Urteil des BFH vom 23.05.2007

Ablauf der Festsetzungsfrist bei vorläufiger Steuerfestsetzung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.8.2010, X B 25/10
Ablauf der Festsetzungsfrist bei vorläufiger Steuerfestsetzung
Gründe
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Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keinen Erfolg.
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Um die Zulassung der Revision zu erreichen, muss der Beschwerdeführer in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Form darlegen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§
115 Abs. 2 FGO). Dieses ist der Klägerin entweder nicht gelungen oder die Voraussetzungen für eine Zulassung
liegen nicht vor.
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1. Rügt der Beschwerdeführer eine Abweichung von einer Entscheidung des BFH i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2
Alternative 2 FGO, so muss er tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts
(FG) einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung des BFH andererseits herausarbeiten und einander
gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl.,
§ 116 Rz 42, m.w.N.).
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Daran fehlt es im Streitfall.
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a) Die Klägerin rügt die Abweichung des angefochtenen Urteils von dem Urteil des angerufenen Senats vom 23. Mai
2007 X R 33/04 (BFHE 218, 163, BStBl II 2007, 874). Sie bringt vor, das FG habe entgegen der Auffassung des BFH
außer Acht gelassen, dass sie 1992 auf die Verlustphase reagiert und den Betrieb von einem Groß- und Einzelhandel
auf einen Einzelhandel umstrukturiert habe. Nach der BFH-Rechtsprechung könne die Möglichkeit, entstehende
Verluste mit steuersparender Wirkung mit anderen Einkünften zu verrechnen, im Regelfall nicht in tragender Funktion
als persönliches Motiv dafür herangezogen werden, dass der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit aus
einkommensteuerlich unbeachtlichen Beweggründen ausübe. Gleichwohl habe das FG aus dem Umstand, dass der
Briefmarkenhandel zunächst nur im Nebenerwerb betrieben worden sei, den Schluss gezogen, die Tätigkeit diene
lediglich der Befriedigung der persönlichen Neigungen. Zudem habe es übersehen, dass die Klägerin für den Büro-
sowie den Lagerraum keine Betriebsausgaben geltend gemacht habe und nicht beachtet, dass im Wirtschaftsleben
mit Briefmarkenhandelsgeschäften einträgliche Gewinne erwirtschaftet werden können. Privat habe die Klägerin
niemals Briefmarken gesammelt.
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b) Bei dieser Rüge lässt die Klägerin außer Acht, dass das FG seiner Entscheidung ausdrücklich die grundlegende
Rechtsprechung des Großen Senats des BFH (Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984,
751) zur Abgrenzung der gewerblichen Tätigkeit von der steuerlich unbeachtlichen Liebhaberei und weitere
richtungsweisende BFH-Urteile zu den Anforderungen an das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht zugrunde
gelegt hat. Entsprechend diesen Erkenntnissen hat das FG die objektive und die subjektive Seite des von der
Rechtsprechung entwickelten Liebhabereibegriffs geprüft. Wenn es dabei zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die
Tätigkeit der Klägerin nicht zur Erzielung eines Totalgewinns geeignet sei und von ihr aus im Bereich ihrer
Lebensführung liegenden persönlichen Gründen und Neigungen ausgeübt werde, so kann dahingestellt bleiben, ob
diese Beurteilung zutreffend ist. Denn es liegt dann keine Abweichung vor, wenn das FG erkennbar von den
Rechtsgrundsätzen der BFH-Rechtsprechung ausgeht, selbst wenn diese fehlerhaft auf die Besonderheiten des
Streitfalles angewendet worden sein sollten (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55, m.w.N.). Nicht die Unrichtigkeit des
angefochtenen FG-Urteils im Einzelfall, sondern nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen rechtfertigt die
Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55, m.w.N.).
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c) Im Übrigen übersieht die Klägerin bei ihrem Vortrag, dass sich die behauptete Divergenzentscheidung mit
Verlusten im Anlaufzeitraum einer unternehmerischen Tätigkeit befasst. Eine Abweichung des FG-Urteils von der
BFH-Entscheidung in BFHE 218, 163, BStBl II 2007, 874 scheidet deshalb auch mangels eines vergleichbaren
Sachverhalts aus.
