Urteil des BFH vom 13.05.2009

BFH: Kontaktlisten unterliegen als Druckerzeugnisse dem ermäßigten Steuersatz, Abgrenzung zwischen Lieferung und sonstiger Leistung, Umsatzsteuertarif bei Adressbüchern und Fernsprechbüchern, eugh

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 13.5.2009, XI R 75/07
Kontaktlisten unterliegen als Druckerzeugnisse dem ermäßigten Steuersatz - Abgrenzung zwischen Lieferung und sonstiger
Leistung - Umsatzsteuertarif bei Adressbüchern und Fernsprechbüchern
Leitsätze
Umsätze aus dem Verkauf von Listen mit persönlichen Angaben von kontaktsuchenden Personen (sog. Kontaktlisten), die für
eine unbestimmte Anzahl von Interessenten hergestellt werden, unterliegen als Lieferungen von Druckerzeugnissen dem
ermäßigten Steuersatz.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GbR, die im Streitjahr (1997) eine Partnervermittlung im In-
und Ausland sowie artverwandte Geschäfte betrieb; zum 30. Juni 1999 erklärte sie die Betriebsaufgabe. In regionalen
und überregionalen Zeitungen bot sie mittels Annoncen für Damen eine kostenlose Partnervermittlung an.
Interessierten Damen sandte die Klägerin einen Aufnahmebogen mit Einwilligungserklärung zu. In den
Aufnahmebogen trugen die Damen neben ihrer Adresse und Telefonnummer auch Angaben zur Person (Alter, Größe,
Figur, Haarfarbe, Augenfarbe, Familienstand, Kinder) ein und konkretisierten ihre Wünsche hinsichtlich der gesuchten
Herren. Die Klägerin überprüfte die zurückgesandten Aufnahmebögen im Hinblick auf die Telefonnummer und
sortierte Bewerbungen mit finanziellen Interessen oder unseriösen Angaben aus. Die aus den Aufnahmebögen
gewonnenen Informationen wurden archiviert und drucktechnisch in einer immer wieder aktualisierten Kontaktliste
aufbereitet.
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Die Kontaktliste bot die Klägerin in verschiedenen Zeitschriften zum Verkauf per Telefon an. Unter der angegebenen
Rufnummer meldete sich geschultes Personal, das den Interessenten anhand eines Gesprächsleitfadens nähere
Informationen zu den Damen (ca. 150-200 kontaktfreudige Damen ohne finanzielles Interesse) und dem Preis
(einmalige "Gebühr" von 385 DM) gab. Die Bezahlung erfolgte --ohne dass Ausgangsrechnungen erstellt wurden--
per Nachnahme, Lastschriftverfahren oder Kreditkarte.
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Nachdem die Klägerin die aus dem Verkauf erzielten Umsätze zunächst zum Regelsteuersatz erklärte, reichte sie am
13. März 2003 eine berichtigte Umsatzsteuererklärung ein, in der sie für diese Leistungen den ermäßigten Steuersatz
beanspruchte. Zur Begründung fügte sie eine unverbindliche Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke der
Oberfinanzdirektion vom 4. März 2003 bei, wonach es sich bei der "Kontaktliste partnersuchender Frauen" um ein
Druckerzeugnis handele, das dem ermäßigten Steuersatz unterliege.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte den Änderungsantrag ab und wies den dagegen
eingelegten Einspruch mit der Einspruchsentscheidung vom 29. Dezember 2005 als unbegründet zurück.
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Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass die Klägerin eine einheitliche Leistung
erbringe, die sowohl Lieferelemente (Verschaffung der Verfügungsmacht an den Kontaktlisten) als auch Elemente
einer sonstigen Leistung (Sammlung und Verschaffung von Kontaktmöglichkeiten mit heiratswilligen Personen)
enthalte. Unter Berücksichtigung des Willens der Vertragspartner bilde nicht die Lieferung eines Druckwerks, sondern
die Verschaffung von Kontaktmöglichkeiten den wirtschaftlichen Gehalt der Leistung. Das Urteil ist in Entscheidungen
der Finanzgerichte 2008, 652 veröffentlicht.
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
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a) Das FG gehe zu Unrecht davon aus, dass die von den Käufern der Kontaktlisten entrichteten Beträge ein Entgelt für
die Vermittlung von Kontakten seien. Sie sei weder gegenüber den kontaktwilligen Damen noch gegenüber den
Käufern der Kontaktlisten im fremden Namen oder auf fremde Rechnung und damit als Vermittlerin aufgetreten,
vielmehr seien die Kontaktlisten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung veräußert worden. Abgesehen davon
werde das Entgelt unabhängig davon bezahlt, ob ein Kontakt zwischen den Käufern und den Damen überhaupt
zustande komme.
