Urteil des BFH vom 14.03.2017

BFH (bilanz, zeitpunkt, beurteilung, mfd, aktiven, kirchhof, objektiv, bezug, bildung, obiter dictum)

BUNDESFINANZHOF Entscheidung vom 7.4.2010, I R 77/08
Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs auf die Beurteilung von Rechtsfragen - aktive Rechnungsabgrenzung für
Betriebsvermögensminderungen aus der verbilligten Abgabe von Mobiltelefonen
Leitsätze
Dem Großen Senat wird gemäß § 11 Abs. 4 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist das FA im Rahmen der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung in Bezug auf zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärte
bilanzrechtliche Rechtsfragen an die Auffassung gebunden, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz zu Grunde
liegt, wenn diese Rechtsauffassung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbar war ?
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob für Betriebsvermögensminderungen aus der verbilligten Abgabe von Mobiltelefonen ein aktiver
Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) anzusetzen ist.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Gegenstand die Konstruktion, die Herstellung und
der Betrieb eines privaten, mobilen Zellularfunknetzes ist. Im Streitjahr (1996) bot sie ihren Kunden den verbilligten
Erwerb eines Mobiltelefons für den Fall an, dass diese einen Mobilfunkdienstleistungsvertrag (MFD-Vertrag) mit einer
Laufzeit von mindestens 24 Monaten abschlossen oder einen bestehenden Vertrag entsprechend verlängerten. Die
Preisermäßigung für das Mobiltelefon war von dem Hersteller und dem Gerätetyp sowie von der Höhe der monatlichen
Grundgebühren im Rahmen des abgeschlossenen MFD-Vertrags abhängig. Sie betrug für die im Streitjahr verbilligt
abgegebenen Mobiltelefone durchschnittlich ... DM.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) war der Auffassung, zwischen den MFD-Verträgen und den
Kaufverträgen über die Mobiltelefone bestehe eine wirtschaftlich enge Verknüpfung i.S. von Vertragsbündelungen. Die
durch die verbilligte Abgabe entstandene Betriebsvermögensminderung sei daher gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG, hier und im Folgenden i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1996 --
KStG 1996--) im Rahmen eines aktiven RAP periodengerecht über die Laufzeit des MFD-Vertrags abzugrenzen. Für
das Streitjahr setzte das FA in Änderungsbescheiden betreffend Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und
Feststellungen gemäß § 47 Abs. 2 KStG 1996 einen in der von der Klägerin eingereichten Bilanz nicht ausgewiesenen
aktiven RAP im Betrag von ... DM an und legte der Steuerfestsetzung einen entsprechend höheren Bilanzgewinn zu
Grunde.
4 Die deswegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf als unbegründet abgewiesen. Sein Urteil vom
20. Mai 2008 6 K 3224/05 K,F ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1607 abgedruckt.
5 Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie ist der
Auffassung, die Voraussetzungen für die Bildung des aktiven RAP lägen nicht vor. Sie meint überdies, das FA sei an
die in der eingereichten Bilanz zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, wonach der RAP nicht zu bilden sei,
gebunden, weil das Unterlassen der Aktivierung angesichts der ungeklärten Rechtslage der kaufmännischen Sorgfalt
nicht widersprochen habe.
6 Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den angefochtenen Bescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2005 dahingehend zu ändern, dass das Einkommen nach § 47 Abs. 2 Nr. 3
KStG 1996 von ... DM um ... DM auf ... DM und das zu versteuernde Einkommen von ... DM um ... DM auf ... DM
verringert und die körperschaftsteuerliche Tarifbelastung von ... DM um ... DM auf ... DM, die festgesetzte
Körperschaftsteuer von ... DM um ... DM auf ... DM sowie der Solidaritätszuschlag von ... DM um ... DM auf ... DM
herabgesetzt werden.
7 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8
II. Die Anrufung des Großen Senats erfolgt zur Klärung der im Leitsatz bezeichneten Frage, weil diese im Streitfall
entscheidungserheblich ist und zugleich grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) hat.
9
1. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
10 a) Der Senat teilt die Auffassung von FA und FG, wonach die Voraussetzungen für die Bildung eines aktiven RAP
nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG im Streitfall gegeben waren.
11 aa) Die Betriebsvermögensminderungen infolge der verbilligten Abgabe von Mobiltelefonen durch die Klägerin führen
zu einer "Ausgabe" i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Eine solche setzt nach ständiger Rechtsprechung des
vorlegenden Senats nicht notwendig einen Zahlungsvorgang voraus, sondern kann auch in der Buchung einer
Verbindlichkeit bestehen (Senatsurteile vom 31. Mai 1967 I 208/63, BFHE 89, 191, BStBl III 1967, 607; vom 29.
November 2006 I R 46/05, BFHE 216, 159, BStBl II 2009, 955, m.w.N.). Ob auch Vermögensminderungen durch
geldwerte Sachleistungen zu einer Ausgabe i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG führen, ist im Schrifttum umstritten.
Während der Begriff der Ausgaben nach einer Auffassung nur die genannten Geldvermögensminderungen erfasst
(Adler/Düring/ Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 250 Rz 22; Ellrott/Krämer
in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl., § 250 HGB Rz 18; Hayn in Beck'sches Handbuch der Rechnungslegung, B
218 Rz 17; Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, § 5 EStG
Rz 1924; Crezelius in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 5 Rz 93; Döllerer, Betriebs-Berater --BB-- 1968,
637, 639; Heinhold/ Coenenberg, Der Betrieb --DB-- 2005, 2033, 2036; Marten/ Köhler/Schlereth, DB 2003, 2713,
2714; Pottgießer/Velte, Steuern und Bilanzen --StuB-- 2006, 131, 133; Coenenberg, Die bilanzielle Behandlung von
Handy-Subventionen bei Mobilfunkunternehmen, S. 117 ff., 120; enger Weber-Grellet in Schmidt,
Einkommensteuergesetz, 28. Aufl., § 5 Rz 247: nur Bar- und Buchgeldzahlungen), liegt nach der Gegenauffassung
eine Ausgabe bereits bei einer betrieblich veranlassten Minderung im Vermögensbestand vor (Schreiber in Blümich,
Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 5 EStG Rz 670; Kupsch in Bonner
Handbuch der Rechnungslegung, § 250 HGB Rz 22; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 5 Rz 247; Tiedchen,
Handbuch des Jahresabschlusses [in Einzeldarstellungen], Abt. II/11 [2006], Rz 71; Trützschler in Küting/Weber,
Handbuch der Rechnungslegung, Einzelabschluss, 5. Aufl., § 250 HGB Rz 34; Bauer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
Einkommensteuergesetz, § 5 Rz F 79; vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 20. Juni
2005, BStBl I 2005, 801 Tz. 5). Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung.
12 Aufgabe der Rechnungsabgrenzungsposten ist es, im Falle gegenseitiger Verträge, bei denen Leistung und
Gegenleistung zeitlich auseinander fallen, die Vorleistung des einen Teils in das Jahr zu verlegen, in dem die nach
dem Vertrag geschuldete Gegenleistung des anderen Teils erbracht wird (Senatsurteil in BFHE 89, 191, BStBl III 1967,
607; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. September 1987 IV R 49/86, BFHE 151, 386, BStBl II 1988, 327). §
5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG bezweckt damit die periodengerechte Erfolgsermittlung (Crezelius in Kirchhof, a.a.O., § 5
Rz 89; Bauer in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 3, m.w.N.; Hoffmann in Littmann/ Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, §§ 4, 5 EStG Rz 799). Negative Auswirkungen auf den Gewinn ergeben sich sowohl durch die
Verminderung des Geldvermögens als auch durch Vermögensminderungen infolge geldwerter Sachleistungen
(Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 670). Nach dem Zweck des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist die Bildung
eines aktiven RAP daher nicht auf Geldvermögensminderungen beschränkt; der Begriff der Ausgaben umfasst
vielmehr auch wirtschaftlich gleichwertige Vermögensminderungen durch geldwerte Sachleistungen.
13 Der Wortlaut des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG steht dieser Auslegung nicht entgegen. Der in dieser Vorschrift
enthaltene Begriff der Ausgaben ist nicht entsprechend der betriebswirtschaftlichen Terminologie auf
Geldvermögensminderungen durch Geldzahlungen sowie Verbindlichkeitszugänge und Forderungsabgänge
begrenzt (a.M. Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 5 EStG Rz 1924; Pottgießer/Velte, StuB 2006, 131,
133). Eine solche Begrenzung folgt auch nicht daraus, dass § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG die handelsrechtliche
Regelung der aktiven RAP in § 250 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) übernommen hat (vgl. hierzu Hayn, a.a.O.,
B 218 Rz 17; Tiedchen, a.a.O., Rz 33). Aus dem systematischen Zusammenhang des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
ergibt sich vielmehr, dass als Ausgaben im Sinne dieser Vorschrift auch Betriebsvermögensminderungen durch
geldwerte Sachleistungen in Betracht kommen. Der Begriff der Ausgaben wird neben § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
auch in der Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG zum Zeitpunkt des Abflusses verwendet. Nach dieser Vorschrift
sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst
nicht nur Geldvermögensminderungen, sondern auch Sachleistungen (Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach,
a.a.O., § 5 EStG Rz 1924; Seiler in Kirchhof, a.a.O., § 11 Rz 8; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 11 Rz
C 25).
14 bb) Die durch die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone vor dem Abschlussstichtag erfolgte Ausgabe war Aufwand
der Klägerin für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag. "Aufwand für eine bestimmte Zeit" ist in dem Sinne zu
verstehen, dass einer Vorleistung eine noch nicht erbrachte zeitraumbezogene Gegenleistung gegenübersteht
(Senatsurteil vom 4. Mai 1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, BStBl II 1977, 802; BFH-Urteile vom 6. April 1993 VIII R 86/91,
BFHE 171, 221, BStBl II 1993, 709; vom 19. Juni 1997 IV R 16/95, BFHE 183, 484, BStBl II 1997, 808, jeweils m.w.N.).
Die Zuordnung des Aufwands erfolgt hierbei nicht nach der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung, sondern nach
Maßgabe der zugrunde liegenden Schuldverhältnisse (Senatsurteil vom 26. Mai 1976 I R 80/74, BFHE 119, 261,
BStBl II 1976, 622; BFH-Urteil vom 12. August 1982 IV R 184/79, BFHE 136, 280, BStBl II 1982, 696; Trützschler in
Küting/Weber, a.a.O., § 250 HGB Rz 38; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4, 5 EStG Rz 810; Döllerer, BB
1968, 637, 640). § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG betrifft zwar typischerweise Vorleistungen im Rahmen eines
gegenseitigen Vertrags i.S. der §§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB); die Vorschrift ist aber nicht auf
synallagmatische schuldrechtliche Leistungen beschränkt (Senatsurteil vom 24. Juli 1996 I R 94/95, BFHE 181, 64,
BStBl II 1997, 122, m.w.N.; Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 680; Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach,
a.a.O., § 5 EStG Rz 1927; anderer Ansicht Bauer in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 89).
15 Bei der Bestimmung der zeitraumbezogenen Gegenleistung ist nicht allein auf die zivilrechtliche Beurteilung der
Schuldverhältnisse abzustellen; entscheidend ist vielmehr der wirtschaftliche Gehalt der damit zusammenhängenden
Leistungsvorgänge (BFH-Urteile vom 19. Januar 1978 IV R 153/72, BFHE 124, 320, BStBl II 1978, 262; in BFHE 151,
386, BStBl II 1988, 327). Das Fehlen eines zivilrechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnisses ist daher unbeachtlich, wenn
bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Vorleistung und der im Rahmen
des Dauerschuldverhältnisses zu erbringenden Leistung besteht (Senatsurteile in BFHE 181, 64, BStBl II 1997, 122; in
BFHE 216, 159, BStBl II 2009, 955; Kupsch in Bonner Handbuch der Rechnungslegung, § 250 HGB Rz 28; anderer
Ansicht Bauer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz F 89; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4, 5 EStG Rz
814).
16 Nach diesen Maßstäben ist die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone als Vorleistung für die von den einzelnen
Kunden im Rahmen der MFD-Verträge zu erbringenden --zeitraumbezogenen-- Gegenleistungen anzusehen. Zwar
sind der Kaufvertrag über das Mobiltelefon und der MFD-Vertrag zivilrechtlich selbständige Rechtsgeschäfte (vgl.
Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 8. Oktober 1998 I ZR 187/97, BGHZ 139, 368; I ZR 7/97, DB 1998, 2464).
Die synallagmatischen Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag sind mit der Übergabe und Übereignung des
Mobiltelefons durch die Klägerin bzw. mit dessen Abnahme und der Zahlung des Kaufpreises durch den Kunden
erfüllt (§ 433 BGB). Im Rahmen der für die Rechnungsabgrenzung maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise
ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach den für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des
FG der verbilligte Erwerb eines Mobiltelefons vom Abschluss eines MFD-Vertrags mit einer Laufzeit von mindestens
24 Monaten oder der entsprechenden Verlängerung eines bestehenden MFD-Vertrags abhängig war. Aufgrund
dieser Verknüpfung beider Rechtsgeschäfte steht die durch die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone eingetretene
Vermögensminderung in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem jeweiligen MFD-Vertrag.
