Urteil des BFH vom 25.05.2010

Übergehen eines Beweisantrags zum Vorliegen eines häuslichen Arbeitszimmers - Verlust des Rügerechts durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.5.2010, X B 207/09
Übergehen eines Beweisantrags zum Vorliegen eines häuslichen Arbeitszimmers - Verlust des Rügerechts durch
Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in seiner Beschwerdebegründung
geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.
2 1. Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des
Grundgesetzes) liegt vor, wenn das Finanzgericht (FG) seiner Überzeugungsbildung nicht den gesamten
konkretisierten Prozessstoff zugrunde legt, insbesondere ist der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der
Prozessbeteiligten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist ein
Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Kein Verfahrensmangel, sondern ein grundsätzlich nicht zur
Zulassung der Revision führender Verstoß gegen das materielle Recht ist hingegen gegeben, wenn das FG das
tatsächliche Vorbringen oder Beweise unzutreffend würdigt (Senatsbeschluss vom 31. März 2009 X B 146/08, BFH/NV
2009, 1134).
3 Der Kläger macht geltend, er habe im Klageverfahren umfangreich vorgetragen, aus welchen Gründen die Einordnung
des zu beurteilenden Raums als häusliches Arbeitszimmer den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht werde. Dies
folge aus der Größe und der Gesamtinfrastruktur, der teilweise sieben Meter hohen Räume, der Ausstattung als
Tonstudio und Medienarchiv. Der Arbeitsraum habe keine Wohnatmosphäre. Er sei räumlich getrennt und entfernt vom
separaten Erdgeschoß. Gleichwohl habe das FG im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen des Urteils den zu
dem Arbeitsraum führenden Flur als Wohnflur bezeichnet und zudem ausgeführt, der Arbeitsraum sei in die häusliche
Sphäre eingebunden. Er sei von den Wohnräumen über einen zur Wohnung gehörenden Stichflur zu erreichen.
4 Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Das FG hat im Tatbestand (Seite 4 Abs. 4 des
angefochtenen Urteils) das vorstehend geschilderte Vorbringen des Klägers in wesentlichen Teilen wiedergegeben.
Bei dieser Sachlage ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen bei seiner
Entscheidungsfindung in Erwägung gezogen hat (Senatsbeschluss vom 10. Februar 2009 X B 165/08, BFH/NV 2009,
781). Soweit der Kläger rügt, das FG habe entgegen seinem Vorbringen den fraglichen Raum dem Wohnbereich
zugerechnet, macht er im Ergebnis geltend, es habe die tatsächlichen Gegebenheiten unzutreffend gewürdigt. Dies ist -
-aber wie oben dargelegt-- kein Verfahrensmangel.
5 2. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und eine Verletzung von § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt zudem
vor, wenn das FG einen Beweisantrag zu Unrecht übergeht. Ein solcher Verfahrensmangel ist ebenfalls nicht gegeben.
6 Die Verpflichtung zur Sachaufklärung gehört zu den Verfahrensvorschriften, auf deren Beachtung die
Prozessbeteiligten verzichten können (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Bei verzichtbaren Mängeln,
wie hier das Übergehen eines Beweisantrags, geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder
konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer
rechtzeitigen Rüge, ein Verzichtswille ist nicht erforderlich (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 1. September 2008 IV
B 4/08, BFH/NV 2009, 35). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung durch eine
rechtskundige Person vertreten und für diese das Übergehen des Beweisantrags erkennbar war.
7 So ist es im Streitfall. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens waren in der mündlichen Verhandlung
keine Umstände gegeben, aus denen der rechtskundig vertretene Kläger hätte annehmen können, das FG werde
seinem bereits in der Klageschrift gestellten Antrag, sein Wohngebäude in Augenschein zu nehmen, entsprechen. Er
war daher gehalten, vorsorglich das Übergehen dieses Beweisantrags zu rügen. Gegenteiliges ergibt sich nicht daraus,
dass nach den Ausführungen in der weiteren Beschwerdebegründung vom 4. März 2010, deren Relevanz im Hinblick
auf die abgelaufene Begründungsfrist zumindest zweifelhaft ist, in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 29.
Oktober 2009 andere Fragen im Vordergrund der Erörterung standen. Hieraus konnte der Kläger nicht den Schluss
ziehen, das FG gehe davon aus, der zu beurteilende Raum sei kein Arbeitszimmer, oder es werde einen Beschluss
fassen, wonach ein Augenscheinsbeweis erhoben werde. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des
Klägers, der Vorsitzende habe im Rahmen der Darstellung des Sach- und Streitstands den Begriff häusliches
Arbeitszimmer verwendet und nach einem Hinweis des klägerischen Prozessvertreters sinngemäß geäußert, er habe
das so nicht gemeint, weil genau diese Frage ja erst noch einmal zu klären sei.
8 Ausweislich des Protokolls über die genannte mündliche Verhandlung hat der rechtskundig vertretene Kläger das
Übergehen des Beweisantrags nicht gerügt und daher sein Rügerecht verloren. Er hat auch keinen Sachverhalt
geschildert, aufgrund dessen sich dem FG eine Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen.