Urteil des BFH vom 24.07.2013

Unwirksame Optionserklärung des Kleinunternehmers bei Beschränkung auf einen Unternehmensteil - Verzicht auf die Besteuerung als Kleinunternehmer durch Abgabe einer Umsatzsteuer-Jahreserklärung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 24.7.2013, XI R 31/12
Unwirksame Optionserklärung des Kleinunternehmers bei Beschränkung auf einen
Unternehmensteil - Verzicht auf die Besteuerung als Kleinunternehmer durch Abgabe einer
Umsatzsteuer-Jahreserklärung
Leitsätze
Ein Kleinunternehmer kann mit einer nur für einen Unternehmensteil erstellten
Umsatzsteuererklärung nicht rechtswirksam auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG verzichten.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) als Kleinunternehmer auf die
Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) im Streitjahr
2003 durch die für den Unternehmensteil "Hausverwaltung" eingereichte
Umsatzsteuererklärung für 2003 rechtswirksam verzichtet hat.
2 Für das Kalenderjahr 2002 gab der seinerzeit ausschließlich als Trainer unternehmerisch
tätige Kläger keine Umsatzsteuererklärung ab. In seiner ertragsteuerrechtlichen Einnahmen-
Überschussrechnung für 2002 hat er Umsatzerlöse in Höhe von 10.014,86 EUR,
steuerpflichtige Umsätze aus unentgeltlichen Wertabgaben in Höhe von 9.131,50 EUR und
Zinseinnahmen in Höhe von ... EUR angeführt.
3 Am 7. Juli 2004 reichte er beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) eine ohne
Mitwirkung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellte Umsatzsteuererklärung
für 2003 für den in diesem Jahr von ihm neu eröffneten Unternehmensteil "Hausverwaltung"
ein, ohne im Rahmen der "Allgemeinen Angaben" oder an anderer Stelle des Vordrucks
USt 2 A die --von ihm weiter ausgeübte-- Trainertätigkeit anzugeben. In dieser Erklärung
hatte der Kläger die Art des Unternehmens (Zeile 10) mit "Hausverwaltung" bezeichnet und
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen,
Entnahmen für unternehmensfremde Zwecke sowie Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von
anderen Unternehmern angesetzt. Daraus ergab sich eine Vorsteuervergütung in Höhe von
... EUR, die am 17. Dezember 2004 an den Kläger ausbezahlt wurde. Die Umsätze und
Vorsteuerbeträge aus der Tätigkeit als Trainer gab er in der Umsatzsteuererklärung für 2003
nicht an.
4 Der Kläger gab ebenfalls am 7. Juli 2004 seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr
ab. Mit der Steuererklärung reichte der Kläger zwei Gewinnermittlungen nach den
Grundsätzen der Einnahmen-Überschussrechnung ein. Erstens legte der Kläger eine
Gewinnermittlung für sein Unternehmen "..." (die Trainertätigkeit) vor. Zweitens reichte der
Kläger eine Gewinnermittlung für das Unternehmen "Hausverwaltung" ein. In der Anlage
GSE wies der Kläger einen Verlust aus dem Gewerbebetrieb "Hausverwaltung" und für die
Trainertätigkeit einen Gewinn aus selbständiger Arbeit aus.
5 Am 22. Januar 2007 erließ das FA einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2003, in
dem es unter Zugrundelegung der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung die Umsätze
aus der Trainertätigkeit sowie die entsprechenden (geschätzten) Vorsteuerbeträge in die
Steuerberechnung mit einbezog, da der Kläger nach Auffassung des FA mit der
Umsatzsteuererklärung für 2003 für das gesamte Unternehmen auf die Anwendung der
Kleinunternehmerregelung verzichtet habe, so dass auch die Umsätze aus der
Trainertätigkeit der Umsatzsteuer unterlägen.
6 Der Einspruch war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab dagegen der Klage statt; es setzte
die Umsatzsteuer für 2003 unter Berücksichtigung der in Rechnungen unberechtigt
ausgewiesenen Steuerbeträge (§ 14 Abs. 3 UStG) auf ... EUR fest.
