Urteil des BFH vom 24.04.2014

Zu den Grundsätzen der Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens bei der Festsetzung eines Verzögerungsgelds - Zuständigkeit

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 24.4.2014, IV R 25/11
Zu den Grundsätzen der Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens bei der
Festsetzung eines Verzögerungsgelds - Zuständigkeit
Leitsätze
1. Das Entschließungsermessen wird fehlerhaft ausgeübt, wenn ausgehend von einer Vorprägung
des Ermessens jede Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 200 Abs. 1 AO) --unabhängig davon,
ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft-- grundsätzlich zur Festsetzung eines
Verzögerungsgelds führt (Anschluss an BFH-Urteil vom 28. August 2012 I R 10/12, BFHE 239, 1,
BStBl II 2013, 266).
2. Eine Vorprägung des Entschließungsermessens im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null
ist auch dann zu verneinen, wenn ausreichende Gründe für eine entschuldbare Fristversäumnis
weder vorgetragen noch festgestellt werden.
3. Bei der Ausübung des Entschließungsermessens ist ein Antrag auf AdV, der sich gegen die
Prüfungsanordnung und die Aufforderung zur Vorlage der Buchführungsunterlagen richtet und im
Zeitpunkt des Ablaufs der Vorlagefrist noch nicht beschieden ist, ungeachtet der Vollziehbarkeit
der Bescheide zu berücksichtigen.
4. Das Auswahlermessen wird fehlerhaft ausgeübt, wenn früheres Verhalten des Steuerpflichtigen,
welches der Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen vorausging, bei der Bemessung der Höhe
des Verzögerungsgelds berücksichtigt worden ist.
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Verzögerungsgelds.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist seit dem 2. Dezember 2008
Rechtsnachfolgerin der A-OHG (OHG), die ihrerseits im November 2008 durch
Rechtsformwechsel der A-Bauträger GbR (GbR) entstanden ist. Der Ort der Geschäftsleitung
der GbR sowie der OHG und der Klägerin lag zunächst im Zuständigkeitsbereich des
Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--).
3 Mit Bescheid vom 8. Oktober 2008 ordnete das FA bei der GbR eine Außenprüfung
hinsichtlich der Umsatzsteuer, der Feststellung der Einkünfte und der Gewerbesteuer für die
Jahre 2002 bis 2004 an. Die Prüfung sollte am 2. Dezember 2008 beginnen.
4 Den gegen die Prüfungsanordnung eingelegten Einspruch wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 16. März 2009, gerichtet an die GbR, als unbegründet zurück.
Der Prüfungsbeginn wurde allerdings, wie von der Klägerin gewünscht, auf Mai 2009
verschoben.
5 Das gegen die Prüfungsanordnung angestrengte Klageverfahren (Az. 13 K 13107/09)
erledigte sich durch entsprechende Erledigungserklärungen der Beteiligten, nachdem das
FA eingeräumt hatte, dass die Einspruchsentscheidung dem falschen Inhaltsadressaten und
damit nicht wirksam bekanntgegeben worden sei.
6 Im Anschluss an ein Telefonat vom 25. August 2009 mit der damaligen steuerlichen
Vertreterin der Klägerin über die Fortsetzung des Prüfungsverfahrens teilte die Klägerin mit
Schreiben vom 22. September 2009 mit, dass sie den Ort der Geschäftsleitung am 20. Juni
2009 in die B-Straße 45 in F und damit in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamts F
(FA F) verlegt habe.
7 Auf Ersuchen des FA vom 23. November 2009 erteilte das FA F mit Schreiben vom selben
Tag dem FA den Auftrag zur Durchführung der Außenprüfung nach § 195 Satz 2 der
Abgabenordnung (AO). Des Weiteren stimmte das FA F am 19. Januar 2010 der Fortführung
des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008 nach § 26
Satz 2 AO zu. Hierüber informierte das FA die Klägerin mit Schreiben vom 25. Januar 2010.
8 Auf Grundlage der Ergebnisse einer Umsatzsteuer-Nachschau am 15. Februar 2010 in den
8 Auf Grundlage der Ergebnisse einer Umsatzsteuer-Nachschau am 15. Februar 2010 in den
Geschäftsräumen der Klägerin in F lehnte das FA F mit Schreiben vom 19. Februar 2010 die
Übernahme der die Klägerin betreffenden Steuerakten ab. Es sei unwahrscheinlich, dass
sich der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin in F befinde. Eine entsprechende Erklärung
gab auch das Finanzamt D (FA D) mit Schreiben vom 24. Februar 2010 ab. Das FA D hatte
am 17. November 2009 für die OHG eine Steuernummer erteilt und zunächst die Übernahme
der Besteuerung erklärt.