17 Die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone ist wirtschaftlich nicht nur eine Vorleistung für den Abschluss bzw. die
Verlängerung des MFD-Vertrags; sie bezieht sich vielmehr auf den Zeitraum der Durchführung des auf eine
Mindestlaufzeit von 24 Monaten abgeschlossenen MFD-Vertrags. Denn im Gegensatz zu Abschlussgebühren und
Provisionszahlungen, die für den Vertragsabschluss bzw. für dessen Vermittlung geleistet werden (Senatsurteil vom
11. Februar 1998 I R 23/96, BFHE 185, 388, BStBl II 1998, 381; BFH-Urteil vom 4. März 1976 IV R 78/72, BFHE 121,
318, BStBl II 1977, 380), wird die verbilligte Überlassung der Mobiltelefone durch Gegenleistungen finanziert, die im
Rahmen des MFD-Vertrags zu erbringen sind (BGH-Urteile in BGHZ 139, 368, unter II.1.c; in DB 1998, 2464, unter
II.2.a; Coenenberg, a.a.O., S. 109). Zu diesen Gegenleistungen gehören die Zahlung der monatlichen Grundgebühren
sowie der Gesprächsgebühren durch die Kunden (BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 801 Tz. 4). Der Bildung eines
aktiven RAP steht hierbei nicht entgegen, dass die wirtschaftliche Gegenleistung der verbilligten Überlassung der
Mobiltelefone nicht in einer Sach- oder Dienstleistung, sondern in einer Zahlungspflicht besteht (vgl. BFH-Urteil vom
24. Juni 2009 IV R 26/06, BFHE 225, 144, BStBl II 2009, 781, unter II.2.b; a.M. Coenenberg, a.a.O., S. 123 f.).
18 Die Bildung des aktiven RAP wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass bei vorzeitiger Beendigung des MFD-Vertrags
keine Verpflichtung des Kunden zur Rückgabe des Mobiltelefons besteht. Eine Ausgabe ist als Vorleistung im
Rahmen eines schwebenden Geschäfts anzusehen, wenn für den Fall, dass der Vertrag nach dem Stichtag aufgelöst
wird, eine Verpflichtung zur Rückzahlung besteht (BFH-Urteile in BFHE 136, 280, BStBl II 1982, 696; in BFHE 171,
221, BStBl II 1993, 709). Fehlt es an einer solchen Rückzahlungspflicht, so liegt eine Vorleistung jedenfalls dann vor,
wenn das Dauerschuldverhältnis auf mehrere Jahre zu festen Bedingungen abgeschlossen ist und nur aus wichtigem
Grunde gekündigt werden kann und wenn konkrete Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die Vertragsparteien dieser
Möglichkeit mehr als rein theoretische Bedeutung beigemessen haben (BFH-Urteil in BFHE 136, 280, BStBl II 1982,
696; vgl. auch Senatsurteil in BFHE 216, 159, BStBl II 2009, 955; weitergehend Kupsch in Bonner Handbuch der
Rechnungslegung, § 250 HGB Rz 30; Meyer-Scharenberg, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1991, 754, 755:
Rückzahlungspflicht für aktiven RAP unbeachtlich; anderer Ansicht Bauer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz
F 89; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4, 5 EStG Rz 811). Im Streitfall hatten die einzelnen MFD-Verträge eine
Mindestlaufzeit von 24 Monaten; das FG hat nicht festgestellt, dass die Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung dieser
Verträge aus wichtigem Grund für die Klägerin und ihre Kunden von praktischer Bedeutung war.
19 b) Wäre auf der Grundlage der dargestellten objektiven Rechtslage über die streitbefangene bilanzrechtliche Frage zu
entscheiden, hätte das FG die Klage mithin zu Recht abgewiesen; die Revision wäre als unbegründet
zurückzuweisen.
20 c) Jedoch hängt die Entscheidung der Rechtssache auch noch von der Beantwortung der Vorlagefrage ab.
Ausgangspunkt für die steuerliche Gewinnermittlung ist nämlich die vom Steuerpflichtigen beim FA eingereichte
(Steuer-)Bilanz. Von dieser darf (und muss) das FA nur abweichen, wenn und soweit sie den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung --GoB-- (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) oder den zwingenden bilanzrechtlichen Vorgaben
des Einkommensteuergesetzes nicht entspricht und deshalb fehlerhaft ist (vgl. Senatsurteil vom 5. Juni 2007 I R 47/06,
BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818; Senatsbeschluss vom 7. August 2008 I B 161/07, BFH/NV 2008, 2053). Diese
Erfordernisse für eine Abweichung von der eingereichten Bilanz durch das FA entsprechen nach Auffassung des
vorlegenden Senats den Voraussetzungen, an die § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG die Zulässigkeit einer nachträglichen
Änderung der Bilanz durch den Steuerpflichtigen (Bilanzberichtigung) knüpft.
21 Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein Bilanzansatz nur dann im eben beschriebenen Sinne fehlerhaft,
wenn der Steuerpflichtige den objektiv gegebenen Rechtsverstoß nach den Erkenntnismöglichkeiten eines
ordentlichen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung --bezogen auf die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden
Verhältnisse-- erkennen konnte. Dieser sog. subjektive Fehlerbegriff (der zum Teil auch als "normativ-subjektiver"
Fehlerbegriff bezeichnet wird, z.B. Wied in Blümich, a.a.O., § 4 EStG Rz 983) gilt nach bisheriger Rechtsprechung
nicht nur für Tatsachenkenntnisse, sondern auch für die Beurteilung der rechtlichen Verhältnisse (z.B. BFH-Urteile
vom 14. August 1975 IV R 30/71, BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88; vom 12. November 1992 IV R 59/91, BFHE 170,
217, BStBl II 1993, 392; vom 5. April 2006 I R 46/04, BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688; vom 23. Januar 2008 I R
40/07, BFHE 220, 361, BStBl II 2008, 669). Für die Fälle, in denen die Rechtslage zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung
ungeklärt ist, weil noch keine Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, hat der
Senat deshalb entschieden, dass dann jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als "richtig"
anzusehen ist (Senatsurteile in BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688; in BFHE 218, 221, BStBl II 2008, 818; vom 17. Juli
2008 I R 85/07, BFHE 222, 418, BStBl II 2008, 924). An den in diesem Sinne zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung
subjektiv "richtigen" Bilanzansatz ist das FA gebunden, auch wenn die Rechtsfrage nach diesem Zeitpunkt --gleichviel
ob zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen-- durch eine höchstrichterliche Entscheidung im gegenteiligen
Sinne entschieden worden ist (Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2008, 818).
