Urteil des BFH vom 03.02.2004

BFH (kommission, pos, eugh, kapitel, einreihung, steuersatz, futter, verarbeitung, verordnung, eignung)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.2.2009, VII R 16/08
Einreihung getrockneter Schweineohren in den Zolltarif - Begriff der "Zubereitung" - Ermäßigter Umsatzsteuersatz - Keine
Rückwirkung der Einreihungsverordnung Nr. 1125/2006 - Rechtsnatur von Erläuterungen
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) stellt getrocknete Schweineohren her, die sie im frischen und zum
menschlichen Verzehr geeigneten Zustand erwirbt und die sie nach der Trocknung, durch welche die Schweineohren
für Menschen ungenießbar werden, als Tiernahrung verkauft. Auf ihre entsprechenden Umsätze hatte die Klägerin
zunächst den Regelsteuersatz angewandt. Für Juni 2006 reichte sie jedoch eine berichtigte Umsatzsteuer-
Voranmeldung ein, mit der sie auf ihre Umsätze aus dem Verkauf getrockneter Schweineohren im Februar 2003 den
ermäßigten Steuersatz anwandte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die begehrte
Änderung der Steuerfestsetzung ab.
2 Auf die hiergegen erhobene Sprungklage änderte das Finanzgericht (FG) die Umsatzsteuerfestsetzung, indem es die
Umsätze aus dem Verkauf getrockneter Schweineohren dem ermäßigten Steuersatz unterwarf. Das FG urteilte unter
Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 2004 VII R 33/03 (BFH/NV 2004, 849, Zeitschrift für
Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2004, 200), dass getrocknete Schweineohren Zubereitungen der zur Fütterung
verwendeten Art i.S. der Pos. 2309 der Kombinierten Nomenklatur (KN) seien. Diese Rechtsprechung sei für die
streitigen Umsätze maßgeblich. Die Verordnung (EG) Nr. 1125/2006 (VO Nr. 1125/2006) der Kommission vom 21. Juli
2006 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU--
Nr. L 200/3) könne nur Wirkung für die Zukunft haben, also für Umsätze, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung
getätigt worden seien.
3 Mit seiner Revision beruft sich das FA auf die VO Nr. 1125/2006, die seiner Ansicht nach auch auf Lieferungen
getrockneter Schweineohren vor Inkrafttreten dieser Verordnung anwendbar ist.
4 Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
5 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
6 Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an und meint, dass die VO Nr. 1125/2006 nur auf nach
ihrem Inkrafttreten getätigte Umsätze anzuwenden sei.
Entscheidungsgründe
7
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG
hat die streitigen Gegenstände zu Recht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterworfen.
8
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der im Streitjahr 2003 geltenden Fassung in Verbindung
mit Nr. 37 der Anlage zu dieser Vorschrift unterlag (u.a.) zubereitetes Futter aus Kap. 23 KN dem ermäßigten
Steuersatz. Wie das FG zutreffend geurteilt hat, erfüllen die von der Klägerin hergestellten und als Tierfutter verkauften
getrockneten Schweineohren die Voraussetzungen für die Einreihung in die Pos. 2309 KN.
9
Anders als die Revision meint, steht dieser Tarifierung nicht entgegen, dass der Klägerin im Juni 2001 eine
unverbindliche Zolltarifauskunft (uvZTA) für Umsatzsteuerzwecke erteilt worden ist, mit der getrocknete
Schweineohren in die Codenummer 0511 9990 00 0 KN eingereiht worden sind. Das FG hatte die Tarifierung selbst
vorzunehmen und war dabei an die mit der uvZTA vertretenen Tarifauffassung nicht gebunden. Es ist dieser
Auffassung auch zu Recht nicht gefolgt.
