Urteil des BFH vom 17.06.2009

BFH: Vorteilsbewertung bei Jahreswagen, Angebotspreis, Listenpreis, Ermittlungspflicht des Gerichts, geldwerter vorteil, geschäftsverkehr, rabatt, arbeitslohn, markt, fahrzeug

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.6.2009, VI R 18/07
Vorteilsbewertung bei Jahreswagen - Angebotspreis - Listenpreis - Ermittlungspflicht des Gerichts
Leitsätze
Die unverbindliche Preisempfehlung eines Automobilherstellers ist jedenfalls seit dem Jahr 2003 keine geeignete Grundlage,
den lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteil eines Personalrabatts für sog. Jahreswagen zu bewerten.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob der vom Arbeitgeber beim Kauf eines Neufahrzeugs gegenüber der unverbindlichen Preisempfehlung
eingeräumte Rabatt einen als Arbeitslohn zu erfassenden geldwerten Vorteil begründet.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Arbeitnehmer eines Automobilherstellers. Im Streitjahr (2003) erwarb er
von seinem Arbeitgeber ein Neufahrzeug (PKW) zu einem Kaufpreis von 15 032 EUR. Der Arbeitgeber ermittelte
hieraus einen geldwerten Vorteil in Höhe von 255,95 EUR, für den er Lohnsteuer einbehielt und auf der
Lohnsteuerkarte auswies. Grundlage dieser Vorteilsermittlung war die unverbindliche Preisempfehlung für dieses
Fahrzeug in Höhe von 17 916,99 EUR. Daraus ergab sich im Einzelnen folgende Berechnung:
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Unverbindliche Preisempfehlung
17 916,99 EUR
abzüglich 4 % Händlerabschlag
716,68 EUR
Hauspreis Händler
17 200,31 EUR
abzüglich 4 % Bewertungsabschlag
688,01 EUR
Vergleichspreis
16 512,30 EUR
Preis ohne Nebenkosten
15 032,35 EUR
Geldwerter Vorteil
1 479,95 EUR
abzüglich Freibetrag § 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1 244,00 EUR
zu versteuernder geldwerter Vorteil
255,95 EUR
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) legte im streitigen Einkommensteuerbescheid diesen so
ermittelten geldwerten Vorteil zugrunde und wies den dagegen eingelegten Einspruch zurück.
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Das Finanzgericht (FG) wies aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1866 veröffentlichten Gründen die
dagegen erhobene Klage ab. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG betrage der steuerpflichtige geldwerte Vorteil 4 % des
geminderten Endpreises, zu dem der Arbeitgeber oder der dem Abgabeort nächstansässige Abnehmer die Ware
fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbiete. Endpreis in diesem Sinne sei der
Angebotspreis, und somit der Preis, mit dem die Ware ausgezeichnet oder in sonstiger Weise im allgemeinen
Geschäftsverkehr am Markt angeboten werde. Ausgehandelte Rabatte seien nicht zu berücksichtigen; bei fabrikneuen
Kraftfahrzeugen sei regelmäßig auf den Listenpreis abzustellen. Die Berechnung des geldwerten Vorteils sei hier
nicht zu beanstanden. Der Arbeitgeber habe den Listenpreis zugrunde gelegt und entsprechend dem Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 30. Januar 1996 (BStBl I 1996, 114) sogar noch den Listenpreis um die
Hälfte des bei einem Autohaus erfragten Preisnachlasses gemindert. Da der Listenpreis derjenige Preis sei, der den
potentiellen Käufern erstmalig durch Auszeichnung bekannt werde, sei hierauf abzustellen. Der durchschnittlich beim
Vergleichshändler gewährte Rabatt könne bei der Berechnung des geldwerten Vorteils nach § 8 Abs. 3 EStG nicht
berücksichtigt werden, da es sich um das Mittel der ausgehandelten Rabatte handele.
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Mit der dagegen eingelegten Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen und formellen Rechts. § 8 Abs. 3
EStG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn danach jeder vom Arbeitgeber gewährte Rabatt
erfasst werde, obwohl ein geldwerter Vorteil nur vorliege, wenn der Arbeitgeber solche Rabatte nicht auch dem
allgemeinen Kundenverkehr gewährte. Die Besteuerung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn Arbeitnehmer auf
dem allgemeinen Markt Fahrzeuge zu Rabattbedingungen erwerben könnten, die der Arbeitgeber gewähre. Denn
dann liege kein geldwerter Vorteil vor. Internethändler räumten entsprechende Rabatte ein. Dabei handele es sich um
Fahrzeuge für den deutschen Markt, also um Re-Importfahrzeuge. Der Kauf über das Internet sei eine anerkannte
Möglichkeit. Daher sei auch bei der Berechnung und Bewertung des Vorteils nicht vom "ortsansässigen Händler"
auszugehen. Nachdem der Kläger vorgetragen habe, dass alle Endverbraucher mittlerweile den Werksrabatten
entsprechende Rabatte erhielten, hätte das FG insoweit den Sachverhalt weiter aufklären müssen; im
finanzgerichtlichen Verfahren seien entsprechende Belege zu den Akten gereicht worden.