22 d) Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung hat die Klägerin durch das Unterlassen der Bildung des aktiven RAP in der
Bilanz zum 31. Dezember des Streitjahres eine zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung der kaufmännischen Sorgfalt
entsprechende Entscheidung getroffen. Aus dem vom FG in Bezug genommenen Prüfungsbericht ergibt sich, dass die
Bilanz der Klägerin für das Streitjahr vor Beginn der Außenprüfung am 3. April 2000 aufgestellt worden sein muss. Bis
dahin existierte weder Rechtsprechung noch Literatur zur spezifischen Frage der Bildung eines aktiven RAP bei
verbilligter Überlassung von Mobiltelefonen. Die in diesem Zusammenhang relevante Frage, ob auch
Vermögensminderungen durch geldwerte Sachleistungen zu einer "Ausgabe" i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG
führen können, war auch damals im Schrifttum umstritten, ohne dass sich ein verfestigter Meinungsstand in eine
bestimmte Richtung herausgebildet hatte. Demnach kann das Unterlassen der Aktivierung des RAP durch die
Klägerin nicht als Verstoß gegen die kaufmännische Sorgfalt angesehen werden; die Bilanz war im beschriebenen
Sinne subjektiv nicht fehlerhaft. Auf der Grundlage der bisherigen BFH-Rechtsprechung, nach der die Vorlagefrage zu
bejahen ist, wären Revision und Klage mithin begründet.
23 2. Grundsätzliche Bedeutung der Vorlagefrage
24 Der sonach entscheidungserheblichen Frage nach der Bindungswirkung der bei ungeklärter Rechtslage vom
Bilanzierenden bei Aufstellung der Bilanz befolgten Rechtsauffassung misst der vorlegende Senat grundsätzliche
Bedeutung i.S. des § 11 Abs. 4 FGO bei. Der sog. subjektive Fehlerbegriff, von dessen unveränderter Beibehaltung
nach Auffassung des vorlegenden Senats sowohl die in der Vorlagefrage angesprochene Bindungswirkung für die
Finanzverwaltung als auch die --im Streitfall nicht unmittelbar relevante-- Möglichkeit des Bilanzierenden zur
Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG abhängen, ist eine der zentralen und umstrittenen Grundfragen des
Bilanzsteuerrechts, mit der sich alle Ertragsteuersenate des BFH im Rahmen bilanzrechtlicher Streitfälle zu befassen
haben. Die Vorlagefrage betrifft alle bilanzierenden Unternehmen; ihrer Beantwortung kommt angesichts der
zunehmenden gesetzlichen Neuregelungen auch im Bilanzsteuerrecht und der damit verbundenen steigenden Zahl
ungeklärter Rechtsfragen in diesem Bereich eine wesentliche Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund hält es der
vorlegende Senat für geboten, dass eine Bestätigung, Änderung oder Fortbildung der bisherigen Rechtsprechung
vom Großen Senat als senatsübergreifendem Spruchkörper getragen wird.
III.
25 Der vorlegende Senat tritt dafür ein, den subjektiven Fehlerbegriff abweichend von der bisherigen Rechtsprechung
nicht auf die Beurteilung bilanzrechtlicher Rechtsfragen zu erstrecken. Diese sollte die Finanzverwaltung vielmehr
allein auf der Grundlage des objektiv geltenden Rechts beurteilen müssen, auch wenn sie zum Zeitpunkt der
Aufstellung der Bilanz noch nicht geklärt waren. Danach wäre das FA bei der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung in
Bezug auf zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärte Rechtsfragen nicht an die Auffassung gebunden, die der
vom Steuerpflichtigen eingereichten Bilanz zu Grunde liegt; die Vorlagefrage wäre zu verneinen.
26 1. Bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung
27 Der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des Obersten Finanzgerichtshofs (OFH) lässt sich --soweit
ersichtlich-- bei der Auslegung des Fehlerbegriffs keine subjektive Komponente entnehmen (vgl. RFH-Urteile vom 7.
Oktober 1932 I A 53/31, RStBl 1932, 1075; vom 25. Oktober 1933 I A 44/32, RStBl 1934, 410; OFH-Urteil vom 13. Juni
1950 IV 37/50 U, BStBl I 1951, 179). Im RFH-Urteil vom 23. Mai 1935 I A 110/33 (RStBl 1935, 1467) heißt es, die
steuerlichen Vorschriften strebten objektiv richtige Bilanzansätze an.
28 Auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Bilanzierenden stellt erstmals das Senatsurteil vom 11. Oktober 1960
I 56/60 U (BFHE 72, 8, BStBl III 1961, 3) ab. Es kommt zu dem Ergebnis, dass der Steuerpflichtige aufgrund einer erst
nach Aufstellung der Bilanz erlangten Tatsachenkenntnis über die fehlende Bonität einer aktivierten Forderung die
Bilanz nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG berichtigen dürfe. Zur Begründung heißt es in dem Urteil, dass selbst bei
objektiv gegebener Überschuldung der Forderungsschuldnerin zum Bilanzstichtag eine Bilanzberichtigung nicht in
Betracht komme, weil eine unrichtige Bilanzierung und damit eine Pflicht, die Bilanz zu berichtigen, nicht vorliege.
Handelsrecht und Steuerrecht könnten von dem Kaufmann nicht mehr verlangen, als dass er seine bis zur Aufstellung
der Bilanz erlangte Kenntnis von dem am Bilanzstichtag vorliegenden Sachverhalt pflichtgemäß und gewissenhaft bei
der Aufstellung der Bilanz verwerte. Kenne er bei der Aufstellung der Bilanz Tatsachen nicht, die seine Forderungen
als nicht vollwertig erscheinen ließen, so könne er nicht verpflichtet werden, die von ihm nach bestem Wissen
aufgestellte Bilanz, wenn er später diese Kenntnis erlange, zu berichtigen.
