Urteil des BFH vom 13.02.1996

BFH (rechtliches gehör, anspruch auf rechtliches gehör, kläger, wert, grundstück, verletzung, höhe, einverständnis, stelle, klageverfahren)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.10.2008, X B 170/07
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bei behaupteter Divergenz und Rüge der Verletzung der
Sachaufklärungspflicht - Funktion eines Grundstücks für einen Teilbetrieb - Ermittlung des Wertes einer GmbH-Beteiligung
nach dem Stuttgarter Verfahren - Greifbare Gesetzwidrigkeit eines Urteils - Vorliegen einer Überraschungsentscheidung -
Verstoß gegen den Akteninhalt
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die Zulassungsgründe teils nicht
gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt, teils sind sie nicht gegeben.
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1. Der Kläger macht geltend, die Zulassung der Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S.
des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erforderlich.
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a) Er entnimmt dem Urteil des Finanzgerichts (FG) den Rechtssatz, dass bei einem Einzelhandelsgeschäft das
Grundstück, auf dem das Einzelhandelsgeschäft betrieben wird, zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehört. Er
folgert daraus, das FG habe den "absoluten" Grundsatz aufgestellt, das Grundstück stelle stets und ohne weitere
Prüfung seiner Bedeutung für den Betrieb eine wesentliche Betriebsgrundlage dar. Demgegenüber verneine der
Bundesfinanzhof (BFH) den vom FG angenommenen Automatismus, sondern verlange vielmehr im jeweiligen Fall die
Prüfung, ob das Grundstück, auf dem sich das Einzelhandelsgeschäft befinde, "für die Betriebsführung von
besonderem Gewicht ist". Für die Frage, ob ein Betriebsgrundstück eine wesentliche Betriebsgrundlage sei, müsse
somit nach der Rechtsprechung des BFH die wirtschaftliche Bedeutung eines Betriebsmittels mit der Folge beachtet
werden, dass ein Grundstück keine wesentliche Betriebsgrundlage sei, wenn es für den Betrieb ohne oder nur von
geringer Bedeutung sei. Diese Grundsätze habe das FG erkennbar nicht angewendet, obwohl sich "hätte aufdrängen
müssen, dass möglicherweise das Grundstück eben für die Fortführung des Betriebes der GmbH nicht von
erheblichen Gewicht ist". Für deren Geschäftsbetrieb habe die eigentliche Bäckerei und der Firmensitz in der X-straße
eine wesentlich höhere Bedeutung gehabt. Dies zeige sich deutlich in der unterschiedlichen Höhe des Pachtzinses
für beide Objekte und der stillen Reserven in dem Ladengrundstück und dem GmbH-Anteil des Vaters des Klägers
sowie in der für den Geschäftsbetrieb völlig untergeordneten Bedeutung des Ladenlokals B-Straße, in dem nur 1 %
des Jahresumsatzes erzielt werde.
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b) Zwar hat der Kläger für seine Auffassung die Entscheidungen unter Angabe des Datums, des Aktenzeichens und
der Fundstelle genau bezeichnet (z.B. BFH-Urteile vom 13. Februar 1996 VIII R 39/92, BFHE 180, 278, BStBl II 1996,
409; vom 4. Dezember 1997 III R 231/94, BFH/NV 1998, 1001; vom 27. August 1998 III R 96/96, BFH/NV 1999, 758),
von denen nach seiner Auffassung das FG abweicht. Damit hat er die angeführte formelle Anforderung an die
Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz erfüllt. Er hat jedoch verkannt, dass es für die Bedeutung der
Funktion eines Grundstücks für einen Teilbetrieb im Falle eines Betriebsübergangs nicht auf die Bedeutung des
Grundstücks für den Betrieb des Übernehmenden ankommt, sondern allein darauf, welche Bedeutung das Grundstück
im Teilbetrieb des Übergebenden innehatte (vgl. Schmidt/Wacker, EStG, 27. Aufl., § 16 Rz 149, 150). Insoweit gehen
die Bemühungen des Klägers fehl, eine Abweichung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des BFH
darzulegen, zumal das FG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH aufgrund der Würdigung des
Einzelfalls die wesentliche Bedeutung des Betriebsgrundstücks in der B-Straße für einen Einzelhandelsbetrieb
bejahen konnte.
