Urteil des BFH vom 16.01.2007

BFH (kläger, rechtliches gehör, beschwerdeführer, rechtsfrage, einkünfte, verletzung, betrieb, schätzung, höhe, 1995)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 8.4.2008, X B 40/07
Anforderungen an die schlüssige Darlegung der Verletzung der Sachaufklärungspflicht, des rechtlichen Gehörs und der
grundsätzlichen Bedeutung
Gründe
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Die Beschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.
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1. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat den von ihm gerügten Verfahrensfehler, das Finanzgericht (FG)
habe gegen seine aus § 76 Abs. 1 FGO herzuleitende Verpflichtung verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen
weiter aufzuklären, nicht schlüssig dargelegt.
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a) Für eine dahingehende schlüssige Rüge muss der Beschwerdeführer u.a. substantiiert darlegen,
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- warum er --sofern er durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war-- nicht von sich aus entsprechende
Beweisanträge gestellt habe,
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- welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme
voraussichtlich ergeben hätten und
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- inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG
zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120
Rz 70, m.w.N. aus der Rechtsprechung).
7
b) Diesen Erfordernissen genügen die Ausführungen des Klägers nicht. Er beanstandet, dass das FG vom Beklagten
und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) habe gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO in Erfahrung bringen müssen, warum
die Einzahlungen auf dem betreffenden Bankkonto, die nicht aus dem Betrieb in X gestammt hätten, der Berechnung
der Einkünfte aus dem dortigen Gewerbebetrieb gleichwohl zugrunde gelegt worden seien.
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Der Kläger hat weder dargelegt, warum er, obwohl er bereits im FG-Verfahren von seinem jetzigen
Prozessbevollmächtigten vertreten worden war, nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat,
noch hat er substantiierte Ausführungen darüber gemacht, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei der
nach seiner Auffassung zu Unrecht unterbliebenen Sachaufklärung ergeben hätten und dass diese Tatsachen auf der
Grundlage des vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts zu einer anderen Entscheidung hätten
führen können.
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2. Ebenso wenig entspricht die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge den gesetzlichen Anforderungen, das FG habe
auch insoweit gegen § 76 Abs. 1 (Satz 1 und 5) FGO verstoßen, als es den Zeugen B nicht zu dessen
Darlehensvergabe an ihn --den Kläger-- vernommen habe sowie es sich nicht mit den in Betracht kommenden
Alternativsachverhalten befasst habe. So hätte er (Kläger) als "Statthalter von S fungieren können". Er "hätte mit dem
Betrieb in X wegen fehlender Umsätze wirtschaftlich gescheitert und deshalb nach Y abgewandert sein können. Er
hätte trotz Betreiberschaft von den Frauen übervorteilt und deswegen ohne tatsächliche Einkünfte aus X abgewandert
sein können. Insbesondere hätte es (FG) aufklären müssen, weshalb und in welcher Höhe er (Kläger) Einkünfte aus
dem Betrieb in X in den Jahren 1995 und 1996 hätte erzielt haben sollen oder können".
10 Auch insoweit hat der Kläger zu den unter 1.a genannten Voraussetzungen keine Angaben gemacht.
11 3. Nicht schlüssig erhoben hat der Kläger des Weiteren seine Rüge, das FG habe ihm --dem Kläger-- "Gelegenheit
geben müssen, zu der Frage Stellung zu nehmen, weshalb das Zahlenwerk aus 1997 auf die Vorjahre (nicht)
übertragen werden (könne)".
12 Auf die Geltendmachung der Verletzung des Rechts auf Gehör kann verzichtet werden. Die Verletzung des rechtlichen
Gehörs muss deshalb nach Möglichkeit schon vor dem FG gerügt werden. Hatte der vor dem FG rechtskundig
vertretene Beschwerdeführer von dem Mangel Kenntnis und rügte ihn nicht bis zum Ende der mündlichen
Verhandlung, so kann er ihn nicht mehr als Verfahrensmangel geltend machen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119
Rz 12, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--).
