Urteil des BFH vom 20.11.2012

Abgrenzung der Änderungsbefugnisse nach § 165 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO - Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Vorläufigkeit - Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks - Rechtmäßigkeit eines Bescheids

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.11.2012, IX R 7/11
Abgrenzung der Änderungsbefugnisse nach § 165 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO - Einwendungen gegen
die Rechtmäßigkeit der Vorläufigkeit - Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks - Rechtmäßigkeit
eines Bescheids
Leitsätze
1. Umfasst ein Vorläufigkeitsvermerk ungewisse Tatsachen, sind die Bescheide nach § 165 Abs. 2
Satz 2 AO zu ändern, sobald die Ungewissheit beseitigt ist. Dabei können auch für andere
Veranlagungszeiträume geklärte Tatsachen --erstmalig oder erneut-- (un)gewiss werden.
2. Nach § 165 Abs. 2 AO verwertbare Tatsachen müssen nicht neu sein, sondern (un)gewiss.
3. Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO sind nach Art und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit
wirksam gesteckten Rahmen zulässig.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein geschlossener Immobilienfonds, der
in den Streitjahren (2000 bis 2006) ein im Jahr 1990 fertig gestelltes Mehrfamilienhaus in B
vermietete.
2 Zur Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.S. von § 21 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) erstellte die Klägerin jährlich einen mit einer
gewerblichen Gewinnermittlung vergleichbaren Vermögensstatus. Das Gebäude setzte sie
nach § 14a Abs. 1 des Berlinförderungsgesetzes mit erhöhten Sätzen ab. Im Rahmen einer
im Jahr 1991 durchgeführten Betriebsprüfung (BP) verständigte sich die Klägerin mit dem
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) auf Absetzungen für Abnutzung (AfA)
in Höhe von jeweils 10 % der Herstellungskosten im Jahr der Fertigstellung und dem
darauffolgenden Jahr, jeweils 3 % in den folgenden zehn Jahren und anschließend ab dem
Jahr 2002 jährlich 2,5 %, bemessen auf den Restwert.
3 Noch im Jahr der Fertigstellung des Gebäudes (1990) erwarben die Beigeladenen zu 1 bis 4
von einem anderen Beteiligten jeweils Gesellschaftsanteile an der Klägerin. In Bezug auf die
den Beigeladenen entstandenen, über die anteiligen Buchwerte hinausgehenden
zusätzlichen Anschaffungskosten setzte die Klägerin in den Streitjahren --neben der
anteiligen AfA des Gebäudes-- zusätzliche AfA nach dem Berlinförderungsgesetz in Höhe
von 3 % jährlich an.
4 Mit Wirkung zum 1. Januar 1995 kaufte der Beigeladene zu 5 einen Gesellschaftsanteil von
nominal 30.000 DM von einem weiteren Beteiligten. Unter Erhöhung des Kaufpreises um die
anteilig übernommenen und um den Buchwert des Umlaufvermögens bereinigten
Verbindlichkeiten ermittelte die Klägerin Anschaffungskosten für diese Beteiligung in Höhe
von insgesamt 86.711 DM. Durch Abzug des anteiligen, auf den Grund und Boden
entfallenden Buchwerts laut Vermögensstatus der GbR errechnete sie daraus einen auf das
Gebäude entfallenden Anteil von 72.005 DM (= 83 %), den sie in den Streitjahren nach der
verbleibenden Restnutzungsdauer des Gebäudes mit jährlich 1.608 DM (= 2,23 %) absetzte.
Nach Verrechnung mit der anteilig auf den Beigeladenen zu 5 entfallenden AfA des
Gebäudes nach dem Berlinförderungsgesetz ergaben sich für ihn Minder-AfA-Beträge in
Höhe von 338 DM bzw. 173 EUR jährlich.
5 Das FA erließ die Feststellungsbescheide für die Streitjahre erklärungsgemäß, aber
vorläufig und erläuterte das im Einzelnen wie folgt: "Der Bescheid ist nach § 165 Abs. 1
Abgabenordnung teilweise vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung, und zwar soweit es die vorzunehmende Aufteilung des Mehrpreises auf Grund
und Boden und Gebäude im Falle eines Gesellschafterwechsels bei geschlossenen
Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Einkünften
aus Vermietung und Verpachtung betrifft, hinsichtlich der aufgrund der Anteilserwerbe
erklärten Sonderwerbungskosten (Mehr-/Minder-AfA). Insoweit besteht Übereinstimmung,
dass der Ausgang des hierzu beim Finanzgericht Berlin anhängigen Musterverfahrens
zunächst abgewartet werden soll. ..." Der Zusatz, dass das Musterverfahren "beim
Finanzgericht Berlin" anhängig sei, fehlt in den Erläuterungen zu den 2002 ergangenen
Festsetzungsbescheiden für die Jahre 2000 und 2001.