7 Das FG führte im Wesentlichen aus, der Umsatzsteuererklärung für den Bereich
"Hausverwaltung" komme nach den gesamten Umständen des Streitfalls nicht der
Erklärungsgehalt zu, dass der Kläger auf die Inanspruchnahme der
Kleinunternehmerregelung verzichtet habe und deshalb die von ihm ausgeführten Umsätze
der Regelbesteuerung unterlägen. Die Umsatzsteuererklärung des Klägers für 2003 habe
sich --für das FA erkennbar-- nur auf einen Teilbereich seines Unternehmens erstreckt; ihr
Erklärungsgehalt im Hinblick auf § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG sei mehrdeutig.
8 Bei der in Höhe von ... EUR festzusetzenden Umsatzsteuer handele es sich um die
Steuerbeträge, die der Kläger in seinen im Streitjahr ausgestellten Rechnungen für den
Bereich "Hausverwaltung" als Kleinunternehmer unberechtigt ausgewiesen habe.
9 Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 258 veröffentlicht.
10 Mit der Revision macht das FA die Verletzung materiellen Rechts geltend. Das Urteil des FG
verstoße gegen § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG. Der Kläger habe mit der Abgabe der
Umsatzsteuererklärung für 2003 eine bewusste und gezielte Entscheidung, die
Regelbesteuerung in Anspruch zu nehmen, getroffen. Er habe bezweckt, die (nur) aus der
Tätigkeit als Hausverwalter resultierenden Vorsteuerüberhänge erstattet zu bekommen.
Daher hätten sich nach dem objektiven Empfängerhorizont Anhaltspunkte für das FA
ergeben, dass ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein vorgelegen habe. Die fehlende
Kenntnis des Klägers von der Wirkung dieser Willenserklärung dahingehend, dass daraufhin
die Umsatzsteuer auf sämtliche Umsätze des Unternehmens erhoben werde, sei
unerheblich.
11 Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
12 Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der
Umsatzsteuererklärung für 2003, die lediglich den Bereich "Hausverwaltung" erfasst, nicht
der Erklärungsgehalt zukommt, der Kläger habe für sein Unternehmen auf die Nichterhebung
der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG verzichtet.
14 1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG geschuldete Umsatzsteuer vom Kläger als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 Satz 1
UStG nicht zu erheben war.
15 a) Die für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer wird von
Unternehmern, die im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten
ansässig sind, nicht erhoben, wenn der Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im
vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 EUR nicht überstiegen hat und im laufenden
Kalenderjahr 50.000 EUR voraussichtlich nicht übersteigen wird (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG).
16 b) Ein Unternehmer, der --wie das FG im Streitfall zutreffend festgestellt hat-- die
Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt, weil er die dort genannten
Umsatzgrenzen nicht überschreitet (sog. Kleinunternehmer), hat gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1
UStG die Möglichkeit, auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG zu verzichten. § 19 Abs. 2
UStG lautet: "Der Unternehmer kann dem Finanzamt bis zur Unanfechtbarkeit der
Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4) erklären, dass er auf die Anwendung des Absatzes 1
verzichtet. Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung bindet die Erklärung den
Unternehmer mindestens für fünf Kalenderjahre. Sie kann nur mit Wirkung von Beginn eines
Kalenderjahres an widerrufen werden. Der Widerruf ist spätestens bis zur Unanfechtbarkeit
der Steuerfestsetzung des Kalenderjahres, für das er gelten soll, zu erklären."
17 c) Ein Verzicht auf die Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG
(sog. Option zur Regelbesteuerung) kann von einem sog. Kleinunternehmer dem FA
gegenüber auch in der Weise durch konkludentes Verhalten erklärt werden, dass dieser dem
FA auf einem für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruck eine
Umsatzsteuererklärung einreicht, in welcher er die Umsatzsteuer nach den allgemeinen
Vorschriften des Gesetzes berechnet und den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat (vgl.
Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Dezember 1985 V R 167/82, BFHE 145, 457,
BStBl II 1986, 420, unter II.1.b; vom 9. Juli 2003 V R 29/02, BFHE 202, 403, BStBl II 2003,
904, unter II.2.b; Abschn. 19.2. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Satz 2 des Umsatzsteuer-
Anwendungserlasses --UStAE--).