13 So liegt es im Streitfall. Der schon im FG-Verfahren sachkundig vertretene Kläger hat weder in der
Beschwerdebegründungsschrift vorgetragen, dass er den Mangel vor dem FG gerügt habe, noch ergibt sich
Entsprechendes aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG vom 16. Januar 2007.
14 Im Übrigen verliert der Beschwerdeführer unabhängig von dem Vorliegen der Voraussetzungen des Rügeverzichts
nach § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung sein Rügerecht, wenn er nicht alle prozessualen Möglichkeiten
ausschöpft, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung des BFH bei
Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 13). Im Streitfall drängte sich nach Lage des Rechtsstreits vor dem FG für den Kläger
geradezu auf, auch ohne dahingehende ausdrückliche Aufforderung durch das FG von sich aus Einwendungen
gegen die Übernahme des das Jahr 1997 betreffenden "Zahlenwerks" für die Streitjahre 1995 und 1996 zu erheben.
15 4. Der Kläger hat überdies die grundsätzliche Bedeutung der von ihm formulierten Rechtsfrage nicht schlüssig
dargelegt.
16 a) Macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, so muss er substantiiert
darauf eingehen, weshalb die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage aus Gründen der
Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Zur
schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage muss der Beschwerdeführer begründen, in
welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig
ist. Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen
Rechtsfrage bereits vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner
Ansicht diese Rechtsprechung bislang keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32
und 33, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
17 b) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage, ob ein
Verfahren eine ordnungsgemäße Schätzung von Besteuerungsgrundlagen durch das FG darstellt, wenn dabei die
"ohne Anwendung einer Schätzmethode gebildete Auffassung Dritter der eigenen Überzeugungsbildung zugrunde
(liege)", nicht hinlänglich substantiiert dargelegt.
18 Hierfür genügt nicht der pauschale Hinweis, diese Frage sei "höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt".
Vielmehr hätte sich der Kläger mit der zu diesem Problemkreis ergangenen umfänglichen BFH-Rechtsprechung (vgl.
hierzu z.B. die Nachweise bei Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 140 ff.) auseinandersetzen und
darlegen müssen, wieso selbst unter Beachtung dieser in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten
Grundsätze ein weiterer grundsätzlicher Klärungsbedarf bestehe.
19 5. In ihrem Schwerpunkt enthält die Beschwerdebegründung Ausführungen darüber, dass und warum das FG den
Streitfall unrichtig entschieden habe. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall
rechtfertigen jedoch für sich genommen nicht die Zulassung der Revision (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und §
116 Rz 34, jeweils m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon kommt nur dann in Betracht, wenn das angefochtene Urteil derart
schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG "objektiv
willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich
vertretbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; ferner
Lange, Deutsche Steuer-Zeitung 2002, 782, 784). Das Vorliegen einer solchen Konstellation vermochte der Kläger
nicht schlüssig darzulegen. Eine "objektive Willkür" im vorgenannten Sinn hat der BFH im Fall einer auch hier zu
beurteilenden Schätzung der Besteuerungsgrundlagen dann bejaht, wenn das vom FG gefundene
Schätzungsergebnis schlechthin unvertretbar (wirtschaftlich unmöglich) war (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Oktober
2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25) oder krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abwich und in
keiner Weise erkennbar war, dass überhaupt Schätzungserwägungen angestellt worden waren (BFH-Beschluss vom
16. Mai 2003 II B 50/02, BFH/NV 2003, 1150; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69).
20 Davon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Die vom FG im Anschluss an das vom FA veranschlagte
Ergebnis geschätzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von jährlich 70 000 DM erweisen sich nicht zuletzt vor
dem Hintergrund der gravierenden Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers als "moderat". Auch hat das FG
seine Schätzungserwägungen --wenn auch knapp, so doch nachvollziehbar-- dargelegt.