abzustellen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 216, 522, BStBl
II 2007, 459, m.w.N.). Indes ist der Anlass einer Feier nur ein erhebliches Indiz, nicht aber das allein entscheidende
Kriterium für die Beurteilung der beruflichen oder privaten Veranlassung der Bewirtungsaufwendungen. Ein
gewichtiges Indiz für die Zuordnung von Aufwendungen zum beruflichen Bereich kann auch der Umstand bilden, dass
der Steuerpflichtige variable, vom Erfolg seiner Arbeit abhängige Entlohnung erhält (vgl. BFH-Urteile vom 18. Oktober
2007 VI R 43/04, BFH/NV 2008, 357, und in BFHE 218, 177, BStBl II 2007, 721). Denn in einem solchen Fall hat es ein
Arbeitnehmer in größerem Umfang selbst in der Hand, die Höhe seiner Bezüge zu beeinflussen. Ob eine Bewirtung
ausdrücklich als Belohnung für diejenigen Mitarbeiter in Aussicht gestellt wird, die sich nachweisbar durch besondere
Leistungen ausgezeichnet haben, ist dabei nicht entscheidend. Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich eine
solche Einschränkung des Werbungskostenabzugs auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des erkennenden
Senats (vgl. BFH-Urteil in BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459).
11 2. Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des FG, bei den streitbefangenen Aufwendungen handele es sich
dem Grunde nach um Werbungskosten, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat seine Würdigung, die
Bewirtungsaufwendungen des Klägers seien beruflich veranlasst, darauf gestützt, dass die Bewirtung nicht im
Zusammenhang mit einem persönlichen Ereignis gestanden und der Kläger (auch) variable Bezüge erzielt habe, die
zu einem nicht unwesentlichen Teil von den Leistungen seiner Mitarbeiter abhängig gewesen seien. Auf dieser
Grundlage ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einladung dazu gedient habe, die dem Kläger unterstellten
Mitarbeiter zu belohnen und anzuspornen. Diese Würdigung ist möglich. Sie verstößt weder gegen Denkgesetze noch
Erfahrungssätze, so dass der Senat hieran mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen gemäß § 118 Abs. 2
FGO gebunden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile in BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459; in BFH/NV 2007,
1643).
12 3. Das FG ist zu Recht auch davon ausgegangen, dass die Bewirtungsaufwendungen des Klägers der Höhe nach
unbegrenzt als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Denn die Bewirtung erfolgte im Streitfall zwar aus
beruflichem, nicht aber aus "geschäftlichem Anlass".
13 a) Nach der für Betriebsausgaben maßgeblichen Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG (in der im Streitjahr
geltenden Fassung) dürfen Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass den Gewinn
nicht mindern, soweit sie 70 vom Hundert der Aufwendungen übersteigen, die nach der allgemeinen
Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen und deren Höhe und betriebliche Veranlassung nachgewiesen sind.
14 Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 18. September 2007 I R 75/06, BFHE 219, 78, BStBl II 2008, 116,
und vom 19. August 1999 IV R 20/99, BFHE 190, 158, BStBl II 2000, 203) ist der Begriff des "geschäftlichen Anlasses"
nicht identisch mit demjenigen der "Veranlassung durch den Betrieb" (§ 4 Abs. 4 EStG) bzw. der "betrieblichen
Veranlassung", sondern ein spezifizierter Unterfall. Der BFH hat sich damit der Ansicht der Verwaltung und Literatur
(siehe hierzu BFH-Urteil in BFHE 219, 78, BStBl II 2008, 116, m.w.N.) angeschlossen, dass --entsprechend der schon
vor Inkrafttreten der Vorschrift durch das Steuerreformgesetz 1990 bestehenden Rechtslage-- nur die rein
betriebsinterne Arbeitnehmerbewirtung keiner Abzugsbeschränkung unterliegt (vgl. hierzu auch Schmidt/Heinicke,
EStG, 27. Aufl., § 4 Rz 542, m.w.N.); die Möglichkeit des unbeschränkten Abzugs über den Bereich der
Arbeitnehmerbewirtung hinaus besteht bei der jetzigen Rechtslage nicht.
15 b) Für die in § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG angeordnete sinngemäße Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG auf
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geht der erkennende Senat davon aus, dass der
Begriff des "geschäftlichen Anlasses" auch nicht mit dem in ständiger Rechtsprechung des BFH zur Definition der
Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) verwendeten Begriff der "beruflichen Veranlassung" identisch ist. Dies hat
für Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Folge, dass die Abzugsbeschränkung des §
4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG (auch) nicht greift, wenn ein Arbeitnehmer aus beruflichem Anlass Aufwendungen für die
Bewirtung von Arbeitskollegen trägt. Dies gilt insbesondere für solche Mitarbeiter, die ihm unterstellt sind und die
durch ihre Zu- und Mitarbeit Einfluss auf die Höhe der variablen Bezüge des Bewirtenden nehmen. Derartige
Umstände führen nach Auffassung des erkennenden Senats nicht dazu, dass bei sinngemäßer Anwendung des § 4
Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG die Bewirtung aus der Sicht des (leitenden) Arbeitnehmers "geschäftlich veranlasst" ist. Denn
ein solcher Arbeitnehmer verhält sich insoweit wie ein bewirtender Arbeitgeber. Ein Arbeitgeber will seine
Arbeitnehmer, die durch ihre Arbeitsleistung zum wirtschaftlichen Erfolg des Betriebs beitragen, durch eine Bewirtung
zu nachhaltiger und engagierter Mitarbeit motivieren. Nicht anders verhält sich ein Arbeitnehmer, der insbesondere
ihm untergeordnete, beim gleichen Arbeitgeber beschäftigte Arbeitnehmer bewirtet, um den wirtschaftlichen Erfolg der
von ihm geleiteten Abteilung zu sichern und damit jedenfalls mittelbar seine variablen Bezüge zu erhalten oder zu
steigern. Deshalb ist auch bei sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG auf Werbungskosten die
Abzugsbeschränkung auf die Bewirtung von Personen bezogen, die nicht Arbeitnehmer des gleichen Arbeitgebers
sind.
16 c) Nach diesen Maßstäben kommt die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG nicht
zum Tragen. Nach den Feststellungen des FG nahmen an der Weihnachtsfeier ausschließlich im gleichen Betrieb
tätige Mitarbeiter (Arbeitskollegen) des Klägers teil. Damit bestand für die Bewirtung nur ein beruflicher, nicht jedoch
ein "geschäftlicher Anlass".