9 Bereits zuvor teilte das FA der Klägerin mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 unter Verweis
auf den Prüfungsauftrag des FA F mit, dass mit der Außenprüfung am 11. Januar 2010
begonnen werde, und forderte dazu die in einer Anlage bezeichneten Unterlagen an (u.a.
Buchführungs- und Abschlussunterlagen sowie Belege, Verträge, Lohnkonten). Sollten
diese Unterlagen nicht bis zum 11. Januar 2010 eingereicht werden, werde ein
Verzögerungsgeld festgesetzt.
10 Eine mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 beantragte Verschiebung des Prüfungsbeginns
wegen Erziehungsurlaubs der zuständigen Bearbeiterin und unvorhergesehenen Ausfalls
weiterer Mitarbeiter lehnte das FA am 4. Januar 2010 ab.
11 Daraufhin legte die Klägerin mit Schreiben vom 8. Januar 2010 "gegen die geänderte
Prüfungsanordnung vom 09.12.2009" Einspruch ein und beantragte Aussetzung der
Vollziehung (AdV), da das FA F für die noch nicht begonnene Prüfung zuständig sei.
12 Das FA lehnte den AdV-Antrag mit Bescheid vom 28. Januar 2010, der Klägerin
bekanntgegeben am 31. Januar 2010, ab, da keine geänderte Prüfungsanordnung und damit
auch kein wirksamer Einspruch vorlägen. Vielmehr sei die Festlegung des Prüfungsbeginns
als eigenständiger Verwaltungsakt anzusehen. Die Klägerin stellte insoweit keinen
gerichtlichen AdV-Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
13 Die Klägerin legte dem FA die angeforderten Unterlagen nicht vor.
14 Mit Bescheid vom 3. März 2010 setzte das FA gegenüber der Klägerin ein Verzögerungsgeld
in Höhe von 4.800 EUR fest.
15 Den gegen die Festsetzung des Verzögerungsgelds gerichteten Einspruch wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2010 als unbegründet zurück. Da die Klägerin die im
Schreiben vom 9. Dezember 2009 angeforderten Unterlagen nicht bis zum 11. Januar 2010
vorgelegt habe, seien die Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO erfüllt. Mit der
Festsetzung eines Verzögerungsgelds solle regelmäßig ein Verzögerungsverhalten
sanktioniert werden. Im Streitfall sei das Verhalten der Klägerin darüber hinaus weder
gerechtfertigt noch entschuldbar. Spätestens durch das Schreiben des FA vom 9. Dezember
2009 habe der Klägerin klar sein müssen, dass sie einer Prüfung durch das FA nicht mehr
habe ausweichen können. Bei der Ausübung des Auswahlermessens zur Höhe des
Verzögerungsgelds habe sich das FA an der Dauer der Verzögerung orientiert, wobei für
den Zeitraum vom 11. Januar 2010 bis zum 1. März 2010 (48 Tage) 100 EUR pro Tag
angesetzt worden seien. Unter Berücksichtigung der Dauer der Verzögerung und im Hinblick
auf das Verhalten der Klägerin seit der Anordnung der Außenprüfung, das darauf gerichtet
sei, eine Prüfung durch das FA zu vermeiden bzw. zu verzögern, sowie des Umfangs der
fehlenden Unterlagen sei die festgesetzte Höhe des Verzögerungsgelds ermessensgerecht,
zumal dadurch nicht einmal 2 % des Maximalbetrags erreicht würden.
16 Die Klage hatte Erfolg. Zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011,
1945 veröffentlichten Urteils führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, dass die
formellen und materiellen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO zwar vorlägen, das FA
aber jedenfalls sein Auswahlermessen bei der Bemessung der Höhe des festzusetzenden
Verzögerungsgelds fehlerhaft ausgeübt habe. Es sei im Rahmen seiner diesbezüglichen
Ermessenserwägungen unzutreffend von einer Verzögerung ab dem 11. Januar 2010
ausgegangen. Für die Dauer der Fristüberschreitung dürften Zeiten, in denen --wie hier-- ein
zulässiger AdV-Antrag gestellt und noch nicht beschieden worden sei, nicht berücksichtigt
werden. Die Ablehnung des AdV-Antrags sei der Klägerin erst am 31. Januar 2010
bekanntgegeben worden. Die Nichtberücksichtigung der Zeit bis zur Bekanntgabe der
Entscheidung über die AdV gebiete das Erfordernis eines umfassenden und effektiven
Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), da die Vorlage der Unterlagen
nicht wieder rückwirkend beseitigt werden könne.
