Urteil des BFH vom 28.05.2008

BFH (anwendung des rechts, umsatzsteuer, antragsteller, aufrechnung, rechtsfrage, deckung, abweichung, sicherung, rechnung, unternehmer)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 14.1.2009, VII S 24/08 (PKH)
Aufrechnung mit Steuerforderungen im Insolvenzverfahren
Tatbestand
1 I. Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter in dem im August 2005 beantragten und im Dezember 2005 eröffneten
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa. X-Bau GmbH (Schuldnerin).
2 Aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung der Schuldnerin für das II. Quartal 2005 hatte sich ein Guthaben in Höhe von …
EUR ergeben, gegen das das beklagte Finanzamt (FA) mit offenen Umsatzsteuer-Forderungen für das Jahr 2000
zuzüglich Säumniszuschlägen die Aufrechnung erklärte. Nach vom Antragsteller erklärter Anfechtung dieser
Aufrechnung erließ das FA einen entsprechenden Abrechnungsbescheid für die Umsatzsteuer des II. Quartals 2005,
der ein durch Aufrechnung auf 0 EUR getilgtes Guthaben der Schuldnerin auswies.
3 Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der der Antragsteller für das II. Quartal 2005 die
Feststellung eines Umsatzsteuer-Guthabens der Schuldnerin in Höhe von … EUR begehrte, wies das Finanzgericht
(FG) ab. Das FG urteilte, dass das FA --entgegen der vom Antragsteller vertretenen Ansicht-- die
Aufrechnungsmöglichkeit nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 der
Insolvenzordnung --InsO--). Zum einen liege keine anfechtbare Rechtshandlung vor, denn insoweit komme --wovon
auch die Beteiligten übereinstimmend ausgingen-- nur die Erbringung von Lieferungen oder Leistungen durch andere
Unternehmen an die Schuldnerin innerhalb der letzten drei Monate vor Insolvenzantragstellung in Betracht, da ohne
diese die Vorsteuererstattungsansprüche und damit das Guthaben der Schuldnerin aus der Umsatzsteuer-
Voranmeldung für das II. Quartal 2005 nicht entstanden wären. Dadurch seien aber die Insolvenzgläubiger in ihrer
Gesamtheit nicht benachteiligt worden, denn die gesamten Forderungen der nicht bevorrechtigten Insolvenzgläubiger
seien um den aufgerechneten Betrag gemindert worden. Zum anderen seien die Rechtshandlungen allenfalls nach §
130 Abs. 1 Nr. 1 InsO (kongruente Deckung) anfechtbar, dessen Voraussetzungen aber nicht vorlägen, weil dem FA im
Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht bekannt gewesen sei.
4 Hiergegen hat der Antragsteller Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die er auf die Zulassungsgründe der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2
Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt und für die er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH)
beantragt.
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, die
Nichtzulassungsbeschwerde gegen das FG-Urteil vom 28. Mai 2008 4 K 102/07, keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114, § 116 Satz 2 der Zivilprozessordnung).
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Der Antragsteller wendet sich mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde im Stil einer Revisionsbegründung gegen die
Auffassung des FG, dass keine die Insolvenzgläubiger benachteiligende Rechtshandlung und somit kein Fall einer
inkongruenten Deckung gemäß § 131 InsO vorliege. Er wendet sich damit gegen die materielle Richtigkeit der
Entscheidung des FG, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund
gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird.
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1. Mit dem Beschwerdevorbringen, dass der Bundesfinanzhof (BFH) zur Frage der "Beurteilung der Aufrechnung als
kongruente Deckung oder inkongruente Befriedigung" bislang nicht hat "umfassend Stellung nehmen können", wird
keine abstrakte Rechtsfrage formuliert, geschweige denn substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingegangen, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die
Entscheidung über die Rechtssache abhängt.
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2. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative
FGO erfasst zunächst die Fälle der sog. Divergenzrevision im Sinne der dazu von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung entwickelten Kriterien (Senatsbeschluss vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798;
BFH-Beschluss vom 5. Juli 2002 XI B 136/01, BFH/NV 2002, 1479, m.w.N.). Zu der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO
notwendigen Darlegung dieser Zulassungsvoraussetzungen gehört, dass die Entscheidung des BFH, von der nach
der Behauptung des Beschwerdeführers das Urteil des FG abweicht, genau bezeichnet wird und dass kenntlich
gemacht werden muss, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegen soll. Dem ist nur genügt, wenn
abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und abstrakte Rechtssätze der Divergenzentscheidung(en) des
BFH so genau bezeichnet und gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse
vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, 480, m.w.N.; vom 29. Juni 1987 X B 26/87, BFH/NV
1988, 239).
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Diesen Anforderungen wird der Antragsteller mit seiner Beschwerdebegründung nicht gerecht, indem er lediglich auf
das Senatsurteil vom 16. November 2004 VII R 75/03 (BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193) verweist und meint, dass
sich das FG mit jenem Urteil "nicht in dem gebotenen Maße" auseinandergesetzt und die Rechtsgrundsätze fehlerhaft
angewendet habe. Eine Abweichung von dem genannten Senatsurteil ist im Übrigen auch nicht erkennbar, da es sich
nicht mit der Unterscheidung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung befasst.
10 3. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert darüber hinaus auch dann eine
Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH
gesichert werden kann. Letzteres kann der Fall sein, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts
Fehler von so erheblichem Gewicht unterlaufen sind, dass sie, würden sie nicht von einem Rechtsmittelgericht
korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. Senatsbeschlüsse in BFH/NV
2002, 798; vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896). Im Streitfall ist es jedoch weder
dargelegt noch ersichtlich, dass dem FG ein solcher Rechtsfehler unterlaufen ist.
11 4. Jedenfalls liegen die mit der Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vor, weil das angefochtene
FG-Urteil im Ergebnis richtig ist (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 126 Abs. 4 FGO im
Beschwerdeverfahren: Senatsbeschluss vom 8. Januar 1998 VII B 102/97, BFH/NV 1998, 729, m.w.N.).
12 Anders als der Antragsteller und das FA meinen und es das FG offenbar für möglich hält, sind die der Schuldnerin
erbrachten Lieferungen und sonstigen Leistungen anderer Unternehmer schon deshalb keine nach §§ 129 ff. InsO
anfechtbaren Rechtshandlungen, weil durch diese die Schuldnerin keinen Vorsteuervergütungsanspruch und das FA
keine Aufrechnungsmöglichkeit erlangt hat.
13 Ein einzelner in der Rechnung eines leistenden Unternehmers ausgewiesener Vorsteuerbetrag führt nicht zu einem
Vorsteuervergütungsanspruch, sondern allein zu einem Anspruch auf Vorsteuerabzug, wie sich aus § 15 Abs. 1, § 16
Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergibt. Einzelne Vorsteuerbeträge sind umsatzsteuerrechtlich lediglich
unselbständige Besteuerungsgrundlagen, die bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden und in
die Festsetzung der Umsatzsteuer eingehen. Erst wenn sich aus der mit der Steueranmeldung gemäß § 16 Abs. 2
Satz 1 UStG vorzunehmenden Saldierung ein Guthaben des Steuerpflichtigen ergibt, besteht ein erfüllbarer Anspruch,
gegen den die Aufrechnung mit Steuerforderungen erklärt werden kann, sofern die übrigen
Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen (Senatsurteile vom 16. Januar 2007 VII R 7/06, BFHE 216, 390, BStBl II
2007, 745, und VII R 4/06, BFHE 216, 385, BStBl II 2007, 747, jeweils m.w.N.).
14 Auch im Streitfall hat daher die Schuldnerin das Umsatzsteuer-Guthaben nicht durch die an sie erbrachten und in
Rechnung gestellten Lieferungen und sonstigen Leistungen anderer Unternehmer erlangt, sondern durch ihre
Umsatzsteuer-Voranmeldung für das II. Quartal 2005, in der sie --wie es § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG erfordert-- die in den
Besteuerungszeitraum fallenden Vorsteuerbeträge von der berechneten Umsatzsteuer abzusetzen hatte. Die Abgabe
der Umsatzsteuer-Voranmeldung (§ 18 UStG) und die darin vorzunehmende Saldierung sind vom Gesetz geforderte
Handlungen des Unternehmers und keine i.S. der §§ 129 ff. InsO die Insolvenzgläubiger benachteiligende
Rechtshandlungen, deren Wirksamkeit durch den Insolvenzverwalter im Wege der Anfechtung beseitigt werden
könnte (vgl. Senatsurteil in BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193).
15 Der von Seiten des FA erklärten Aufrechnung mit offenen Umsatzsteuerforderungen standen somit keine
insolvenzrechtlichen Hindernisse entgegen.