Urteil des BFH vom 24.02.1988

Steuerliche Qualifikation der Zahlung einer Gesellschaft an ihren Vorstand für eine zugesagte, aber nicht vollzogene Unternehmensbeteiligung - Der Tatsacheninstanz obliegende Gesamtwürdigung - Keine umfassende Erörterungspflicht des FG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 30.7.2010, VI B 109/09
Steuerliche Qualifikation der Zahlung einer Gesellschaft an ihren Vorstand für eine zugesagte, aber nicht vollzogene
Unternehmensbeteiligung - Der Tatsacheninstanz obliegende Gesamtwürdigung - Keine umfassende Erörterungspflicht des
FG
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Ehegatten, begehrten im
finanzgerichtlichen Verfahren erfolglos eine vom Kläger erhaltene Zahlung in Höhe von 300.000 EUR als
nichtsteuerbare Einnahme zu behandeln. Diesen als "Schadensersatzzahlung" bezeichneten Betrag erhielt der Kläger
dafür, dass ihm eine zugesagte Beteiligung in Höhe von 10 % am Stammkapital der D-AG zum Nennwert von 50.000
DM letztlich nicht eingeräumt wurde. Ungefähr einen Monat nach der Zusage über die Unternehmensbeteiligung
schloss der Kläger einen Anstellungsvertrag für seine später erfolgte Bestellung zum Vorstand der D-AG. Zuvor war der
Kläger, ohne schriftliche Vereinbarung, als selbständiger Berater für die D-AG tätig. Der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt) behandelte die 300.000 EUR als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Das
Finanzgericht (FG) wies die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass nach einer Gesamtwürdigung unter
Einbeziehung einer Beweisaufnahme ein Zusammenhang zwischen der Schadensersatzzahlung und dem
Dienstverhältnis als Vorstand der D-AG bestehe. Zudem sei die Klage auch für den Fall unbegründet, dass die Zahlung
für die Dienste des Klägers als Berater erfolgt sei. Dann würden Einkünfte aus selbständiger Arbeit vorliegen. Eine
Steuerbarkeit liege damit in jedem Fall vor, da eine bloße Kapitaleinwerbung auszuschließen sei. Das FG ließ die
Revision nicht zu.
Entscheidungsgründe
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II. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerde den Begründungs- und Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz
3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, weil die geltend
gemachten Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen. Die Vorentscheidung beruht weder auf einem
Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO noch kommt ihr grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr.
1 FGO zu.
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1. Eine schlüssige Rüge, das FG habe gegen seine Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung verstoßen (§ 76 Abs. 1
Satz 1 FGO), erfordert die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten gewesen wären,
welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG hätte erheben müssen, dass Tatsachen vorgetragen waren, aus
denen sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte
aufdrängen müssen, welches Ergebnis die zusätzliche Erhebung von Beweisen aller Voraussicht nach gehabt hätte
und inwieweit die unterlassene Beweiserhebung oder Ermittlungsmaßnahme zu einer anderen Entscheidung des FG
hätte führen können (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Februar 1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl
II 1988, 819, unter II.1. der Gründe; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 70, m.w.N.). Außerdem
muss vorgetragen werden, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde oder weshalb eine derartige Rüge nicht
möglich war (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 120 Rz 70 i.V.m. Rz 67, m.w.N.).
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a) Mit der Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, weil es keine
weiteren Ermittlungen zur möglichen Zeitabstimmung zwischen dem Beteiligungsangebot und dem
Anstellungsvertrag getroffen habe, wird zwar ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht.
Es ist bereits zweifelhaft, ob dies den Anforderungen der Vorschrift genügt. Jedenfalls haben die Kläger ihr Rügerecht
verloren. Aus den Protokollen des FG vom 9. Juni 2009 und 14. Juli 2009 ergibt sich weder, dass der fachkundige
Kläger in der mündlichen Verhandlung überhaupt Beweisanträge gestellt hat, noch, dass er das Übergehen von
Beweisanträgen gerügt hat. Angesichts der feststehenden Daten vermag der Senat auch nicht zu erkennen, inwieweit
sich dem FG eine weitere Beweiserhebung über die mögliche zeitliche Abfolge hätte aufdrängen müssen.
