Urteil des BFH vom 21.01.2010

Atypisch stille Gesellschaft: Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 21.1.2010, IV B 128/08
Atypisch stille Gesellschaft: Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1. (Klägerin zu 1.), eine GmbH, ist in fünf Geschäftsbereiche aufgeteilt, die
die verschiedenen Geschäftsfelder der Klägerin zu 1. unabhängig voneinander betreuen. Jeder Geschäftsbereich
verfügt über einen Geschäftsbereichsleiter und ein Geschäftsbereichssekretariat. Bereits seit dem 1. Januar 1986 wird
für jeden der Geschäftsbereiche eine Deckungsbeitragsrechnung durchgeführt, in die die dem jeweiligen
Geschäftsbereich zuzuordnenden Einnahmen und Ausgaben, nicht jedoch die im Unternehmen allgemein anfallenden
Gemeinkosten einbezogen werden.
2 Zum 1. Januar 1998 wurde von der Klägerin zu 1. --befristet auf fünf Jahre-- ein zweistöckiges Mitarbeiter-
Beteiligungsmodell eingeführt.
3 In einer ersten Stufe wurde eine Beteiligungs-GmbH gegründet, deren Anteile zu 100 % von den Gesellschaftern der
Klägerin zu 1. gehalten werden. Diese Beteiligungs-GmbH wiederum war zu jeweils 98,04 % an den den jeweiligen
Geschäftsbereichen zuzuordnenden GbR --hier an der Klägerin und Beschwerdeführerin zu 2. (Klägerin zu 2.)--
beteiligt. An den GbR konnten sich sodann interessierte Mitarbeiter des jeweiligen Geschäftsbereichs mit einer Einlage
typisch still beteiligen.
4 Die GbR schlossen mit der Klägerin zu 1. einen jeweils gleichlautenden Vertrag über eine so bezeichnete atypisch
stille Beteiligung an dem entsprechenden Geschäftsbereich. In § 5 des Vertrages ist die Ergebnisverwendung geregelt:
Eine Beteiligung am Verlust wurde ausdrücklich ausgeschlossen. Der Gewinnanteil errechnete sich anhand einer sich
am jeweiligen Deckungsbeitrag orientierenden Verzinsung der Kapitaleinlage. Je nach Höhe des relativen
Deckungsbeitrages (Deckungsbeitrag im Verhältnis zum Umsatz) wurde eine Verzinsung von 2 % bis 8 % der
Kapitaleinlage vereinbart. Darüber hinaus sollte nach Ablauf des Vertrages zum 31. Dezember 2002 evtl. ein
Zinsbonus gezahlt werden (gestaffelt nach der Höhe des Deckungsbeitrages).
5 Der Geschäftsführer der Klägerin zu 2. war der Leiter des Geschäftsbereichs der Klägerin zu 1., an dem die Klägerin zu
2. beteiligt war.
6 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) war der Auffassung, die Klägerin zu 2. sei nur typisch still an der
Klägerin zu 1. beteiligt und erließ einen negativen Feststellungsbescheid. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist --bei erheblichen Bedenken gegen die Zulässigkeit-- jedenfalls unbegründet.
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1. Die geltend gemachten Verfahrensfehler führen nicht zur Zulassung der Revision (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ohne Erfolg rügen die Klägerinnen die Verletzung des rechtlichen Gehörs und einen
Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO.
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a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) beinhaltet für das Gericht
die Verpflichtung, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem
entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 17. Mai 2005 VII S 17/05, BFH/NV 2005, 1614, m.w.N.).
10 b) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des
Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung des BFH dahin auszulegen,
dass neben dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch der gesamte Akteninhalt vollständig zu berücksichtigen
ist. Ein Verstoß dagegen kann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Angeblich widersprüchliche
Urteilsbegründungen oder fehlerhafte Sachverhaltswürdigungen sind dagegen --wenn sie vorliegen-- materiell-
rechtliche Fehler, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führen (BFH-Beschluss vom 25. Juli 2006 IV B
116/04, BFH/NV 2006, 2270, m.w.N.).
11 c) Die Klägerinnen machen geltend, das Finanzgericht (FG) habe bei seiner Entscheidung ihren Vortrag (Schreiben
vom 27. Juni 2008) nicht berücksichtigt, wonach der Geschäftsführer der Klägerin zu 2. als leitender Angestellter der
Klägerin zu 1. Entscheidungs- und Weisungsrechte gehabt habe.
12 Das FG ist indessen in seinem Urteil auf die Entscheidungs- und Weisungskompetenzen des Geschäftsführers der
Klägerin zu 2. als leitender Angestellter der Klägerin zu 1. eingegangen (FG-Urteil, S. 10). Das FG hat hierzu u.a.
ausgeführt, dass diese nicht rechtlich abgesichert gewesen seien; dem Geschäftsbereichsleiter seien keine
Geschäftsführungsbefugnisse übertragen worden.
13 d) Ferner rügen die Klägerinnen, das FG habe den Vortrag der Klägerinnen nicht berücksichtigt, dass der am Ende
der Beteiligung gezahlte Zinsbonus tatsächlich 86,92 % der während der Beteiligung der Klägerin zu 2. entstandenen
stillen Reserven entsprach.
14 Das FG hat sich zwar in seinen Entscheidungsgründen hiermit nicht auseinandergesetzt und auf den Vortrag der
Klägerinnen abgestellt, eine Zielsetzung des Mitarbeiter-Beteiligungsprogramms sei gewesen, wegen der
Schwierigkeit, den Wert selbstgeschaffener Software und damit den Firmenwert zu bestimmen, auf eine genaue
Ermittlung des Firmenwertes zu verzichten.