6 Geführt wurde dieses Musterverfahren von einem anderen Immobilienfonds, der
treuhänderisch durch dieselbe GmbH vertreten wurde wie die Klägerin und vergleichbar
strukturiert war. Gegenstand dieses Verfahrens waren zum einen Fragen zur Ermittlung der
(zusätzlichen) Anschaffungskosten neu eingetretener Gesellschafter. Zum anderen ging es
um die Aufteilung dieser Kosten auf Grund und Boden sowie Gebäude. Nachdem das FA
den darauf gerichteten Einspruch aus dem Jahr 2001 zurückgewiesen hatte, erhob der
Immobilienfonds im Jahr 2004 Klage. Sie wurde mit Urteil vom 11. Oktober
2007 10 K 5086/04 B als unbegründet zurückgewiesen. Nach der Urteilsbegründung waren
bei der Berechnung der Anschaffungskosten die übernommenen Verbindlichkeiten --neben
dem Buchwert des Umlaufvermögens-- auch um die Buchwerte von
Rechnungsabgrenzungsposten und Außenanlagen zu bereinigen.
7 Im Anschluss daran erließ das FA am 10. April 2008 nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO) geänderte Bescheide für die Streitjahre und erklärte die
Feststellungen nunmehr für endgültig: In Bezug auf die Beigeladenen zu 1 bis 4 senkte das
FA die zusätzlichen AfA-Beträge auf die überschießenden Anschaffungskosten --
entsprechend der Übereinkunft mit der BP-- für die Jahre 2002 bis 2006 von 3 % auf 2,5 %
der verbliebenen Restwerte. Bezüglich des Beigeladenen zu 5 minderte das FA zunächst
die anteilig übernommenen Verbindlichkeiten entsprechend der Entscheidung im
Musterverfahren zusätzlich um die anteiligen Buchwerte von Rechnungsabgrenzungsposten
und Außenanlagen und reduzierte damit die Anschaffungskosten auf nunmehr 83.084 DM.
Den auf das Gebäude entfallenden Anteil berechnete das FA auf der Grundlage einer
entsprechenden Auskunft des zuständigen Lagefinanzamts aus dem Jahr 2001 im sog.
vereinfachten Verfahren --wie schon für die Vorjahre-- mit 69,89 % (= 58.068 DM) und senkte
die AfA dafür auf 2 % (= 1.161 DM) jährlich. Gegenüber der im Jahr 2000 anteilig auf den
Beigeladenen zu 5 entfallenden Gebäude-AfA nach dem Berlinförderungsgesetz in Höhe
von (264.533 DM x 30.000 DM/ 4.270.000 DM =) 1.858 DM errechnete das FA eine jährliche
Minder-AfA in Höhe von nunmehr (1.161 DM ./. 1.858 DM =) 697 DM bzw. 357 EUR, die --
anstelle der bisher berücksichtigten Beträge von 338 DM bzw. 173 EUR-- in allen
Änderungsbescheiden zum Ansatz kam.
8 Einsprüche und Klage blieben erfolglos. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte
2011, 1122 veröffentlichten Urteil führte das Finanzgericht (FG) zur Begründung aus, das FA
sei zwar nicht befugt gewesen, die (ursprünglichen) Feststellungsbescheide allein wegen
der ausschließlich steuerrechtlichen Frage nach der Ermittlung der AfA beim
Gesellschafterwechsel eines geschlossenen Immobilienfonds mit Einkünften aus
Vermietung und Verpachtung vorläufig zu erlassen. Da die Vorläufigkeitsvermerke indes
bestandskräftig geworden seien, stehe deren Rechtswidrigkeit --entgegen anderslautender
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)-- einer auf § 165 Abs. 2 Satz 1 AO gestützten
Änderung jedoch nicht entgegen. Dabei habe die Vorläufigkeit objektiv nur im Sinne des
Offenhaltens der abschließenden Beurteilung der erklärten Mehr- oder Minder-AfA der
beigetretenen Gesellschafter verstanden werden können. Die durchgeführten Änderungen
seien durch die Vorläufigkeitsvermerke gedeckt, nachrangige Ermittlungen und
Nachprüfungen seien zu Recht nachgeholt worden. Wegen der Bestandskraft der
Vorläufigkeitsvermerke sei auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 8 AO eingetreten.
