Urteil des BFH vom 14.03.2017

BFH (satzung, arbeitnehmer, tätigkeit, dienstverhältnis, eingliederung, erwägung, arbeitgeber, arbeitslohn, arbeitskraft, aufgaben)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 22.7.2008, VI R 51/05
AStA-Mitglieder als Arbeitnehmer
Leitsätze
Der Vorsitzende und die Referenten des AStA sind Arbeitnehmer im Sinne des Einkommensteuerrechts. Die an sie gezahlten
Aufwandsentschädigungen sind als einkommensteuerpflichtiger Lohn zu behandeln .
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines für den Zeitraum 1. Januar 1997 bis 30. September 2000
ergangenen, die Lohnsteuer betreffenden Haftungsbescheides.
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Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Studentenschaft der Universität X. Sie ist nach § 62 Abs. 2 des
Hessischen Hochschulgesetzes vom 6. Juni 1978 (HHG) i.d.F. vom 28. März 1995 (GVBl I 1995, 294 ff.) und den
nachfolgenden Fassungen (§ 98 Abs. 1 Satz 2 HHG vom 3. November 1998, GVBl I 1998, 431 ff.; § 95 Abs. 1 Satz 2
HHG i.d.F. vom 31. Juli 2000, GVBl I 2000, 374 ff.) eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die
Klägerin, die sie vertretenden Organe --der allgemeine Studentenausschuss (AStA)-- sowie die dafür handelnden
Personen --die Vorsitzenden und Referenten des AStA-- waren im streitigen Zeitraum auf Grundlage der Satzung der
Studentenschaft vom … tätig (Satzung der Studentenschaft …, genehmigt mit Erlass des Hessischen Kultusministers
… ).
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Die Klägerin zahlte an die Vorsitzenden und Referenten des AStA monatliche Aufwandsentschädigungen nach Ziffer
31.1 der Satzung, behielt hierfür allerdings keine Lohnsteuer ein.
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Eine im Januar 2001 bei der Klägerin für den streitigen Zeitraum durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte zu
der Auffassung, dass die von der Klägerin an die AStA-Mitglieder gezahlten Aufwandsentschädigungen
steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellten. Der Prüfer berücksichtigte jeweils 300 DM monatlich als nach § 3 Nr. 12 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreie Zahlungen, ermittelte für die Differenzbeträge die Lohnsteuer nach den
persönlichen Merkmalen der einzelnen AStA-Mitglieder unter Anwendung der Lohnsteuerklasse VI und rechnete
dabei auch die in den Jahren 1997 und 1998 bereits gezahlte Lohnsteuer an.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schloss sich dieser Auffassung an. Das FA erließ einen
entsprechenden Lohnsteuer-Haftungsbescheid gemäß § 42d Abs. 1 EStG über Lohnsteuer nebst Annexsteuern.
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Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage mit den in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1866 veröffentlichten Gründen ab. Das FA habe zu Recht die
Arbeitnehmereigenschaft der AStA-Mitglieder bejaht und die Klägerin als Arbeitgeberin behandelt. Die gemäß Ziffer
31.1 der Satzung gezahlten (pauschalen) Aufwandsentschädigungen seien als Arbeitslohn zu versteuern. Die
Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 191 Abs. 1
der Abgabenordnung (AO) seien gegeben.
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Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie beantragt,
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unter Aufhebung des Urteils des Hessischen FG den Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 6. März 2001 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 30. Mai 2001 aufzuheben.
10 Das FA beantragt,
11 die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
12 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
13 Die Entscheidung des FG, dass die Mitglieder des AStA als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen sind und das FA
die Klägerin als Haftungsschuldnerin für nicht abgeführte Lohnsteuer in Anspruch nehmen durfte, ist revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden.
14 1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei
jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 EStG abzuführen hat.
15 Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. Bezüge und Vorteile,
die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der
Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG legen nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend aus. Danach liegt ein
Dienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Das ist der Fall,
wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im
geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (BFH-Urteile vom 14. Juni
1985 VI R 150-152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661; vom 23. Oktober 1992 VI R 59/91, BFHE 170, 48, BStBl II
1993, 303; vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534; vom 14. Juni 2007 VI R 5/06, BFHE
218, 233, BFH/NV 2007, 1977, m.w.N.).
16 Der steuerliche Arbeitnehmerbegriff lässt sich nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend
bestimmen, sondern als offener Typusbegriff nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen
beschreiben. Ob jemand eine Tätigkeit als Arbeitnehmer ausübt, ist deshalb jeweils im Einzelfall nach dem
Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Dabei sind die für und gegen ein Dienstverhältnis sprechenden Merkmale,
wie im Senatsurteil in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661 an Hand von Beispielen aufgeführt, im konkreten Einzelfall
jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Diese Aufgabe obliegt in erster Linie dem FG als
Tatsacheninstanz und ist als eine vom Tatrichter getroffene Beurteilung revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 218, 233, BFH/NV 2007, 1977, m.w.N.).
17 2. Das FG ist bei seiner Gesamtwürdigung von diesen Grundsätzen ausgegangen. Das Ergebnis seiner Würdigung,
dass die Mitglieder des AStA als Arbeitnehmer anzusehen seien, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Die übrigen
Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin sind zwischen den Beteiligten zu
Recht nicht streitig.