15 Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene
Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind nicht verpflichtet, sich mit
jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Es bedarf vielmehr besonderer Umstände
des Einzelfalls, die den Schluss rechtfertigen, das Gericht habe das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur
Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen (BFH-Beschlüsse in
BFH/NV 2005, 1614; in BFH/NV 2006, 2270). Derartige Umstände sind vorliegend nicht vorgetragen und nicht
ersichtlich.
16 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder zur Fortbildung des Rechts
(§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) zuzulassen.
17 a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein
allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und
Handhabung des Rechts betrifft. Sie muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein. Eine Rechtsfrage ist u.a.
nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH geklärt ist und keine neuen
Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten
erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 24. April 2009 IV B 104/07, BFH/NV 2009, 1398).
18 Bei dem Zulassungsgrund zur Fortbildung des Rechts handelt es sich um einen speziellen Tatbestand der
Grundsatzrevision (BFH-Beschluss vom 7. September 2006 IV B 13/05, BFH/NV 2007, 27, m.w.N.).
19 b) Die Klägerinnen halten für klärungsbedürftig, ob bei der Prüfung der Mitunternehmerinitiative einer stillen
Beteiligung an einem Unternehmensteil auf die Gesellschafterrechte bezogen auf diesen Unternehmensteil oder auf
die Gesellschafterrechte bezogen auf das gesamte Unternehmen abzustellen ist.
20 Diese Frage ist vorliegend nicht klärbar. Denn nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen
angegriffenen Feststellungen des FG standen dem Geschäftsführer der Klägerin zu 2. als leitendem Angestellten der
Klägerin zu 1. auch in seinem Bereich keine rechtlich abgesicherten Geschäftsführungsbefugnisse oder anderweitige
Direktionsrechte zu (FG-Urteil, S. 10). Hierauf hat das FG --in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (z.B.
BFH-Urteil vom 9. Dezember 2002 VIII R 20/01, BFH/NV 2003, 601, unter II.2.b aa der Gründe, m.N.)-- bei der Prüfung
der Mitunternehmerinitiative u.a. abgestellt.
21 c) Darüber hinaus ist nach Auffassung der Klägerinnen grundsätzlich bedeutsam, "ob bei einer von vorneherein und
ausdrücklich nicht verlängerbaren Befristung einer stillen Beteiligung auf einen kurzen Zeitraum (hier: fünf Jahre) die
Ermittlung des Anteils des stillen Beteiligten an den in dieser Zeit entstandenen stillen Reserven auch ohne Ermittlung
eines kompletten Unternehmenswertes jeweils zu Beginn bzw. zum Ende der Beteiligungsdauer" zulässig ist, "wenn
sichergestellt ist, dass die stillen Reserven nach der Entwicklung der Ertragskraft des Unternehmens (hier: des
Geschäftsbereiches) ermittelt werden." Zudem halten die Klägerinnen für klärungsbedürftig, ob es zulässig oder
geboten ist, die so ermittelten Anteile des stillen Gesellschafters an den stillen Reserven mit tatsächlich erfolgten
Verkäufen von Stammanteilen an dem Gesamtunternehmen zu Beginn und am Ende der Beteiligung zu vergleichen.
Schließlich sei zu klären, ob die Beteiligung am Gewinn zwingend mit einem Prozentsatz des Gewinns auszudrücken
ist oder nicht auch eine variable Verzinsung der Einlage, die vom Gewinn abhängt, ausreicht.
22 Diese Rechtsfragen sind nicht klärbar.
23 Nach der Rechtsprechung des BFH wird das Mitunternehmerrisiko regelmäßig durch Beteiligung am Gewinn und
Verlust sowie an den stillen Reserven des Anlagevermögens einschließlich eines Geschäftswerts vermittelt
(Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C.V.3.c
cc (2) der Gründe; BFH-Urteil vom 27. Mai 1993 IV R 1/92, BFHE 171, 510, BStBl II 1994, 700, unter II.3.a der Gründe).
Das FG hat das schwach ausgeprägte Mitunternehmerrisiko nicht nur mit der fehlenden Beteiligung an den stillen
Reserven, sondern u.a. auch damit begründet, dass die Klägerin zu 2. --was die Klägerinnen in ihrer
Beschwerdebegründung nicht bestreiten-- nicht an den Verlusten der Klägerin zu 1. beteiligt war. Allein dieser
Umstand rechtfertigt allerdings bereits, an die Mitunternehmerinitiative erhöhte Anforderungen zu stellen, weil vom
Regelfall des erforderlichen Maßes an Mitunternehmerrisiko abgewichen wird (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 601,
unter II.2.b der Gründe). Ob die Klägerin zu 2. darüber hinaus auch nicht an den stillen Reserven beteiligt war und ihre
Beteiligung am Gewinn fraglich ist, ist demnach unerheblich.
24 3. Soweit sich die Klägerinnen auf die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) berufen, haben sie diesen Zulassungsgrund nicht
entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
25 Die Klägerinnen haben die behauptete Divergenz zu den von ihnen zitierten Urteilen (BFH-Urteile vom 15. Oktober
1998 IV R 18/98, BFHE 187, 250, BStBl II 1999, 286; in BFH/NV 2003, 601; vom 7. November 2006 VIII R 5/04,
BFH/NV 2007, 906) nicht erkennbar gemacht. Hierzu hätten sie einander widersprechende abstrakte Rechtssätze aus
dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und den Entscheidungen andererseits, von denen die Vorinstanz
abgewichen sein soll, gegenüberstellen müssen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 8. Mai 2009 IV B 55/08, BFH/NV 2009,
1432, m.w.N.).