Urteil des BFH vom 29.10.2008
Umsatzsteuerliche Organschaft bei schwach ausgeprägter wirtschaftlicher Eingliederung - zwingender Eintritt der Rechtsfolgen - Übereignung eines Grundstücks durch den Organträger und Ausführung der Baumaßnahmen durch die Organgesellschaft als einheitliche
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 29.10.2008, XI R 74/07
Umsatzsteuerliche Organschaft bei schwach ausgeprägter wirtschaftlicher Eingliederung - zwingender Eintritt der
Rechtsfolgen - Übereignung eines Grundstücks durch den Organträger und Ausführung der Baumaßnahmen durch die
Organgesellschaft als einheitliche Leistung - Organschaftsvoraussetzungen nach Ertragsteuerrecht - Option zur Steuerpflicht
durch schlüssiges Verhalten
Leitsätze
1. Bei deutlicher Ausprägung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung kann eine wirtschaftliche Eingliederung
und damit eine Organschaft schon bei mehr als nur unerheblichen Geschäftsbeziehungen vorliegen.
2. Weder das UStG noch das Gemeinschaftsrecht sehen ein Wahlrecht für den Eintritt der Rechtsfolgen einer
umsatzsteuerlichen Organschaft vor.
3. Die Übertragung eines zu bebauenden Grundstücks kann auch dann zu einer einheitlichen Leistung führen, wenn im
Rahmen einer Organschaft der Organträger das Gründstück übereignet, während die Baumaßnahmen von einer
Organgesellschaft durchzuführen sind.
Tatbestand
1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren als Einzelunternehmer im Immobilienbereich beim
An- und Verkauf von unbebauten Grundstücken, als Bauherr und Baubetreuer sowie als Vermittler unternehmerisch
tätig. Er war darüber hinaus Alleingesellschafter und einziger Geschäftsführer einer im August 1992 gegründeten
GmbH. Unternehmensgegenstand dieser GmbH war der An- und Verkauf von bebauten Grundstücken sowie die
Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben als Bauherrin und Baubetreuerin. Der Kläger verpachtete das
Inventar (einen PKW und die Büroausstattung) seiner Einzelfirma an die GmbH.
2
Die GmbH bebaute ein Grundstücksareal, das der Kläger im Mai 1992 erworben hatte, mit 29 "Reihenhausscheiben".
Der Kläger teilte die Grundstücke in Sonder- und Miteigentum auf. Die noch zu bebauenden Grundstücksteile
verkaufte er an verschiedene Erwerber; eine der Wohnungen (Nr. 4) vermietete der Kläger --von Dezember 1994 bis
zum 31. März 1996-- an die GmbH, die darin eine Musterwohnung einrichtete.
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Die jeweils notariell beurkundeten Kaufverträge sahen vor, dass der Kläger ein Wohnungseigentumsrecht bestehend
aus einem Miteigentumsanteil an dem jeweiligen Grundstück verkaufte, der mit Sondereigentums- und
Sondernutzungsrechten verbunden war. Zugleich "verkaufte" der Kläger als alleinvertretungsberechtigter
Geschäftsführer der GmbH in deren Namen alle Erschließungsmaßnahmen sowie Planungskosten und verpflichtete
sich im Namen der GmbH, "das Wohnungseigentum schlüsselfertig mit Außenanlagen erstellen zu lassen". Nach dem
jeweiligen Kaufvertrag waren zum einen für die Baumaßnahme ohne Grundstücksanteil ein "Gesamterstellungspreis"
zuzüglich gesondert ausgewiesener Mehrwertsteuer und zum anderen ein "Kaufpreis für Grund und Boden" ohne
Umsatzsteuer zu entrichten. Gesamterstellungspreis und Kaufpreis für Grund und Boden wurden zu einem
"Gesamtkaufpreis" zusammengefasst.
4
Der Kläger behandelte den Verkauf der Miteigentumsanteile am Grund und Boden entsprechend der vertraglichen
Regelung als umsatzsteuerfrei; die GmbH versteuerte die Erstellung.
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Im Rahmen einer Außenprüfung ging der Prüfer davon aus, dass zwischen dem Kläger als Organträger und der
GmbH als Organgesellschaft eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft bestanden habe. Es sei nicht zulässig, die
Veräußerung der Miteigentumsanteile am Grund und Boden umsatzsteuerfrei zu behandeln, da Grund und Boden
sowie Gebäude nur einheitlich umsatzsteuerpflichtig veräußert werden könnten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt --FA--) folgte der Auffassung des Prüfers und erließ für die Streitjahre entsprechende
Änderungsbescheide. Einspruch und Klage hatten im Ergebnis keinen Erfolg.