29 Mit dem Urteil in BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88 hat der IV. Senat des BFH die Maßgeblichkeit der subjektiven
Erkenntnismöglichkeiten des Bilanzierenden bei Aufstellung der Bilanz über die Beurteilung von Tatsachen hinaus
auch auf Rechtsfragen ausgedehnt. Eine Bilanz ist danach nicht falsch und berichtigungsbedürftig, wenn sich nach
ihrer Aufstellung herausstellt, dass bestimmte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse am Bilanzstichtag objektiv
anders waren als bei der Aufstellung der Bilanz angenommen wurde. Vielmehr ist eine Bilanz bereits dann richtig,
wenn sie den im Zeitpunkt ihrer Aufstellung bestehenden Erkenntnismöglichkeiten über die am Bilanzstichtag objektiv
bestehenden Verhältnisse entspricht, d.h. wenn sie subjektiv richtig ist. In dem Urteil in BFHE 170, 217, BStBl II 1993,
392 hat der IV. Senat diese Grundsätze auf den Fall einer Rechtsprechungsänderung angewendet, in welchem es um
die Aktivierbarkeit von Kanalbaubeiträgen als nachträgliche Anschaffungskosten auf ein Grundstück ging. Danach
liegt ein zur Bilanzänderung berechtigender Fehler nicht vor, wenn der Steuerpflichtige bei der Bilanzaufstellung nach
der seinerzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung verfahren ist, diese Rechtsprechung danach aber durch ein
neueres Urteil aufgegeben worden ist.
30 An die Einbeziehung der Beurteilung von Rechtsfragen in den subjektiven Fehlerbegriff hat der vorlegende Senat in
jüngerer Zeit in einer Reihe von Entscheidungen angeknüpft, in denen die Steuerpflichtigen im Wege von
Bilanzberichtigungen nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG nachträglich gewinnmindernde Rückstellungen für drohende
Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) gebildet hatten, deren Berechtigung zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung
umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt war, die aber später vom BFH anerkannt worden waren
(Senatsurteile in BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688, und in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818: Rückstellungen für
künftige Beihilfeansprüche; Senatsurteile in BFHE 220, 361, BStBl II 2008, 669; in BFHE 222, 418, BStBl II 2008, 924;
vom 16. Dezember 2008 I R 54/08, BFH/NV 2009, 746: Rückstellungen für künftige Kosten der Aufbewahrung von
Geschäftsunterlagen). Der Senat hat in diesen Fällen die ursprünglichen Bilanzen nicht als fehlerhaft i.S. von § 4 Abs.
2 Satz 1 EStG angesehen, weil das Unterlassen der Rückstellungsbildung aufgrund der ungeklärten Rechtslage zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung eine vertretbare Entscheidung gewesen sei; wenn eine bestimmte Bilanzierungsfrage
nicht durch die Rechtsprechung abschließend geklärt sei, sei jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende
Bilanzierung als in diesem Sinne "richtig" anzusehen. In einem solchen Fall sei der objektiv gegebene
Bilanzierungsfehler bei derjenigen Veranlagung zu korrigieren, der die erste nach dem Offenbarwerden des Fehlers
aufgestellte Bilanz zugrunde liegt (Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818).
31 In dem Urteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818 hat der Senat überdies betont, dass in diesen Fällen auch die
Finanzverwaltung im Rahmen der Steuerfestsetzung an die vom Steuerpflichtigen zulässigerweise gebildeten
Bilanzansätze gebunden sei. Das FA dürfe von diesen Bilanzansätzen zwar abweichen, wenn sie den GoB nicht
entsprächen; das sei aber auch in diesem Zusammenhang nach dem Maßstab des Verhaltens eines ordentlichen
Kaufmanns zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung zu beurteilen, nach denen im dortigen Streitfall ein Verstoß gegen
Buchführungsgrundsätze nicht vorgelegen habe.
32 2. Auffassung der Finanzverwaltung
33 Die Finanzverwaltung praktiziert den subjektiven Fehlerbegriff im Bereich der Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2
Satz 1 EStG grundsätzlich so, wie er vom BFH entwickelt wurde (R 4.4 Abs. 1 Sätze 1 bis 5 des Amtlichen
Einkommensteuer-Handbuchs --EStH-- 2009; vgl. auch BMF-Schreiben vom 11. März 2008, BStBl I 2008, 496 --zur
bilanzsteuerrechtlichen Berücksichtigung von Altersteilzeitvereinbarungen nach dem Altersteilzeitgesetz--;
Verfügungen der Oberfinanzdirektionen Düsseldorf [und Münster] vom 10. Mai 2005, DB 2005, 1083, und München/
Nürnberg vom 1. April 2005, Finanz-Rundschau 2005, 560 --zur Bildung von Rückstellungen für
Beihilfeverpflichtungen--). In den Fällen, in denen der Steuerpflichtige entsprechend der im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung bestehenden Verwaltungsauffassung bilanziert hat, lässt R 4.4 Abs. 1 Satz 6 EStH 2009 eine
Bilanzberichtigung zu, wenn der Steuerpflichtige sich zwar bei der Bilanzierung an die damalige
Verwaltungsauffassung gehalten hat, jedoch seine gegenteilige Rechtsauffassung durch Zusätze oder Vermerke bei
der Bilanzaufstellung dokumentiert hat. Diese --wohl als Billigkeitsmaßnahme zu charakterisierende-- Möglichkeit zur
Bilanzberichtigung setzt allerdings nicht nur voraus, dass die gegenteilige Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen
durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt wird, sondern auch, dass sich aufgrund dieser Rechtsprechung
die Verwaltungsmeinung geändert hat. Eine darauf gestützte Bilanzberichtigung kommt also nur in Betracht, wenn das
BFH-Urteil im Bundessteuerblatt veröffentlicht und nicht mit einem "Nichtanwendungserlass" des BMF belegt ist.
34 Keine dezidierte Stellungnahme der Finanzverwaltung findet sich zu der Frage, inwiefern diese sich selbst an eine der
Bilanz zu Grunde liegende Rechtsauffassung zu einer ungeklärten Rechtsfrage gebunden sieht, die sich zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung im Bereich des subjektiv "Richtigen" befand und deren Fehlerhaftigkeit sich erst
nachträglich erwiesen hat. Im Streitfall hat das FA in der Revisionserwiderung die --nach Auffassung des Senats
unzutreffende-- Ansicht vertreten, das Unterlassen der Bildung des aktiven RAP durch die Klägerin sei zum Zeitpunkt
der Bilanzaufstellung nicht vertretbar und damit auch subjektiv falsch gewesen.