17 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG und der §§ 5, 146 Abs. 2b
AO. Die Prüfungsanordnung und die Festlegung des Prüfungsbeginns seien
Verwaltungsakte, an die Rechtsfolgen geknüpft werden könnten, solange die AdV nicht
gewährt worden sei. Die Folgen einer rechtswidrig angeordneten Außenprüfung würden
insoweit rückgängig gemacht, als die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel
nicht verwertet werden dürften. Ein verfahrenswidriges Verhalten des FA, welches in den
Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG eingreifen könnte, sei im Streitfall nicht ersichtlich. Der
von der Klägerin gestellte AdV-Antrag sei unzulässig gewesen, da die Klägerin keinen
Einspruch gegen die Festlegung des Prüfungsbeginns eingelegt habe. Das
Mitwirkungsverlangen und die festgesetzten Fristen seien daher verbindlich gewesen. Die
Klägerin sei durch ein mögliches Verwertungsverbot ausreichend geschützt. Auf die
Entscheidung über den AdV-Antrag könne daher im Rahmen der Ermessensentscheidung
nicht abgestellt werden, da es der Steuerpflichtige ansonsten in der Hand hätte, durch die
Stellung eines solchen Antrags die Außenprüfung faktisch zum Erliegen zu bringen.
18 Ungeachtet einer fehlerhaften Ermessensausübung sei jedenfalls ein Verzögerungsgeld in
Höhe von 2.500 EUR verwirkt. Da es sich um den Mindestbetrag handele, sei eine
Begründung des Auswahlermessens insoweit nicht erforderlich. Eine Aufhebung des im
Streitfall festgesetzten Verzögerungsgelds sei deshalb allenfalls insoweit in Betracht
gekommen, als der Mindestbetrag überschritten worden sei.
19 Die Bemessung des Verzögerungsgelds sei aber jedenfalls deshalb zutreffend erfolgt, da
auch die Zeiten der Verzögerung bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung mit zu
berücksichtigen seien. Diese weitere Verzögerung könne nicht durch ein weiteres
Verzögerungsgeld sanktioniert werden.
20 Das FA habe auch sein Entschließungsermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Die Klägerin
sei ihren Mitwirkungspflichten trotz angemessener Fristsetzung nicht nachgekommen, so
dass die Ermessensentscheidung, ihr ein Verzögerungsgeld aufzuerlegen, bereits
vorgeprägt gewesen sei. Einer näheren Begründung habe es daher nicht bedurft.
21 Das FA beantragt (sinngemäß), die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als
unbegründet abzuweisen.
22 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
23 Unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Vorentscheidung ist sie weiterhin der
Auffassung, dass das FA sowohl das Entschließungs- als auch das Auswahlermessen
fehlerhaft ausgeübt habe.
Entscheidungsgründe
24 II. Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
25 Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass zwar die formellen Voraussetzungen erfüllt sind und auch die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO vorliegen, aber das FA sein Ermessen nicht fehlerfrei
ausgeübt hat (§ 102 FGO).
26 1. Zutreffend hat das FG im Ergebnis ausgeführt, dass der Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgelds
formell rechtmäßig ist und insbesondere das FA für den Erlass dieses Bescheids zuständig war.
27 a) Die Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO nebst der Androhung der Festsetzung
eines Verzögerungsgelds und die anschließende Festsetzung des Verzögerungsgelds sind Verfahrenshandlungen
im Rahmen der Außenprüfung und folgen damit der örtlichen Zuständigkeit für die Außenprüfung selbst. Letztere ist
ein Vorgang des Besteuerungsverfahrens, weshalb sich die örtliche Zuständigkeit nach den §§ 17, 18 ff. AO richtet
(Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Januar 1989 X R 158/87, BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483).
Maßgebend für die Zuständigkeit für die Außenprüfung sind die Umstände im Zeitpunkt der Bekanntgabe der
Prüfungsanordnung.
28 b) Für die gesonderte Feststellung der Einkünfte und die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags einer
gewerblich tätigen Personengesellschaft ist das Finanzamt zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die
Geschäftsleitung befindet (§§ 18 Abs. 1 Nr. 2, 20 Abs. 1, 22 Abs. 1 AO). Für die Umsatzsteuer ist das Finanzamt
zuständig, von dessen Bezirk aus das Unternehmen ganz oder vorwiegend betrieben wird (§ 21 Abs. 1 AO), was in
der Regel der Ort der Geschäftsleitung sein wird (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 VII R 86/99, BFH/NV 2001,
742; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 21 AO Rz 176).
29 c) Im Streitfall besteht zwischen den Beteiligten kein Streit, dass das FA für die Außenprüfung, die sich auf die
gesonderte Feststellung, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer erstreckte, im Zeitpunkt des Erlasses der
Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008 örtlich zuständig war. Auch der Senat hat nach Aktenlage an der
Zuständigkeit keinen Zweifel und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab.