6
Das Finanzgericht (FG) stützte die Klageabweisung darauf, dass zwischen dem Kläger und der GmbH eine
Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) bestanden habe. Neben der --unstreitigen-
- finanziellen und organisatorischen liege auch die wirtschaftliche Eingliederung vor. Diese ergebe sich aus dem
abgestimmten Zusammenwirken des Klägers und der GmbH. In den zusammengefassten Notarverträgen hatten sich
der Kläger zum Grundstücksverkauf und die GmbH zur Gebäudeerrichtung verpflichtet, wodurch sich Kläger und
GmbH gefördert und ergänzt hätten. Leistungsgegenstand sei das bebaute Grundstück, da nach dem Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 8. Juni 2000 Rs. C-400/98 --Breitsohl-- (Slg. 2000, I-
4321, BStBl II 2003, 452, Randnr. 50) Grundstück und Gebäude für Zwecke der Mehrwertsteuer nicht getrennt
behandelt werden dürften. Dass die Leistungen zivilrechtlich von zwei unterschiedlichen Vertragspartnern erbracht
worden seien, sei unerheblich, da aus Sicht der Käufer ein Bündel von Leistungen des Klägers vorgelegen habe.
7
Da der Kläger nicht zur Umsatzsteuer optiert habe, sei die Lieferung des bebauten Grundstücks gemäß § 4 Nr. 9
Buchst. a UStG in vollem Umfang steuerfrei und der Vorsteuerabzug somit nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG
ausgeschlossen. Die von der GmbH in Rechnung gestellte Umsatzsteuer schulde der Kläger als Organträger nach §
14 Abs. 2 UStG. Hieraus ergebe sich eine höhere Steuerschuld als bei der vom FA angenommenen Steuerpflicht der
Grundstückslieferung. Eine Schlechterstellung des Klägers scheide aber nach § 96 Abs. 1 Satz 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) aus.
8
Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1640 veröffentlicht.
9
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht die Voraussetzungen
einer umsatzsteuerlichen Organschaft bejaht. Eine wirtschaftliche Eingliederung habe nicht vorgelegen.
10 Es liege auch keine einheitliche Leistung vor, da Grundstückslieferung und Bauleistung von unterschiedlichen
Rechtspersonen erbracht worden seien. Nach der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittsverbrauchers würden
bereits im Hinblick auf die eigenständigen Gewährleistungsregelungen auch umsatzsteuerrechtlich zwei Leistungen
vorliegen, für die umsatzsteuerrechtlich unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten könnten.
11 Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 1993
bis 1995 vom 13. Februar 2001 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2004 dahingehend zu
ändern, dass die steuerpflichtigen Umsätze für 1993 um 626 086,96 DM, für 1994 um 156 521,74 DM und für 1995 um
403 478,26 DM geringer angesetzt werden und die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung geringerer Vorsteuerbeträge
für 1994 in Höhe von 2 728,50 DM und für 1995 in Höhe von 1 383 DM entsprechend niedriger festgesetzt wird.
12 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht das
Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft bejaht. Dies bewirkt die Zusammenfassung der Übertragung von
Grund und Boden sowie der Bauleistung zu einer einheitlichen Leistung, die nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG insgesamt
steuerfrei ist.
14 1. Zwischen dem Kläger und der GmbH liegt eine Organschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vor. Nach dieser
Vorschrift wird eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person
nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen
des Organträgers eingegliedert ist. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 4 Abs. 4
Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) Gebrauch gemacht (vgl. zuletzt Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. April 2008 V R 76/05, 221, 443, BFH/NV 2008, 1410, m.w.N.).
15 a) Eine Organschaft setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH zunächst voraus, dass der Organträger eine
eigenständige Unternehmenstätigkeit ausübt (vgl. BFH-Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 64/99, BFHE 200, 119, BStBl II
2003, 375). Vorliegend war der Kläger als Organträger nicht nur als Einzelunternehmer im Immobilienbereich tätig,
sondern vermietete auch einen PKW, die Büroausstattung und ab Dezember 1994 die Wohnung Nr. 4 an die GmbH.
