Urteil des BFH vom 13.02.2003
BFH (bank, konto, betrag, sicherstellung, steuer, verfügung, tod, eintritt, rückforderung, ausland)
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.7.2007, II R 18/06
Sorgfaltspflichten eines Kreditinstituts bei Auszahlung eines Guthabens an im Ausland wohnhaften Erben
Leitsätze
Gehen nach Eintritt des Erbfalls auf einem Bankkonto des Erblassers für diesen bestimmte Rentenzahlungen ein, die der
Rückforderung nach § 118 Abs. 3 SGB VI unterliegen, und hat das FA der Bank mitgeteilt, sie könne das Kontoguthaben
einem außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten bis auf einen bestimmten Betrag zur Verfügung
stellen, muss sie die Rentenzahlungen zusätzlich zu diesem Betrag zurückbehalten, um eine Haftung für die Steuer nach §
20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG zu vermeiden.
Tatbestand
1 I. Die im Dezember 2001 verstorbene H unterhielt bei der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ein Girokonto,
auf dem am Todestag ein Guthaben von ca. 214 000 DM ausgewiesen war. H wurde von ihrem in Großbritannien
lebenden Sohn (S) beerbt. Ein Leistungsträger (V) überwies der H noch bis April 2003 Rente auf dieses Konto.
2 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) gestattete der Klägerin durch
Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 13. Februar 2003 sinngemäß, das nach Zahlung eines bestimmten Betrages an
das FA auf dem Konto verbleibende Guthaben bis auf 17 000 EUR dem S zur Verfügung zu stellen. Die Klägerin
überwies daraufhin dieses Guthaben einschließlich der Rentenzahlungen bis auf 17 000 EUR an S.
3 Mit Schriftsatz vom 9. April 2003 forderte V die für Januar 2002 bis April 2003 gezahlten Rentenbeträge von der
Klägerin unter Hinweis auf § 118 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) zurück (Rentenrückruf). Die
Klägerin entsprach dieser Forderung und belastete das Girokonto mit dem Rückzahlungsbetrag von 5 840 EUR.
4 Das verbliebene Guthaben reichte nicht mehr aus, um den noch nicht entrichteten Teil der Erbschaftsteuer zuzüglich
der angefallenen Säumniszuschläge zu begleichen.
5 Da S die Restforderung des FA trotz mehrfacher Aufforderungen nicht erfüllte, nahm es die Klägerin gemäß § 20 Abs. 6
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) mit Bescheid vom 8. September 2004 für die restliche
Erbschaftsteuer ohne Nebenleistungen in Höhe von 2 642,57 EUR in Haftung.
6 Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage durch das in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2006, 1265 veröffentlichte Urteil statt. Die Klägerin habe zwar nicht den in der
Unbedenklichkeitsbescheinigung angegebenen Betrag von 17 000 EUR auf dem Konto zurückbehalten, da sie auch
die dem Konto zu Unrecht gutgeschriebenen Rentenbeträge an S ausgezahlt habe. Es treffe sie hieran aber kein
Verschulden. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Gutschriften auf dem Konto auf Rentenzahlungen zu überprüfen,
die der Rückforderung nach § 118 Abs. 3 SGB VI unterliegen könnten. Auch wegen der Rückzahlung der Renten an V
hafte die Klägerin nicht. Die Rückzahlung erfülle bereits nicht den objektiven Tatbestand des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG.
7 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG.
8 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Revision ist begründet; die Vorentscheidung war aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat verkannt, dass die Klägerin fahrlässig gehandelt hat, als sie nur
den in der Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA vom 13. Februar 2003 genannten Betrag, nicht aber zusätzlich
die nach dem Eintritt des Erbfalls eingegangenen Rentenzahlungen zurückbehalten hat.
11 1. Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG haften Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des Erblassers befindet,
für die Erbschaftsteuer, soweit sie das Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder Sicherstellung der
Steuer --was im Streitfall allein einschlägig sein kann-- außerhalb des Geltungsbereiches des ErbStG wohnhaften
Berechtigten zur Verfügung stellen. Die Vorschrift soll verhindern, dass ein --da sich Nachlassvermögen im Inland
befindet-- zunächst realisierbarer Steueranspruch vereitelt wird. Zu diesem Zweck mutet das Gesetz dem
(inländischen) Gewahrsamsinhaber eine Art Garantenstellung zu, die bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung
zur Haftungsfolge führt. Zur Vermeidung der Haftungsfolge ist der Gewahrsamsinhaber gehalten, vor einer
Aushändigung der Vermögensgegenstände an den Erben zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2
ErbStG vorliegen. Diese Garantenstellung trifft in erster Linie diejenigen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls Gewahrsam
am Vermögen des Erblassers haben (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. August 1993 II R 14/90, BFHE 172,
209, BStBl II 1994, 116). Fahrlässig handelt der Gewahrsamsinhaber, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt
außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- analog; vgl. BFH-Urteil vom 12. August 1964 II
125/62 U, BFHE 80, 481, BStBl III 1964, 647). Eine Bank als Gewahrsamsinhaberin kann sich hierbei nicht auf die
Erkenntnismöglichkeiten und -fähigkeiten des einzelnen Bankangestellten, insbesondere auch nicht darauf berufen,
der Sachbearbeiter habe die Möglichkeit der Rentenrückforderung nicht gekannt. Vielmehr muss sie sicherstellen,
dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG vorliegen, von ausreichend qualifizierten
Mitarbeitern vorgenommen wird.
