Urteil des BFH vom 29.09.2008

BFH: Nicht mit Gründen versehenes Urteil i.S. des § 119 Nr. 6 FGO, anspruch auf rechtliches gehör, begründung des urteils, einkünfte, rüge, steuerhinterziehung, kapitalvermögen, zivilprozessordnung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 29.9.2008, X S 23/08 (PKH)
Nicht mit Gründen versehenes Urteil i.S. des § 119 Nr. 6 FGO
Tatbestand
1 I. Die Antragsteller sind Eheleute, die für die Streitjahre 1992 bis 1995 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt
wurden. Gegen sie wurde wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer 1997 bis 2002 vom
Finanzamt … (FA F) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das FA F führte eine Fahndungsprüfung durch und stellte im
Rahmen einer Durchsuchung der Wohnräume der Antragsteller Konto- und Buchführungsunterlagen für die Jahre 1993
bis 2002 sicher. Hierbei gelangte das FA F und ihm folgend das beklagte Finanzamt (FA) zu der Erkenntnis, dass die
Antragsteller in ihren die Streitjahre betreffenden Steuererklärungen die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und die
Einkünfte aus Kapitalvermögen jeweils in zu geringer Höhe angegeben hätten. Das FA setzte daher in nach § 173 Abs.
1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden diese Einkünfte mit höheren Beträgen an. Hierbei ging das
FA davon aus, dass für die Einkommensteuer der Streitjahre die Festsetzungsfrist nicht abgelaufen war, weil die
Antragsteller mit Hinterziehungsvorsatz gehandelt hätten.
2 Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage machten die Antragsteller geltend, die angesetzten Betriebseinnahmen 1994
seien um … DM zu kürzen. Hierbei handle es sich lediglich um eine Umschichtung zwischen verschiedenen Konten
des Antragstellers. Unterlagen von der Bank könnten nicht mehr vorgelegt werden, weil deren Aufbewahrungsfrist
abgelaufen sei. Das FA F habe aber im Rahmen seiner umfangreichen Ermittlung keine Anhaltspunkte finden können,
dass es Betriebseinnahmen seien. Für das Jahr 1995 seien die Betriebseinnahmen um Scheckgutschriften über … DM
und … DM zu vermindern. Insoweit handle es sich nicht um Einnahmen, sondern um Darlehensrückzahlungen. Die
Einkünfte aus Kapitalvermögen seien nicht in der zutreffenden Höhe angesetzt worden. Insbesondere seien die
Zinseinnahmen aus dem Konto … nicht dem Antragsteller, sondern dessen in Kroatien lebenden Bruder zuzurechnen.
Der Antragsteller habe für ihn das Geld angelegt und treuhänderisch verwaltet.
3 Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Hiergegen haben die Antragsteller Beschwerde wegen der
Nichtzulassung der Revision eingelegt, die beim angerufenen Senat unter dem Aktenzeichen X B 94/08 anhängig ist.
Für diesen Rechtstreit beantragen sie, ihnen Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und ihnen ihren
Prozessbevollmächtigten beizuordnen. In der von diesem Prozessbevollmächtigten verfassten
Beschwerdebegründung führen die Antragsteller aus, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Es habe im
Wesentlichen lediglich die Ausführungen des FA F übernommen. Damit habe das FG zugleich das rechtliche Gehör
verletzt. Die Urteilsbegründung sei, soweit sie sich auf die streitigen Betriebseinnahmen und auf die Zinsen aus dem
Konto … beziehe, willkürlich. Die Ausführungen des FG zum Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) seien
völlig konfus. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar, dass man den aus dem Ausland stammenden Antragstellern
Kenntnis der steuerlichen Beurteilung von Treuhandverhältnissen unterstelle und deshalb von einer vorsätzlichen
Steuerhinterziehung ausgehe.
4 Trotz eines Hinweises durch die Geschäftsstelle des angerufenen Senats auf § 117 der Zivilprozessordnung (ZPO)
i.V.m. § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) haben die Antragsteller keine Erklärung über ihre persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht.
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag ist unbegründet und deshalb abzulehnen.
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1. Gemäß § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH,
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem
beim Prozessgericht zu stellenden Antrag (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sind eine Erklärung der Partei über ihre
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen (§ 117 Abs. 2 ZPO). Hierbei
sind die dafür eingeführten Vordrucke zu benutzen.
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2. Der PKH-Antrag ist bereits deshalb abzulehnen, weil die Antragsteller trotz Hinweises durch die Geschäftstelle des
Senats auf die Vorschrift des § 117 ZPO die nach § 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung nebst der Belege nicht
eingereicht haben.
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3. Der Antrag ist zudem auch deshalb unbegründet, weil die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragsteller keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist unzulässig, weil die von dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller
eingereichte Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung eines
Zulassungsgrunds i.S. des § 115 Abs. 2 FGO entspricht.
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a) Die Antragsteller haben nicht in schlüssiger Weise das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO) aufgezeigt.
10 aa) Wird geltend gemacht, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt, dann setzt
eine schlüssige Rüge dieses Verstoßes voraus, dass die Tatsachen angegeben werden müssen, die den gerügten
Mangel ergeben. So ist vorzutragen, welche Tatsachen hätten aufgeklärt und welche Beweise hätten erhoben werden
müssen, aus welchen Gründen sich die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen und welche
Tatsachen, die ausgehend vom Rechtsstandpunkt des FG erheblich waren, sich hierbei voraussichtlich ergeben
hätten (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- von 23. Mai 1990 V R 167/84, BFHE 161, 191, BStBl II 1990, 1095, und
BFH-Beschluss vom 26. Juni 2003 IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437).