Dass seine unternehmerische Betätigung im Vergleich zu derjenigen der GmbH nur von untergeordneter Bedeutung
war, ist insoweit unerheblich.
16 b) Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Organträger finanziell über die Mehrheit der Stimmrechte bei der
abhängigen juristischen Person verfügt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005,
671), wirtschaftlich mit der Organgesellschaft verflochten ist und organisatorisch eine von seinem Willen abweichende
Willensbildung bei der Organgesellschaft verhindern kann (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, BFHE
219, 463, BStBl II 2008, 451). Da hinsichtlich der Eingliederungsvoraussetzungen das Gesamtbild der Verhältnisse
maßgebend ist, erfordert die Annahme einer Organschaft nicht, dass alle drei Eingliederungsmerkmale
gleichermaßen feststellbar sind. Tritt auf einem der drei Gebiete die Eingliederung weniger stark in Erscheinung, so
hindert dies nicht, trotzdem Organschaft anzunehmen, wenn sich die Eingliederung deutlich auf den beiden anderen
Gebieten zeigt (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2008, 1410; vom 1. April 2004 V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004,
905; vom 16. August 2001 V R 34/01, BFH/NV 2002, 223; vom 22. Juni 1967 V R 89/66, BFHE 89, 402, BStBl III 1967,
715; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 2 Rz 106, m.w.N.). So liegen die Verhältnisse im Streitfall.
17 aa) Die GmbH war finanziell in das Unternehmen des Klägers eingegliedert, da der Kläger als alleiniger
Gesellschafter der GmbH über sämtliche Stimmrechte verfügte.
18 bb) Die organisatorische Eingliederung folgt daraus, dass der Kläger zugleich einziger Geschäftsführer der GmbH
war.
19 cc) Für die wirtschaftliche Eingliederung ist --entgegen der klägerischen Ansicht-- nicht ein bestimmtes
Mindestumsatzverhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft erforderlich. Im Hinblick auf die deutliche
Ausprägung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
Ausprägung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung ist es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
vielmehr unschädlich, wenn die wirtschaftliche Eingliederung weniger deutlich zu Tage tritt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV
2008, 1410). Es genügt dann, dass zwischen der Organgesellschaft und dem Unternehmen des Organträgers ein
vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung
vorhanden ist. Die Tätigkeiten von Organträger und Organgesellschaft müssen lediglich aufeinander abgestimmt sein
und sich dabei fördern und ergänzen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534; vom 3.
April 2003 V R 63/01, BFHE 202, 79, BStBl II 2004, 434). Hierfür reicht das Bestehen von mehr als nur unerheblichen
Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft aus; insbesondere braucht die Organgesellschaft nicht
wirtschaftlich vom Organträger abhängig zu sein (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2003 V B 158/03, V S 16/03,
BFH/NV 2004, 236).
20 Zwischen dem Unternehmen des Klägers und der GmbH bestand nach den Feststellungen des FG dadurch ein
vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung,
dass Verkauf von Grund und Boden durch den Kläger und die Bebauung durch die GmbH aufeinander abgestimmt
waren. Der Kläger stand auch in nicht unerheblichem Umfang in Geschäftsbeziehungen zu der GmbH, indem er durch
Vertrag vom 30. Dezember 1992 den PKW und die Büroausstattung seines Unternehmens an die GmbH verpachtete
sowie von Dezember 1994 bis März 1996 die Wohnung Nr. 4 an die GmbH vermietete, die diese als Musterwohnung
für Kaufinteressenten nutzte.
21 c) Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft führt zwingend zum
Eintritt der damit einhergehenden Rechtsfolgen. Soweit dagegen in jüngster Zeit grundsätzliche Einwände geltend
gemacht werden (vgl. Beschluss des FG Rheinland-Pfalz vom 11. März 2008 6 V 2395/07, Umsatzsteuer-Rundschau
--UR-- 2008, 542; Stadie, UR 2008, 540 Anm. 2), hält der Senat diese nicht für durchgreifend.