12 Ist das FA der Ansicht, dass das Guthaben auf einem vom Erblasser herrührenden Bankkonto nicht in vollem Umfang
zur Sicherstellung der Erbschaftsteuer erforderlich ist, kann es der Bank auf deren Bitte mitteilen, dass sie das
Guthaben bis auf einen bestimmten Betrag den außerhalb des Geltungsbereichs des ErbStG wohnhaften Berechtigten
(Erben) zur Verfügung stellen kann (BFH-Urteil in BFHE 80, 481, BStBl III 1964, 647). Macht die Bank von einer
solchen Unbedenklichkeitsbescheinigung Gebrauch, handelt sie regelmäßig nicht schuldhaft i.S. des § 20 Abs. 6 Satz
2 ErbStG.
13 Das gilt allerdings nicht ausnahmslos. Sind auf dem Konto nach dem Eintritt des Erbfalls Rentenzahlungen
eingegangen, die nach den vom Leistungsträger bei der Überweisung gemachten Angaben für den Erblasser
bestimmt waren und die der Leistungsträger wegen zu Unrecht erfolgter Zahlung nach § 118 Abs. 3 SGB VI von der
Bank zurückfordern kann (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 4. August 1998 B 4 RA 72/97 R, BSGE 82, 239;
vom 20. Dezember 2001 B 4 RA 126/00 R, Sozialversicherung 2002, 334), und hatte die Bank dies dem FA vor der
Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht mitgeteilt, muss die Bank die überwiesenen Renten zusätzlich zu
dem vom FA in der Bescheinigung bestimmten Betrag zurückbehalten, um die durch § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG
bezweckte Sicherstellung der Steuer zu gewährleisten. Das gilt auch dann, wenn die Rückforderung noch nicht
ausgesprochen worden war. Entspricht die Bank diesen Anforderungen nicht, lässt sie die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt außer Acht und handelt trotz formaler Beachtung der Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA bei der
Auskehrung des Guthabens an die Berechtigten fahrlässig i.S. des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG. Unter diesen
Umständen ist es nämlich für die Bank ohne weiteres ersichtlich, dass der nach der Unbedenklichkeitsbescheinigung
zurückzubehaltende Betrag allein für die Sicherstellung der Steuer und nicht auch für die Rückzahlung der zu Unrecht
überwiesenen Rentenbeträge bestimmt ist. Das muss die Bank bei der Auskehrung von Guthaben an im Ausland
wohnhafte Berechtigte beachten.
14 Diese sich aus § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG ergebenden Anforderungen sind nicht unverhältnismäßig. Es ist der Bank
zumutbar, das Konto vor Auskehrung des Guthabens auf solche Zahlungen hin zu überprüfen, die nach dem Tod
eines Erblassers und in offensichtlicher Unkenntnis von seinem Tod geleistet worden sind. Es handelt sich dabei nicht
um Zahlungsvorgänge im Massenverfahren, sondern um einen Sonderfall, in dem die Klägerin bei sorgfältiger und
qualifizierter Bearbeitung in der Lage gewesen wäre, die Sicherungsinteressen des FA vollständig zu wahren.
15 2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Die Klägerin haftet nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG für die Erbschaftsteuer, die aus dem bei ihr geführten
Konto nicht entrichtet werden konnte, weil sie fahrlässig die Rentenzahlungen, die 16 Monate über den Tod der H
hinaus weiter geleistet worden waren, nicht zusätzlich zu dem Betrag zurückbehalten hatte, der vom FA in der
Unbedenklichkeitsbescheinigung bestimmt worden war.
16 Die Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO--) lag
zwar im Ermessen des FA (§ 5 AO). Da S die restliche Erbschaftsteuer trotz wiederholter Aufforderungen nicht
entrichtet hatte und im Ausland wohnhaft war, hat das FA jedoch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht
überschritten und von seinem Ermessen auch in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht (§ 102 Satz 1 FGO).