9 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 165 Abs. 1 Satz 3,
Abs. 2 Satz 1 AO). Zur Begründung trägt sie vor, dass die Ursprungsbescheide nicht nach
§ 165 Abs. 2 Satz 1 AO hätten geändert werden dürfen, weil sich die Vorläufigkeit nicht auf
ungewisse Tatsachen, sondern ausschließlich auf eine Ungewissheit in der rechtlichen
Würdigung von Tatsachen beziehe. Mit den angefochtenen Änderungsbescheiden seien
keine neuen Tatsachen verwertet worden. Überdies seien Grund und Umfang der
Vorläufigkeiten für die Jahre 2000 und 2001 ohne nähere Bezeichnung des
Musterverfahrens --entgegen § 165 Abs. 1 Satz 3 AO-- nicht angegeben worden und die
Vermerke damit nichtig. Im Übrigen sollten durch die Vorläufigkeitsvermerke nur Änderungen
zugunsten des Beigeladenen zu 5 offengehalten werden. Eine Korrektur der
Anschaffungskosten habe das FA erkennbar nicht beabsichtigt. Jedenfalls seien die
Änderungsbescheide feststellungsverjährt, da auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 8
AO eine tatsächliche Ungewissheit voraussetze, an der es hier aber fehle.
10 Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des FG sowie die geänderten Feststellungsbescheide für die Jahre
2000 bis 2006 vom 10. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 2008
aufzuheben und die ursprünglichen Bescheide für endgültig zu erklären.
11 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
12 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung
der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zwar zu Recht von einer
Änderungsbefugnis des FA nach § 165 Abs. 2 AO ausgegangen (s. zu 2.). Die
Vorentscheidung ist aber aufzuheben, weil die durchgeführten Änderungen nicht von den
Vorläufigkeitsvermerken gedeckt sind (zu 3.).
13 1. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde eine
Feststellung aufheben oder ändern, soweit sie die Besteuerungsgrundlagen vorläufig
festgestellt hat. Dies kann gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO
geschehen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für deren Entstehung eingetreten
sind. Dabei können auch für andere Veranlagungszeiträume geklärte Tatsachen --erstmalig
oder erneut-- ungewiss werden. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165
Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Die (materielle) Bestandskraft des
Steuerbescheids bleibt in diesem Umfang (zunächst) offen (ständige BFH-Rechtsprechung,
vgl. Beschluss vom 24. Februar 2009 IX B 176/08, BFH/NV 2009, 889, unter II., m.w.N.).
14 Dagegen ist eine vorläufige Feststellung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 181 Abs. 1
Satz 1 AO aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären, wenn die Ungewissheit
beseitigt ist. Wie die Ungewissheit in § 165 Abs. 1 Satz 1 AO, so muss sich dabei auch die
Gewissheit, die gewonnen wird, auf Tatsachen beziehen, die den gesetzlichen
Steuertatbestand verwirklichen (vgl. BFH-Urteil vom 12. März 1991 IX R 282/87, BFH/NV
1991, 506, unter 3.). Anders als in § 173 AO müssen nach § 165 Abs. 2 AO verwertbare
Tatsachen nicht neu sein, sondern (un)gewiss.
15 Bezieht sich die tatsächliche Ungewissheit ausschließlich auf eine Vorrangfrage und stellt
das FA im Hinblick hierauf die Prüfung aller nachrangigen und von der Beantwortung der
Vorrangfrage rechtlich abhängigen Folgefragen zurück, kann die Änderung des vorläufigen
Steuerbescheids insoweit nicht auf Satz 2 des § 165 Abs. 2 AO gestützt werden, sondern
allein auf Satz 1 der vorbezeichneten Vorschrift. Dies führt zu einer kumulativen Anwendung
der Sätze 1 und 2 des § 165 Abs. 2 AO bei Erlass des endgültigen Bescheids (vgl. BFH-
Beschluss vom 22. Dezember 1987 IV B 174/86, BFHE 152, 43, BStBl II 1988, 234, unter
3.c).