22 aa) Der BFH hat sich im Urteil vom 17. Januar 2002 V R 37/00 (BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373) eingehend mit
dieser Frage befasst und erkannt, dass das Gemeinschaftsrecht für finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch
verbundene Unternehmen kein Wahlrecht vorsieht, von den Regeln der umsatzsteuerlichen Organschaft Gebrauch zu
machen. Nach dem BFH-Beschluss vom 28. November 2002 V B 126/02 (BFH/NV 2003, 515) ist es "zweifelsfrei", dass
das Gemeinschaftsrecht für eingegliederte Unternehmen kein Wahlrecht vorsieht (zustimmend Klenk in Sölch/Ringleb,
a.a.O., § 2 Rz 92; Birkenfeld, UR 2008, 2, 6). Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, von dieser ständigen
Rechtsprechung abzuweichen.
23 bb) Ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen ergibt sich --entgegen der Ansicht von Stadie (UR 2008, 540)-- auch nicht aus
dem EuGH-Urteil vom 22. Mai 2008 Rs. C-162/07 --Ampliscientifica und Amplifin-- (Höchstrichterliche
Finanzrechtsprechung 2008, 878). Der Wortlaut der Nr. 1 des Tenors ("Bei Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 ... handelt es sich
um eine Norm, ... die es ... Personen ... gestattet, ...") erweckt zwar den Anschein eines Wahlrechts. Eine derartige
Auslegung widerspräche jedoch nicht nur dem klaren Wortlaut der zitierten Norm, sondern auch Randnr. 20 der
Urteilsgründe: "Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie setzt somit, wenn ein Mitgliedstaat von ihm Gebrauch
macht, zwingend voraus, dass die nationale Umsetzungsregelung einen einzigen Steuerpflichtigen vorsieht ..."
24 Gegen die von Stadie (UR 2008, 540) vertretene Ansicht spricht weiterhin, dass auch das vorlegende italienische
Gericht durch die Formulierung der Vorlagefrage in Randnr. 16 Nr. 1 von einer Gestattung der Mitgliedstaaten
ausgeht: "Ist Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie als eine Vorschrift, die nicht hinreichend klar gefasst ist
und den Mitgliedstaaten die Umsetzung der dort vorgesehenen Regelung für bestimmte Fälle eines wirtschaftlichen,
finanziellen oder rechtlichen Verbundenseins verschiedener Steuerpflichtiger gestattet, oder ..."
25 Schließlich folgt aus der Antwort des EuGH, wonach --bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Organschaft-- nur der
Organträger als Steuerpflichtiger gelte, dass die Rechtsfolgen einer Organschaft als zwingend anzusehen sind (vgl.
auch Nieskens, UR 2008, 538 Anm. 1).
26 d) Soweit der Kläger auf das Verfahren unter dem Az. I R 43/07 hinweist, ist die Entscheidung dieses Verfahrens für
den Streitfall ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 9. April 2008 I R 43/07, BFH/NV 2008, 1848). Das Verfahren betraf
keine umsatzsteuerliche, sondern eine gewerbesteuerliche Organschaft (§ 2 Abs. 2 Satz 2 des
Gewerbesteuergesetzes 1991 i.V.m. § 14 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1991). Im Hinblick auf die
unterschiedlichen Zielsetzungen von Gewerbesteuer- und Umsatzsteuergesetz (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Januar
1988 V B 115/87, BFH/NV 1988, 471) und die nur umsatzsteuerlich gebotene richtlinienkonforme Auslegung gelten für
die umsatzsteuerliche Organschaft andere Voraussetzungen als für die Organschaft im Ertragsteuerrecht (vgl. BFH-
Urteil in BFH/NV 2008, 1410; BFH-Beschluss vom 3. September 2001 V B 228/00, BFH/NV 2002, 376; ebenso Klenk
in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 2 Rz 107; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 319;
Meyer in Offerhaus/Söhn/Lange, § 2 UStG Rz 65).
27 2. Die Übertragung von Grund und Boden und die Bauleistung sind eine einheitliche Leistung, die insgesamt nach § 4
Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei ist.
28 a) Für die Abgrenzung, ob eine einheitliche Leistung oder mehrere selbständige Leistungen vorliegen, gilt nach
ständiger Rechtsprechung, dass jede Leistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist;
zugleich darf aber eine wirtschaftlich einheitliche Leistung im Interesse eines funktionierenden
Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Daher ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu
ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine
einheitliche Leistung erbringt. Dabei ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Eine einheitliche
Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein Teil oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein Teil oder mehrere
andere Teile dagegen Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Darüber
hinaus ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen
eigenen Zweck hat, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen
Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 25. Februar 1999 Rs. C-349/96 --CPP--, Slg. 1999,
I-973, Randnr. 28 ff.; vom 27. Oktober 2005 Rs. C-41/04 --Levob Verzekeringen und OV Bank--, Slg. 2005, I-9433,
Randnr. 19 ff.; vom 21. Juni 2007 Rs. C-453/05 --Ludwig--, Slg. 2007, I-5083, Randnr. 17 f.; BFH-Urteile vom 9. Juni
2005 V R 50/02, BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98; vom 19. Juli 2007 V R 68/05, BStBl II 2008, 208; vom 6. September