7
Der Kläger beantragt sinngemäß,
8
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 7. März 2007 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2003 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. April 2004 dahingehend abzuändern, dass die festgesetzte
Einkommensteuer um 97 EUR und der Solidaritätszuschlag um 5,34 EUR herabgesetzt werden.
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Das FA beantragt,
10 die Revision zurückzuweisen.
11 § 8 Abs. 3 EStG erfasse alle Preisnachlässe, die dem Arbeitnehmer aufgrund eines bestehenden Dienstverhältnisses
gewährt würden. Erhielten alle Kunden des Arbeitgebers den gleichen Rabatt ebenfalls, fehle es an einem
Preisnachlass aufgrund des Dienstverhältnisses. Dies sei allerdings nicht der Fall. Unerheblich sei, ob bei Händlern
im Internet über EU-Importe die Fahrzeuge günstiger erworben werden könnten. Denn insoweit fehle es an einem
Dienstverhältnis.
Entscheidungsgründe
12 II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur Stattgabe der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
13 1. a) Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG neben Gehältern, Löhnen, Gratifikationen,
Tantiemen und anderen Bezügen auch Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst
gewährt werden. Das sind nach § 8 Abs. 1 EStG alle in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter, die dem
Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkunftsart des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zufließen. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG
benennt die geldeswerten Güter oder Vorteile (Einnahmen, die nicht in Geld bestehen), nämlich "Wohnung, Kost,
Waren, Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge".
14 b) Zu den nach § 8 EStG zu bewertenden und zu Einnahmen führenden Vorteilen i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG
gehören auch solche, die Arbeitnehmern daraus entstehen, dass ihnen ihre Arbeitgeber Waren --z.B. "Jahreswagen"--
aufgrund des Dienstverhältnisses verbilligt überlassen (Personalrabatte). Preisnachlässe, die auch im normalen
Geschäftsverkehr erzielt werden können, gehören dagegen nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Denn in diesem
Fall fehlt es an einem aus dem Arbeitsverhältnis stammenden Vorteil als einer Grundvoraussetzung für Einkünfte i.S.
des § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. Februar 1990 VI R 15/86, BFHE 159,
513, BStBl II 1990, 472; vom 4. Mai 2006 VI R 28/05, BFHE 213, 484, BStBl II 2006, 781). Erhält ein Arbeitnehmer auf
Grund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den
Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden und deren Bezug nicht nach § 40 EStG
pauschal versteuert wird, so gelten nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG als deren Werte abweichend von Abs. 2 die um 4 %
geminderten Endpreise, zu denen der Arbeitgeber oder der dem Abgabeort nächstansässige Abnehmer die Waren
oder Dienstleistungen fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbietet.
15 2. Gemessen daran hält die Vorentscheidung revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Auf Grundlage der vom FG
getroffenen tatsächlichen Feststellungen hat der Kläger durch den Erwerb des PKW von seinem Arbeitgeber keinen
lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteil erlangt. Der Klage ist daher stattzugeben.
16 a) Ausgangsgröße der Ermittlung des geldwerten, lohnsteuerrechtlich erheblichen, durch einen Personalrabatt
veranlassten Vorteils ist nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG der Endpreis, zu dem das fragliche Fahrzeug fremden
Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr angeboten wird, der "Angebotspreis" (vgl. dazu BFH-Urteile vom
4. Juni 1993 VI R 95/92, BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687; vom 5. September 2006 VI R 41/02, BFHE 214, 561, BStBl
II 2007, 309; Thomas, Beilage 6 zu Der Betrieb 2006, S. 58, 64). Dieser angebotene Endpreis i.S. des § 8 Abs. 3 EStG
ist grundsätzlich der unabhängig von Rabattgewährungen nach der Preisangabenverordnung ausgewiesene Preis
(BFH-Urteile in BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687; in BFHE 214, 561, BStBl II 2007, 309). Dieser Preis ist aber kein
typisierter und pauschalierter Wert, wie etwa der "inländische Listenpreis" i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Er gilt
daher nur dann, wenn nicht nach den Gepflogenheiten im allgemeinen Geschäftsverkehr tatsächlich ein niedrigerer
Preis gefordert wird. So liegt der Fall hier.