10 1. Nach den für den Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsgründe bindenden Feststellungen (§ 118
Abs. 2 FGO) des FG hat die Klägerin die in frischem Zustand erworbenen, zum menschlichen Verzehr geeigneten
Schweineohren getrocknet, wodurch diese ihre Eignung zum menschlichen Verzehr verloren haben, und hat sie der
Verwendung als Tierfutter zugeführt.
11 Wie der Senat bereits mit Urteil in BFH/NV 2004, 849, ZfZ 2004, 200 entschieden hat, sind Schweineohren unter
diesen Voraussetzungen als zubereitetes Futter i.S. der Pos. 2309 KN anzusehen. Unter einer Zubereitung i.S. der
Pos. 2309 KN ist die Verarbeitung eines Erzeugnisses oder seine Vermischung mit anderen Erzeugnissen zu
verstehen (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 23. März 1972 36/71 --
Henck--, Slg. 1972, 187 Rz 4). Die in frischem Zustand erworbenen Schweineohren sind durch das Trocknen einem
solchen Verarbeitungsvorgang unterzogen worden. Auch die nach dem genannten EuGH-Urteil erforderliche
Zweckbestimmung als Futter ist bei den getrockneten Schweineohren des Streitfalls nach den bindenden
Feststellungen des FG gegeben.
12 Des Weiteren ist auch die Voraussetzung gemäß Anm. 1 zu Kap. 23 KN erfüllt, wonach die durch die Verarbeitung
pflanzlicher oder tierischer Stoffe hergestellten Erzeugnisse der zur Fütterung verwendeten Art die wesentlichen
Merkmale der Ausgangsstoffe verloren haben müssen. Denn nicht die Ausgangsstoffe selbst, sondern nur ihre
wesentlichen Merkmale müssen durch die Verarbeitung verloren gegangen sein, was sich auch aus der
französischen ("... obtenus par le traitement de matières végétales ou animales et qui, de ce fait, ont perdu les
caractéristiques essentielles de la matière d'origine ...") und der englischen Sprachfassung ("... obtained by processing
vegetable or animal materials to such an extent that they have lost the essential characteristics of the original material
...") der Anm. 1 zu Kap. 23 KN ergibt. Nach den Feststellungen des FG haben die Schweineohren durch das Trocknen
das Merkmal ihrer Eignung zum menschlichen Verzehr verloren. Dieses ist auch ein wesentliches Merkmal, weil die
Schweineohren nach dem Trocknen nicht mehr in das Kap. 2 KN als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse
eingereiht werden können (vgl. Anm. 1 Buchst. a zu Kap. 2 KN). Die Einreihung in die Pos. 0511 KN kommt nicht in
Betracht, weil von dieser Position nur Waren tierischen Ursprungs, die anderweit weder genannt noch inbegriffen sind,
erfasst werden, was auf die getrockneten Schweineohren des Streitfalls, da sie der Pos. 2309 KN zuzuweisen sind,
nicht zutrifft. Insoweit folgt auch nichts anderes aus den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zu Kapitel
2 Rz 08.0, da --wie der Senat ebenfalls mit Urteil in BFH/NV 2004, 849, ZfZ 2004, 200 ausgeführt hat-- die Zuweisung
zur menschlichen Ernährung nicht geeigneter Schlachtnebenerzeugnisse zur Pos. 0511 KN nur zum Tragen kommen
kann, wenn die Erzeugnisse anderweit weder genannt noch inbegriffen sind.
13 2. Die am 11. August 2006 in Kraft getretene Einreihungsverordnung Nr. 1125/2006 entfaltet keine Rückwirkung und
ist somit für die im Streitfall zu treffende Tarifierungsentscheidung nicht verbindlich (vgl. EuGH-Urteil vom 28. März
1979 158/78 --Biegi--, Slg. 1979, 1103). Außerdem ist die Kommission mit dieser Einreihungsverordnung von
anderen Beschaffenheitsmerkmalen ausgegangen, als sie der Senat seiner Rechtsprüfung zugrunde zu legen hat.