18 Zutreffend hat das FG auf Grundlage seiner seitens der Klägerin nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen die
Merkmale des Schuldens der Arbeitskraft, der persönlichen Weisungsgebundenheit, der organisatorischen
Eingliederung und des fehlenden Unternehmerrisikos in seine Würdigung einbezogen, gewichtet und gegeneinander
abgewogen. Danach konnte das FG ohne Rechtsverstoß zu der Folgerung gelangen, dass die AStA-Mitglieder mit der
Annahme der Wahl durch das Studentenparlament ein Dienstverhältnis zur Studentenschaft i.S. des § 1 Abs. 2 LStDV
begründet hatten.
19 Das FG stützte sich dazu zunächst zutreffend auf die Erwägung, dass die AStA-Mitglieder ihre Arbeitskraft einsetzten,
um als Organmitglieder die Aufgaben des AStA zu erfüllen, und sie dabei angesichts ihrer durch das HHG und die
Satzung der Studentenschaft normierten Beziehungen zur Studentenschaft die in § 1 Abs. 2 Satz 2 LStDV genannten
wesentlichen Kriterien für ein Dienstverhältnis, nämlich "Weisungsgebundenheit" und "Eingliederung in einen
geschäftlichen Organismus", erfüllten. Zu Recht berücksichtigte das FG insoweit, dass die AStA-Mitglieder als Teil des
Organs AStA die Studentenschaft nach außen vertreten, die Mitglieder des AStA vom Studentenparlament gewählt
und in allen grundlegenden Fragen weisungsgebunden seien. Hierzu konnte das FG den Umstand heranziehen, dass
die Satzung der Studentenschaft den AStA als das die Beschlüsse des Studentenparlaments ausführendes
Exekutivorgan behandelt und der AStA dem Studentenparlament nach Ziffer 18.1 der Satzung verantwortlich ist. Der
Einwand der Revision, dass im Innenverhältnis der AStA die laufenden Geschäfte in eigener Verantwortung ausführe,
steht der Würdigung, dass eine Eingliederung und Weisungsgebundenheit vorliege, nicht entgegen. Insoweit verweist
das FG zutreffend auf den Umstand, dass der AStA nicht nur nach Ziffer 18.2 der Satzung in seiner Wirtschaftsführung,
sondern grundsätzlich an jegliche Beschlüsse des Studentenparlaments als oberstem, durch Wahl unmittelbar
legitimiertem Organ der Studentenschaft mit Allzuständigkeit gebunden sei und umfassender Kontrolle unterliege.
Wenn das FG zur Begründung dessen auf die Berichtspflichten des AStA zur Durchführung des Haushaltsplans, auf
die Überwachung der Wirtschaftsführung mit Entlastung des AStA, auf die Rechenschaftspflicht des AStA gegenüber
dem Studentenparlament nach entsprechender Aufforderung und auf die überdies bestehende Möglichkeit, den AStA
durch konstruktives Misstrauensvotum abzuwählen, verweist, ist dies nicht nur eine mögliche, sondern naheliegende
Würdigung.
20 Weiter konnte das FG noch zu Recht berücksichtigen, dass trotz Organeigenschaft des AStA die einzelnen AStA-
Mitglieder etwaigen Weisungen des Studentenparlaments bei der Art und Weise der Ausübung der Tätigkeit Folge
leisten müssten, wie dies bei Organmitgliedern im Rahmen eines Dienstverhältnisses typischerweise anzutreffen sei,
so dass insgesamt nicht von einem eigenständigen, die Arbeitnehmereigenschaft ausschließenden Mandat für den
AStA ausgegangen werden könne. Entsprechendes gilt für die Erwägung, dass sich der AStA als Exekutivorgan der
Studentenschaft durchaus mit der Bundesregierung oder einer Landesregierung vergleichen lasse und es für
Bundeskanzler, Ministerpräsidenten und Minister unbestritten sei, dass sie aus ihrer Tätigkeit Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit erzielten, steuerrechtlich also als Arbeitnehmer anzusehen seien.
21 Schließlich konnte das FG auf Grundlage des HHG und der Satzung ebenso das Merkmal der funktionellen
Eingliederung in einen geschäftlichen Organismus mit der Erwägung bejahen, dass die AStA-Mitglieder als Organteile
bestimmte Aufgaben in dem Organismus "Studentenschaft" in Abstimmung mit den anderen Organen zu erfüllen
hätten und daher nicht in eigenem Interesse, sondern in dem des Organismus "Studentenschaft" tätig seien, wie es
damit auch eine Unternehmerinitiative, ein Unternehmerrisiko und eine Selbständigkeit der AStA-Mitglieder
ausschließen konnte.
22 Ergänzend konnte das FG auch noch Höhe und Umfang der gezahlten Aufwandsentschädigungen in seine
Erwägungen einbeziehen und dabei berücksichtigen, dass der bereits in der Satzung festgeschriebene zeitliche
Mindestaufwand durch Sitzungen mehr für eine hauptamtliche als für eine ehrenamtliche Tätigkeit spreche und nicht
lediglich tatsächlich entstandener Aufwand der AStA-Referenten abgedeckt werde.
23 Zuletzt steht dieser Gesamtwürdigung auch nicht der Beschluss des erkennenden Senats vom 26. Januar 1998 VI R
47/97 (juris) entgegen. Denn dort wurde zwar entschieden, dass der AStA als Arbeitgeber und Schuldner von
Lohnsteuer nicht in Betracht komme, aber die Frage, ob die Studentenschaft selbst Arbeitgeberin der AStA-Mitglieder
sein kann, ausdrücklich offen gelassen.