35 3. Sonstige Stellungnahmen zum subjektiven Fehlerbegriff
36 a) Für die Handelsbilanz wird der subjektive Fehlerbegriff als Ausprägung der GoB im Schrifttum grundsätzlich
anerkannt (vgl. Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftsprüfer --IDW-- vom 12. April 2007, Tz. 14, Fachnachrichten
IDW 2007, 265, 267; Adler/Düring/Schmaltz, a.a.O., AktG § 172 Rz 43; Ellrott/ Schubert in Beck'scher Bilanz-
Kommentar, a.a.O., § 253 HGB Rz 805; Welf Müller in Westermann u.a., Festschrift Quack, 1991, S. 359, 367; Schön in
Canaris u.a., 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, Bd. II, S. 153, 155 f.; Schulze-Osterloh, BB 2007, 2335).
Unterschiedliche Auffassungen bestehen zu der Frage, ob die Erkenntnismöglichkeiten des gewissenhaften und
pflichtgemäß handelnden Kaufmanns zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung oder zum Zeitpunkt der Feststellung der
Bilanz maßgeblich sein sollen (zum Diskussionsstand Küting/Kaiser, Die Wirtschaftsprüfung 2000, 577). Im Hinblick
auf die Beurteilung von Rechtsfragen wird diskutiert, ob auch für diejenigen Rechtsfragen, die sich auf die
Bilanzierung selbst beziehen, der subjektive Maßstab gelten soll oder nur für solche, deren Beantwortung lediglich für
die Erfassung des für die Bilanzierung maßgeblichen Sachverhalts erforderlich ist (in letzterem Sinne Schulze-
Osterloh, BB 2007, 2335, 2336).
37 b) Für die Steuerbilanz ist die Literatur der BFH-Rechtsprechung zum subjektiven Fehlerbegriff teilweise gefolgt (vgl.
Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 434 ff.; Crezelius in Kirchhof, a.a.O., § 4 Rz 235 f.; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., §§ 4,
5 EStG Rz 531 ff.; Wied in Blümich, a.a.O., § 4 EStG Rz 983; Strahl in Korn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz 421;
Heinicke in Schmidt, a.a.O., § 4 Rz 681; Ellrott/Schubert in Beck'scher Bilanz-Kommentar, a.a.O., § 253 HGB Rz 805).
38 Andere lehnen die Rechtsprechung grundsätzlich ab (Günther, Die steuerliche Betriebsprüfung --StBp-- 1963, 63;
Sauer, StBp 1977, 173, 175; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4 Rz C 106 ff.; Stapperfend in
Herrmann/Heuer/ Raupach, a.a.O., § 4 Rz 411; Kühnen in Bordewin/Brandt, a.a.O., § 4 Rz 1040, 1046; Meurer in
Lademann, Einkommensteuergesetz, § 4 EStG Rz 815; Tetzlaff/Schallock, StBp 2007, 148, 150; Hey in Tipke/Lang,
Steuerrecht, 20. Aufl., § 17 Rz 37; Flume, DB 1981, 2505, 2507; vgl. auch Knobbe-Keuk, Bilanz- und
Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 3 V a.E.). Sie entnehmen dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG ausschließlich
objektive Merkmale und sehen die Funktion der Steuerbilanz als Mittel zur Gewinnermittlung und damit zur
gesetzmäßigen und gleichmäßigen Besteuerung nur auf der Grundlage von objektiv richtigen Ansätzen als
gewährleistet an.
39 Ein Teil des Schrifttums zieht die Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs zumindest auf die Beurteilung ungeklärter
Rechtsfragen in Zweifel (vgl. Herzig/Nitzschke, DB 2007, 304, 306 ff.; Werra/Rieß, DB 2007, 2502, 2504 ff.;
Prinz/Schulz, DStR 2007, 776, 778 f.; Vliegen, Die Steuerberatung 2007, 111, 115 f.; i.E. auch Strahl in Korn, a.a.O., §
4 Rz 421.2; a.A. --der bisherigen Rechtsprechung zustimmend-- Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 437 f.; Hoffmann, Der GmbH-
Steuer-Berater 2008, 58, 59). Schulze-Osterloh (BB 2007, 2335, 2336) differenziert noch weiter und nimmt
entsprechend der von ihm zur Handelsbilanz vertretenen Auffassung nur die Beurteilung jener Rechtsfragen vom
subjektiven Maßstab aus, die sich auf die Bilanzierung beziehen --insbesondere die Grundsätze ordnungsmäßiger
Buchführung--, nicht aber solche, deren Beantwortung lediglich für die Erfassung des für die Bilanzierung
maßgeblichen Sachverhalts erforderlich ist.
40 c) Mit einer aus dem subjektiven Fehlerbegriff ggf. zu entnehmenden Bindung auch der Finanzverwaltung an die der
Bilanzierung zugrunde liegende Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen befasst sich die Literatur nicht eingehend.
Teilweise wird der Rechtsprechung --nämlich dem Senatsurteil in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818-- eine solche
Bindung entnommen (Rödder/ Hageböke, Die Unternehmensbesteuerung --Ubg-- 2008, 401, 406; vgl. auch
Tetzlaff/Schallock, StBp 2007, 148, 151); teilweise wird sie als "zu weitgehend" (Werra/Rieß, DB 2007, 2502, 2506)
bzw. unter Hinweis auf die Gesetzesbindung der Finanzverwaltung nach § 85 der Abgabenordnung --AO-- (Schulze-
Osterloh, BB 2007, 2335, 2336) abgelehnt (vgl. auch Buciek in Blümich, a.a.O., § 5 Rz 219, und in Höchstrichterliche
Finanzrechtsprechung 2008, 1224 sowie Kühnen in Bordewin/Brandt, a.a.O., § 4 Rz 1040, die unterschiedliche
Fehlerbegriffe im Rahmen von § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG einerseits und im Rahmen von § 5 Abs. 1 EStG andererseits in
Erwägung ziehen).
41 4. Stellungnahme des vorlegenden Senats
42 Der Senat hält es für vorzugswürdig, den subjektiven Fehlerbegriff nicht auf die Beurteilung bilanzrechtlicher
Rechtsfragen zu erstrecken.
43 a) Vorausgeschickt sei, dass der Senat sich weiterhin dafür ausspricht, die Bindungswirkung der vom
Steuerpflichtigen erstellten Bilanz für die Finanzverwaltung nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen, wie sie für
die "Richtigkeit" der Bilanz im Rahmen des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG gelten. Das FA sollte an die vom Steuerpflichtigen
im Rahmen der GoB zulässigerweise gebildeten Bilanzansätze gebunden bleiben (Senatsurteil in BFHE 218, 221,
BStBl II 2007, 818). Würde man es anders sehen und z.B. eine Bindung des FA nur an die objektiv richtigen
Bilanzansätze bejahen, während für § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG weiterhin uneingeschränkt der subjektive Fehlerbegriff
beibehalten würde, wäre § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG weitgehend sinnentleert. Denn das FA müsste auch unabhängig von
der Vornahme einer Bilanzberichtigung durch den Steuerpflichtigen stets die objektiv "richtigen" Ansätze zugrunde
legen und --zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen-- von der Bilanz abweichen, auch soweit diese zum
Aufstellungszeitpunkt subjektiv richtig gewesen sein mögen und vom Steuerpflichtigen selbst deshalb nicht mehr
geändert werden könnten. Ein Gleichlauf zwischen der Bindungswirkung der Bilanz für den Steuerpflichtigen
einerseits und für die Finanzverwaltung andererseits wäre demgegenüber systemgerecht und ist deshalb
vorzugswürdig.