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b) Es liege keine einheitliche sonstige Leistung vor, vielmehr seien zwei separate Leistungen erbracht worden: eine
unentgeltliche Dienstleistung an die kontaktwilligen Damen und eine entgeltliche Informationslieferung an die Käufer
der Liste. Inhalt der an die Käufer erbrachten Lieferung sei die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht an
einer Informationssammlung. Diese Informationslieferung sei vergleichbar mit dem Verkauf jeder anderen Information,
z.B. dem Erwerb des Bundessteuerblatts oder sonstiger steuerlicher Fachliteratur.
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c) Aufgrund der zolltariflichen Auskunft über die Einstufung der Kontaktlisten als drucktechnische Erzeugnisse sei der
ermäßigte Steuersatz anzuwenden.
10 Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz, der Einspruchsentscheidung vom 29.
Dezember 2005 und des Ablehnungsbescheids zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 1997 vom 14. April 2003
das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuerfestsetzung 1997 dahingehend zu ändern, dass die durch den Verkauf der
Listen mit Kontaktadressen erzielten Umsätze von 1 695 613 DM netto dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
11 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
12 Die Erstellung und der Verkauf von Kontaktlisten seien nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt eine sonstige Leistung. Es
liege keine bloße "Informationslieferung" wie beim Erwerb von Fachliteratur vor. Vielmehr verschaffe die Klägerin mit
dem Ermitteln und dem Zurverfügungstellen von Daten über kontaktwillige Damen ihren Kunden die Möglichkeit der
Kontaktaufnahme.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision der Klägerin ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz unterliegen die mit den
Kontaktlisten erzielten Umsätze dem ermäßigten Steuersatz.
14 1. Nach § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) beträgt die Steuer
für jeden steuerpflichtigen Umsatz 15 v.H. der Bemessungsgrundlage. Auf 7 v.H. ermäßigt sich die Steuer u.a. für die
Lieferungen der in der Anlage zum UStG bezeichneten Gegenstände (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Nach Nr. 49 gehören
dazu Bücher, Zeitungen und andere Erzeugnisse des graphischen Gewerbes, und zwar
15 "a) Bücher, Broschüren und ähnliche Drucke, auch in losen Bogen oder Blättern (ausgenommen kartonierte,
gebundene oder als Sammelbände zusammengefasste periodische Druckschriften, die überwiegend Werbung
enthalten)".
16 Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes setzt eine Lieferung voraus. Gemäß § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen
eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter einen Abnehmer oder in dessen
Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der
Verfügungsmacht). Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG).
17 a) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin eine einheitliche Leistung erbrachte, die sowohl
Lieferungselemente (Verschaffung der Verfügungsmacht an den Kontaktlisten) als auch Elemente einer sonstigen
Leistung (Verschaffung von Kontaktmöglichkeiten mit heiratswilligen Personen) enthält.
18 aa) Ob bei einer einheitlichen Leistung, die --wie hier-- sowohl Lieferungselemente als auch Elemente sonstiger
Leistungen aufweist, der Umsatz als Lieferung von Gegenständen oder als Dienstleistung (sonstige Leistung) zu
beurteilen ist, ergibt sich im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Umstände aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers
(vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 2. Mai 1996 Rs. C-231/94 --Faaborg-
Gelting Linien--, Slg. 1996, I-2395, Randnr. 12; vom 25. Februar 1999 Rs. C-349/96 --CPP--, Slg. 1999, I-973,
Randnrn. 28 f.). Es ist das überwiegende Element des besteuerten Umsatzes zu ermitteln (vgl. EuGH-Urteil vom 10.
März 2005 Rs. C-491/03 --Hermann--, Slg. 2005, I-2025), wobei es nicht auf ein quantitatives, sondern auf ein
qualitatives Überwiegen ankommt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Dezember 2008 V R 55/06,
BFH/NV 2009, 673, m.w.N.).
19 So hat der EuGH (Urteil vom 27. Oktober 2005 Rs. C-41/04 --Levob Verzekeringen und OV Bank--, Slg. 2005, I-9433)
die Übertragung einer auf einem Datenträger gespeicherten Standard-Software mit anschließender Anpassung an die
besonderen Bedürfnisse des Erwerbers nicht als Lieferung, sondern als Dienstleistung eingestuft, weil die
Anpassungen von ausschlaggebender Bedeutung waren, um die Software nutzen zu können (vgl. Randnr. 29).
20 Die orthopädische Zurichtung eines Konfektionsschuhs durch Einbringen von Einlagen oder durch eine
Schuherhöhung stellt nach dem BFH-Urteil vom 9. Juni 2005 V R 50/02 (BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98) keine
Lieferung von --nach Nr. 52 Buchst. b der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG-- begünstigten Gegenständen,
sondern eine sonstige Leistung dar. Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers wolle der Kunde seinen mitgebrachten
Konfektionsschuh für seine individuellen physischen Bedürfnisse herrichten lassen und erwarte somit keine Lieferung
von Gegenständen, sondern die passgenaue, der ärztlichen Verordnung und seiner individuellen Anatomie
entsprechende Zurichtung des Schuhwerks.
21 Im Urteil vom 23. August 1990 V R 28/85 (BFH/NV 1993, 63, nur red. Leitsatz) hat der BFH die Erstellung eines
Computerhoroskops aufgrund der persönlichen Lebensdaten des Bestellers als eine aus Lieferungselementen
(Übersendung des Computerausdrucks) und Elementen sonstiger Leistungen (Horoskoperstellung) bestehende
einheitliche sonstige Leistung angesehen. Dabei stehe die Erstellung des Horoskops aufgrund der persönlichen
Lebensdaten des Bestellers im Vordergrund, während der Computerausdruck als bloßes Hilfsmittel für die Mitteilung
des Horoskops an den Besteller von untergeordneter Bedeutung sei.
22 bb) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EuGH und des BFH geht der Senat davon aus, dass für den
22 bb) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EuGH und des BFH geht der Senat davon aus, dass für den
Durchschnittsverbraucher bei Druckerzeugnissen das Dienstleistungselement überwiegt, wenn eine individuelle, auf
die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zugeschnittene Leistung bestellt und erbracht wird, während das
Lieferungselement dominiert, wenn der Gegenstand der Leistung in einem für eine unbestimmte Anzahl von
Interessenten bestimmten "fertigen" Produkt besteht, wie dies bei Zeitungen, Zeitschriften und Büchern der Fall ist.
23 cc) Auch wenn im Einzelfall für ein Druckerzeugnis das Lieferungselement überwiegt, kann es als unselbständige
Nebenleistung zu einer Dienstleistung anzusehen sein und deren Schicksal teilen. Davon ist bei einer
Seminarbroschüre auszugehen, die gegenüber einer Dienstleistung (Durchführung von Gruppenseminaren) lediglich
ergänzende und vertiefende Funktion hat (vgl. BFH-Urteil vom 17. April 2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712).
24 2. Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin ihren Kunden die streitgegenständlichen Kontaktlisten geliefert.
25 a) Die Kontaktlisten enthielten --nach Postleitzahlen geordnet-- Adressen und Telefonnummern von kontaktwilligen
Damen aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie waren somit nicht auf die individuellen Wünsche (bspw. Wohnort, Alter,
Größe, Figur, Augen- und Haarfarbe) des jeweiligen Interessenten zugeschnitten, sondern wurden für eine
unbestimmte Anzahl von kontaktsuchenden Männern hergestellt. Aus der Sichtweise des Durchschnittsverbrauchers
unterscheidet sich die Kontaktliste insoweit nicht wesentlich von Adress- oder Fernsprechbüchern, die nach
allgemeiner Ansicht unter Nr. 49 Buchst. a der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG fallen (vgl. Husmann in Rau/
Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Rz 680; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 12 Abs. 2 Nr.
1 Rz 221; Langer in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rz 122).
26 b) Die Kontaktliste stellt auch keine unselbständige Nebenleistung zu einer --auf Partner- oder Kontaktvermittlung
gerichteten-- Dienstleistung der Klägerin dar. Der einzige direkte Kundenkontakt bestand während des
Telefongesprächs mit den Interessenten und beschränkte sich auf die Mitteilung von Einzelheiten zum Inhalt der
Kontaktliste, deren Preis und der Zahlungsmodalitäten. Dabei handelt es sich um ein reines Verkaufsgespräch
hinsichtlich der Liste, ohne dass Ansätze für eine Vermittlungsleistung gegenüber den Kunden erkennbar sind.
27 3. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, waren das Urteil sowie der Ablehnungsbescheid und die
Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, sodass das FA zum Erlass des begehrten
Änderungsbescheids zu verpflichten war (vgl. § 101 FGO). Die mit den Kontaktlisten erzielten Umsätze in Höhe von 1
695 613 DM netto stellen Lieferungen dar und unterliegen als Druckerzeugnisse i.S. von Nr. 49 Buchst. a der Anlage
zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG dem ermäßigten Steuersatz.