Urteil des BFH vom 14.03.2017

BFH: nahestehende person, vorsteuer, eugh, herstellungskosten, lieferung, unternehmen, gebäude, bemessungsgrundlage, einspruch, verzinsung

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Gericht:
Finanzgericht des
Landes Brandenburg
1. Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
1995
Aktenzeichen:
1 K 1584/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 5 Nr 1 UStG 1993, § 10
Abs 4 Nr 2 UStG 1993, Art 11
EWGRL 388/77, Art 27 Abs 1
EWGRL 388/77
(In § 10 Abs.4 und 5 UStG enthaltene Regelung zur
Mindestbemessungsgrundlage bei Lieferung zwischen
vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen nicht anwendbar)
Leitsatz
Die Mindestbemessungsgrundlgae ist auf Umsätze zwischen vorsteuerabzugsberechtigten
Unternehmern nicht anwendbar
Tatbestand
Die Klägerin betreibt einen Großhandel mit technischen Artikeln. In den Jahren
1994/1995 bebaute sie ihr Grundstück in L... mit einem Geschäftshaus. Die
Herstellungskosten des Gebäudes betrugen 4.248.977,31 DM. Die Investitionsbank des
Landes Brandenburg gewährte einen Zuschuss von 767.300 DM, den die Klägerin
buchhalterisch als Minderung der Herstellungskosten erfasste. Mit notariellem Vertrag
vom 14.12.1995 übertrug die Klägerin das bebaute Grundstück auf die X... GbR. Die
Gesellschafter dieser GbR sind identisch mit den Gesellschaftern der X... GmbH & Co. KG
in M....., die wiederum alleinige Kommanditistin der Klägerin ist. Den Kaufpreis
berechnete die Klägerin gegenüber der GbR gemäß Rechnung vom 30.11.1995 mit
insgesamt 3.964.677,31 DM zuzüglich ausgewiesener Umsatzsteuer, wobei auf das
Gebäude ein Kaufpreisanteil von 3.481.677,31 DM entfiel, was den Herstellungskosten
nach Abzug des Zuschusses entsprach.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung beurteilte der Prüfer diesen Vorgang als Lieferung an
eine nahestehende Person, für die die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5
Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) anzuwenden sei. Diese entspreche gemäß § 10 Abs. 4
Nr. 2 UStG den Kosten, die 4.248.977,31 DM betragen hätten. Die sich daraus
ergebende Umsatzsteuererhöhung betrage 115. 095 DM. Auf Ziffer C. I. des
Prüfungsberichts vom 20.11.2000 wird Bezug genommen.
Am 21.04.2000 erteilte die Klägerin der GbR eine berichtigte Rechnung, in der sie den
Kaufpreisanteil für das Gebäude mit 4.248.977,31 DM ansetzte.
Gegen den entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1995 legte die Klägerin
Einspruch ein, mit dem sie sich gegen den Ansatz der Mindestbemessungsgrundlage
und gegen die Zinsfestsetzung wandte. Im Wesentlichen trug sie vor, das vereinbarte
Entgelt sei unter Zugrundelegung der einschlägigen Immobilienpreise marktüblich
gewesen, außerdem komme die Mindestbemessungsgrundlage zwischen
vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen nicht zur Anwendung. Die Zinsfestsetzung
sei EG-rechtswidrig, da der Besitz einer Rechnung mit Steuerausweis nicht
Entstehungsvoraussetzung, sondern lediglich Ausübungsvoraussetzung für den
Vorsteueranspruch sei. Da nach Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie Umsatzsteuer und
Vorsteuer zum gleichen Zeitpunkt entstünden, könne es nicht zu einer Verzinsung der
Umsatzsteuer kommen, ein Liquiditätsvorteil sei nicht eingetreten.
Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen
aus, es erscheine nicht glaubhaft, dass das marktübliche Entgelt genau den um den
Zuschuss geminderten Herstellungskosten entspreche. Zudem habe die Klägerin eine
geänderte Rechnung ausgestellt, der die Auffassung der Finanzverwaltung zugrunde
liege. Die Frage des Entstehung des Vorsteueranspruchs der GbR sei im Übrigen nicht
Gegenstand des Verfahrens der Klägerin. Die Verzinsung nachträglich festgesetzter
Umsatzsteuer sei auch dann nicht sachlich unbillig, wenn sich per Saldo ein Ausgleich
von Steuer und Vorsteuer ergebe. Die Entstehungsvoraussetzungen für die
Umsatzsteuer und die Vorsteuer seien nicht deckungsgleich.
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Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin ergänzend vor, die berichtigte Rechnung
sei nur ausgestellt worden, um die bei ihr - der Klägerin - fällige Umsatzsteuer aus der
erhöhten Bemessungsgrundlage durch Abtretung des Vorsteuerabzuges der GbR
auszugleichen. Diese Rechnung könne jederzeit berichtigt werden.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Bescheides vom 20.02.2001 und Aufhebung der
Einspruchsentscheidung vom 19.06.2003 die Umsatzsteuer 1995 auf ./. 35.960,18 € (./.
70.332,00 DM) sowie die Zinsen in entsprechender Höhe festzusetzen sowie die
Hinzuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist ergänzend auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 01.07.2004 (V R
33/01) und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29.04.2004 (C-
152/02), wonach der Unternehmer Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum
abziehen könne, in diem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 15
Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG insgesamt vorlägen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Der Beklagte hat
die Umsatzsteuer zu Unrecht nach der Mindestbemessungsgrundlage berechnet. Diese
ist im Streitfall nicht anwendbar.
Für Lieferungen, die Personengesellschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre
Gesellschafter oder diesen nahestehende Personen ausführen, wird die Umsatzsteuer
nach den Kosten bemessen, wenn diese das Entgelt übersteigen
(Mindestbemessungsgrundlage, § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG). Diese
Regelung ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
Die in § 10 Abs. 4 und 5 UStG enthaltene Regelung zur Mindestbemessungsgrundlage
weicht von der in Art. 11 der Sechsten Richtlinie 77/388 EWG zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17.05.1977
(Amtsblatt der EG Nr. L 145, 1) vorgesehenen Regelung der Besteuerungsgrundlage ab.
Diese Abweichung ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom
29.05.1997 (Rs. C-63/96, Skripalle, Slg. 1997, I-02847, Randnummer 22 ff.), dem sich der
erkennende Senat anschließt, auf der Grundlage des Art. 27 Abs. 1 der Sechsten
Richtlinie zulässig. Danach kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden
Mitgliedstaat ermächtigen, von der Sechsten Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen
einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -
umgehungen zu verhindern. Diese Sondermaßnahmen sind dabei eng auszulegen und
dürfen von der in Art. 11 der Sechsten Richtlinie geregelten Besteuerungsgrundlage nur
insoweit abweichen, als dies für die Erreichung dieses Ziels - im Falle der
Mindestbemessungsgrundlage der Vermeidung von Steuerhinterziehung und -
umgehung - unbedingt erforderlich ist (EuGH am angegebenen Ort - aaO - Randnummer
24 mit weiteren Nachweisen).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn bei - wie hier - ordnungsgemäß
durchgeführter Lieferung zwischen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen besteht
objektiv keine Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung. Der Steuerentstehung
auf der Seite des Lieferers steht die entsprechende Vorsteuerabzugsberechtigung auf
Seiten des empfangenden Unternehmers gegenüber, so dass unabhängig von der Höhe
der Bemessungsgrundlage immer ein Ausgleich von Steuer und Vorsteuer hergestellt
wird (sog. Belastungsneutralität, vgl. dazu z.B. Urteil des EuGH vom 17.02.2005, C-
453/02, Linneweber, Umsatzsteuer-Rundschau 2005, 194). Aus diesem Grunde ist ein
durch Geschäftsbeziehung oder Beteiligungsstruktur begründeter Einfluss in der
Unternehmerkette für die Umsatzbesteuerung unerheblich (vgl. Wagner in Sölch/Ringleb,
UStG § 10 Anm. 444). Dem entspricht schließlich auch der Gesetzeszweck des § 10 Abs.
5 UStG, der einen unbesteuerten Letztverbrauch vermeiden will (vgl. Husmann a.a.O.
Anm. E 244.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Nebenentscheidungen beruhen
auf den §§ 135 Abs.1, 151 Abs.1 und 3 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr.10, 711
Zivilprozeßordnung.
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