2007 V R 14/06, BFH/NV 2008, 624).
29 b) Ist Gegenstand der zu erbringenden Leistung ein bebautes Grundstück, liegt auf der Grundlage des EuGH-Urteils in
Slg. 2000, I-4321 (Breitsohl) eine einheitliche Leistung vor, die im Interesse eines funktionierenden
Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden darf. So kann nach dem EuGH-Urteil in Slg. 2000, I-4321,
Randnr. 51 (Breitsohl) der Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Lieferung bebauter Grundstücke nicht auf den
Gebäudeanteil beschränkt werden. Gleiches gilt für die Übertragung eines durch den Grundstücksverkäufer zu
bebauenden Grundstücks (vgl. Klenk in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 9 Rz 36; Kraeusel in
Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 4 Nr. 9 Rz 31.1).
30 c) Voraussetzung für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung anstelle mehrerer selbständiger Leistungen ist
jedoch, dass es sich um Tätigkeiten desselben Unternehmers handelt. Entgeltliche Leistungen verschiedener
Unternehmer sind auch dann jeweils für sich zu beurteilen, wenn sie gegenüber demselben Leistungsempfänger
erbracht werden und die weiteren Voraussetzungen für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung erfüllt sind (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 7. Februar 1991 V R 53/85, BFHE 164, 482, BStBl II 1991, 737; vom 10. September 1992 V R 99/88,
BFHE 169, 255, BStBl II 1993, 316; BFH-Beschluss vom 18. April 2007 V B 157/05, BFH/NV 2007, 1544).
31 d) Eine einheitliche Leistung kann --im Gegensatz zur Beurteilung bei Leistungen mehrerer Unternehmer (s. oben
unter c)-- auch im Verhältnis von Organträger und Organgesellschaft vorliegen. Zwar beschränken sich nach § 2 Abs.
2 Nr. 2 Satz 2 UStG die Wirkungen der Organschaft auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen
Unternehmensteilen des Organkreises. Diese Unternehmensteile sind aber als ein Unternehmen zu behandeln (§ 2
Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG). Letzterem kommt Vorrang zu, da sich die Rechtsfolgen der Organschaft nach allgemeiner
Auffassung nicht auf Innenleistungen beschränken, sondern z.B. dazu führen, dem Organträger die Umsätze seiner
Organgesellschaften zuzurechnen (vgl. z.B. Stadie in Rau/ Dürrwächter, a.a.O., § 2 Rz 657, m.w.N.). Die Organschaft
bewirkt dabei nicht nur eine Zurechnung von Umsätzen, sondern beeinflusst auch die Höhe der für den Organträger
entstehenden Steuer. So kommt es z.B. für den Vorsteuerabzug des Organträgers auf die Verhältnisse des gesamten
Organkreises an. Bezieht der Organträger eine Leistung, die er an eine Organgesellschaft weitergibt, bestimmt sich
der Vorsteuerabzug nach der Verwendung der Leistung bei der Organgesellschaft (vgl. z.B. Stadie in
Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 2 Rz 660 f.; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 2 Rz 104.1).
32 Weitergehend beeinflusst die Behandlung der Unternehmensteile als ein Unternehmen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3
UStG auch die steuerrechtliche Qualifikation der durch den Organkreis erbrachten Umsätze. Liefert der Organträger
ein Grundstück, das durch die Organgesellschaft bebaut wird, führt die Behandlung als ein Unternehmen daher
gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG dazu, dass --ebenso wie wenn sich eine Person zur Lieferung eines noch zu
bebauenden Grundstücks verpflichtet-- eine einheitliche Leistung vorliegt (vgl. kk in Kölner Steuerdialog 1997, 11122,
a.A. jedoch Klenk in Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 4 Nr. 9 Rz 29). Hierfür spricht, dass die Abgrenzung zwischen einer
einheitlichen Leistung und mehreren selbständigen Leistungen verhindern soll, dass eine wirtschaftlich einheitliche
Leistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems künstlich aufgespalten wird (s. oben unter a).