44 b) Auch besteht aus Sicht des Senats keine Notwendigkeit, den subjektiven Fehlerbegriff ganz aufzugeben. Für die
Beurteilung der für die Bilanzierung maßgeblichen tatsächlichen Umstände kann vielmehr weiterhin auf die
subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns zum Aufstellungszeitpunkt
abgestellt werden. Dieser Sichtweise kommt in gewisser Hinsicht eine Befriedungsfunktion zu. Sie verhindert
einerseits, dass der Steuerpflichtige seine ursprünglichen Einschätzungen in Bezug auf für die Bilanzierung
erforderliche Prognosen, Schätzungen oder Beurteilungen von hypothetischen Kausalverläufen nachträglich --je nach
Opportunität-- revidieren kann. Andererseits bewahrt sie den Steuerpflichtigen davor, dass die Finanzverwaltung
durch nachträgliche Ermittlungen versucht, die Tatsachengrundlage der Bilanz zu erschüttern (z.B. in Bezug darauf,
ob der Schuldner einer wegen fehlender Bonität ausgebuchten Forderung am Bilanzstichtag nicht doch noch über
dem Bilanzierenden verborgen gebliebenes Vermögen verfügt hat). Durch den mit dem Gesetz zur Durchführung der
Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des
Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtliniengesetz) vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2355) normierten Grundsatz,
wonach im Jahresabschluss alle "vorhersehbaren" Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden
sind, zu berücksichtigen sind, auch wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung
bekannt geworden sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), hat der subjektive Fehlerbegriff überdies zumindest ansatzweise
Eingang in das positive Gesetzesrecht gefunden (Schön in Canaris u.a., a.a.O., S. 153, 155 f.; Schulze-Osterloh, BB
2007, 2335, 2336). Auch kommen die Gegner des subjektiven Fehlerbegriffs durch die Einräumung großzügiger
Beurteilungsspielräume und Entscheidungsprärogativen (vgl. Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4
Rz C 112; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 4 EStG Rz 411) faktisch ebenfalls zu einer
Einschränkung der Fehlertatbestände, so dass sich in der Praxis vielfach keine wesentlich unterschiedlichen
Ergebnisse ergeben dürften (vgl. Herzig/Nitzschke, DB 2007, 304, 306; Werra/Rieß, DB 2007, 2502, 2503).
45 c) In Bezug auf die Beurteilung bilanzrechtlicher Fragen hält der Senat indes ein Abstellen auf die
Erkenntnismöglichkeiten des Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung aus mehreren Gründen nicht für
sachgerecht.
46 aa) Ein subjektiver Maßstab in Bezug auf Rechtsfragen ist dem Verfahren der steuerlichen Gewinnermittlung
prinzipiell fremd. Hinsichtlich aller anderen Rechtsfragen, die sich außerhalb der Feststellung des Bilanzgewinns im
Rahmen der Gewinnermittlung stellen, ist allein die tatsächlich bestehende objektive Rechtslage maßgeblich und sind
deshalb weder Steuerpflichtiger noch Finanzverwaltung an eine zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung vertretbar
erscheinende der Steuererklärung zugrunde liegende Rechtsauffassung gebunden. Das gilt auch für Rechtsfragen,
die --auch wenn sie die Bilanzansätze an sich nicht berühren-- mit Bilanzierungsfragen in Zusammenhang stehen
können, wie beispielsweise solche in Zusammenhang mit der Nichtabziehbarkeit von Betriebsausgaben, mit der
Erfassung von Übernahmegewinnen gemäß § 12 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes 1995 (vgl. zu beidem das
Senatsurteil in BFHE 220, 361, BStBl II 2008, 669) oder mit verdeckten Gewinnausschüttungen i.S. von § 8 Abs. 3 Satz
2 KStG 1996. Ein überzeugender Grund dafür, unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe anzusetzen, je nach dem ob
sich ein gewinnrelevanter Vorgang innerhalb oder außerhalb der Bilanz vollzieht, besteht nicht.
47 bb) Der Sache nach besteht bei Anerkennung einer subjektiven Einschätzungsprärogative hinsichtlich der
Beantwortung ungeklärter Bilanzierungsfragen eine wahlrechtsähnliche Situation; der Steuerpflichtige kann sich für
eine von mehreren vertretbaren Rechtspositionen entscheiden (vgl. Senatsurteil in BFHE 222, 418, BStBl II 2008,
924). Das führt zwangsläufig dazu, dass der Steuerpflichtige bzw. dessen Berater bemüht sein müssen, bei allen
streitigen bzw. streitrelevanten Bilanzierungsfragen schon bei Aufstellung der Bilanz jeweils bis an die Grenze des
kaufmännisch gerade noch Vertretbaren zu gehen (vgl. die Empfehlungen von Rödder/Hageböke, Ubg 2008, 401,
405), um sich die Möglichkeit zu erhalten, von einer künftigen höchstrichterlichen Entscheidung zu der
Bilanzierungsfrage --so sie zugunsten des Steuerpflichtigen entschieden wird-- zu profitieren. Diese Situation erhöht
das Konfliktpotential zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung im Veranlagungs- und
Betriebsprüfungsverfahren und kann auch für den Steuerpflichtigen von Nachteil sein. Denn diese Vorgehensweise
steigert das Risiko späterer Steuernachforderungen mit --nicht abzugsfähigen-- Nachforderungszinsen gemäß § 233a
AO (vgl. Werra/Rieß, DB 2007, 2502); der bisherigen pragmatischen Praxis, die Steuerbilanz zunächst auf der
Grundlage der Verwaltungsauffassung zu erstellen und eine rechtliche Klärung erst im Rahmen der Betriebsprüfung
bzw. des sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahrens zu suchen (dazu Werra/Rieß, DB 2007, 2502;
Herzig/Nitzschke, DB 2007, 304, 307; Rödder/ Hageböke, Ubg 2008, 401, 407), wird auf diese Weise die Grundlage
entzogen. Eine solche Entwicklung sollte die Rechtsprechung nicht fördern.