17 aa) Das FG ging unzutreffend davon aus, dass die unverbindliche Preisempfehlung des Kraftfahrzeugherstellers
diesen Angebotspreis zutreffend wiedergibt.
18 Denn zu Recht verwies der Kläger insoweit zum einen schon auf den gerichtsbekannten Umstand, dass spätestens
seit der Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung zum 25. Juli 2001 sowie unter Berücksichtigung
der allgemeinen Marktentwicklung im Kraftfahrzeughandel jedenfalls im Streitjahr (2003) die unverbindliche
Preisempfehlung in aller Regel nicht der Preis sei, zu dem Fahrzeuge im allgemeinen Geschäftsverkehr angeboten
werden, und dies auch bei dem vom Kläger erworbenen Fahrzeugtyp der Fall sei. Diese Sachlage berücksichtigt im
Übrigen schon seit 1. Januar 1996 auch die Finanzverwaltung, wenn sie auf Grundlage des BMF-Schreibens in BStBl
I 1996, 114 --also noch vor Abschaffung des Rabattgesetzes-- für "Jahreswagen" als Endpreis i.S. des § 8 Abs. 3 EStG
den Preis annimmt, der sich ergibt, wenn die Hälfte des Preisnachlasses, der durchschnittlich beim Verkauf an fremde
Letztverbraucher im allgemeinen Geschäftsverkehr tatsächlich gewährt wird, von dem empfohlenen Preis abgezogen
wird.
19 Zum anderen liegen im Streitfall entsprechende Feststellungen des FG vor, die dieses Vorbringen des Klägers
bestätigen. Denn danach ergab schon ohne Preis- und Vertragsverhandlungen eine erste Anfrage des
Automobilherstellers und Arbeitgebers bei einem Autohaus, dass auf die unverbindliche Preisempfehlung des
Automobilherstellers ein Preisnachlass in Höhe von 8 % gewährt wurde. Angesichts dessen kann höchstens dieser
Preis von 16 483,63 EUR (17 916,99 EUR - 8 %) der angebotene Endpreis i.S. des § 8 Abs. 3 EStG sein. Denn zu
diesem Preis wurde das fragliche Fahrzeug im allgemeinen Geschäftsverkehr angeboten.
20 bb) Schon unter Berücksichtigung dieses Preises ergibt sich auf Grundlage des § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG mit dem dort
geregelten weiteren Abschlag in Höhe von 4 % und der Berücksichtigung des Freibetrages nach § 8 Abs. 3 Satz 2
EStG in Höhe von 1 224 EUR entsprechend nachstehender Berechnung kein lohnsteuerrechtlich erheblicher Vorteil
mehr:
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Endpreis i.S. des § 8 Abs. 3 EStG
16 483,63 EUR
abzüglich 4 % Bewertungsabschlag
659,34 EUR
Vergleichspreis
15 824,29 EUR
Preis ohne Nebenkosten
15 032,35 EUR
Geldwerter Vorteil
791,94 EUR
abzüglich Freibetrag § 8 Abs. 3 EStG 1 244,00 EUR
zu versteuernder geldwerter Vorteil
0,00 EUR
22 b) Im Hinblick darauf kommt es nicht mehr auf die weiteren Einwendungen des Klägers an, dass schon dem Grunde
nach kein lohnsteuerrechtlich erheblicher Vorteil vorliege, weil zu den tatsächlich gewährten Rabattbedingungen
Arbeitnehmer auch auf dem allgemeinen Markt die Fahrzeuge hätten erwerben können, sowie, dass das FG diesen
Einwendungen im Rahmen seiner Aufklärungspflicht hätte nachgehen müssen. Grundsätzlich wäre dieser Einwand
allerdings beachtlich gewesen. Denn behauptet ein Arbeitnehmer, der tatsächliche Angebotspreis für die Ware, auf
die ihm sein Arbeitgeber einen Rabatt gewährt hat, sei niedriger als der Listenpreis, kann das FG bei der Ermittlung
des im Rabatt liegenden und als Arbeitslohn zu erfassenden Vorteils nicht ohne weiteres den Listenpreis als Endpreis
zugrunde legen. Dies galt für "Jahreswagen" schon hinsichtlich der Gepflogenheiten in der Automobilindustrie im
Veranlagungszeitraum 1990 (vgl. dazu BFH-Urteil vom 5. Juli 1996 VI R 28/96, BFH/NV 1996, 811) und gilt erst recht
für das Streitjahr 2003.