Urteil des BFH vom 11.02.2009

BFH: Hinreichende Darlegung der eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen, Organisationsfehler, wiedereinsetzung in den vorigen stand, verschulden, rechtsmittelbelehrung, zustellung, ermessen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.2.2009, VI R 45/07
Hinreichende Darlegung der eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen - Organisationsfehler
Tatbestand
1 I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit welcher sich die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gegen eine
Lohnsteuernachforderung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) gewandt hatte, als unbegründet
ab. Das FG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 6. August 2007
zugestellt. Die Rechtsmittelbelehrung des Urteils enthält u.a. den Hinweis, eine Begründung der Revision sei innerhalb
von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bundesfinanzhof (BFH) einzureichen.
2 Gegen das angefochtene Urteil legte die Klägerin zwar rechtzeitig Revision ein; der Ablauf der Begründungsfrist am 8.
Oktober 2007 wurde jedoch versäumt. Mit Telefax vom 12. Oktober 2007 beantragte die Prozessbevollmächtigte
deshalb, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung trug die
Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen vor, sie habe die Begründungsfrist versäumt, weil das zuständige Sekretariat
hausintern umgezogen sowie die zuständige Sekretärin urlaubsbedingt abwesend gewesen sei.
3 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom 25. Juni
2004 aufzuheben, den Nachforderungsbescheid vom 17. Juni 2002 abzuändern und die Lohnsteuer von bisher …
EUR auf … EUR herabzusetzen.
4 Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Revision versäumt; die
Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) sind nicht gegeben.
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1. Zutreffend wurde in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass die Revision
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen sei (§ 120 Abs. 2 Satz 1
Halbsatz 1 FGO). Da eine Verlängerung der Begründungsfrist nicht beantragt worden war (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO),
endete die Frist zur Begründung der Revision gegen das der Klägerin am 6. August 2007 zugestellte Urteil mit Ablauf
des 8. Oktober 2007 (vgl. § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, § 222 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung --ZPO--). Die erst am 8. November 2007 beim BFH eingegangene Revisionsbegründung der
Klägerin ging demnach verspätet ein. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
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2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) wegen Versäumung der bezeichneten Frist scheidet aus.
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a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist
gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Abs. 2 der Vorschrift verlangt u.a., dass innerhalb einer Frist von einem Monat
diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die
schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die maßgeblichen Tatsachen sind dazu vollständig, substantiiert und in sich
schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 3. Juli 2008 IX
ZB 169/07, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2008, 3501; BFH-Beschlüsse vom 24. Juni 2008 X R 38/07,
BFH/NV 2008, 1517; vom 8. Februar 2008 X B 95/07, BFH/NV 2008, 969; vom 18. Januar 2007 III R 65/05, BFH/NV
2007, 945; vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589). Dabei schließt jedes Verschulden --also auch
einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (statt aller BFH-Beschluss vom 27. Mai 2008
I R 11/08, BFHE 220, 345, BStBl II 2008, 766, m.w.N.). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines
Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
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b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die beantragte Wiedereinsetzung nicht gewährt werden. Denn die
Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie ohne
Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten.
10 Die Ausführungen der Prozessbevollmächtigten erschöpfen sich im Wesentlichen darin, dass im Zuge des Umzugs
des zuständigen Sekretariats die "Wiedervorlage des Vorgangs untergegangen" sei bzw. die zuständige Sekretärin
erst nach ihrem Urlaub die Fristversäumnis beim Aus- bzw. Einräumen der Akten und sonstigen Unterlagen bemerkt
habe. Diese Darlegungen genügen nicht.
11 Beruft sich ein Prozessbevollmächtigter --wie hier-- auf ein von ihm nicht zu vertretendes Büroversehen, so muss er
darlegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt. Er muss demzufolge ausführen (und auch in geeigneter Weise
glaubhaft machen), dass er alle organisatorischen Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen
geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen (ständige Rechtsprechung, BGH-Beschluss vom 30.
Oktober 2008 III ZB 54/08, NJW 2009, 296; BFH-Beschlüsse in BFHE 220, 345, BStBl II 2008, 766; in BFH/NV 2007,
945; vom 24. Januar 2005 III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312).
12 An solchen Darlegungen (nebst Glaubhaftmachung) fehlt es völlig. Die Prozessbevollmächtigte hat nicht angegeben,
welche organisatorischen Vorkehrungen für die beiden vorhersehbaren Umstände getroffen wurden, um
sicherzustellen, dass Fristen auch während des Umzugs des zuständigen Sekretariats und des Urlaubs der Sekretärin
eingehalten werden.