30 d) Die Zuständigkeit des FA ist auch nicht während des Verfahrens auf das FA F übergegangen. Ändern sich die
die Zuständigkeit begründenden Umstände, wechselt nach § 26 Satz 1 AO die Zuständigkeit in dem Zeitpunkt, in
dem eine der betroffenen Finanzbehörden hiervon tatsächlich erfährt. Ein Kennenkönnen oder Kennenmüssen
genügt für einen Zuständigkeitswechsel nach § 26 Satz 1 AO nicht. Die Vorschrift verlangt aus Gründen der
Rechtssicherheit und Praktikabilität überschaubare, eindeutige Verhältnisse, damit Unsicherheiten vermieden
werden, die zu Kompetenzstreitigkeiten führen. Die die Zuständigkeit ändernden Umstände müssen daher aus der
Sicht der betroffenen Finanzämter zweifelsfrei feststehen (BFH-Urteil in BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483).
31 Davon ausgehend ist im Streitfall die Zuständigkeit des FA für die Durchführung der Außenprüfung und damit auch
für das Mitwirkungsverlangen sowie die Festsetzung des Verzögerungsgelds nicht auf das FA F übergegangen, da
eine Veränderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände für die beteiligten Finanzämter nicht zweifelsfrei
feststand. Zwar will die Klägerin nach eigenen Angaben den Ort der Geschäftsleitung im zeitlichen Zusammenhang
mit dem Rechtsformwechsel am 20. Juni 2009 in die B-Straße 45 in F und damit in den Bezirk des FA F verlegt
haben. Das FA F hielt es aber auf Grund von Ortsbesuchen im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau für
unwahrscheinlich, dass die Klägerin ihre Geschäftsleitung tatsächlich an den besagten Ort verlegt hatte und lehnte
deshalb die Übernahme der Akten ab.
32 Die dadurch begründeten Zweifel an den die Zuständigkeit ändernden Umständen sind derart gewichtig, dass sie
einem Zuständigkeitswechsel i.S. des § 26 AO entgegenstehen, ohne dass es der Klärung bedarf, ob die
Geschäftsleitung tatsächlich in den Bezirk des FA F verlegt worden ist.
33 e) Angesichts der obigen Ausführungen brauchte der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob die Zuständigkeit des
FA sowohl für den Erlass des Bescheids über die Festsetzung des Verzögerungsgelds als auch für die
Einspruchsentscheidung durch den "vorsorglichen" Prüfungsauftrag des FA F vom 23. November 2009 gemäß
§ 195 Satz 2 AO begründet worden ist.
34 2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO sind im Streitfall erfüllt.
35 Nach § 146 Abs. 2b AO kann ein Verzögerungsgeld von 2.500 EUR bis 250.000 EUR u.a. festgesetzt werden,
wenn ein Steuerpflichtiger seinen Pflichten nach § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, zur Einräumung des Datenzugriffs nach
§ 147 Abs. 6 AO, zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO
im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die
zuständige Finanzbehörde nicht nachkommt.
36 a) In der Rechtsprechung des BFH ist anerkannt, dass, ungeachtet der Entstehungsgeschichte des § 146 Abs. 2b
AO im Zusammenhang mit der ebenfalls durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I
2008, 2794) geschaffenen Regelung in § 146 Abs. 2a AO, ein Verzögerungsgeld im Einklang mit dem Wortlaut der
Vorschrift sowie der Intention des Gesetzgebers auch dann festgesetzt werden kann, wenn der Steuerpflichtige
seine Bücher und Aufzeichnungen im Inland führt und aufbewahrt, er jedoch der ihm im Rahmen einer
Außenprüfung obliegenden Mitwirkungspflicht zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage von Unterlagen
(§ 200 Abs. 1 AO) innerhalb angemessener Frist nicht nachkommt (BFH-Urteil vom 28. August 2012 I R 10/12,
BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266; BFH-Beschlüsse vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BFHE 233, 317, BStBl II 2011,
855, und vom 28. Juni 2011 X B 37/11, BFH/NV 2011, 1833).
37 b) Die Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO ist im Rahmen der Außenprüfung
ergangen.
38 Das Tatbestandsmerkmal "im Rahmen einer Außenprüfung" setzt lediglich voraus, dass eine Außenprüfung und
der Prüfungsbeginn wirksam angeordnet worden sind. Der Wirksamkeit der Anordnung der Außenprüfung und des
Prüfungsbeginns steht grundsätzlich nicht entgegen, dass diese Bescheide mit Rechtsmitteln angegriffen worden
sind oder die AdV dieser Bescheide beantragt worden ist. Denn weder durch die Einlegung des Einspruchs noch
durch den Antrag auf AdV wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt (§ 361 Abs. 1, Abs. 2
AO). Maßgeblich ist allein, dass die Prüfungsanordnung und die Bestimmung des Prüfungsbeginns im Zeitpunkt
der Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen vollziehbar waren.
