Urteil des BFH vom 06.10.1982

BFH (anspruch auf rechtliches gehör, rüge, rechtliches gehör, begründung, verhandlung, zpo, beschwerdeführer, beweisaufnahme, verfahrensmangel, zulassung)

BUNDESFINANZHOF Beschluß vom 1.4.2008, X B 134/07
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde - Rüge eines Verstoßes des FG gegen die Sachaufklärungspflicht - Rüge der
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Gründe
1
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin)
entspricht nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO).
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert eine ordnungsgemäße Begründung i.S. von
§ 116 Abs. 3 FGO, dass sich der Beschwerdeführer mit den Gründen der Vorentscheidung auseinandersetzt. Die
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss aus sich heraus erkennen lassen, dass der Beschwerdeführer
anhand der Gründe des finanzgerichtlichen Urteils sein bisheriges Vorbringen überprüft hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss
vom 6. Oktober 1982 I R 71/82, BFHE 136, 521, BStBl II 1983, 48). Sie muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall
zugeschnitten sein. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss erkennen lassen, welche Gründe
tatsächlicher oder rechtlicher Art nach Ansicht des Beschwerdeführers das angefochtene Urteil als unrichtig
erscheinen lassen und welche Gesichtspunkte dem entgegengestellt werden (BFH-Entscheidungen vom 16. Oktober
1984 IX R 177/83, BFHE 143, 196, BStBl II 1985, 470; vom 8. Mai 1985 I R 108/81, BFHE 144, 40, BStBl II 1985, 523).
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Eine Verweisung auf die Begründung in einem anderen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist deshalb
grundsätzlich nicht ausreichend, denn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss aus sich selbst heraus
erkennen lassen, dass der Beschwerdeführer sich mit der angegriffenen Entscheidung auseinandergesetzt hat.
Ausnahmsweise reicht, dass eine Abschrift des in Bezug genommenen Schriftsatzes eingereicht und ausdrücklich
zum Gegenstand des Vortrags gemacht wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. April 1987 VIII
R 307/81, BFH/NV 1987, 793, und vom 30. Juni 1987 VIII R 104/83, BFH/NV 1988, 306, jeweils m.w.N.). Im
vorliegenden Fall hat die Klägerin in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde zwar ausdrücklich auf ihr
Vorbringen in den Verfahren X B 92/07, X B 100/07, X B 101/07 und X B 103/07 sowie in einem späteren Schriftsatz
auf das Verfahren X B 132/07 Bezug genommen, jedoch keine Abschrift der in jenen Rechtssachen eingereichten
Schriftsätze beigefügt.
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Damit ist zu prüfen, ob der verbleibende Inhalt der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde für sich allein den
oben beschriebenen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beschwerde genügt. Diese Frage ist unter
Berücksichtigung der Schriftsätze vom 3. August 2007 und vom 16. Oktober 2007 zu verneinen.
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2. Die von der Klägerin gerügten Unrichtigkeiten im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sind nicht im
Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern nur mit einem fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung beim
Finanzgericht --FG-- (§ 108 FGO) geltend zu machen (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2006 X B 206/05, BFH/NV 2006,
1877).
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3. Die Klägerin legt einen Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht in der
gebotenen Weise dar.
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a) Die formgerechte Rüge mangelnder Sachaufklärung durch Nichterhebung angebotener Beweise setzt voraus, dass
der Beschwerdeführer die ermittlungsbedürftigen Tatsachen (Beweisthemen), die angebotenen Beweismittel, die
genauen Fundstellen (Schriftsatz oder Terminsprotokoll, in denen die Beweismittel benannt worden sind, die das FG
nicht erhoben hat), das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme, inwieweit das Urteil des FG aufgrund dessen
sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann, darlegt und ausführt, dass --
sofern die Voraussetzungen des § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind-- bei nächster sich bietender
Gelegenheit die Nichterhebung der Beweise gerügt worden ist oder dass die Absicht des FG, die angebotenen
Beweise nicht zu erheben, nicht rechtzeitig erkennbar war, um dies noch vor dem FG rügen zu können
(Senatsbeschluss vom 17. Februar 2004 X B 142/03, nicht veröffentlicht --n.v.--).
