Urteil des BFH vom 01.06.1992

Langfristige Vermietung eines Turnhallengebäudes an einen Verein - Voraussetzungen für die Umsatzsteuerfreiheit - Vorsteuerabzug - Einheitlichkeit der Leistung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.12.2008, XI R 23/08
Langfristige Vermietung eines Turnhallengebäudes an einen Verein - Voraussetzungen für die Umsatzsteuerfreiheit -
Vorsteuerabzug - Einheitlichkeit der Leistung
Leitsätze
Die Umsätze aus der langfristigen Vermietung eines Turnhallengebäudes an einen Verein, der steuerfreie Leistungen
ausführt, sind gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei, wenn abgesehen von der Überlassung von
Betriebsvorrichtungen keine weiteren Leistungen ausgeführt werden .
Tatbestand
1 I. Strittig ist zwischen den Beteiligten, ob bei einer langfristigen Vermietung einer Turnhalle Vorsteuerbeträge auch
insofern abgezogen werden können, als diese die Herstellungskosten des Gebäudes betreffen.
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein als gemeinnützig anerkannter Verein. Er ist Eigentümer eines
Grundstücks, auf dem er in mehreren Bauabschnitten verschiedene Gebäude zum Betrieb einer Schule errichtete. Mit
Mietvertrag vom 1. Juni 1992 vermietete er das Grundstück und --jeweils ab Bezugsfertigkeit-- die noch zu errichtenden
Gebäude an den Verein "X e.V." (Verein). Dieser betreibt dort eine Schule. Der Mietvertrag wurde auf eine Dauer von
25 Jahren fest geschlossen und kann von den Vertragsparteien frühestens zum 1. Juni 2017 gekündigt werden.
3 In den Jahren 2001 und 2002 errichtete der Kläger auf dem Grundstück eine Turnhalle, die er ab 1. Oktober 2002 zu
einem monatlichen Mietzins von 7 113,83 EUR zuzüglich Umsatzsteuer an den Verein vermietete. Die ihm im Streitjahr
2002 im Zusammenhang mit der Errichtung der Turnhalle in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von 85 118,92
EUR machte er in vollem Umfang als Vorsteuer geltend.
4 Anlässlich einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, die Überlassung des
Turnhallengebäudes an den Verein stelle eine nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1999
(UStG) steuerfreie Grundstücksvermietung dar, die den Vorsteuerabzug ausschließe. Ein Verzicht auf die
Steuerbefreiung sei nicht möglich, weil der Verein das Turnhallengebäude nicht ausschließlich zur Ausführung
steuerpflichtiger Umsätze verwende. Nur soweit die geltend gemachten Vorsteuern auf die steuerpflichtige
Überlassung von Betriebsvorrichtungen entfielen, sei ein Vorsteuerabzug in Höhe von 10 255,58 EUR möglich. Eine
Minderung der Steuer um die --zu Unrecht-- für die Überlassung des Turnhallengebäudes erhobene Steuer, komme
erst nach Vorlage entsprechend berichtigter Rechnungen in Betracht.
5 Dieser Auffassung folgend versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit
Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 29. April 2004 den Abzug von Vorsteuerbeträgen aus der Herstellung der Turnhalle
insoweit, als diese nicht die Betriebsvorrichtungen betrafen.
6 Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Umsätze aus der
langfristigen Vermietung des Turnhallengebäudes an den Verein in eine nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG
steuerfreie Grundstücksvermietung und eine steuerpflichtige Vermietung von Betriebsvorrichtungen aufzuteilen seien.
Ein Verzicht auf die Steuerfreiheit sei nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG ausgeschlossen, weil der Verein als
Leistungsempfänger das Grundstück zur Ausführung von nach § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG steuerfreien, den
Vorsteuerabzug ausschließenden Umsätzen verwende. Das Urteil ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte
2008, 1337.
7 Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, es
liege eine einheitliche Leistung vor, die nicht unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG falle und
daher nach den allgemeinen Vorschriften zu besteuern sei. Der Vorsteuerabzug werde hierdurch nicht --auch nicht
teilweise-- ausgeschlossen.
8 Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben sowie den Bescheid über Umsatzsteuer 2002 vom
29. April 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2005 dahingehend abzuändern, dass weitere
Vorsteuerbeträge in Höhe von 74 863,34 EUR zum Abzug zugelassen werden.
9 Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
10 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die streitgegenständlichen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar sind.
11 Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann ein Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert
ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein
Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist vom
Vorsteuerabzug jedoch ausgeschlossen die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen
Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung von steuerfreien
Umsätzen verwendet.
12 Im Streitfall ist die Vermietung des Turnhallengebäudes eine nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfreie
Grundstücksvermietung. Der Vorsteuerabzug ist daher gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG i.V.m. § 4 Nr. 12 Satz 1
Buchst. a UStG ausgeschlossen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger neben der Überlassung des
Turnhallengebäudes dem Verein noch Betriebsvorrichtungen zur Verfügung stellte. Denn auch dies führt nicht zu
einer steuerpflichtigen Grundstücksüberlassung. Diese wäre nur dann steuerpflichtig, wenn sie Teil einer
steuerpflichtigen einheitlichen Leistung wäre. Das ist aber nicht der Fall.