Aus der unter Hinweis auf die ErlHS zu Kapitel 2 Rz 04.0 und 08.0 gegebenen Begründung der Kommission für die
beiden Einreihungen wird nämlich die Auffassung der Kommission deutlich, dass Schweineohren genießbare
Schlachtnebenerzeugnisse sind und dass hieran nach der ErlHS zu Kapitel 2 Rz 08.0 auch das Trocknen der
Schweineohren nichts ändert. Danach sind getrocknete Schweineohren grundsätzlich genießbare, zum Kap. 2 KN
gehörende Schlachtnebenerzeugnisse, es sei denn, sie sind aus anderen Gründen als dem Trocknen (z.B.
verdorben) für den menschlichen Verzehr nicht geeignet, d.h. ungenießbar (vgl. Anm. 1 Buchst. a zu Kap. 2 KN).
Deshalb hat die Kommission mit der VO Nr. 1125/2006 zwischen genießbaren getrockneten Schweineohren und
getrockneten Schweineohren, die --aus anderen Gründen als dem Trocknen-- nicht für den menschlichen Verzehr
geeignet sind, unterschieden.
14 Demgegenüber hat der Senat im Streitfall davon auszugehen (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die von der Klägerin
hergestellten getrockneten Schweineohren gerade durch das Trocknen ihre vormals vorhandene Eigenschaft, zum
menschlichen Verzehr geeignet zu sein, verlieren. Das FG war rechtlich nicht gehindert, eine solche Feststellung zu
treffen, denn bei der ErlHS zu Kapitel 2 Rz 08.0 handelt es sich nicht um eine Rechtsvorschrift. Wie der EuGH
mehrfach entschieden hat, tragen die Erläuterungen zur KN und diejenigen zum Harmonisierten System (HS) jeweils
erheblich zur Auslegung der einzelnen Tarifpositionen bei, ohne jedoch rechtsverbindlich zu sein. Der Inhalt dieser
Erläuterungen muss daher mit den Bestimmungen des HS sowie der KN in Einklang stehen und darf deren
Bedeutung nicht verändern (vgl. EuGH-Urteil vom 5. Juni 2008 C-312/07 --JVC--, ABlEU 2008 Nr. C 183/4-5,
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 883).
15 3. Die daraus resultierende Frage, ob --wovon offenbar die Kommission ausgeht-- die ErlHS zu Kapitel 2 Rz 08.0,
derzufolge das Trocknen von Schweineohren deren Eignung für den menschlichen Verzehr nicht beeinträchtigt, mit
den HS- und KN-Vorschriften in Einklang steht, bedarf allerdings im vorliegenden Fall keiner Klärung, weshalb auch
kein Anlass besteht, diese Frage dem EuGH zu Vorabentscheidung vorzulegen, denn die von der Kommission mit der
Einreihungsverordnung Nr. 1125/2006 vertretene Tarifauffassung führt im Streitfall ebenfalls zur Anwendung des
ermäßigten Steuersatzes und somit zu keiner vom angefochtenen Urteil abweichenden Entscheidung.
16 Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG werden nämlich die Schweineohren allein durch das Trocknen für den
menschlichen Verzehr ungeeignet. Es gibt dagegen weder ausdrückliche Feststellungen des FG noch Anhaltspunkte
für die Annahme, dass die Schweineohren auch aus anderen Gründen ungenießbar sind. Somit wären die
Schweineohren nach der von der Kommission mit der VO Nr. 1125/2006 vertretenen Tarifauffassung gemäß ErlHS zu
Kapitel 2 Rz 08.0 als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse in das Kap. 2 KN einzureihen. Genießbare
Schlachtnebenerzeugnisse des Kap. 2 KN unterliegen aber nach Nr. 2 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ebenso
dem ermäßigten Steuersatz wie zubereitetes Futter gemäß Nr. 37 der Anlage.