48 cc) Überdies erscheint die wahlrechtsähnliche Situation in Bezug auf die Beurteilung von Rechtsfragen unter dem
verfassungsrechtlichen Aspekt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht unproblematisch. Denn wenn nicht
die objektive Rechtslage, sondern der vom Steuerpflichtigen konkret gewählte Bilanzansatz für die Gewinnermittlung
maßgeblich ist, kann dies zu einer unterschiedlichen Besteuerung wirtschaftlich vergleichbarer Sachverhalte nur
aufgrund von bilanztechnischen Entscheidungen der Steuerpflichtigen führen.
49 dd) Ein entscheidender Nachteil der Erstreckung des subjektiven Fehlerbegriffs auf die Beurteilung bilanzrechtlicher
Zweifelsfragen liegt aus Sicht des Senats darin, dass sie bei konsequenter Befolgung im Verhältnis zwischen
Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung zu einer Waffenungleichheit zu Lasten der Finanzverwaltung führt und einer
ausgewogenen Rechtsfortbildung im Bilanzsteuerrecht hinderlich ist.
50 Denn der Steuerpflichtige könnte auf dieser Grundlage bei ungeklärter Rechtslage durch die Entscheidung für einen
(ggf. gerade noch) vertretbaren Bilanzansatz ein Faktum schaffen, an das die Finanzverwaltung und die Gerichte in
dem betreffenden Steuerverfahren in einer Weise gebunden wären, dass die materiell-rechtliche Richtigkeit des
Bilanzansatzes nicht mehr entscheidungserheblich wäre. Das FA hätte dann nämlich in Bezug auf den Bilanzansatz
zunächst nur zu prüfen, ob dieser sich noch im Rahmen des vertretbaren Meinungsspektrums befindet; ist das der
Fall, besteht in dem betreffenden Verfahren kein Anlass mehr, sich überhaupt noch mit der objektiven materiellen
Rechtslage zu befassen. In gleicher Weise müsste das FG verfahren. Käme dieses zu dem Ergebnis, dass die der
Bilanzierung zugrunde liegende Rechtsauffassung aus der Sicht des Bilanzstichtags oder des Zeitpunkts der
Bilanzaufstellung noch vertretbar ist, wäre die objektive Rechtslage aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblich.
Eine Klärung der materiell-rechtlichen Streitfrage könnte das FA somit nur dadurch herbeizuführen versuchen, dass es
einen auf seiner eigenen materiellen Rechtsauffassung beruhenden --und damit fehlerhaften-- Steuerbescheid erlässt
und darauf hofft, dass das FG oder ggf. der BFH die Revision trotz Fehlens der dafür erforderlichen Voraussetzungen
zulassen und der BFH sodann per obiter dictum die bilanzrechtliche Streitfrage klärt. Der Erfolg der Finanzverwaltung
bestünde in diesem Fall aber auch nur darin, dass sie ihre Rechtsauffassung --falls sie vom BFH bestätigt wird--
hinsichtlich der zeitlich nach Ergehen der abschließenden BFH-Entscheidung aufgestellten Bilanzen zur Geltung
bringen könnte.
51 Auch hätte die Finanzverwaltung keine Handhabe dafür, eine bisher allseits akzeptierte Bilanzierungspraxis infrage
zu stellen oder eine neue bilanzrechtliche Rechtsfrage aufzuwerfen und gerichtlich klären zu lassen. Denn in jedem
Fall könnte sich der Steuerpflichtige auf die bisher anerkannte Praxis und die damit gegebene subjektive Richtigkeit
des betreffenden Bilanzansatzes berufen. Der Finanzverwaltung wäre es mithin verwehrt, neue bilanzrechtliche
Vorstellungen zur gerichtlichen Prüfung zu stellen. Initiativen zur Fortentwicklung des Bilanzrechts könnten nur von
den Steuerpflichtigen ausgehen.
52 ee) Schließlich ist zu bedenken, dass Steuerbescheide und Gerichtsurteile, die bilanzrechtliche Fragen anhand der
objektiven Rechtslage beurteilen, regelmäßig auf eine größere Akzeptanz stoßen würden. Es ist einerseits dem
Bilanzierenden, der sich bei der Bilanzaufstellung z.B. an eine damalige Bilanzierungspraxis oder
Verwaltungsauffassung gehalten hat, nur schwer vermittelbar, dass er --obwohl die Veranlagung noch "offen" ist-- von
einer zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Entscheidung zugunsten der Steuerpflichtigen nicht soll
profitieren können. Im umgekehrten Fall ist es der Allgemeinheit gegenüber schwer zu rechtfertigen, trotz
grundsätzlicher Änderbarkeit der Steuerfestsetzung einen Bilanzansatz anzuerkennen, der sich zwischenzeitlich als
rechtlich unzutreffend herausgestellt hat. Ein Gleichlauf zwischen der Änderbarkeit der Steuerfestsetzung einerseits
und der Bilanzansätze andererseits würde demgegenüber zu in sich konsistenteren und deshalb
überzeugungskräftigeren Ergebnissen führen.
53 d) Bei der Entscheidung über die Vorlagefrage zu bedenken ist allerdings, dass --jedenfalls nach Auffassung des
vorlegenden Senats-- auf der Grundlage der vorstehenden Argumentation der subjektive Maßstab in Bezug auf die
Beurteilung von Rechtsfragen nicht nur dann nicht zur Anwendung kommen dürfte, wenn es --wie in dem der Vorlage
zugrunde liegenden Sachverhalt-- um die Beurteilung von noch ungeklärten Rechtsfragen geht. Vielmehr könnte nach
diesen Erwägungen auch in den Fällen nicht mehr auf den subjektiven Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung abgestellt werden, in denen die Bilanz auf der Basis einer bislang von der BFH-Rechtsprechung
gebilligten Bilanzierungspraxis bzw. Verwaltungsauffassung aufgestellt worden ist und der BFH diese
Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ändert (so der Sachverhalt des BFH-Urteils in BFHE 170,
217, BStBl II 1993, 392). Der vorlegende Senat ist indes der Auffassung, dass diese Konsequenz kein triftiger Grund
ist, von der vorgeschlagenen Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs für die Beurteilung bilanzrechtlicher Fragen
abzusehen, zumal die Änderung einer bisher von der Verwaltung angewendeten höchstrichterlichen Rechtsprechung
nach der Vertrauensschutzregel des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bei der Aufhebung oder Änderung eines
Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf.