Urteil des BFH vom 14.03.2017

BFH: diabetes mellitus, ausbildung, steuerbefreiung, pflegerin, heilbehandlung, heilpraktiker, berufserfahrung, abschlussprüfung, anleitung, trennung

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Gericht:
Finanzgericht des
Landes Brandenburg
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
1999, 2000
Aktenzeichen:
1 K 2118/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Nr 14 S 1 UStG 1999, Art 13
Teil A Abs 1 Buchst c EWGRL
388/77, § 124 Abs 2 SGB 5, § 92
SGB 5
Steuerfreiheit der Umsätze aus Tätigkeit als Fußpflegerin
Tatbestand
Bis zum Jahre 2001 war der Beruf des medizinischen Fußpflegers (des Podologen) nur in
wenigen Bundesländern gesetzlich geregelt. Erst durch das Gesetz über den Beruf der
Podologin und des Podologen und zur Änderung anderer Gesetze vom 4. Dezember
2001, Bundesgesetzblatt - BGBl. - I 2001, 3320 - PodG - wurden der Beruf und seine
Zulassungsvoraussetzungen allgemein definiert. Nach den am 1. August 2002 in Kraft
getretenen neu überarbeiteten Heilmittelrichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte
und Krankenkassen zu § 124 Sozialgesetzbuch - SGB - V vom 1. Dezember 2003/16.
März 2004, Bundesanzeiger 2004, 12183, in der Fassung vom 21. Dezember 2004,
Bundesanzeiger 2005, 4995 wurde auch die Behandlung krankhafter Veränderungen
ohne Hautdefekt am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom), allerdings
mit ärztlicher Eignungsdiagnose verordnungsfähig und als Heilmittel anerkannt.
Nach ihrem Vorbringen ist die Klägerin seit 1992, zunächst im Angestelltenverhältnis,
seit dem 1. August 1999 selbständig als medizinische Fußpflegerin tätig. Sie arbeite,
trägt sie vor, fast ausschließlich im medizinischen Bereich. Vornehmlich behandle sie
Patienten, die aufgrund ihres Alters, Diabetes oder schwerer Nierenerkrankungen einer
besonderen Fußpflege bedürften. Ihre Praxis sei regelmäßig vom Gesundheitsamt
überprüft worden. Bei der Berufsgenossenschaft sei sie als medizinische Fußpflegerin
eingestuft worden. Sie sei inzwischen zur staatlichen Prüfung nach § 10 Abs. 6 PodG
zugelassen worden.
Der Beklagte versagte der Klägerin in den Umsatzsteuerbescheiden für 1999 und 2000
die beantragte Umsatzsteuerfreiheit ihrer Leistungen. Hiergegen richtet sich die nach
erfolglosem Einspruch erhobene Klage.
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, sie habe keine Ausbildung zur Podologin in
einer Schule oder einer ähnlichen Institution erfahren und auch keine
Fortbildungsmaßnahmen durchlaufen. Sie habe auch - noch - keine Prüfung abgelegt.
Sie sei von ihrer früheren Arbeitgeberin angeleitet worden. Infolge der inzwischen über
zehnjährigen Tätigkeit als Podologin, überwiegend an alten und zuckerkranken
Menschen, verfüge sie über die Voraussetzungen zur Ablegung der staatlichen Prüfung
und anschließenden Zulassung als Podologin nach dem PodG. Ihre Tätigkeit habe auch
in den Streitjahren dem Berufsbild des Podologen entsprochen, wobei es in Brandenburg
keine gesetzliche Möglichkeit der Ausbildung, Prüfung und der Zulassung gegeben habe.
Ihre Leistungen müssten deshalb als umsatzsteuerfrei behandelt werden, nachdem erst
jetzt die Voraussetzungen einer Prüfung und Zulassung erfüllt werden könnten.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über die Umsatzsteuer 1999 vom 22. August 2000 und über die
Umsatzsteuer 2000 vom 24. Januar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
21. August 2003 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nicht vorlägen, weil
in den Streitjahren podologische Leistungen nicht in den Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen gewesen seien.
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Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide sind
rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat die
Umsätze der Klägerin in den Jahren 1999 und 2000 zutreffend der Umsatzsteuer
unterworfen.
Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 Umsatzsteuergesetz - UStG - sind von der Umsatzsteuer befreit
unter anderem die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker,
Physiotherapeut (Krankengymnast), Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen
Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz - EStG -. Nach dessen
Satz 2 gehören zu den freiberuflichen Leistungen neben anderen Berufen die
selbständige Tätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Heilpraktiker, Krankengymnasten und
ähnlicher Berufe. Die Umsatzsteuerbefreiung basiert auf Art. 13 Teil A Abs. 1 c der 6.
Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten
über die Mehrwertsteuern und über die Umsatzsteuern - 6. RL 77/388/EWG - . Danach
sind die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Umsatzsteuer befreit,
die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedsstaat definierten
ärztlichen und arztähnlichen Berufen erbracht werden.
Die Klägerin erfüllte diese Voraussetzungen für die Steuerbefreiung in den Streitjahren
nicht.
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - zum Ertrags- und
Umsatzsteuerrecht (vgl. Urteile vom 19. Dezember 2002 V R 28/00, Bundessteuerblatt -
BStBl. - II 2003, 532, BFHE 201, 330 - im Anschluss an das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1999 2 BvR 1820/92, BStBl. II 2000, 158
- ; vom 11. November 2004 V R 34/02 BStBl. II 2005, 315, BFHE 209, 65 und vom 28.
August 2003 IV R 69/00, BStBl. II 2004, 954, BFHE 203, 429) kann die Ähnlichkeit eines
Berufs zu einem Katalogberuf nicht davon abhängig gemacht werden, ob
berufsrechtliche Regelungen bestehen oder nicht. Die Umsatzsteuerbefreiung setzt
dabei allerdings voraus, dass es sich um ärztliche oder arztähnliche Leistungen handeln
muss und dass diese von Personen erbracht werden, die die erforderlichen beruflichen
Befähigungsnachweise besitzen. Bei Zulassung des jeweiligen Unternehmens oder der
regelmäßigen Zulassung der entsprechenden Berufsgruppe gemäß § 124 Abs. 2 SGB V
durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen könne vom Vorliegen
eines beruflichen Befähigungsnachweises grundsätzlich ausgegangen werden. Sei
allerdings weder der jeweilige Unternehmer selbst noch - regelmäßig - seine
Berufsgruppe durch die zuständige Stelle der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen,
könne Indiz für das Vorliegen eines beruflichen Befähigungsnachweises die Aufnahme
von Leistungen der betreffenden Art in den Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenkassen (§ 92 SGB V) sein.
Nachdem die podologische Behandlung bei Diabetes mellitus ab dem 01.07.2002 unter
bestimmten Voraussetzungen als Heilbehandlung zugelassen worden ist, geht der
Senat davon aus, dass die podologischen Behandlung von Patienten, die an Diabetes
mellitus erkrankt sind, inzwischen prinzipiell als "ähnliche" Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr.
14 UStG anzuerkennen ist. Das dürfte auch für Umsätze gelten, die schon vor der
Änderung der Heilmittelrichtlinien und vor dem Inkrafttreten des PodG getätigt worden
sind. Die Gewährung der Steuerfreiheit für zurückliegende Besteuerungsperioden dürfte
schon das Prinzip der Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer gebieten. Denn es hat
sich weder die Gesetzeslage (§ 4 Nr. 14 UStG) geändert noch ist die zu beurteilende
Tätigkeit eine andere. Davon geht offensichtlich auch das FG Nürnberg in seinem Urteil
vom 26. Oktober 2004 II 221/2003, nv - juris - aus, das der dort klagenden Podologin die
Steuerfreiheit für 1997 bis 1999 gewährt hat.