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2. Eine weitere Abweichung des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des BFH sieht der Kläger darin, dass
nach der Auffassung des FG das Zurückbehalten einer wesentlichen Betriebsgrundlage gleichsam automatisch zur
Versagung der Anwendung des § 6 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führe. Das FG habe in einem Satz
von der angeblichen Eigenschaft des Grundstücks als wesentliche Betriebsgrundlage auf den Ausschluss des § 6
Abs. 3 EStG geschlossen. Dagegen müsse nach Auffassung des Klägers aus dem BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 758,
wonach keine unentgeltliche Betriebsübergabe im Ganzen vorliegt, wenn der Übergeber von den wesentlichen
Grundlagen des Betriebes einen Teil zurückbehalten hat, der weder der relativen noch der absoluten Größe oder dem
Wert nach von untergeordneter Bedeutung war, im Umkehrschluss gefolgert werden, "dass dann, wenn selbst
wesentliche Betriebsgrundlagen zurückbehalten werden, die eben 'nach der relativen oder absoluten Größe oder dem
Wert von untergeordneter Bedeutung waren', dies einer unentgeltlichen Übertragung des gesamten Betriebes nicht im
Wege steht". Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob der vom Kläger gezogene Umkehrschluss der Intention
des BFH-Urteils in BFH/NV 1999, 758 entspricht.
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Der Kläger lässt außer Acht, dass für einen Teilbetrieb, dessen Gegenstand --wie im Streitfall ab dem Jahr 1996-- die
Verpachtung eines Einzelhandelsgeschäftes ist, unabhängig vom Grundstückswert das Ladengrundstück die
wesentliche Betriebsgrundlage ist, und dass sich deren Wert nicht aus der Relation zum übrigen Betriebsvermögen
des Übergebers und erst recht nicht aus der Relation zum Wert des Betriebsvermögens des Übernehmers oder der
von ihm gehaltenen GmbH ergibt. Infolgedessen fehlt es auch insoweit an der vom Kläger behaupteten Divergenz.
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3. Der Kläger führt aus, das angefochtene Urteil stelle eine greifbar gesetzwidrige Entscheidung dar und rechtfertige
deshalb die Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO. Zur Begründung dieser Auffassung weist
er darauf hin, dass der Betriebsprüfer den Wert der GmbH-Anteile nach Abschn. 8 der Vermögensteuer-Richtlinien
(VStR) 1995 ermittelt habe, wie sich aus der Überschrift der Anlage ergebe, in der die Wertermittlung wiedergegeben
sei. Das FG habe übersehen, dass für die Berechnung des gemeinen Wertes der Anteile nach dem Stuttgarter
Verfahren für die Streitjahre die Erbschaftsteuer-Richtlinien des Jahres 1998 anzuwenden gewesen seien. Damit
habe das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen, was ohne Weiteres
erkennbar und ein offensichtlicher Fehler sei.
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Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Annahme einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung. Zum Einen handelt es
sich um einen Fehler im Verwaltungsverfahren und nicht im Klageverfahren. Zum Anderen erschöpft sich dieser
Fehler --ohne jede materielle Auswirkung-- im Formellen. An der Wertermittlung nach dem Stuttgarter Verfahren hat
sich nichts dadurch geändert, dass dieses Verfahren seit 1998 nicht mehr in den VStR, sondern in den
Erbschaftsteuer-Richtlinien dargestellt ist (vgl. BFH-Urteile vom 12. Juli 2006 II R 75/04, BFHE 213, 215, BStBl II 2006,
704; vom 1. Februar 2007 II R 19/05, BFHE 215, 508, BStBl II 2007, 635).
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4. Der Kläger rügt, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, weil es die Grundlagen des
Wertes der GmbH-Anteile nicht genügend erforscht habe, obwohl sich ihm Ermittlungen auch ohne Beweisantritt
hätten aufdrängen müssen. Wird die Verletzung der Sachaufklärungspflicht als Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs.
2 Nr. 3 FGO gerügt, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH zur schlüssigen Darlegung dieses
Zulassungsgrundes u.a. Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben
müssen und welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben
hätten (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2002 X B 6/02, BFH/NV 2003, 318). Diese Anforderungen hat der
Kläger nicht erfüllt, zumal aus der vorgelegten Unterlage ersichtlich ist, dass der bemängelte Widerspruch auf einem
offensichtlichen Versehen beruht. Er hat sich damit begnügt, auf widersprüchliche Zahlenangaben des Betriebsprüfers
bei der Ermittlung des Wertes des GmbH-Anteils nach dem Stuttgarter Verfahren hinzuweisen. Dagegen hat er es
unterlassen darzulegen, auf welche Weise und mit welchen Mitteln nach seiner Auffassung das FG den Wert hätte
ermitteln sollen.