Dieses Ziel ist bei allen Leistungen zu beachten, die durch einen Unternehmer erbracht werden, ohne dass es darauf
ankommt, ob es sich bei diesem Unternehmer um eine Person oder mehrere Personen handelt, die im Rahmen einer
Organschaft als ein Unternehmen zu behandeln sind. Da die nach der EuGH-Rechtsprechung maßgebliche Sicht des
Durchschnittsverbrauchers die künstliche Aufspaltung einheitlicher Leistungen verhindern soll, bezieht sich die
Sichtweise des Durchschnittsverbrauchers nur auf die Zusammenfassung oder Trennung von Leistungsinhalten, nicht
aber auf die Frage, ob eine Organschaft vorliegt.
33 e) Nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen liegt im Streitfall eine einheitliche Leistung vor, die in vollem Umfang
steuerfrei ist.
34 aa) Die beiden zivilrechtlichen Verträge wurden jeweils in einer notariellen Urkunde gebündelt und die Beteiligten
vereinbarten einen Gesamtkaufpreis, auf den Kaufpreisteile zu entrichten waren (§ 2 Abs. 3 der jeweiligen Verträge).
Darüber hinaus trat der Kläger in den notariellen Verträgen mit den Käufern als Einzelunternehmer und zugleich als
Geschäftsführer der GmbH auf, sodass er aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers als der Leistende erschien;
dass bei zivilrechtlicher Betrachtungsweise eventuelle Gewährleistungsansprüche nicht ausschließlich gegenüber
dem Kläger persönlich, sondern hinsichtlich der Bauleistungen gegenüber der GmbH hätten geltend gemacht werden
müssen, tritt demgegenüber in den Hintergrund.
35 bb) Nach den für den Senat bindenden und nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2
FGO) hat der Kläger nicht gemäß § 9 UStG auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG verzichtet. Eine
ausdrückliche Verzichtserklärung liegt nicht vor. Zwar kann nach der Rechtsprechung des BFH der Verzicht auch in
anderer Weise, insbesondere durch schlüssiges Verhalten, erklärt werden. Dies setzt aber nach dem Urteil des
Senats vom 16. Juli 1997 XI R 94/96 (BFHE 183, 301, BStBl II 1997, 670) voraus, dass aus den Erklärungen und
sonstigen Verlautbarungen der Wille zum Verzicht eindeutig hervorgeht. Der Verzicht kann sich auch aus dem
Steuerausweis in einer Rechnung über die steuerfreie Leistung ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97,
BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695). Die Würdigung des FG, dass aus dem Steuerausweis für den Bebauungsanteil
der Lieferung nicht auf die Abgabe einer Verzichtserklärung zu schließen ist, da die Organgesellschaft des Klägers
von einer originär steuerpflichtigen Lieferung ausging, sodass dem Steuerausweis kein weitergehender
Bedeutungsinhalt beizumessen ist, ist revisionsrechtlich aber nicht zu beanstanden. Die Versagung des
Vorsteuerabzugs ergab sich somit zwingend aus § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG.
36 4. Soweit der Kläger auf den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG vom 2. April 2008 7 K 333/06 (EFG 2008,
975) hinweist, ist die dem EuGH vorgelegte Frage, ob die kumulative Erhebung von Grunderwerbsteuer und
Umsatzsteuer gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt, nicht entscheidungserheblich. Abgesehen davon, dass die in
dem Vorlagebeschluss geäußerten Zweifel nicht die Umsatz-, sondern die --zusätzliche-- Erhebung von
Grunderwerbsteuer betreffen, sind die Leistungen des Klägers im Streitfall insgesamt umsatzsteuerfrei.
37 5. Der Senat hält eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft nicht für erforderlich. Soweit der Kläger meint, die Annahme einer Organschaft widerspreche
europäischem Recht, wenn im Rahmen der wirtschaftlichen Eingliederung die Höhe der zwischen ihm und der GmbH
getätigten Umsätze nicht berücksichtigt werde, finden sich dafür in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG
bzw. Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem keinerlei Anhaltspunkte. Diese Normen setzen "wirtschaftliche Beziehungen" zwischen den
verschiedenen Personen voraus, enthalten aber keine Vorgaben dazu, wie diese Beziehungen im Einzelnen
ausgestaltet sein müssen.