Urteil des BFH vom 14.02.2008

Vorsteuerabzug für Anzahlungen bei Ausbleiben der Leistung - Vorsteuerabzugsberichtigung - Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 14.2.2008, V B 165/06
Vorsteuerabzug für Anzahlungen bei Ausbleiben der Leistung - Vorsteuerabzugsberichtigung - Revisionszulassung wegen
grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
Tatbestand
1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) kaufte mit notariell beurkundetem Bauträgervertrag vom 21.
Dezember 1995 einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück mit einer noch zu errichtenden Gewerbeeinheit zum
Preis von 600 000 DM zuzüglich 90 000 DM Umsatzsteuer.
2
Mit Rechnung vom 22. Dezember 1995 forderte der Verkäufer (V) eine Kaufpreisrate von 200 000 DM zzgl. 30 000 DM
Umsatzsteuer, sowie mit Rechnung vom 20. Dezember 1996 eine weitere Rate von 400 000 DM zuzüglich 60 000 DM
Umsatzsteuer an, die die Klägerin in den Jahren 1995 und 1996 entrichtete. Die Umsatzsteuer (Vorsteuer) 1995 und
1996 in Höhe von insgesamt 90 000 DM trat die Klägerin an V ab.
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Im Jahre 1997 teilte V der Klägerin mit, dass sie das Gebäude nicht errichten könne. Aufgrund einer Bürgschaft erhielt
die Klägerin die Netto-Kaufpreisraten (ohne Umsatzsteuer) am 25. Juli 1997 zurück.
4
In ihren Umsatzsteuererklärungen der Jahre 1995 und 1996 machte die Klägerin die Vorsteuerbeträge von 30 000
DM bzw. 60 000 DM geltend, da sie die Gewerberäume steuerpflichtig habe vermieten wollen.
5
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stimmte den Umsatzsteuererklärungen zu. Mit
Bescheiden über Umsatzsteuer für 1995 und 1996 vom 17. Dezember 1998 setzte das FA jedoch die Umsatzsteuer
mit 0 DM fest, da aufgrund der Nichterrichtung des Objekts der in Anspruch genommene Vorsteuerabzug rückwirkend
entfalle.
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Aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Mai 2001 V R 38/00 (BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434)
half das FA den Einsprüchen ab und gewährte mit Bescheiden über die Umsatzsteuer 1995 und 1996 vom 18.
Februar 2002 die von der Klägerin begehrten Vorsteuerabzüge.
7
Mit Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr (1997) vom selben Tage berichtigte das FA den in den Jahren 1995 und
1996 vorgenommenen Vorsteuerabzug.
8
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
9
Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, dass die Berichtigung in dem Besteuerungszeitraum
vorzunehmen sei, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten sei. Diese Voraussetzungen seien in
1997 gegeben, weil unstreitig kein Umsatz erfolgt sei und auch nicht erfolgen werde. Die zivilrechtliche
"Rückabwicklung des Kaufvertrages" ebenso wie die rechtliche Einordnung der Zahlung des Bürgen als Rückgewähr
des Kaufpreises oder Schadensersatz seien ohne Bedeutung. Ebenso komme es nicht darauf an, ob eine Rechnung
zurückverlangt bzw. berichtigt worden sei.
10 Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
11 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache sowie Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend macht.
Entscheidungsgründe
12 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
13 1. Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Nichtzulassung
kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die
Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
14 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen gemäß
§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
15 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des
Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Handhabung des
Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärbar sein
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Februar 2003 V B 84/01, BFH/NV 2003, 949; vom 24.
September 2004 V B 177/02, BFH/NV 2005, 258).
16 a) Soweit die Klägerin der Rechtsfrage, ob eine Bürgschaftsrückzahlung als Schadensersatz zu werten ist und
deshalb kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts darstellt, grundsätzliche Bedeutung beimisst, ist diese
Rechtsfrage für die Beurteilung des Streitfalls nicht maßgeblich.
17 aa) Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) hat für den Fall, dass sich die
Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG 1993 geändert hat, der
Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug
entsprechend zu berichtigen. Diese Vorschrift gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993 sinngemäß, wenn für eine
vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht
ausgeführt worden ist.
18 bb) Die Regelung in § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993 steht damit im Zusammenhang mit der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
Satz 4 UStG 1993 vorgeschriebenen Besteuerung von Zahlungen vor Ausführung der Leistungen (Klenk in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 17 Rz 149). Werden nämlich Anzahlungen geleistet, bevor die Lieferung von
Gegenständen oder die Dienstleistungen bewirkt sind, so entsteht der Steueranspruch zum Zeitpunkt der
Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG--; vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG 1993). Zu diesem Zeitpunkt
entsteht auch das Recht auf Vorsteuerabzug (vgl. BFH-Urteil in BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434).