39 Letzteres war vorliegend der Fall, was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.
40 c) Der Festsetzung des Verzögerungsgelds steht im Streitfall auch nicht entgegen, dass die Aufforderung zur
Vorlage der im einzelnen bezeichneten Unterlagen bereits vor dem Beginn der Außenprüfung ergangen und das
Fristende zur Abgabe der angeforderten Unterlagen auf den Beginn der Außenprüfung festgesetzt worden ist. Denn
die Außenprüfung sollte nicht, wie in der Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008 vorgesehen, in den
Geschäftsräumen der Klägerin, sondern ausweislich des Bescheids vom 9. Dezember 2009 in den Räumlichkeiten
des FA durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund war es für eine sachgerechte und zeitnahe Durchführung der
Außenprüfung erforderlich, dass die angeforderten Unterlagen bereits zu Prüfungsbeginn dem FA bereitgestellt
werden.
41 Der Senat hält auch die in der Aufforderung gesetzte Frist von einem Monat zur Vorlage der Unterlagen für
angemessen. Dies ungeachtet des Umfangs der Unterlagen schon deshalb, weil bereits in der Prüfungsanordnung
vom 8. Oktober 2008 um die Bereithaltung dieser Unterlagen bei Prüfungsbeginn gebeten worden ist.
42 d) Ebenfalls ist es nicht zu beanstanden, dass die Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen mit dem Bescheid über
die Festsetzung des Prüfungsbeginns vom 9. Dezember 2009 verbunden worden ist.
43 e) Schließlich steht der Festsetzung des Verzögerungsgelds nicht entgegen, dass die Klägerin die Aufforderung zur
Vorlage der Unterlagen mit Rechtsmitteln angegriffen hat, wovon das FG unter Berücksichtigung der Rechtsschutz
gewährenden Auslegung des Einspruchs und des AdV-Antrags gegen den zusammengefassten Bescheid vom
9. Dezember 2009 zutreffend ausgegangen ist. Maßgeblich ist allein, dass die Aufforderung zur Vorlage der
Unterlagen im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung am 30. Juli 2010 vollziehbar war (vgl. BFH-
Beschluss in BFHE 233, 317, BStBl II 2011, 855).
44 f) Im Streitfall bedarf es keiner Ausführungen dazu, ob und inwieweit § 146 Abs. 2b AO eine Vervielfachung der
Festsetzung des Verzögerungsgelds dadurch ermöglicht, dass sich die Aufforderung auf eine Vielzahl von
Unterlagen erstreckt. Denn das FA hat in dem Bescheid vom 3. März 2010 die Höhe des Verzögerungsgelds nicht
unter Heranziehung eines Vervielfältigers im Hinblick auf die einzelnen nicht vorgelegten Unterlagen bemessen,
sondern für alle nicht vorgelegten Unterlagen einen einheitlichen Gesamtbetrag von 100 EUR für jeden Tag der
Verzögerung festgesetzt (insgesamt 4.800 EUR). Daher stellt sich das Problem einer Vervielfachung des
Verzögerungsgelds im Streitfall nicht.
45 g) Der Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgelds ist ebenso wie die Aufforderung zur Vorlage der
Unterlagen zutreffend an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der GbR (Inhaltsadressatin) gerichtet worden.
Insoweit kann für diese Bescheide nichts anderes gelten als für die Prüfungsanordnung. Unterhält eine
Personengesellschaft einen Gewerbebetrieb (§ 193 Abs. 1 AO), ist sie selbst Prüfungssubjekt und damit
Inhaltsadressatin der Prüfungsanordnung nicht nur für die Steuern, die sie persönlich schuldet (z.B. Gewerbesteuer
und Umsatzsteuer), sondern gleichermaßen im Hinblick auf die gesondert und einheitlich festzustellenden
Einkünfte ihrer Gesellschafter (BFH-Beschluss in BFHE 233, 317, BStBl II 2011, 855). Auch im Streitfall war die
Prüfungsanordnung zutreffend an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der GbR (Inhaltsadressatin) gerichtet.
Entsprechend oblagen ihr auch die Mitwirkungspflichten im Zusammenhang mit der Durchführung der
Außenprüfung.
46 3. Das FA hat aber sein Entschließungsermessen im Hinblick auf das Ob einer Festsetzung des
Verzögerungsgelds und auch sein Auswahlermessen im Hinblick auf die Höhe des festzusetzenden
Verzögerungsgelds fehlerhaft ausgeübt.
47 a) Die Festsetzung des Verzögerungsgelds erfordert nach § 146 Abs. 2b AO neben den tatbestandlichen
Voraussetzungen (hier die Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht gemäß § 200 Abs. 1 AO innerhalb einer
angemessenen Frist, s. unter II.2.) eine zweifache Ermessensentscheidung des FA: erstens im Hinblick darauf, ob
im jeweiligen Einzelfall ein Verzögerungsgeld festgesetzt wird (sog. Entschließungsermessen), sowie zweitens --
falls das Entschließungsermessen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeübt wird-- eine Entscheidung über die
Höhe des Verzögerungsgelds innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens von mindestens 2.500 EUR bis
höchstens 250.000 EUR (sog. Auswahlermessen; vgl. insgesamt BFH-Beschlüsse in BFHE 233, 317, BStBl II
2011, 855, und in BFH/NV 2011, 1833, sowie unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien BFH-Urteil in BFHE 239,
1, BStBl II 2013, 266).
48 b) Die von dem FA zu treffende Ermessensentscheidung bei der Anwendung des § 146 Abs. 2b AO ist durch die
Finanzgerichte gemäß § 102 FGO nur eingeschränkt überprüfbar. Nach § 102 Satz 1 FGO ist die gerichtliche
Prüfung darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind (sog.
Ermessensüberschreitung), ob das FA von seinem Ermessen in einer dem Zweck der (Ermessens-)Ermächtigung
nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (sog. Ermessensfehlgebrauch) bzw. ein ihm zustehendes
Ermessen nicht ausgeübt hat (sog. Ermessensunterschreitung) oder ob die Behörde die verfassungsrechtlichen
Schranken der Ermessensbetätigung, insbesondere also den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz missachtet hat (BFH-
Urteil in BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266; Lange in HHSp, § 102 FGO Rz 61 ff., Rz 86 ff., Rz 94 ff., jeweils mit
umfangreichen Nachweisen).
49 Für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
(Einspruchsentscheidung) zugrunde zu legen. Zwar kann die Finanzbehörde gemäß § 102 Satz 2 FGO ihre
Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens
ergänzen. § 102 Satz 2 FGO gestattet es der Finanzbehörde aber nur, bereits an- oder dargestellte
Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Nicht dagegen ist die Behörde befugt,
Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe
auszuwechseln oder vollständig nachzuholen. Eine Heilung der behördlichen Entscheidung bei fehlerhaftem
Entschließungs- oder Auswahlermessen, Über- oder Unterschreitung des Ermessens sowie bei erheblichen
Mängeln in der Sachverhaltsermittlung ist im Wege einer Ergänzung nach § 102 Satz 2 FGO nicht möglich (BFH-
Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579).
50 c) Da § 146 Abs. 2b AO mit Ausnahme der Ermessensgrenzen hinsichtlich der Höhe des Verzögerungsgelds keine
konkreten Ermessensvorgaben enthält, hat das FA die doppelte Ermessensentscheidung gemäß § 5 AO
entsprechend dem Zweck der Regelung und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben.
51 Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert, dass das eingesetzte Mittel zur Erreichung des
angestrebten Zwecks nicht nur erforderlich und geeignet ist, sondern hierzu auch in einem angemessenen, d.h. für
den Betroffenen zumutbaren Verhältnis stehen muss (vgl. BFH-Urteil in BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266).
52 Ausweislich der gesetzgeberischen Intention wird mit dem Verzögerungsgeld ein doppelter Zweck verfolgt. So soll
der Steuerpflichtige zur zeitnahen Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten angehalten werden (BTDrucks 16/10189,
S. 81, sog. Beugecharakter), des Weiteren soll aber auch die Verletzung der Mitwirkungspflichten sanktioniert
werden (BFH-Urteil in BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266; Klein/Rätke, AO, 11. Aufl., § 146 Rz 25, m.w.N.; kritisch
Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 146 AO Rz 48). Die Ermessenserwägungen zur
Festsetzung des Verzögerungsgelds sind daher insbesondere an der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen
und dem Ausmaß der Pflichtverletzung/en sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung auszurichten (BFH-Urteil
in BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266; ebenso auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom
28. September 2011, Referat IV A 4, Fragen und Antworten zum Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO, zu
Frage 16; abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/
Standardartikel/Themen/Steuern/Weitere_Steuerthemen/Betriebspruefung/BMF_Schreiben_Allgemeines/001.html).
53 Diese Ermessenserwägungen sind sowohl bei der Ausübung des Entschließungsermessens als auch bei der
Ausübung des Auswahlermessens anzustellen. Da das Verzögerungsgeld in Höhe von mindestens 2.500 EUR
festzusetzen ist und es sich hierbei nicht um einen Bagatellbetrag handelt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 239, 1, BStBl II
2013, 266), bedarf es einer sorgfältigen Abwägung, ob gegenüber dem Steuerpflichtigen überhaupt ein
Verzögerungsgeld festgesetzt wird. Maßstab dieser Ermessensentscheidung des FA sowie nachvollziehbarer
Gegenstand ihrer Begründung (§ 121 AO) muss deshalb sein, ob die Festsetzung eines Verzögerungsgelds in
Höhe der Sanktionsmindestgrenze (2.500 EUR) mit Rücksicht auf die Umstände der zu beurteilenden
Pflichtverletzung/en sowie das Ausmaß der Beeinträchtigung der Prüfung angemessen ist. Demnach ist es
ausgeschlossen, im Rahmen des Entschließungsermessens von einer Vorprägung auszugehen, wonach jede
Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 200 Abs. 1 AO) --unabhängig davon, ob den Steuerpflichtigen ein
Schuldvorwurf trifft-- grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds führt (BFH-Urteil in BFHE 239, 1,
BStBl II 2013, 266). Eine Vorprägung des Entschließungsermessens ist aber auch dann zu verneinen, wenn
ausreichende Gründe für eine entschuldbare Fristversäumnis weder vorgetragen noch festgestellt werden. Auch
wenn die angeforderten Unterlagen schuldhaft nicht innerhalb der festgesetzten Frist vorgelegt werden, folgt daraus
nicht, dass ein Verzögerungsgeld nunmehr zwingend im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null festzusetzen
ist (vgl. BFH-Urteil vom 28. März 2007 IX R 22/05, BFH/NV 2007, 1450, zur Ausübung des
Entschließungsermessens hinsichtlich der Festsetzung eines Verspätungszuschlags bei schuldhafter Säumnis).
Auch bei schuldhafter Nichtvorlage der Unterlagen ist stets eine an der Sanktionsuntergrenze (2.500 EUR)
auszurichtende Würdigung des Einzelfalls erforderlich. Anders als das FA meint, ist die Ermessensentscheidung
bei schuldhafter Verletzung der Mitwirkungspflichten deshalb nicht schon so vorgeprägt --"intendiert"--, dass es
einer näheren Begründung der Ermessenserwägung nur bedurft hätte, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen eines
Ausnahmefalls vorlägen.
54 d) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FA bereits sein Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt. Das
FA ist im Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens ersichtlich von einer Vorprägung ausgegangen,
wonach jede Verletzung der Mitwirkungspflichten, sofern sie nicht gerechtfertigt und entschuldbar ist, grundsätzlich
zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds führt. So hat sich das FA in der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli
2010 bei der Ausübung des Entschließungsermessens lediglich damit auseinandergesetzt, ob die
Fristüberschreitung gerechtfertigt oder entschuldbar ist. Entsprechend hat es die Festsetzung des
Verzögerungsgelds dem Grunde nach allein damit begründet, dass die vorgebrachten Rechtfertigungs- und
Entschuldigungsgründe nicht vorlägen bzw. diese die verspätete Vorlage der Unterlagen nicht rechtfertigen oder
entschuldigen könnten. Diese Erwägungen allein reichen aber, wie oben dargelegt, für eine sachgerechte und am
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtete Ermessensausübung nicht aus. Insoweit hätte das FA in seine
Ermessenserwägungen insbesondere einbeziehen müssen, dass die Klägerin gegen den Bescheid vom
9. Dezember 2009 Einspruch eingelegt und AdV beantragt hat und über beide Rechtsbehelfe zum Zeitpunkt des
Fristablaufs noch nicht entschieden worden war. Dabei folgt der Senat der Auslegung des FG, dass sich der
Einspruch wie auch der AdV-Antrag nicht nur auf die wiederholende Prüfungsanordnung, sondern auf sämtliche
darin enthaltenen Regelungen, also auch auf die Festsetzung des Prüfungstermins, die Aufforderung zur Vorlage
der Unterlagen und die Prüfungsbeauftragung durch das FA F, bezogen hat. Der Berücksichtigung im Rahmen der
Ermessensausübung steht nicht entgegen, dass weder der Einspruch noch der AdV-Antrag, wie unter II.2.e
ausgeführt, der Tatbestandsverwirklichung des § 146 Abs. 2b AO entgegenstehen.
55 e) Schließlich hat das FA auch das Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt. Wie dargelegt hat das FA seine
Ermessenserwägung auch hinsichtlich der Höhe des Verzögerungsgelds an den gesamten Umständen der
Pflichtverletzung und insbesondere an der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen und dem Ausmaß der
Pflichtverletzung/en sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung auszurichten. Es ist dabei grundsätzlich nicht zu
beanstanden, wenn im Rahmen der Ermessensausübung einzelnen Umständen, wie vorliegend der Dauer der
Fristüberschreitung, ein besonderes Gewicht beigemessen wird.
