Urteil des BFH vom 30.04.2002

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BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.12.2007, VI R 13/05
Krankenkassenbeiträge von Grenzgängern zur Schweiz
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), beide in
Deutschland ansässig, wurden für die Streitjahre 1995 bis 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der
Kläger war als sog. Grenzgänger in der Schweiz nichtselbständig tätig. Die Beiträge zu seiner Krankenversicherung
musste er selbst tragen. Sein in der Schweiz ansässiger Arbeitgeber war nicht verpflichtet, zu den
Versicherungsbeiträgen Zuschüsse zu leisten, und hat solche tatsächlich auch nicht geleistet.
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Die Kläger beantragten, die Einkommensteuer nach § 163 der Abgabenordnung (AO) aus Billigkeitsgründen
abweichend festzusetzen und dabei die Einkünfte des Klägers in Höhe der Hälfte der von ihm allein getragenen
Versicherungsbeiträge steuerfrei zu belassen.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte dies ab. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb
erfolglos.
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Mit ihrer Klage brachten die Kläger im Wesentlichen vor, dass das Für und Wider einer Steuerreduzierung aus
sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründen durch das FA unzureichend erörtert und nicht tatsächlich
gegeneinander abgewogen worden sei. In Deutschland beschäftigte und freiwillig in der gesetzlichen
Krankenversicherung versicherte Arbeitnehmer erhielten von ihrem Arbeitgeber als Beitragszuschuss die Hälfte des
Beitrages nach § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei. In der Schweiz werde dagegen kein
steuerfreier Arbeitgeberzuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung geleistet. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes
(GG) werde verletzt, wenn zwischen den Grenzgängern und den in Deutschland Beschäftigten unterschieden werde.
Für den Kläger sei die zusätzliche dauernde Belastung auch eine große persönliche Härte. Darauf sei das FA nicht im
Einzelnen eingegangen.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
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Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nach ihrer
Auffassung seien 50 % der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung eines in Deutschland wohnenden und in
der Schweiz arbeitenden Steuerpflichtigen (Grenzgänger) aus verfassungsrechtlichen Gründen in
verfassungskonformer Anwendung des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG als fiktiver Arbeitgeberbeitrag steuerfrei zu stellen. Die
Ungleichbehandlung von Grenzgängern zur Schweiz mit den in Deutschland wohnenden und arbeitenden
Steuerpflichtigen begründe eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.
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Die Kläger beantragen,
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das Urteil des FG vom 21. September 2004 und den Bescheid des Beklagten vom 30. April 2002 i.d.F. der
Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2002 aufzuheben und die Einkommensteuer für 1995 unter Abänderung
des Einkommensteuerbescheids vom 27. November 1996 sowie die Einkommensteuerfestsetzungen für 1996 bis
2000 unter Abänderung der jeweiligen Bescheide vom 29. März 2004, zuletzt geändert durch Bescheide vom 7.
September 2005, dahingehend zu ändern, dass Beträge in Höhe von … DM, … DM, … DM, … DM, … DM sowie …
DM steuerfrei bleiben,
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hilfsweise,
10 das Einkommen der Kläger in Höhe der vorgenannten Beträge mit einer Einkommensteuer von 20 % zuzüglich
Annexsteuern zu besteuern,
11 hilfsweise,
12 die Vorentscheidung aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
13 Das FA beantragt,
14 die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
15 II. Die Revision der Kläger ist unbegründet. Sie ist daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
16 1. Nach § 163 Satz 1 AO kann eine Steuer u.a. niedriger festgesetzt werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des
einzelnen Falles unbillig wäre. Die nach § 163 AO zu treffende Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung
der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO (i.V.m. § 121 FGO) grundsätzlich nur eingeschränkter
gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin
geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Im Rahmen des § 163 AO bestimmt der Maßstab der
Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Dabei kann die Unbilligkeit entweder in der Sache
liegen oder ihren Grund in der Person des Steuerpflichtigen haben.
17 2. Danach ist die Beurteilung des FG, das FA habe es ermessensfehlerfrei abgelehnt, die Einkommensteuer für die
Streitjahre nach § 163 AO aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
18 a) Die Voraussetzungen einer sachlichen Unbilligkeit wurden zutreffend verneint. Sachlich unbillig ist die Erhebung
einer Steuer insbesondere dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht
mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Deshalb rechtfertigen Umstände, die dem
Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in
Kauf genommen hat, keinen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen. Härten, die dem Besteuerungszweck
entsprechen und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, sind
allenfalls durch eine Gesetzeskorrektur zu beheben (vgl. BFH-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482,
BStBl II 1994, 833; vom 11. Januar 2006 XI R 31/04, BFH/NV 2006, 943, jeweils m.w.N.; Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1994 2 BvR 89/91, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1995,
220).