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b) Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Schriftsatz der Klägerin vom 3. August 2007
enthält weitgehend nur unbeachtliche Bezugnahmen auf die Begründungen anderer Beschwerdeverfahren und die
dort erhobenen Einwände, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Im Streitfall erhebt die Klägerin nur den
Einwand, das FG sei "aufgetreten, als wüsste es über alles Bescheid" und habe "Zeugen nicht hören wollen". Dieses
Vorbringen genügt nicht den vorgenannten Grundsätzen.
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4. Die weitere Rüge, das FG habe "in einer Art Sippenhaft" die Feststellungen und Zurechnungen des Beklagten und
Beschwerdegegners (Finanzamt) aus dem Fahndungsbericht übernommen, führt nicht zur Zulassung der Revision. In
der damit sinngemäß erhobenen Rüge der fehlerhaften Beweiswürdigung durch das FG liegt keine Rüge eines
Verfahrensfehlers, sondern ein Angriff auf die materiell-rechtliche Auffassung des FG. Diese rechtfertigt nicht die
Zulassung der Revision (s. hierzu z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 76 und 82, m.w.N. aus
der Rechtsprechung).
10 5. Die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) wegen einer Überraschungsentscheidung des FG
und unterbliebenen Sachvortrags und Rechtsgesprächs in der mündlichen Verhandlung wird nicht hinreichend
dargelegt.
11 a) Das FG trifft eine Überraschungsentscheidung und verstößt damit gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, §§ 76
und 96 FGO, wenn es seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen
Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger
Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen
Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1991 1
BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, sowie des BFH vom 15. März 2002 X B 175/01, BFH/NV 2002, 944; vom 2. April 2002
X B 56/01, BFH/NV 2002, 947, und vom 11. Januar 2007 XI B 22/06, BFH/NV 2007, 909, m.w.N.). Der
Verfahrensmangel wird nicht schlüssig dargelegt. Allein die Behauptung, dieses Verfahren habe ein "Schattendasein"
geführt, kann keine Überraschungsentscheidung begründen. Die Klägerin führt zudem weder aus, was sie noch hätte
vortragen wollen, noch inwiefern ihr Vortrag zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können.
12 b) Mit der Rüge, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem entgegen § 92 Abs. 2, § 93 Abs. 1
FGO der Sachbericht in den mündlichen Verhandlungen nicht vorgetragen und über die Sache kein Rechtsgespräch
geführt worden sei, legt die Klägerin den behaupteten Verfahrensmangel nicht schlüssig dar.
13 Da etwaige Verstöße im Zusammenhang mit § 92 Abs. 2 FGO und § 93 Abs. 1 FGO zu den Mängeln gehören, auf die
gemäß § 295 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO verzichtet werden kann (BFH-Beschluss vom 2. Februar 2004 VIII B 59/03,
n.v.), muss in der Beschwerdebegründung darauf eingegangen werden, ob eine solche Rüge in der nachfolgenden
mündlichen Verhandlung erhoben worden ist oder aus welchem Grund dies nicht möglich war. Derlei Ausführungen
fehlen. Die Klägerin hat nach den Niederschriften zu den mündlichen Verhandlungen weder beantragt, den
Sachbericht des Streitfalles vortragen zu lassen, noch hat sie die Rüge erhoben, es sei kein Rechtsgespräch geführt
worden. Zum Fortbestehen ihres Rügerechts äußert sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht, obwohl sie
dieses nach Aktenlage verloren hat. Es ergibt sich außerdem aus den Niederschriften der mündlichen Verhandlungen
vom 14. Dezember 2006 und 3. Mai 2007, dass der wesentliche Inhalt der Akten für die zur gemeinsamen
Verhandlung verbundenen Verfahren (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO) unter Einbeziehung der Streitsache vorgetragen und
mit den Beteiligten erörtert worden (mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2006) oder den Beteiligten
Gelegenheit zur Stellungnahme vor Schließung der mündlichen Verhandlung am 3. Mai 2007 eingeräumt worden ist.
Gemäß § 94 FGO i.V.m. § 165 ZPO ist (bis zum Nachweis der Fälschung und Protokollberichtigung, vgl. § 165 Satz 2
ZPO) davon auszugehen, dass das Protokoll richtig ist (Gräber/Koch, a.a.O., § 94 Rz 22) und sowohl Sachvortrag als
auch Rechtsgespräch stattgefunden haben.