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b) Soweit die Kläger eine unzureichende Sachaufklärung durch das FG rügen, weil dieses nicht die Struktur der D-AG
als Fondsgesellschaft weiter aufgeklärt habe, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg. Zum einen wussten die
Kläger nach der ersten mündlichen Verhandlung, dass das FG die Art der Kapitalbeteiligung --Aktionär oder atypisch
stiller Gesellschafter-- als wichtigen Umstand in die Gesamtabwägung einbeziehen würde. Trotzdem haben die
Kläger keinen konkreten Beweisantrag zur Wertermittlung der Beteiligungen gestellt. Zum anderen ist für den
beschließenden Senat nicht erkennbar, aus welchem Grund das FG die Struktur hätte ermitteln sollen. In den
Urteilsgründen hat das FG lediglich auf die Art und nicht auf den Wert der Kapitalbeteiligung abgestellt und darauf,
welchem Personenkreis welche Beteiligungsart angeboten worden ist. An dem gesellschaftsrechtlichen Unterschied
zwischen einem Aktionär und einem atypisch stillen Gesellschafter hätte sich nichts geändert, wenn die Beteiligung
des Klägers deutlich weniger wert gewesen wäre als die eines atypisch stillen Gesellschafters.
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c) Letztlich sieht der Senat auch keinen revisionsrechtlich beachtlichen Verfahrensfehler in der Beweiswürdigung des
FG in Bezug auf die Zeugenvernehmungen. Soweit die Kläger rügen, dass das FG die Angaben des Zeugen X für
glaubhaft und die des Zeugen Y für widersprüchlich gehalten habe, legen sie keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115
Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, weil die Grundsätze der Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen sind (vgl.
Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 82 f.). Mit den geltend gemachten Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Zeugen X
wendet sich die Beschwerde gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG. Dies kann jedoch nicht zur
Zulassung der Revision führen, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (vgl. BFH-
Beschluss vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476, m.w.N.).
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d) Soweit die Kläger geltend machen, dass das FG die vom Kläger im Vorfeld des Beteiligungsangebots geplante
anwaltliche selbständige Tätigkeit samt Anwaltszulassung nicht ausreichend gewürdigt habe, ist der Sache nach der
Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils betroffen (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Januar 2005 VIII B 93/03, BFH/NV
2005, 894). Die Richtigkeit und Vollständigkeit des Tatbestandes ist im Rahmen eines
Tatbestandsberichtigungsantrags nach § 108 FGO geltend zu machen. Soweit die Kläger die Tatsachenwürdigung
des FG beanstanden, machen sie keinen Verfahrensfehler, sondern einen die Zulassung nicht rechtfertigenden
materiell-rechtlichen Fehler geltend (BFH-Beschluss vom 9. Juli 2009 XI B 105/08, Zeitschrift für Steuern & Recht
2009, R 863). Im Übrigen ist dieser Zulassungsgrund erst nach Ablauf der Begründungsfrist (s. § 116 Abs. 3 FGO)
vorgetragen worden. Er kann daher nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 22).
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2. Zu Unrecht rügen die Kläger weiterhin, das angefochtene Urteil sei eine Überraschungsentscheidung, weil es unter
Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) ohne
ausdrücklichen Hinweis auf die beabsichtigte Verwendung bestimmter Indizien ergangen sei. Nach ständiger
Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen den Anspruch auf
rechtliches Gehör vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder
tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach
dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2005 I B 90/05,
BFH/NV 2006, 601, m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht des § 76 Abs. 2
FGO verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert
oder sogar die einzelnen für die Entscheidung erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkte im Voraus
andeutet (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 601; vom 7. Februar 2007 X B 105/06, BFH/NV 2007, 962).