19 Der BFH hat daher bereits in dem Urteil in BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434 entschieden, dass in Fällen, in denen
der Steuerpflichtige aufgrund seiner Absicht, die angezahlte Eingangsleistung für einen steuerpflichtigen
Ausgangsumsatz zu verwenden, im Jahr der Anzahlung den Vorsteuerabzug erhält und diese Anzahlung später
zurückerstattet wird, der Vorsteuerabzug im Jahr der Rückerstattung zu korrigieren ist. Demnach kommt es nicht
darauf an, ob die Rückzahlung seitens des Bürgens zivilrechtlich als Schadensersatz zu qualifizieren ist.
20 b) Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung hinsichtlich der Frage begehrt,
"wie Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG auszulegen" sei, genügt die Beschwerde den
Darlegungsanforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht.
21 aa) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete
Rechtsfrage formuliert und auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärbarkeit im angestrebten Revisionsverfahren sowie
auf deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht. Ferner sind zur Darlegung der grundsätzlichen
Bedeutung einer Rechtsfrage Angaben dazu notwendig, inwiefern die richtige Antwort auf die im angestrebten
Revisionsverfahren zu klärende Rechtsfrage zweifelhaft ist, in welchem Umfang und aus welchen Gründen sie
umstritten ist und ggf. welche unterschiedlichen Auffassungen zu dieser Frage in der Rechtsprechung oder im
Schrifttum vertreten werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. März 2002 V B 119/01,
BFH/NV 2002, 1038; vom 18. Dezember 2002 VII B 110/02, BFH/NV 2003, 659).
22 bb) Die Darlegung lässt insbesondere eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vermissen.
23 Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG wird der ursprüngliche Vorsteuerabzug "nach den von den
Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, und zwar insbesondere:
24 b) wenn sich Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der
Erklärung geändert haben, insbesondere bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten;...".
25 Hierzu hat der EuGH im Urteil vom 29. April 2004 C-487/01, Gemeente Leusden und Holin Groep (Slg. 2004, I-5337,
BFH/NV Beilage 2004, 250 Randnr. 52) bereits entschieden, dass die Aufzählung der Tatbestände unter Art. 20 Abs. 1
Buchst. a und b der Richtlinie 77/388/EWG nicht abschließend ist. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass entgegen
der Auffassung der Klägerin eine Rückgängigmachung von Käufen oder die Erlangung von Rabatten nicht
denknotwendig erforderlich ist, um zu einer Berichtigung von Vorsteuerabzügen zu führen.
26 3. Soweit darüber hinaus die Klägerin mit ihrer Beschwerdebegründung geltend macht, dass nicht der Zedent gemäß
§ 37 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) wegen eines Rückforderungsanspruchs in Anspruch genommen
werden darf, sondern vielmehr der Zessionar, ist die Revision weder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2
Nr. 1 FGO) noch wegen Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen.
27 Beide Zulassungsgründe setzen voraus, dass eine Rechtsfrage bzw. abweichend beantwortete Rechtsfrage im
künftigen Revisionsverfahren klärbar ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. Februar 2005 I B 152/04, BFH/NV 2005, 1214;
vom 19. Juli 2007 V B 66/06, BFH/NV 2007, 2067). Die Frage, ob der Zessionar als Leistungsempfänger (§ 37 Abs. 2
Satz 1 AO) vorrangig vor dem Zedenten (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 3 AO) auf Rückzahlung in Anspruch zu nehmen ist, kann
aber im Rahmen der im Streitfall streitgegenständlichen Festsetzung der Umsatzsteuer nicht geklärt werden. Vielmehr
bleibt deren Beantwortung dem Erhebungsverfahren vorbehalten. In diesem entscheidet nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO
die Finanzbehörde über eine Streitigkeit, die einen Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 2 AO betrifft, durch
Verwaltungsakt. Ist eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat
derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder
zurückgezahlten Betrages. Dies gilt auch, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz
2 AO). Zu den Steuervergütungen gehören auch abgetretene Vorsteueransprüche. Auch in diesem Falle wird daher
der Anspruch auf Rückforderung durch den Rückforderungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 2 AO), der Teil
des Erhebungsverfahrens ist, verwirklicht (vgl. ausführlich BFH-Urteil vom 9. April 2002 VII R 108/00, BFHE 198, 294,
BStBl II 2002, 562; Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 37 AO Rz 88 f., m.w.N.). Einen solchen Verwaltungsakt
hat das FA bislang aber nicht erlassen.
28 4. Die behauptete Divergenz zu diesem Urteil (BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562) ist schon nicht in der erforderlichen
Weise dargelegt. Macht der Beschwerdeführer geltend, dass eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), so muss er in der Beschwerdebegründung
darlegen, inwiefern über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen bei den Gerichten
bestehen und welche sonstigen Gründe eine höchstrichterliche Entscheidung gebieten. Hierzu muss er tragende und
abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten
Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu
verdeutlichen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 7. Oktober 2003 X B 52/03, BFH/NV 2004, 80; vom 13. August 2007 VII B
20/07, BFH/NV 2008, 10). Eine solche Gegenüberstellung enthält die Beschwerdebegründung nicht.
29 Mit dem nicht weiter substantiierten Hinweis auf ein anhängiges Verfahren beim BFH hat die Klägerin keinen
Zulassungsgrund i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.