16 2. Nach diesen Grundsätzen war das FA --entgegen der Auffassung des FG-- nicht
nur berechtigt (§ 165 Abs. 2 Satz 1 AO), sondern vielmehr verpflichtet (§ 165 Abs. 2 Satz 2
AO), geänderte Feststellungsbescheide zu erlassen. Die ursprünglichen Feststellungen
ergingen vorläufig und wurden mangels Anfechtung formell bestandskräftig und wirksam.
Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Vorläufigkeit können im Verfahren gegen die
endgültigen Änderungsbescheide nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteile vom
25. Juli 2000 IX R 93/97, BFHE 192, 241, BStBl II 2001, 9, unter II.3.a a.E.; vom 7. Februar
1995 IX R 68/92, BFH/NV 1995, 939, unter 1., und in BFH/NV 1991, 506, unter 1.).
17 a) Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoßen die Vorläufigkeitsvermerke für die Jahre
2000 und 2001 trotz unvollständiger Bezeichnung des Musterverfahrens nicht gegen das
Begründungsgebot des § 165 Abs. 1 Satz 3 AO und sind daher wirksam (§ 124 AO). Die
Reichweite eines Vorläufigkeitsvermerks kann sich aus seiner Begründung oder aus
anderen Umständen durch Auslegung ergeben (vgl. BFH-Urteile vom 12. Juli 2007
X R 22/05, BFHE 218, 26, BStBl II 2008, 2, unter II.3. und 4.; vom 29. August 2001
VIII R 1/01, BFH/NV 2002, 465, unter 1.b, und in BFH/NV 1991, 506, unter 2.). Entscheidend
ist, wie der Adressat den materiellen Regelungsinhalt nach den ihm bekannten Umständen
unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. BFH-Urteile vom
22. August 2007 II R 44/05, BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754, unter II.B.2.a cc (1), und vom
19. Oktober 1999 IX R 23/98, BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282, jeweils m.w.N.).
18 Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass das in den Vermerken für die Jahre 2000
und 2001 nicht näher bezeichnete "Musterverfahren" bei Erlass der Erstbescheide im Jahr
2002 noch nicht beim FG anhängig war. Weil sie aufgrund verschiedener
Treuhandverhältnisse rechtlich durch dieselben Personen vertreten wird wie der das
Musterverfahren führende Immobilienfonds, wusste die Klägerin allerdings ebenso wie das
FA, dass zu diesem Zeitpunkt im Musterfall bereits das außergerichtliche Vorverfahren
anhängig war. Aus der engen zeitlichen und sachlichen Verflechtung beider
Feststellungsverfahren war für die Klägerin daher zweifelsfrei erkennbar, auf welches
"Musterverfahren" sich das FA in den Anlagen zu den Bescheiden 2000 und 2001 bezog.
19 b) Entgegen der Auslegung des FG umfassten die Vorläufigkeitsvermerke nicht nur
Rechtsfragen, sondern --mit dem Verweis auf Gesellschafterwechsel und Musterverfahren--
jedenfalls auch Tatsachen im Zusammenhang mit der Ermittlung der
Sonderwerbungskosten, die (erneut) ungewiss waren. Auch wenn in komplexen
Fallgestaltungen wie der vorliegenden im Einzelnen kaum trennscharf zwischen
rechnerischer und rechtlicher Bewertung einzelner Tatsachen unterschieden werden kann,
so sind Berechnungsgrundlagen als solche regelmäßig dem tatsächlichen Bereich
zuzuordnen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 82/96, BFH/NV 2001, 1533, unter 1.).
Zwar ist der Revision beizupflichten, dass ein schätzungsweise ermittelter Maßstab für die
Aufteilung von Anschaffungskosten auf Grund und Boden sowie Gebäude selbst keine
Tatsache ist, sondern als Schlussfolgerung auf Tatsachen beruht (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV
1991, 506, unter 3.). Im Streitfall hatte das FA nach Maßgabe der Vorläufigkeitsvermerke
jedoch nicht lediglich den Aufteilungsmaßstab zu ändern, sondern --entsprechend der
Entscheidung im Musterverfahren-- zunächst die Anschaffungskosten neu zu berechnen und
somit Tatsachen zu verwerten. Diese mussten --entgegen der Auffassung der Klägerin und
anders als in § 173 AO-- nicht neu sein, sondern lediglich (un)gewiss. Auf eine bereits
erreichte Klärung für Vorjahre oder andere Fondsgesellschaften kommt es nicht an.