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Die von den Klägern erhobene Gehörsrüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Das FG hat ausweislich des
Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2009 S. 4 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sowohl die
zeitliche Nähe zwischen dem Beteiligungsangebot und dem Anstellungsvertrag als auch die Tatsache, dass die
bloßen Kapitalgeber nur als atypisch stille Gesellschafter beteiligt wurden, sowie die Tatsache, dass Herrn Z als
weiterem Vorstand das gleiche Beteiligungsangebot zur selben Zeit unterbreitet worden ist, Gesichtspunkte sind, die
für die Annahme von Arbeitslohn sprechen.
10 3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO
kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles
maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und
Handhabung des Rechts berührt, d.h. wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der
Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21.
April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 23, mit zahlreichen
Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig (Gräber/Ruban, a.a.O., §
115 Rz 28) und im Streitfall klärungsfähig sein (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt
es, wenn die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen
Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich
machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, m.w.N. aus der Rechtsprechung).
11 a) Für den Streitfall war die Frage entscheidend, ob die vom Kläger erhaltene Zahlung als Arbeitslohn oder als
Einnahme aus selbständiger Tätigkeit oder als nichtsteuerbar zu qualifizieren war. Zu dieser Rechtsfrage hat sich der
BFH in mehreren Urteilen hinreichend geäußert und Maßstäbe entwickelt, die eine Beurteilung dieser Rechtsfrage im
Grundsätzlichen ermöglichen. Nach der Senatsrechtsprechung werden Vorteile "für" eine Beschäftigung gewährt,
wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis des Arbeitnehmers veranlasst sind. Dagegen liegt u.a. dann kein
Arbeitslohn vor, wenn die Zuwendung wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem
Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt wird (BFH-Urteile vom
22. März 1985 VI R 170/82, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529; vom 17. Juni 2009 VI R 69/06, BFHE 226, 47, BStBl II
2010, 69; vom 1. Februar 2007 VI R 72/05, BFH/NV 2007, 898, jeweils m.w.N.). Danach kommt es bei der Abgrenzung
zwischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit einerseits und der nicht steuerbaren Sphäre sowie anderen
Einkunftsarten andererseits auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände an. Einzelne Gesichtspunkte, die für die Frage,
ob der Vorteil für das Dienstverhältnis oder aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung gewährt wurde, wesentlich sind,
hat der Senat in seinen Entscheidungen vom 23. Juni 2005 VI R 10/03 (BFHE 209, 559, BStBl II 2005, 770), vom 23.
Juni 2005 VI R 124/99 (BFHE 209, 549, BStBl II 2005, 766), in BFHE 226, 47, BStBl II 2010, 69 herausgearbeitet.
12 Schon deshalb ist die grundsätzliche Bedeutung der von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfrage zu verneinen. Die
Tatsache, dass das Beteiligungsangebot zu einer Zeit unterbreitet wurde, als der Kläger noch nicht in einem
Dienstverhältnis stand, ist zwar ein besonderer Umstand. Dieser ist jedoch, wie alle anderen vom FG festgestellten
Tatsachen, Teil der gebotenen Gesamtbetrachtung.
13 b) Ebenfalls geklärt ist, dass die Gesamtwürdigung, ob ein Leistungsaustausch zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung einer
anderen Einkunftsart oder dem nichtsteuerbaren Bereich zuzurechnen ist, in erster Linie der Tatsacheninstanz obliegt
(BFH-Urteile vom 20. November 2008 VI R 25/05, BFHE 223, 419, BStBl II 2009, 382; in BFH/NV 2007, 898). Die
Finanzgerichte und nicht der BFH haben sämtliche Umstände des Einzelfalls festzustellen und anhand der
aufgestellten Grundsätze zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Die Tatsachenwürdigung durch das FG ist,
wenn sie verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt wurde und nicht gegen Denkgesetze verstößt oder
Erfahrungssätze verletzt, revisionsrechtlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Derartige Fehler in der Gesamtwürdigung
sind nicht erkennbar. Das FG hat sämtliche Umstände in seiner Entscheidung gewürdigt und insbesondere das
Ergebnis der Beweisaufnahme einbezogen.