19 aa) Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass es der für den Streitfall geltenden Rechtslage entspricht,
Krankenkassenbeiträge der Grenzgänger zur Schweiz nicht zur Hälfte vom steuerlichen Arbeitslohn abzuziehen
(BFH-Beschlüsse vom 25. Januar 2000 VI B 108/98, BFH/NV 2000, 836, sowie vom 20. Dezember 2001 VI B 198/99,
BFH/NV 2002, 659).
20 Diese Rechtslage steht auch nicht im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers. Denn § 3 Nr. 62 EStG erklärt zwar
Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers für steuerfrei. Die Steuerfreiheit setzt aber
voraus, dass der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder
nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist. Indessen ist weder § 3 Nr. 62 EStG
selbst noch dem Einkommensteuerrecht insgesamt die gesetzgeberische Grundentscheidung zu entnehmen, dass
unabhängig von diesen tatbestandlichen Voraussetzungen Lohn stets insoweit von der Einkommensteuer zu befreien
wäre, als er für Zukunftssicherungsleistungen verwendet wird.
21 bb) Wenn die Kläger angesichts tatsächlich vom Arbeitgeber nicht erbrachter Zuschüsse zu
Zukunftssicherungsleistungen eine Steuerbefreiung fordern und diese Forderung auf den
Gleichbehandlungsgrundsatz stützen, begehren sie nicht die Besteuerung eines tatsächlich verwirklichten, sondern
eines fiktiven Sachverhalts. Soweit die Kläger darauf bestehen, dass der von ihnen tatsächlich verwirklichte
Sachverhalt wie der fiktive Sachverhalt zu behandeln sei, begehren sie im Ergebnis die Gleichbehandlung ungleicher
Sachverhalte. Eine solche Gleichbehandlung ist im Streitfall von Verfassungs wegen nicht geboten. Denn wenn der
Arbeitgeber zu solchen steuerfreien Zuschüssen nicht verpflichtet ist und solche auch nicht erbringt, ist es nicht
Aufgabe des Steuerrechts, diese vorgefundene sozial- und arbeitsrechtliche Grundlage steuerlich auszugleichen.
22 cc) Auch der Einwand des Klägers, Art. 3 Abs. 1 GG werde verletzt, weil zwischen den Grenzgängern und den in
Deutschland Beschäftigten unterschieden werde, greift nicht durch. Denn wie der erkennende Senat im Fall eines
inländischen Arbeitgebers, der für einen unbeschränkt steuerpflichtigen französischen Arbeitnehmer an eine
französische Sozialversicherung Arbeitgeberanteile entrichtet, entschieden hatte (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2004
VI R 11/01, BFHE 206, 158, BStBl II 2004, 1014), differenziert der Tatbestand des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG nicht
zwischen inländischen und ausländischen Arbeitgebern, sondern zwischen gesetzlich verpflichteten und gesetzlich
nicht verpflichteten Arbeitgebern und betrifft in gleicher Weise auch Inlandssachverhalte. Zu Recht hat das FG insoweit
schließlich noch auf die Unterschiede hingewiesen, die zwischen dem Fall des Klägers, der als Grenzgänger
weitgehend in das wirtschaftliche System der Schweiz eingegliedert ist, insbesondere in den Arbeitsmarkt und das
dortige arbeits- und sozialrechtliche System, und einem in Deutschland tätigen Arbeitnehmer bestehen. Entgegen der
Auffassung der Kläger ist das FA von Verfassungs wegen nicht gehalten, diese außerhalb des Steuerrechts
angelegten Unterschiede im Rahmen einer die Einkommensteuerfestsetzung betreffenden Billigkeitsentscheidung
auszugleichen.
23 b) Die Entscheidung des FG, das FA habe ermessensfehlerfrei das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit verneint,
ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Würdigung, dass keine persönliche Unbilligkeit in Form der
Erlassbedürftigkeit gegeben ist, weil die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Klägers
vernichten oder ernstlich gefährden würde, erscheint angesichts der im finanzgerichtlichen Verfahren festgestellten
aktenkundigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger möglich.
24 Soweit die Kläger hierzu im Revisionsverfahren weitere Tatsachen vorgetragen haben, können diese nicht
berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 81/02, BFHE 203, 484, BStBl II 2004, 118, 121).