20 c) Die tatsächliche Ungewissheit wurde im Streitfall durch das Musterverfahren begründet
und mit dessen (rechtskräftigem) Abschluss am 11. Oktober 2007 beseitigt. Die
Feststellungen waren nach § 165 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO
innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 165 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 1
Satz 1 AO zu ändern und für endgültig zu erklären. Diese Frist hat das FA mit den
Änderungsbescheiden vom 10. April 2008 eingehalten.
21 d) Dass FA und FG die Änderungsbescheide ausschließlich auf § 165 Abs. 2 Satz 1 AO
stützten, ist insofern unbeachtlich, als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids
nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend ist. Es kommt allein
darauf an, ob der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt seines Ergehens (im Übrigen) durch
eine entsprechende Ermächtigungsnorm --hier § 165 Abs. 2 Satz 2 AO-- gedeckt war (vgl.
BFH-Urteil vom 16. September 2004 X R 22/01, BFH/NV 2005, 322, unter B.II.1.b bb).
22 3. Das Urteil ist aufzuheben, da die durchgeführten Änderungen nicht dem durch die
Vorläufigkeitsvermerke gesteckten Änderungsrahmen entsprechen: Weil die abweichenden
AfA-Beträge für den Beigeladenen zu 5 unzutreffend ermittelt (s. zu a) und die Änderungen
zulasten der Beigeladenen zu 1 bis 4 rechtsfehlerhaft in den Umfang der
Vorläufigkeitsvermerke einbezogen wurden (zu b), verletzt das Urteil die Vorschrift des § 165
Abs. 2 AO.
23 a) Dem Grunde nach zu Recht ging das FG davon aus, dass die Änderungen in Bezug auf
den Beigeladenen zu 5 von den Vorläufigkeitsvermerken gedeckt waren; mit der
Beendigung des Musterverfahrens trat Gewissheit ein. Anders als die Klägerin meint,
ergeben sich weder aus dem Wortlaut oder den Erläuterungen zu den
Vorläufigkeitsvermerken noch aus den sonstigen Umständen Hinweise darauf, dass die
Vorläufigkeit nur Änderungen zu dessen Gunsten erfassen oder eine Korrektur der
Anschaffungskosten ausschließen sollte. So nahm das FA beim Beigeladenen zu 5 --
entsprechend den Vorgaben in Vermerken und Musterverfahren-- zunächst eine (in dieser
Form erstmalige) Neuberechnung der Anschaffungskosten vor. Die Ermittlung und
Anwendung des Aufteilungsmaßstabs waren danach ebenso wie die Bestimmung des
maßgeblichen AfA-Satzes lediglich nachrangige Rechtsfragen, die das FA innerhalb des
durch Grund und Umfang der Vorläufigkeit abgegrenzten Änderungsrahmens bei der
endgültigen Feststellung abweichend beantworten durfte (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV
2009, 889, unter II., m.w.N.).
24 Demgegenüber ist das FG der Höhe nach unzutreffend dem Ansatz des FA gefolgt.
Unberücksichtigt blieb, dass die AfA des Gebäudes ab dem Jahr 2002 nicht länger mit 3 %
der Herstellungskosten, sondern nunmehr mit 2,5 % des verbliebenen Restwerts ermittelt
wurde. Daraus ergab sich laut Feststellungserklärungen ein Betrag von 59.334 EUR (vgl.
Einkommensteuerakten Bd. VIII Bl. 44, 126), von dem auf den Beigeladenen zu 5 nur noch
(30.000/4.270.000 =) 417 EUR entfallen. Statt der berücksichtigten Minder-AfA hätte ihm
daher ab 2002 eine jährliche Mehr-AfA in Höhe von (1.161 DM = 594 EUR ./. 417 EUR =)
177 EUR zugerechnet werden müssen.
25 b) Entgegen dem FG sind die Änderungen in Bezug auf die Beigeladenen zu 1 bis 4 nicht
durch die Vorläufigkeitsvermerke gedeckt. Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO sind nach Art
und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit wirksam gesteckten Rahmen zulässig. Mit
der (isolierten) Minderung der zusätzlichen AfA dieser Gesellschafter von 3 % der
Herstellungskosten auf 2,5 % der Restwerte ab dem Jahr 2002 hat das FA ausschließlich
den AfA-Satz korrigiert. Damit hat es lediglich das Recht abweichend angewandt, wobei
eine solche Änderung im Vorläufigkeitsvermerk nicht angelegt war. Da anhand des
Musterverfahrens kein vorrangiger Gesichtspunkt überprüft und ggf. geändert wurde, handelt
es sich --anders als beim Beigeladenen zu 5-- nicht um die Klärung einer nur nachrangigen
Rechtsfrage. Soweit die Klägerin daraus den Schluss ziehen will, dass das FA selbst die
Anschaffungskosten nicht mit in den Umfang der Vorläufigkeit einbezogen sah, widerspricht
dem die durchgeführte Neuberechnung beim Beigeladenen zu 5.
26 c) Weil die Vorläufigkeitsvermerke auch Tatsachen umfassen, bedarf es keiner
Entscheidung, ob eine bestandskräftige vorläufige Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen nur im Hinblick auf Erkenntnisse über tatsächliche Verhältnisse
oder auch lediglich wegen einer veränderten rechtlichen Beurteilung geändert werden darf
(ebenfalls offengelassen durch BFH-Urteile vom 28. November 1995 IX R 16/93, BFHE 179,
8, BStBl II 1996, 142, unter 2.b, und vom 30. Juni 1994 V R 106/91, BFH/NV 1995, 466, unter
1.c).
27 4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen,
anhand derer abschließend überprüft werden könnte, ob die Änderungen durch die
Vorläufigkeitsvermerke gedeckt sind. Das FG wird im zweiten Rechtsgang über die
Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide erneut zu entscheiden haben. Anders als bei einer
reinen Ermessensentscheidung nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO unterliegt die richterliche
Prüfungskompetenz bei Änderungen nach Satz 2 dieser Vorschrift nicht den
Einschränkungen des § 102 Satz 1 FGO. Sie wird --abgesehen von dem durch die
Vorläufigkeit gesteckten Rahmen-- nur durch den Umfang der durchgeführten Änderungen
beschränkt (vgl. § 351 Abs. 1 AO, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).
28 a) Aufgrund anderer Rechtsauffassung ließ das FG unbeachtet, dass auch die Beigeladenen
zu 1 bis 4 der Klägerin erst nachträglich --und wie der Beigeladene zu 5 deutlich vor Beginn
der Streitjahre-- durch Gesellschafterwechsel beigetreten und insoweit ebenfalls --auch für
die Jahre 2000 und 2001-- von den Vorläufigkeitsvermerken und der darin verankerten
tatsächlichen Ungewissheit umfasst sind. Das FG wird daher zunächst die Ermittlung der
Anschaffungskosten für diese Beteiligten im Jahr 1990 nach den Vorgaben im
Musterverfahren und deren Aufteilung auf Grund und Boden sowie das Gebäude zu
überprüfen haben (vgl. Einkommensteuerakten Bd. I, Bl. 62). Die Bestätigung der Ermittlung
dieser Anschaffungskosten durch die BP im Jahr 1991 begründet wegen des Prinzips der
Abschnittsbesteuerung (§ 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG) keinen Vertrauens- oder
Bestandsschutz für die Streitjahre.
29 Überdies hat das FG die Ermittlung der Restwerte nicht überprüft und somit --wie das FA--
nicht berücksichtigt, dass bei den Beigeladenen zu 1 bis 4 in den Jahren 1993 und 1994 gar
keine Mehr-AfA zum Ansatz kam (vgl. Einkommensteuerakten Bd. III, Bl. 65, 68, 144, 147;
Bd. V, Bl. 167). Gleiches gilt im Jahr 1995 für den Beigeladenen zu 3, während der
Beigeladenen zu 1 ein gegenüber den Folgejahren geringerer Betrag gewährt wurde (vgl.
Einkommensteuerakten Bd. VI, Bl. 163).
30 b) Im Rahmen der Kompensation wird das FG ferner den zulasten des Beigeladenen zu 5
unterlaufenen Rechenfehler (s. oben zu 3.a) --ggf. nach § 177 AO-- einzubeziehen haben
(vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2009 X B 55/09, BFH/NV 2010, 168, unter
2., sowie BFH-Urteil vom 2. März 2000 VI R 48/97, BFHE 191, 223, BStBl II 2000, 332).
31 c) Darüber hinaus wird das FG erneut darüber entscheiden, ob die Bescheide für endgültig
zu erklären sind.