11 Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. In dieser wird lediglich vorgetragen, in Bezug auf
die im Streit stehenden Betriebseinnahmen seien keine Sachaufklärungshandlungen des FG erkennbar. Welche
Maßnahmen des FG zur Sachaufklärung nach Ansicht der Antragsteller geboten waren, wird nicht dargelegt.
12 bb) Auch die Rüge, das FG habe das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) verletzt, ist nicht
schlüssig dargelegt.
13 Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt, dass das Gericht grundsätzlich die Pflicht hat, die Ausführungen der
Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. März 2007 II S 1/07, BFH/NV 2007, 1094). Die schlüssige Rüge
eines solchen Verfahrensverstoßes setzt voraus, dass konkret unter Angabe der Fundstelle benannt wird, welches
Vorbringen das FG (angeblich) unberücksichtigt gelassen hat. Auch muss aufgezeigt werden, aus welchen Gründen
dem Urteil entnommen werden kann, dass das Gericht das Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Denn im
Allgemeinen ist davon auszugehen, dass das Gericht dem Anspruch auf rechtliches Gehör entspricht, zumal es nach
Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich
zu befassen.
14 Die Antragsteller haben lediglich vorgetragen, hinsichtlich der Zinsen aus dem Konto … habe das FG das rechtliche
Gehör verweigert. Es habe den vom FA F behaupteten und unzutreffenden Sachverhalt ohne erkennbare richterliche
Tätigkeit lediglich übernommen. Diese Ausführungen zeigen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht in
schlüssiger Weise auf.
15 cc) Auch soweit die Antragsteller mit ihrem Vortrag, die Ausführungen des FG zum Vorliegen des Tatbestands des §
370 AO seien völlig konfus, geltend machen wollen, das Urteil sei teilweise nicht mit Gründen versehen, ist auch ein
solcher Verfahrensverstoß nicht in der gebotenen Weise aufgezeigt worden. Denn hierzu muss dargelegt werden,
dass grobe Begründungsmängel in einem Ausmaß vorliegen, dass die vom FG fixierten Entscheidungsgründe zum
Nachweis der Rechtmäßigkeit des Urteilsgrunds schlechterdings ungeeignet sind. Denn nur unter den vorstehend
genannten Voraussetzungen ist der Verfahrensverstoß gegeben (Senatsbeschluss vom 24. Juni 2008 X B 138/07,
BFH/NV 2008, 1516).
16 b) Die Antragsteller haben auch nicht schlüssig dargelegt, die Revision sei gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
FGO zuzulassen, weil das angefochtene Urteil greifbar gesetzeswidrig sei. Sie haben lediglich die Behauptung
aufgestellt, die Begründung des Urteils auf S. 11 und zu den Zinsen aus dem Konto … sei willkürlich. Dies ist nicht
ausreichend. Sie haben nicht dargelegt, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maß fehlerhaft ist, dass das
Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung
wiederhergestellt werden könnte. Dies kann z.B. dann vorliegen, wenn das Urteil jeder gesetzlicher Grundlage
entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Grundlage beruht (BFH-
Beschluss vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116). Unterhalb dieser Grenze liegende Rechtsfehler
reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzeswidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung
anzunehmen (BFH-Beschluss vom 7. Juli 2005 IX B 13/05, BFH/NV 2005, 2031).
17 Klarstellend weist der angerufene Senat darauf hin, dass das FG mit eingehender und nachvollziehbarer Begründung
dargelegt hat, weshalb die streitigen Betriebseinnahmen zu Recht berücksichtigt worden sind und aus welchen
Gründen hinsichtlich des vorstehend genannten Kontos nicht davon ausgegangen werden kann, dass der
Antragsteller dieses Konto nur treuhänderisch verwaltet hat. Da das FG eingehend begründet hat, weshalb dieses
Konto Eigenvermögen des Antragstellers und kein Treuhandvermögen darstellte, ist auch der Vorwurf der
Antragsteller unberechtigt, das FG habe zu Unrecht unterstellt, den Antragstellern sei bekannt gewesen, unter
welchen Voraussetzungen ein Treuhandverhältnis anzuerkennen und weshalb bei ihnen Hinterziehungsvorsatz
gegeben gewesen sei. Soweit die Antragsteller schließlich beanstanden, das FG habe zu Unrecht im Abschnitt I.3.b
der Entscheidungsgründe angenommen, dass Zinseinnahmen in geschätzter Höhe anzusetzen seien, obwohl die
Einnahmezuflüsse nicht nachgewiesen seien, berücksichtigen sie nicht, dass das FG im Abschnitt I.3.a dargelegt hat,
aus welchen Gründen es davon überzeugt ist, dass der Antragsteller den aufgrund der Barabhebung erlangten Betrag
von … DM zur Erzielung von Einkünften verwendet hat. Steht aber zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Einkünfte
erzielt worden sind, dann kann deren Höhe geschätzt werden, wenn sich deren tatsächliche Höhe nicht ermitteln lässt.
18 4. Da der PKH-Antrag keinen Erfolg hat, geht der Antrag, den Antragstellern ihren Prozessbevollmächtigten
beizuordnen, ins Leere.
19 5. Gerichtsgebühren sind nicht zu erheben (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 142 Rz 93).