13 1. Eine einheitliche Leistung liegt vor, wenn mehrere Leistungen so aufeinander abgestimmt sind, dass sie aus Sicht
eines Durchschnittsverbrauchers ihre Selbständigkeit verlieren und wirtschaftlich etwas selbständiges "Drittes" bilden
oder wenn es sich um eine Haupt- und eine Nebenleistung handelt (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften --EuGH-- vom 27. Oktober 2005 Rs. C-41/04 --Levob Verzekeringen und OV Bank--, Slg. 2005, I-
9433, Randnrn. 19 bis 22, sowie Martin in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 3 Rz 30).
14 In Anwendung dieser Grundsätze hat der EuGH im Urteil vom 18. Januar 2001 Rs. C-150/99 --Stockholm Lindöpark--
(Slg. 2001, I-493) zur Besteuerung von Sportanlagen Stellung genommen. Danach ist es grundsätzlich nicht
ausgeschlossen, dass die Zurverfügungstellung von Räumen für die Ausübung von Sport oder die Körperertüchtigung
unter besonderen Umständen eine Vermietung eines Grundstücks darstellen und damit in den Anwendungsbereich
der Befreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern fallen kann (vgl. EuGH-Urteil in
Slg. 2001, I-493, Randnr. 22).
15 Jedoch sind die Dienstleistungen, die mit Sport und Körperertüchtigung zusammenhängen, möglichst als Gesamtheit
zu würdigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Betreiben einer Sportanlage im Allgemeinen nicht nur die passive
Zurverfügungstellung des Grundstücks, sondern außerdem seitens des Dienstleistenden eine Vielzahl geschäftlicher
Tätigkeiten wie Aufsicht, Verwaltung und ständige Unterhaltung, Zurverfügungstellung anderer Anlagen u.Ä. umfasst.
Sofern nicht ganz besondere Umstände vorliegen, kann die Vermietung des Grundstücks daher nicht die
ausschlaggebende Dienstleistung darstellen (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2001, I-493, Randnr. 26, konkret zur Vermietung
eines Golfplatzes; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Mai 2001 V R 97/98, BFHE 194, 555, BStBl II 2001,
658).
16 Der EuGH weist ferner darauf hin, dass die Zurverfügungstellung einer Sportanlage gewöhnlich nach Gegenstand
und Dauer der Benutzung beschränkt sein könne. Insoweit ergebe sich aus seiner Rechtsprechung, dass die Dauer
der Grundstücksnutzung ein Hauptelement eines Mietvertrags bilde (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2001, I-493, Randnr. 27).
17 2. Nach diesen Grundsätzen ist die Vermietung des Turnhallengebäudes samt Betriebsvorrichtungen an einen
einzigen Vertragspartner jedenfalls keine einheitliche Leistung, die steuerpflichtig ist. Sie ist mit den Umsätzen des
Betreibers einer Sportanlage, der eine Vielzahl von unterschiedlichen Leistungen erbringt, nicht vergleichbar.
Vielmehr gäbe hier die steuerfreie Grundstücksvermietung der Leistung des Klägers das Gepräge.
18 Der Mietvertrag war auf die Dauer von 15 Jahren und damit langfristig geschlossen. Die Mietdauer ist --wie
dargestellt-- aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers ein geeignetes Kriterium, um eine selbständige
Vermietungsleistung von einer einheitlichen sonstigen Leistung abzugrenzen (vgl. auch EuGH-Urteil vom 18.
November 2004 Rs. C-284/03 --Temco Europe--, Slg. 2004, I-11237, Randnr. 20, m.w.N.).
19 Die Grundstücksüberlassung beschränkte sich auch nicht auf die Zeiten, in denen in der Turnhalle tatsächlich Sport
ausgeübt wurde, sondern das Gebäude stand dem Verein ununterbrochen und ausschließlich zur Verfügung. Die
Leistung des Klägers bestand allein in der "passiven" Zurverfügungstellung des Turnhallengebäudes und der darin
befindlichen Betriebsvorrichtungen.
20 Sofern der Kläger ausführt, im Streitfall würden neben der Überlassung des Turnhallengebäudes samt
Betriebsvorrichtungen Leistungen wie z.B. Wartung, Hausmeister usw. in nicht unerheblichem Umfang erbracht, hat
das FG derartige Leistungen nicht festgestellt. Der BFH ist nach § 118 Abs. 2 FGO an den vom FG festgestellten
Sachverhalt gebunden; Verfahrensrügen hat der Kläger nicht erhoben.
21 Der Senat kann offenlassen, ob die Vermietung des Turnhallengebäudes und der Betriebsvorrichtungen
entsprechend der Auffassung des FG und des FA unter Berücksichtigung von § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG als zwei
selbständige Leistungen zu qualifizieren sind und das FA für die Betriebsvorrichtungen zu Recht einen anteiligen
Vorsteuerabzug gewährt hat (vgl. zur Einschränkung des sog. Aufteilungsgebots Klenk in Sölch/ Ringleb, a.a.O., § 4
Nr. 12 Rz 19). Denn selbst wenn abweichend von der Ansicht des FG eine einheitliche Leistung anzunehmen wäre,
wäre diese jedenfalls steuerfrei. Die steuerfreie Grundstücksvermietung wäre als die Hauptleistung und die
Überlassung der Betriebsvorrichtungen als untergeordnete Nebenleistung anzusehen (vgl. zur einheitlichen
Vermietungsleistung auch BFH-Urteil vom 24. Januar 2008 V R 12/05, BFHE 221, 310). Diese Frage ist aber nicht
entscheidungserheblich, weil das FA dem Kläger einen anteiligen Vorsteuerabzug gewährt hat und eine sog.
Verböserung im finanzgerichtlichen Verfahren unzulässig ist.