56 Es spricht aber bereits viel dafür, dass das FA die Anforderungen an das Auswahlermessen bereits deshalb
verkannt hat, weil es vorliegend für jeden Tag der Verzögerung pauschal 100 EUR angesetzt hat. Für den
pauschalen Ansatz von 100 EUR für jeden Tag der Fristüberschreitung kann das FA nicht analog auf die Regelung
in § 162 Abs. 4 Satz 3 AO zurückgreifen. Danach ist bei der verspäteten Vorlage von Aufzeichnungen i.S. des § 90
Abs. 3 AO ein Zuschlag von mindestens 100 EUR für jeden Tag der Fristüberschreitung festzusetzen. Die
pauschale Bemessung des Zuschlags ist als zwingend festzusetzender Mindestbetrag ausgestaltet, wobei der
Zuschlag insgesamt bis zu 1.000.000 EUR betragen kann. Auch ist dieser Mindestzuschlag nur Teil eines sehr
differenzierten Regelungssystems in § 162 Abs. 4 AO.
57 Letztlich kann der Senat dahinstehen lassen, ob durch den pauschalen Ansatz von 100 EUR das Ermessen
fehlerhaft ausgeübt worden ist.
58 Denn jedenfalls ermessensfehlerhaft hat das FA das Verhalten der Klägerin seit der Anordnung der Außenprüfung
im Oktober 2008 in die Auswahlentscheidung miteinbezogen. Dabei ist unerheblich, ob das bisherige Verhalten der
Klägerin darauf gerichtet war, den Beginn der Außenprüfung zu verzögern. Dieses Verhalten der Klägerin durfte
bereits deshalb nicht berücksichtigt werden, weil mit dem Verzögerungsgeld nur die fehlende Mitwirkung, hier die
Nichtvorlage der Unterlagen, und nicht früheres Verhalten sanktioniert werden soll.
59 Zutreffend hat das FG im Ergebnis auch eine fehlerhafte Ausübung des Auswahlermessens insoweit bejaht, als das
FA für die Berechnung des Verzögerungsgelds von einer relevanten Verzögerung ab dem 11. Januar 2010
ausgegangen ist, obwohl gegen den Bescheid vom 9. Dezember 2009, in dem der Prüfungsbeginn festgesetzt
worden und mit dem auch die Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen bis zum 11. Januar 2010 verbunden war,
ein Antrag auf AdV gestellt und noch nicht beschieden worden war. Allerdings folgt dies nicht, wie das FG meint,
aus dem Gebot des umfassenden und effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. Dieses wird regelmäßig
ausreichend durch die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Anordnung und Durchführung der
Außenprüfung gewahrt. Wird daraufhin die Rechtswidrigkeit der Anordnung der Außenprüfung bzw. einer
anfechtbaren Maßnahme im Rahmen der Außenprüfung festgestellt, führt dies zu einem Verwertungsverbot der dort
getroffenen Feststellungen (vgl. BFH-Urteile vom 7. Juni 1973 V R 64/72, BFHE 109, 500, BStBl II 1973, 716, und
vom 27. Januar 1994 IV R 93/91, BFH/NV 1995, 177, mit umfangreichen Nachweisen).
60 Gleichwohl hätte das FA den Umstand, dass gegen die Anordnung des Prüfungstermins AdV beantragt und
darüber erst am 28. Januar 2010 entschieden worden ist, im Rahmen des Auswahlermessens berücksichtigen
müssen. Dies schon deshalb, weil die Höhe des Verzögerungsgelds ausschließlich nach dem Zeitraum der
Verzögerung zwischen dem 11. Januar 2010 und dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids über die Festsetzung
des Verzögerungsgelds und also nur nach pauschalen Tagessätzen bemessen worden ist. Das FA musste daher
jedenfalls erwägen, ob es die Stellung des AdV-Antrags und den Umstand, dass dieser im Zeitpunkt des Ablaufs
der gesetzten Vorlagefrist noch nicht beschieden war, bei der Bemessung der Höhe des Verzögerungsgelds zu
Gunsten der Klägerin berücksichtigt.
61 4. Da die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt ist, die Ermessensentscheidung des FA in den aufgezeigten
Grenzen zu überprüfen und dem Senat hiernach auch nicht die Befugnis zusteht, sein eigenes Ermessen an die
Stelle der Verwaltungsbehörde zu setzen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266, m.w.N.), war der
angefochtene Bescheid ungeachtet dessen aufzuheben, ob im Rahmen einer fehlerfreien Ermessensausübung die
Festsetzung eines Verzögerungsgelds jedenfalls in Höhe des Mindestbetrags hätte gerechtfertigt sein können.