18 Bei der diesbezüglichen Würdigung kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Von
ihnen hängt es ab, ob durch das FA der Inhalt einer Steuererklärung zweifelsfrei zugleich als
Erklärung zur Ausübung des steuerrechtlichen Gestaltungsrechts aufgefasst werden darf
oder ob dem Inhalt eine solche Bedeutung nicht zukommt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 145, 457,
BStBl II 1986, 420, unter II.1.b).
19 In Zweifelsfällen muss das FA den Kleinunternehmer fragen, welcher Besteuerungsform er
seine Umsätze unterwerfen will (vgl. Abschn. 19.2. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Satz 3 UStAE). Die
Beseitigung etwa bestehender Zweifel ist wegen der erheblichen Rechtsfolgen, nämlich der
nach § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG für mindestens fünf Kalenderjahre geltenden Bindung des
Verzichts auf die Kleinunternehmerbesteuerung, aus Gründen der Rechtssicherheit
erforderlich. Verbleiben Zweifel, kann eine Option zur Regelbesteuerung nicht angenommen
werden.
20 d) Da der § 19 UStG unterfallende Kleinunternehmer ein einheitliches Unternehmen (vgl. § 2
Abs. 1 Satz 2 UStG) betreibt, muss der Verzicht nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG auf die
Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG für alle Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG des
Unternehmers, d.h. für das gesamte Unternehmen, erklärt werden (vgl. Stadie in
Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 19 Rz 125; Friedrich-Vache in
Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 19 Rz 35; Mößlang in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 19
Rz 4, 29; Meurer, Neue Wirtschafts-Briefe 2013, 2016, 2019; s. für einen von einem
Insolvenzverwalter erklärten Verzicht BFH-Urteil vom 20. Dezember 2012 V R 23/11, BFHE
240, 377, BStBl II 2013, 334, Rz 9 ff.). Eine Verzichtserklärung, die sich auf einzelne
Unternehmensteile beschränkt, ist daher umsatzsteuerrechtlich wirkungslos (vgl.
Nieuwenhuis in Offerhaus/Söhn/ Lange, § 19 UStG Rz 50; Mößlang in Sölch/Ringleb, a.a.O.,
§ 19 Rz 4, 28 f.; Meyer, EFG 2013, 259, 260). Die für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG
geschuldete Umsatzsteuer ist in einem solchen Fall nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht zu
erheben.
21 Eine Umsatzsteuererklärung, aus der erkennbar der Verzicht auf die Nichterhebung der
Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG abgeleitet werden soll, muss sich damit auf alle Tätigkeiten
des Unternehmers beziehen, weil der Erklärungsempfänger nur dann zweifelsfrei davon
ausgehen kann, dass das umsatzsteuerrechtliche Rechtsverhältnis durch das vom
Unternehmer ausgeübte Gestaltungsrecht umgestaltet werden soll.
22 2. Das FG hat hiervon ausgehend zu Recht entschieden, dass der Kläger im Streitfall mit der
nur für den Unternehmensteil "Hausverwaltung" erstellten Umsatzsteuererklärung für 2003 --
was dem FA als Erklärungsempfänger bekannt war-- nicht rechtswirksam auf die
Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG verzichtet hat.
23 Der Umsatzsteuererklärung für 2003 kann --auch im Wege der Auslegung-- nicht der
Erklärungsgehalt entnommen werden, dass der Kläger für sein gesamtes Unternehmen zur
Regelbesteuerung optieren wollte (gl. A. Meyer, EFG 2013, 259, 260). Er hat damit nicht
rechtswirksam gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19
Abs. 1 UStG verzichtet.
24 3. Das FA hat die Vorentscheidung revisionsrechtlich nicht angegriffen, soweit das FG die
Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG unter Berücksichtigung der vom Kläger in Rechnungen
unberechtigt ausgewiesenen Steuerbeträge in Höhe von ... EUR festgesetzt hat (vgl. dazu
BFH-Urteil in BFHE 202, 403, BStBl II 2003, 904, unter II.3.a; BFH-Beschluss vom 9. März
2009 XI B 87/08, nicht veröffentlicht, juris).