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2. a) Die Klägerin macht weiter geltend, die Angelegenheit habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
In einem Revisionsverfahren sei zu klären, ob die Kenntnis des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--
) über die Betriebseinstellung und den erzielten Veräußerungsgewinn mittels eines Fragebogens zur
Betriebsaufgabe, der aufgrund einer Mitteilung des Gewerbeamtes über die Betriebsabmeldung angefordert worden
sei, ausreiche, die Jahresfrist nach § 171 Abs. 8 der Abgabenordnung (AO) in Lauf zu setzen. Der BFH habe im Urteil
vom 4. September 2008 IV R 1/07 (BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335) abstrakt die Formulierung "Verkauft ein
Unternehmer den Betrieb und hat das FA davon Kenntnis, ist danach die Ungewissheit über die
Einkünfteerzielungsabsicht beseitigt" gewählt, ohne näher auszuführen, aus welchen Quellen diese Kenntnis kommen
müsse.
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Zudem sei die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das FA die für die Beurteilung einer
Einkünfteerzielungsabsicht erforderliche Prognoseentscheidung über einen Zeitraum von 18 Jahren offenhalten und
letztendlich die steuerliche Beurteilung der gewerblichen Betätigung (im Nebenerwerb) von dem tatsächlichen
Gesamtergebnis des Betriebes während des Zeitraums seines Bestehens abhängig machen könne. Steuerpflichtige,
die vergleichbare Betriebe führten, müssten von der Finanzverwaltung zeitnah eine rechtliche Einschätzung ihrer
Betätigung erfahren. Sofern sie nicht ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen, müsse im Zweifel eine Entscheidung zu
ihren Ungunsten getroffen werden.
10 b) Den von der Klägerin formulierten Fragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie sind durch die
Rechtsprechung geklärt bzw. offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG getan hat (ständige Rechtsprechung,
z.B. BFH-Beschluss vom 3. April 2008 I B 77/07, BFH/NV 2008, 1445). Nach dem von der Klägerin angeführten BFH-
Urteil in BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335 ist die Ungewissheit i.S. von § 165 AO i.V.m. § 171 Abs. 8 AO, ob ein
Steuerpflichtiger mit Einkünfteerzielungsabsicht tätig geworden ist oder ob Liebhaberei vorliegt, beseitigt, wenn die für
die Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht maßgeblichen Hilfstatsachen festgestellt werden können und das FA
davon positive Kenntnis hat. Unerheblich ist, aufgrund welcher Umstände (z.B. Fragebogen zur Betriebsaufgabe oder
Ermittlung des Veräußerungsgewinns im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung) das FA Kenntnis der für die
Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht maßgeblichen Hilfstatsachen erhält. § 165 AO ermöglicht vorläufige
Steuerfestsetzungen ohne zeitliche Beschränkung. Nach der Rechtsprechung ist für die Frage der Gewinn-(Einkünfte-
)erzielungsabsicht das Streben nach einem Totalgewinn, d.h. nach einem positiven Gesamtergebnis des Betriebes
von der Gründung bis zur Veräußerung oder Aufgabe oder Liquidation (§ 16 Abs. 2, 3 i.V.m. § 4 Abs. 1, § 5 des
Einkommensteuergesetzes) entscheidend (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 141, 405, BStBl II 1984,
751, unter C.IV.3.c aa). Angesichts dieser Rechtslage können vorläufige Veranlagungen nicht auf einen bestimmten
Zeitrahmen begrenzt werden. Dennoch sind Steuerpflichtige nicht schutzlos. Die rechtliche Einschätzung ihrer
unternehmerischen, zu Verlusten führenden Betätigung durch die Finanzbehörde können sie bereits der Tatsache
entnehmen, dass die Steuern nicht endgültig, sondern vorläufig festgesetzt werden, und können entsprechend
disponieren.
11 3. Da die Rechtsfortbildungsrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ein Spezialtatbestand der
Grundsatzrevision ist (vgl. BFH-Beschluss vom 19. April 2007 III B 36/06, BFH/NV 2007, 1518), kommt diese aus den
unter 2. dargelegten Gründen ebenfalls nicht in Betracht.