Urteil des BFH vom 23.01.0031

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BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.9.2008, VI B 108/07
Rechtsweg bei Streit um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung - hier: zum Zeitpunkt der Beendigung eines
Arbeitsverhältnisses nach Kündigung
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war von Anfang Mai 2006 für die Beklagte und Beschwerdegegnerin
(Beklagte), eine Gesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, als Fernfahrer tätig. Am 17. Oktober 2006 kündigte
der Kläger das Arbeitsverhältnis und erklärte, in der Zeit vom 23. bis 31. Oktober 2006 seinen Resturlaub nehmen zu
wollen. Nachdem die Beklagte einen solchen Urlaubsanspruch zunächst in Abrede gestellt hatte, sollen die Beteiligten
mündlich überein gekommen sein, das Arbeitsverhältnis am 28. Oktober 2006 zu beenden. Die Beklagte übersandte
dem Kläger eine Lohnsteuerbescheinigung, in der eine Beschäftigungszeit bis zum 27. Oktober 2006 ausgewiesen
war. Nachdem die Beklagte der Bitte des Klägers, eine auf den 28. Oktober 2006 korrigierte Lohnsteuerbescheinigung
auszustellen, nicht nachgekommen war, erhob der Kläger Klage vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG).
2 Mit Beschluss vom 15. August 2007 7 K 7218/07 verwies das FG den Rechtsstreit einschließlich Prozesskostenhilfe an
das Arbeitsgericht A. Die Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren Arbeitgeber über
einen Anspruch auf Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung betreffe eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, über
die nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) die Arbeitsgerichte zu entscheiden hätten. Die
Beschwerde ließ das FG mit der Begründung zu, es weiche mit seiner Entscheidung von dem Beschluss des
Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 11. Juni 2003 5 AZB 1/03 (BFH/NV 2003, Beilage 4, 253; Neue Juristische
Wochenschrift --NJW-- 2003, 2629) ab.
3 Mit seiner Beschwerde trägt der Kläger unter Berufung auf den BAG-Beschluss 5 AZB 1/03 vor, der Rechtsstreit falle in
die Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit.
Entscheidungsgründe
4 II. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat
im Ergebnis zu Recht den Finanzrechtsweg verneint und den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht verwiesen.
Für die Rechtsstreitigkeit sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig.
5 1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig u.a. für bürgerliche
Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis (Nr. 3 Buchst. a), über das
Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses (Nr. 3 Buchst. b), aus Verhandlungen über die Eingehung
eines Arbeitsverhältnisses und aus dessen Nachwirkungen (Nr. 3 Buchst. c) und über Arbeitspapiere (Nr. 3 Buchst. e).
Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach der Natur des
Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Maßgebend ist, ob der zur Klagebegründung
vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Arbeitsrechts oder des
öffentlichen Rechts geprägt wird (vgl. z.B. BAG-Beschluss vom 16. Februar 2000 5 AZB 71/99, NJW 2000, 1438, und
BAG-Beschluss in BFH/NV 2003, Beilage 4, 253, NJW 2003, 2629, m.w.N.).
6 Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist der Finanzrechtsweg gegeben in öffentlich-rechtlichen
Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen. Unter
Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung
abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten zu verstehen (§ 33
Abs. 2 FGO). Fehlt --wie im Streitfall-- eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung, so entscheidet sich die Frage, ob eine
solche Streitigkeit vorliegt, nach der Rechtsnatur des Klagebegehrens, wie sie sich aus dem dem Klageantrag
zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juni 1993 VI B
108/92, BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760, m.w.N.).
7 2. Die Lohnsteuerbescheinigung, zu deren Erstellung der Arbeitgeber nach Maßgabe des § 41b des
Einkommensteuergesetzes verpflichtet ist, ist eine Urkunde, die dem leichteren Nachweis steuerlicher Verhältnisse bei
der Einkommensteuer-Veranlagung dient (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 VI R 57/04, BStBl II 2008, 434;
Thomas, Maßnahmen des Arbeitnehmers gegen Fehler beim Lohnsteuerabzug, in: Personalrecht im Wandel,
Festschrift für Küttner, München 2006, S. 239 ff., 239). Sie ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er
tatsächlich stattgefunden hat (vgl. Thomas, a.a.O., S. 240), und nicht, wie er --etwa nach Auffassung des Arbeitnehmers-
- hätte durchgeführt werden müssen. Aus der Dokumentations- und Beweisfunktion für einen abgeschlossenen
Sachverhalt ergibt sich, dass mit Einwendungen gegen die Lohnsteuerbescheinigung ein unzutreffender
Lohnsteuerabzug nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann (vgl. Thomas, a.a.O., S. 241).
8 3. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist bei einem Streit um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung der
Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten jedenfalls dann gegeben, wenn es bei dem Rechtsstreit im Kern um
arbeitsrechtliche Fragen geht, zu denen die vom Arbeitnehmer beanstandeten Eintragungen in der
Lohnsteuerbescheinigung oder das Begehren des Arbeitnehmers auf Ausstellung einer Lohnsteuerbescheinigung
einen bloßen Reflex bilden. Der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt wird für die aus ihm hergeleitete
Rechtsfolge insbesondere dann von Rechtssätzen des Arbeitsrechts geprägt, wenn Streit besteht, ob überhaupt ein
Arbeitsverhältnis vorgelegen hat, für welchen Zeitraum ein Arbeitsverhältnis bestanden hat oder welche
arbeitsrechtlichen Ansprüche --insbesondere Barlohnansprüche-- bestehen oder bestanden haben. Die letztgenannte
Frage prägt insbesondere dann den Kern des Rechtsstreits, wenn um Bestehen und Inhalt einer
Nettolohnvereinbarung (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil in BStBl II 2008, 434, m.w.N.) gestritten und damit nach dem
sachlichen Gehalt des Klagebegehrens zusätzlicher Lohn gefordert wird (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 30. Juni
2005 VI S 7/05, BFH/NV 2005, 1849). Unter solchen Umständen ist davon auszugehen, dass der formell um die
Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung geführte Streit seinem eigentlichen Inhalt nach eine bürgerliche
Rechtsstreitigkeit bildet und damit der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen jedenfalls nach § 2 Abs. 1 Nr. 3
Buchst. e ArbGG gegeben ist. Denn auch für den Streit über Arbeitspapiere sind die Arbeitsgerichte zuständig, wenn es
sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt (vgl. BAG-Beschluss in BFH/NV 2003, Beilage 4, 253, NJW 2003,
2629).
9 4. Nach diesen Maßstäben hat das FG im Ergebnis zu Recht den Finanzrechtsweg verneint. Nach dem sachlichen
Gehalt des Klagebegehrens bildet den eigentlichen Inhalt des Rechtsstreits vorliegend die bürgerlich-rechtliche Frage,
zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis nach Kündigung des Klägers beendet worden ist. Während die Beklagte
nach Aktenlage offensichtlich von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 27. Oktober 2006 ausgeht, ist der
Kläger der Auffassung, dieses habe erst am 28. Oktober 2006 geendet. Die genauen Umstände der Kündigung durch
den Kläger und die nach dem Vortrag des Klägers zwischen ihm und seiner ehemaligen Arbeitgeberin anlässlich
seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis getroffenen Abreden sind nicht geklärt. Die einkommensteuerliche
Verpflichtung der Beklagten zur Dokumentation des Lohnsteuerabzugs gibt dem Rechtsstreit somit nicht das Gepräge.
Der erkennende Senat sieht sich deshalb auch nicht im Widerspruch zu der BAG-Entscheidung, auf die sich der Kläger
beruft.