Indessen muss der Berufsträger, der die Steuerfreiheit seiner Umsätze beansprucht,
auch nach richtlinienkonformer Auslegung unverändert nachweisen, dass er die
erforderliche berufliche Befähigung besitzt. Denn nur dann kann von einer Ähnlichkeit zu
den im UStG und in der 6. RL 77/388/EWG genannten Katalogberufen ausgegangen
werden. Die Klägerin hat aber weder eine irgendwie geartete strukturierte Ausbildung in
ihrem Beruf durchlaufen, noch eine Abschlussprüfung absolviert, noch eine Zulassung zu
den Krankenversicherungsträgern erhalten. Wenn es der Bundesfinanzhof als "Indiz" für
das Vorliegen eines beruflichen Befähigungsnachweises die Aufnahme von Leistungen
der betreffenden Art in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (§ 92 SGB
V) genügen lässt, hatte er (offensichtlich nur) den Fall vor Augen, dass diese Leistungen
von jemandem erbracht werden, der durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen oder in
anderer Weise ein Mindestmaß an theoretischer Unterweisung und praktischer
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anderer Weise ein Mindestmaß an theoretischer Unterweisung und praktischer
Befähigung nachweisen kann, das dem Bild des "ähnlichen" Heilhilfsberufs entspricht.
Einen solchen Nachweis hat die Klägerin nicht erbracht. Allein eine gewisse
Berufserfahrung nach Anleitung durch die frühere Arbeitgeberin (deren
Berufsqualifikation nicht erläutert wurde) und langjährige Tätigkeit ("learning by doing")
kann der Senat nicht als genügenden Ersatz für eine strukturierte Ausbildung in einem
Heilhilfsberuf gelten lassen. Mit dem Hinweis darauf, dass eine qualifizierte Ausbildung in
Brandenburg nicht angeboten worden sei, kann die Klägerin schon deswegen nicht
durchdringen, weil nach Kenntnis des Senats entsprechende Ausbildungen als
medizinischer Fußpfleger schon vor dem PodG jedenfalls in Berlin möglich waren.
Durch die - fehlende - Mindestausbildung der Klägerin unterscheidet sich der Streitfall
vom Fall des Finanzgerichts Nürnberg. Die Klägerin jenes Falles hatte eine Reihe von
Ausbildungsmaßnahmen und Fortbildungsmaßnahmen durchlaufen, aus der das
Finanzgericht Nürnberg auf eine ausreichende ("ähnliche") berufliche Qualifikation
schließen konnte.
Es tritt hinzu, dass die Klägerin nicht substantiiert geltend gemacht hat, dass und in
welchem Umfang sie der Art nach begünstigte Umsätze getätigt habe. Soweit sie und
ohne weiteren Nachweis allgemein vorgebracht hat, sie behandle - überwiegend - ältere
Menschen, die unter einem diabetischen Fußsyndrom oder anderer krankhafter
Veränderungen litten, hat sie nur teilweise die Voraussetzungen für die (heute
geregelte) Anerkennung als Heilbehandlung geltend gemacht. Denn es sind nur die
podologischen Behandlungen bei Diabetes mellitus zugelassen. Die Behandlung anderer
Personen, insbesondere - allein - älterer Personen oder unter anderen Krankheiten
leidender Personen sind nach wie vor nicht zugelassen. Das gilt etwa für die Behandlung
von Patienten mit "unumkehrbaren Folgeschäden an den Füßen" wie Entzündungen und
Wundheilungsstörungen. Hiernach hat die Klägerin selbst eingeräumt, dass sie ohnehin
nicht ausschließlich der Art nach begünstigte Umsätze getätigt hat. Sie konnte den
Senat in der mündlichen Verhandlung aber auch nicht davon überzeugen, dass diese
Umsätze einen größeren oder jedenfalls nennenswerten Umfang ausgemacht haben.
Mangels Trennung der Entgelte (§22 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG) hätte der Senat keine
Anhaltspunkte für eine schätzweise Aufteilung, wenn die Klägerin die persönlichen
Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllen würde.
Auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes unter Hinweis auf die oben erwähnte
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann sich die Klägerin schon deswegen
nicht mit Erfolg berufen, weil sich ihr Fall von den Fällen, in denen die Steuerfreiheit
anerkannt worden ist, dadurch unterscheidet, dass die Fußpfleger dieser Entscheidungen
bestimmte Berufsbildungsmaßnahmen absolviert haben und nachweisen konnten, die
der Klägerin fehlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -. Die
Revision war nicht zuzulassen, weil es an den Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO
mangelt.
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