10 5. Der Kläger rügt, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) verletzt. Es habe ihn weder
vom Vorliegen der Betriebsprüfungsakten noch von der Anfrage vom 18. September 2006 des Gerichts an den
Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) noch von dessen Antwort vom 16. Oktober 2006 unterrichtet.
Dem steht der Inhalt der FG-Akte entgegen. Nach den Vermerken der Geschäftsstelle beim zuständigen Senat des FG
sind dem Kläger die von ihm als fehlend bemängelten Informationen zugeleitet worden.
11 6. Fehl geht die Rüge des Klägers, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil das FG "erstmals
und ohne, dass dies nach Aktenlage im Verfahren zuvor tatsächlich und rechtlich erörtert worden ist", auf die Vorschrift
des § 6 Abs. 3 EStG eingegangen sei. Das angefochtene Urteil sei deshalb eine Überraschungsentscheidung. Wie
Blatt 36 der FG-Akte zeigt, hat das FA schon in seiner Klageerwiderung vom 24. Juni 2003 die Ansicht vertreten, eine
Übertragung zu Buchwerten gemäß § 6 Abs. 3 EStG komme nicht in Betracht. Von daher musste der bereits vor dem
FG fachkundig vertretene Kläger sich auf diese Überlegung schon lange vor der Entscheidung des FG einstellen. Er
konnte entgegen seiner Auffassung von diesem Gedanken nicht überrascht werden. Der Kläger hat es außerdem
unterlassen darzulegen, was er ohne die behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorgebracht
hätte. Solches Vorbringen ist entgegen seiner Ansicht zur schlüssigen Darlegung dieses Verfahrensfehlers nur dann
entbehrlich, wenn durch die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dem Beteiligten im Verfahren vor dem
FG jede Möglichkeit der Äußerung genommen war, z.B. wegen Verweigerung der mündlichen Verhandlung
(Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802). Es ist
jedoch bei einer behaupteten nur punktuellen Beeinträchtigung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erforderlich (vgl.
Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 11 und 14, m.w.N. aus der Rechtsprechung).
12 7. Die Auffassung des Klägers, das angefochtene Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar und verletze
seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, weil das FG mit seiner Entscheidung ohne weitere Erörterung im
Klageverfahren von seiner Rechtsauffassung im Aussetzungsverfahren abgewichen sei, greift nicht durch. Der Kläger
lässt außer Acht, dass das FG im Aussetzungsverfahren die Entscheidung über die unterschiedlichen
Rechtsauffassungen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten hat.
13 8. Der Kläger rügt erfolglos einen Verstoß gegen den Inhalt der Akten und damit eine Verletzung der Pflicht, das Urteil
auf das Gesamtergebnis des Verfahrens zu stützen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zur Begründung führt er aus, während
der Prozessbevollmächtigte im Klageverfahren Einverständnis mit dem Ansatz des Wertes der GmbH-Anteile in Höhe
von 1 505 500 DM zum 1. Januar 1996 erklärt habe, sei das FG von einem Einverständnis mit dem Wertansatz zum 1.
Januar 2000 in Höhe von 1 550 000 DM ausgegangen.
14 Der Kläger übersieht bei diesem Vorbringen, dass der damalige Prozessbevollmächtigte seiner
Einverständniserklärung die Feststellung vorangestellt hat, es werde die Einbeziehung des Veräußerungsgewinns in
der Sache selbst bestritten. Aus dem sich anschließenden Einverständnis konnte das FG ohne Widerspruch zum
Akteninhalt zutreffend das Einverständnis mit der Höhe des zum 1. Januar 2000 angesetzten Wertes der GmbH-
Anteile ableiten. Dieser Wert baute auf dem zum 1. Januar 1996 auf. Die Steigerung war geringfügig und für den
damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers offensichtlich so nachvollziehbar, dass er keinen Anlass sah, den
Wert zum 1. Januar 2000 in Frage zu stellen. Daher ist der Vorwurf nicht gerechtfertigt, das FG habe seine
Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen.