Urteil des BFH vom 27.07.1998

Ermittlung von Gewinnen aus einem Wertpapiersammeldepot - entgangene Einnahmen keine Anschaffungskosten

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 26.8.2010, I B 85/10
Ermittlung von Gewinnen aus einem Wertpapiersammeldepot - entgangene Einnahmen keine Anschaffungskosten
Tatbestand
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I. Im Streitjahr 1999 war der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) Vorstandsvorsitzender und Aktionär
einer seit … Juni 1999 an der Börse in A notierten AG. Bis Juli 1998 wurde der Geschäftsbetrieb der späteren AG in
der Rechtsform einer GmbH & Co. KG betrieben. An ihr waren als Kommanditisten der Antragsteller mit 120.000 DM,
dessen Ehefrau mit 40.000 DM und X mit 40.000 DM beteiligt. Als Komplementärin ohne Kapitalanteil fungierte eine
GmbH. Mit Kapitalerhöhungs- und Umwandlungsbeschluss vom 27. Juli 1998 waren sämtliche Kommanditanteile
nach § 20 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG 1995) zu Zwischenwerten in die GmbH eingebracht worden.
Anschließend wurde die GmbH in die AG umgewandelt. Das Grundkapital der AG betrug zunächst 2 Mio. DM (= 400
000 nennbetragslose Stückaktien). Nach § 4 der Satzung der AG bestimmte der Vorstand mit Zustimmung des
Aufsichtsrats die Formen der Aktienurkunden. Die Aktien der AG hielten zunächst der Antragsteller (240 000
Stückaktien) sowie dessen Ehefrau und X (jeweils 80 000 Stückaktien). Am 5. Oktober 1998 wurde die AG ins
Handelsregister eingetragen.
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Mit Verträgen vom 6. Oktober 1998 verkauften der Antragsteller und X jeweils 14 000 und die Ehefrau des
Antragstellers 10 000 Stückaktien der AG an Y, dem weiteren Vorstand der AG. Am 16. Oktober 1998 beschloss der
Vorstand der AG, die Aktien der Gesellschaft in einer Globalaktie zu verbriefen. Diesem Beschluss stimmte der
Aufsichtsrat zu. Mit Beschluss vom 19. Oktober 1998 ordnete der Vorstand der AG im Wege einer Aktiennummerierung
den Aktienbestand vom 5. Oktober 1998 sowie die Aktienverkäufe vom 6. Oktober 1998 den Aktionären zu. Zudem
bestimmte er, dass bei Aktienverkäufen jeweils die Aktie mit der niedrigsten Aktiennummer aus dem Bestand des
jeweiligen Verkäufers veräußert sein solle. Für seine 226 000 Aktien erhielt der Antragsteller die Nummern 14 001 bis
240 000.
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Mit Vertrag vom 24. Dezember 1998 veräußerte X an den Antragsteller 60 000 seiner Stückaktien zum Kaufpreis von
14.650.000 DM. § 3 Nr. 2 des Kaufvertrages enthält zum Übergang der Aktien die Regelung, dass die Stückaktien in
einer einzigen Globalurkunde mit Globalanteilsschein verbrieft seien und vom Aufsichtsratsmitglied Y treuhänderisch
verwahrt würden. Dieser werde mittels Übersendung einer Vertragskopie von der erfolgten "Abtretung der
Miteigentümeranteile an den Urkunden" in Kenntnis gesetzt. Eine Bezeichnung der veräußerten Stückaktien durch die
Angabe von Aktiennummern enthielt der Vertrag nicht.
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Am 11. Mai 1999 schloss die AG mit der P-AG einen Kooperationsvertrag über die Zusammenarbeit im Bereich der …
zu marktüblichen Preisen ab. Grundlage des Vertrags war u.a. ein Rahmenvertrag vom 21. April 1999. Die langfristig
angelegte Partnerschaft sollte danach durch eine Kapitalbeteiligung an der AG untermauert werden. Mit Vertrag vom
11. Mai 1999 räumte der Antragsteller der P-GmbH, einer Konzerngesellschaft der P-AG, die Option ein, eine
bestimmte Anzahl von Aktien in zwei Tranchen zu einem festgelegten Kaufpreis zu erwerben. Der Antragsteller war
nach der Vereinbarung berechtigt, die ggf. zu übertragenden Aktien nach Nummern frei zu bestimmen.
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Zwischenzeitlich war mit Beschluss der Hauptversammlung vom 5. Mai 1999 das Grundkapital der AG von 2 Mio. DM
auf rechnerisch 1.022.583,76 EUR umgestellt sowie aus Gesellschaftsmitteln auf 1.040.000 EUR erhöht worden. Eine
neue Ausgabe von Aktien erfolgte anlässlich dieser Kapitalerhöhung nicht. Allerdings erging der Beschluss, das
gesamte Grundkapital von ursprünglich 400 000 in 1 040 000 nennbetragslose Stückaktien neu einzuteilen. Jeweils
10 bisherige Stückaktien wurden in 26 neue Stückaktien umgewandelt. Infolgedessen erhöhte sich der Aktienbestand
des Antragstellers von 286 000 (x 2,6) auf 743 600 Stückaktien.
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Ferner wurde gegen Bareinlagen eine Erhöhung des Grundkapitals um 4.160.000 EUR auf 5.200.000 EUR
beschlossen (Stückelung: 1 EUR). Zum Ausgabebetrag von 1 EUR bezugsberechtigt waren die bisherigen Aktionäre
im Verhältnis 1:4. Dem Beschluss vom 5. Mai 1999 ist ein Verzeichnis beigefügt, aus dem sich die Zahl der
vertretenen Stückaktien und der Aktionäre summarisch ergibt. Angaben über eine Aktiennummerierung oder eine
Zuteilung der Aktien im Einzelnen enthält der Beschluss nicht. Die Maßnahmen wurden am 18. Mai 1999 ins
Handelsregister eingetragen. Danach sah der Aktienbesitz wie folgt aus:
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Aktionär
Altbestand (x 4 =) neue Aktien Neubestand
Antragsteller 743 600
2 974 400 3 718 000
Ehefrau
182 000
728 000
910 000
X
15 600
62 400
78 000
Y
98 800
395 200
494 000
Summe
1 040 000
4 160 000 5 200 000
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Der Vorstand der AG hatte mit Beschluss vom 31. Mai 1999 eine neue Nummerierung der Stückaktien vorgenommen.
Für seine 743 600 Altaktien erhielt der Antragsteller die Nummern 1 bis 743 600, für die neuen Aktien die Nummern 1
040 001 bis 4 014 400. In dem Beschluss ist ausgeführt, dass die von X erworbenen Aktien des Antragstellers die
Nummern 1 bis 156 000 hätten. Ebenso hatte der Vorstand den wegen der geplanten weiteren Kapitalerhöhung von
1.300.000 EUR noch entstehenden neuen Stückaktien bereits Aktiennummern zugewiesen. Auch hatte er
beschlossen, dass nach Durchführung der noch geplanten Kapitalerhöhung eine neue Globalaktie nebst
Globalgewinnanteilsschein ausgestellt und die erste Globalaktie vernichtet werden solle.
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Mit Beschluss der Hauptversammlung vom 4. Juni 1999 wurde eine Kapitalerhöhung um 1.300.000 EUR auf
6.500.000 EUR durchgeführt und am … Juni 1999 ins Handelsregister eingetragen. Zum Bezug dieser neuen
Stückaktien war eine Konsortialbank zugelassen worden, die die Aktien anderen (fremden) Anlegern als Streubesitz
anbieten sollte. Zudem hatten sich die Aktionäre im Rahmen des von der AG geplanten Börsengangs am 7. Juni 1999
verpflichtet, die "Greenshoe-Aktien" (= 195 000 Stückaktien, wovon auf den Antragsteller 139 425, seine Ehefrau 34
125, X 2 925 und Y 18 525 entfielen) aus ihrem jeweiligen Aktienbestand zum Emissionspreis zu verkaufen (=
"Greenshoe-Option"). Die neue Globalaktie war am 11. Juni 1999 ausgefertigt und der B-AG in A zur Verwahrung in
einem Girosammeldepot übergeben worden. Am … Juni 1999 ging die AG an die Börse. Der Emissionspreis einer
Aktie betrug 23 EUR.
10 Mit Schreiben vom 30. Juni 1999 übte die Konsortialbank die am 7. Juni 1999 eingeräumte "Greenshoe-Option" aus
und schrieb den anteiligen Platzierungspreis in Höhe von 3.206.775 EUR dem Antragsteller nach Abzug der
vereinbarten Provisionen (5 %) gut. Die übertragenen Aktien wurden dabei numerisch bezeichnet (Aktiennummern
156 001 bis 295 425).
11 Nachdem die P-GmbH die ihr eingeräumte Option Nr. 1 mit Schreiben vom 23. Juli 1999 ausgeübt hatte, übertrug ihr
der Antragsteller am 3. August 1999 975 000 Stückaktien. Die übertragenen Aktien waren von ihm numerisch
bezeichnet (Aktiennummern 1 bis 156 000, 295 426 bis 743 600 und 1 040 001 bis 1 410 825). Der Kaufpreis in Höhe
von 23.771.897,55 DM wurde am 6. August 1999 auf dem Konto des Antragstellers gutgeschrieben.
12 In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Antragsteller aus diesen Verkäufen einen
Veräußerungsgewinn in Höhe von 12.985.778 DM. Dem folgte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das
Finanzamt --FA--) im Ergebnis nicht. Er ermittelte vielmehr Veräußerungsgewinne von 22.837.131,82 DM, die wie folgt
(in DM) errechnet wurden:
13 Veräußerungserlöse "Greenshoe-Aktien" 6.271.906,75
abzüglich Veräußerungskosten
313.595,34
abzüglich Anschaffungskosten
815.265,77
Veräußerungsgewinn "Greenshoe-Aktien" 5.143.045,64
Veräußerungserlös von der P-GmbH
23.771.897,55
abzüglich Veräußerungskosten
376.652,08
abzüglich Anschaffungskosten
5.701.159,29
Veräußerungsgewinn
17.694.086,16
Summe der Veräußerungsgewinne
22.837.131,82
14 Das FA ging bei seiner Berechnung von --zwischen den Beteiligten nicht streitigen-- durchschnittlichen
Anschaffungskosten je Aktie von 2,9896988 EUR aus. Den gegen den hiernach geänderten
Einkommensteuerbescheid 1999 gerichteten Einspruch wies das FA zurück. Die dagegen erhobene Klage ist beim
Finanzgericht (FG) noch anhängig. Das FA lehnte die beantragte Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung des
angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1999 ab. Der Antragsteller beantragte daraufhin beim FG, die
Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 1999 hinsichtlich des sich aus dem Bescheid ergebenden
Nachzahlungsbetrags bis einen Monat nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens auszusetzen bzw. aufzuheben.
Das FG lehnte den Antrag ab.
15 Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er beantragt, den
Beschluss des FG aufzuheben und die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 1999, zuletzt geändert am 11.
Dezember 2008, hinsichtlich des sich aus dem Bescheid ergebenden Nachzahlungsbetrags bis einen Monat nach
Abschluss des beim FG Baden-Württemberg anhängigen Hauptsacheverfahrens 14 K 4232/08 auszusetzen bzw.
aufzuheben.
16 Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
17 II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zutreffend angenommen, dass ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids nicht vorliegen.
18 1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der
Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung
soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2
Satz 2 FGO). Das wiederum ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Fall, wenn bei
summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der
Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher
Tatfragen bewirken (BFH-Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663, m.w.N.).
19 Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe
überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden,
sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschluss vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85,
BStBl II 2009, 826).
20 2. Die den angefochtenen Bescheiden zu Grunde liegenden Veräußerungsgewinne wurden bei summarischer
Prüfung zutreffend ermittelt.
21 a) Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht Einvernehmen darüber, dass die Veräußerung der Aktien steuerpflichtig
war.
22 aa) Gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997) i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) --EStG 1997
n.F.-- zählt die Veräußerung von Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht
mehr als ein Jahr beträgt, zu den sonstigen Einkünften. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1997 n.F., mit der die
Spekulationsfrist von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert wurde, ist bereits im Streitjahr anzuwenden (§ 52 Abs. 39
EStG 1997 n.F.). Der Antragsteller hat mit dem Umwandlungsbeschluss vom 27. Juli 1998, mit dem die
Kommanditanteile zu Zwischenwerten in die GmbH und spätere AG eingebracht wurden, die ersten Aktien der AG
erworben. Er hat die "Greenshoe-Aktien" am 30. Juni 1999 und die an die P-GmbH verkauften Aktien am 23. Juli 1999
übertragen, demnach innerhalb der in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1997 n.F. genannten Frist. Der bei beiden
Veräußerungen entstandene Gewinn erfüllt daher die Voraussetzungen des § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG 1997 n.F. Da der Antragsteller an der AG im Streitjahr wesentlich i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F.
beteiligt war, waren die Veräußerungsgewinne darüber hinaus gemäß § 17 EStG 1997 n.F. steuerpflichtig, der jedoch
nach § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. nicht anzuwenden ist, wenn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG 1997 n.F. vorliegen. Soweit der Antragsteller einbringungsgeborene Anteile verkauft hat, unterlagen die hierbei
erzielten Veräußerungsgewinne gemäß § 21 Abs. 1 UmwStG 1995 i.V.m. § 16 EStG 1997 n.F. der Besteuerung.
23 bb) Der Antragsteller hielt im Streitjahr 3 718 000 Aktien der AG, wovon unstreitig 2 938 000 Aktien
einbringungsgeborene und 780 000 zugekaufte Aktien waren. Da der Antragsteller im Streitjahr insgesamt 1 114 425
Aktien verkauft hat, erfüllen rein rechnerisch zumindest 334 425 der verkauften Aktien den Tatbestand des § 21 Abs. 1
UmwStG 1995 i.V.m. § 16 EStG 1997 n.F., der der Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1997 n.F. vorgeht (§
23 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 n.F.).
24 b) Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, ist nach Aktenlage nicht feststellbar, welche der vom Antragsteller gehaltenen
Aktien der AG im Streitjahr veräußert wurden. Der Antragsteller hat zwar die verkauften Aktien nach Nummern
benannt. Es lässt sich aber anhand dieser Nummerierung nicht erkennen, ob es sich hierbei um
einbringungsgeborene oder um zugekaufte Aktien handelt. Zwar wurde bei der erstmaligen Zuteilung und
Nummerierung der Aktien zwischen einbringungsgeborenen und zugekauften Aktien unterschieden. Diese
Unterscheidung wurde aber bei den nachfolgenden Kapitalerhöhungen nicht mehr beibehalten, so dass nicht klärbar
ist, welche Aktien mit welcher Nummer einbringungsgeboren sind.
25 c) Das FA hat bei der Ermittlung der Veräußerungsgewinne zutreffend die durchschnittlichen Anschaffungskosten je
Aktie zugrunde gelegt.
26 aa) Während § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 2002 i.d.F. durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in
nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (Richtlinien-Umsetzungsgesetz --EURLUmsG--) vom 9.
Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3310, BStBl I 2004, 1158) mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2005 bis
einschließlich 2008 bestimmte, dass bei vertretbaren Wertpapieren, die einem Verwahrer zur Sammelverwahrung i.S.
des § 5 des Depotgesetzes anvertraut worden sind, zu unterstellen ist, dass die zuerst angeschafften Wertpapiere
zuerst veräußert wurden, enthielt § 23 EStG 1997 n.F. eine derartige Bestimmung noch nicht. Nach der
Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 24. November 1993 X R 49/90, BFHE 173, 107, BStBl II 1994, 591; vom 4. Mai
1994 X R 157/90, BFH/NV 1995, 195) war in diesen Fällen weder die sog. Lifo- noch die sog. Fifo-Methode
anzuwenden. Denn es gibt weder einen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass die zuerst angeschafften
Wertpapiere auch zuerst veräußert noch dass die zuletzt angeschafften Wertpapiere als erste veräußert werden.
Hieraus hat der BFH abgeleitet, dass in Fällen, in denen ein Teil der zu verschiedenen Zeiten angeschafften Aktien
derselben Art veräußert wird, nicht feststellbar sei, welche Aktien tatsächlich veräußert wurden. Daher seien, wenn
feststehe, dass die Veräußerung der Aktien zu einem steuerpflichtigen Gewinn geführt habe, die durchschnittlichen
Anschaffungskosten zugrunde zu legen. Der Steuerpflichtige kann nicht bestimmen, welche Aktien als veräußert
gelten sollen.
27 bb) Die Anwendung dieser Grundsätze, an denen trotz der hiergegen erhobenen Kritik (Witt, Der Betrieb --DB-- 1994,
1644; Demuth/Strunk, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2001, 57; Loritz, Finanz-Rundschau 2001, 169) schon aus
Gründen der Kontinuität festzuhalten ist, führt dazu, dass den Veräußerungserlösen als Anschaffungskosten die
durchschnittlichen Anschaffungskosten der Aktien gegenüber zu stellen sind, was nach Abzug der (unstreitigen)
Veräußerungskosten zu den von FA und FG ermittelten Veräußerungsgewinnen führt.
28 d) Dem steht nicht der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung entgegen. Im Streitfall steht fest, dass
sämtliche Wertpapiere gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1997 n.F. bzw. dem subsidiären § 17
EStG 1997 n.F., ein Teil davon überdies gemäß § 21 Abs. 1 UmwStG 1995 i.V.m. § 16 EStG 1997 steuerverstrickt
waren. Beide Veräußerungsgewinne waren daher steuerpflichtig. Werden gleichartige Aktien aus einem
Sammeldepot veräußert und ist der hierbei erzielte Veräußerungsgewinn nach mehreren Steuervorschriften
steuerpflichtig, kann der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung allenfalls dazu führen, dass die
Rechtsfolge der stärker belastenden Vorschrift nur dann eingreift, wenn und soweit feststeht, dass die Veräußerung
die Voraussetzungen dieser Vorschrift auch tatsächlich in vollem Umfang erfüllt. Er gebietet jedoch nicht zu
unterstellen, dass zunächst die Aktien mit den niedrigsten Anschaffungskosten veräußert wurden. Im Streitfall führt die
Anwendung der genannten Vorschriften zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen, so dass letztlich offenbleiben kann,
in welchem Verhältnis der Antragsteller einbringungsgeborene und nicht einbringungsgeborene Aktien veräußert hat.
29 Aus diesem Grund bedarf es auch keiner Entscheidung, ob und ggf. welche Folgerungen sich aus dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (DB 2010, 1858) für § 23
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1997 n.F. ergeben, mit dem das BVerfG entschieden hat, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m.
§ 52 Abs. 39 Satz 1 EStG 1997 n.F. gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstößt
und insoweit nichtig ist, als in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur
Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und nach der zuvor
geltenden Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Verkündung steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten
realisiert werden können. Denn am Ergebnis änderte sich hierdurch nichts. Im Falle der Teilnichtigkeit des § 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 EStG 1997 n.F. wäre der Veräußerungsgewinn insoweit gemäß § 17 EStG 1997 n.F. steuerpflichtig; auch
diese Vorschrift ermöglicht dem Steuerpflichtigen bei girosammelverwahrten Wertpapieren nicht zu bestimmen,
welche Anteile als veräußert gelten (Gosch in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 17 Rz 63; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 29.
Aufl., § 17 Rz 156 a.E.).
30 Der Beschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 (DStR 2010, 1733) ist für
den Streitfall nicht einschlägig, weil der Antragsteller auch vor den Änderungen durch das Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/ 2002 wesentlich i.S. des § 17 EStG 1997 a.F. an der AG beteiligt war.
31 e) Das FG hat angenommen, der Antragsteller habe jeweils einbringungsgeborene und zugekaufte Aktien in dem
Verhältnis veräußert, in dem er vor der Veräußerung einbringungsgeborene und zugekaufte Aktien gehalten habe. Ob
dieser Annahme des FG zu folgen ist, bedarf keiner Klärung, denn sie ist aus den zuvor genannten Gründen für die
Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich.
32 f) FA und FG sind zutreffend davon ausgegangen, dass dem Antragsteller keine nachträglichen Anschaffungskosten
für die Aktien entstanden sind.
33 aa) Gemäß § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) sind Anschaffungskosten die Aufwendungen, die geleistet
werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen,
soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können. Zu den Anschaffungskosten gehören
auch die Nebenkosten sowie die nachträglichen Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 Satz 2 HGB). Grundsätzlich ist
alles dazu zu zählen, was aufgewendet werden muss, um das Wirtschaftsgut zu erwerben und zu behalten (BFH-Urteil
vom 8. April 1998 VIII R 21/94, BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660). Nachträgliche Anschaffungskosten entstehen
insbesondere dann, wenn ein Gesellschafter seiner Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen
Einlagen einen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat (BFH-
Urteil in BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660).
34 bb) Im Streitfall sind dem Antragsteller keine nachträglichen Anschaffungskosten entstanden, denn er hat weder Geld
noch einen Vermögensgegenstand aufgewendet. Die unentgeltliche Einräumung einer Option zum Erwerb der Aktien
der AG zu einem bestimmten Preis ist zwar ein im Gesellschaftsverhältnis wurzelnder Vorgang, da davon auszugehen
ist, dass der Antragsteller nur mit Blick auf die Geschäftschancen, die sich für die AG aus dem Abschluss des
Vertrages mit der P-AG ergab, bereit war, eine derartige Option ohne Entgelt einzuräumen. Dem Antragsteller sind
hierdurch jedoch keine Aufwendungen erwachsen; ihm sind vielmehr durch die unentgeltliche Einräumung der Option
Einnahmen entgangen. Entgangene Einnahmen sind jedoch keine Aufwendungen. Auch durch die nachfolgende
Ausübung der Option sind dem Antragsteller, da er durch die Veräußerung einen Gewinn erzielt hat, keine
Aufwendungen entstanden. Es liegt auch keine verdeckte Einlage vor. Die unentgeltliche Einräumung einer Option an
einen Geschäftspartner der AG ist ebenso wenig ein einlagefähiger Vermögensgegenstand wie der anschließende
Verkauf unter Verzicht auf einen höheren Veräußerungsgewinn (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86,
BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348).