Urteil des BFH vom 12.06.2002

Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d EStG - Feststellungsfrist

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.9.2008, IX R 92/07
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d EStG - Feststellungsfrist
Tatbestand
1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
2 Der Kläger hielt mehr als 25 % des Stammkapitals einer GmbH. Im Dezember 1994 wurde das Konkursverfahren über
das Vermögen dieser GmbH mangels Masse eingestellt. In den darauf folgenden Jahren wurde der Kläger aus
selbstschuldnerischen Bürgschaften in Anspruch genommen, die er für die GmbH übernommen hatte.
3 In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger u.a. einen Verlust des Klägers nach § 17 des
Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) in Höhe des eingezahlten Stammkapitals
von 25 000 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte diesen Verlust nicht und
setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr im Jahr 1997 auf 0 DM fest; der Festsetzung legte das FA einen
Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 39 758 DM zugrunde.
4 Im Jahr 2002 beantragten die Kläger die gesonderte Feststellung eines zum 31. Dezember 1994 verbleibenden
Verlustabzugs, der auch die Inanspruchnahme des Klägers aus den selbstschuldnerischen Bürgschaften
berücksichtigte. Das FA lehnte dies ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg; das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist
in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1435 veröffentlicht.
5 Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts und machen Verfahrensmängel geltend.
6 Sie beantragen, das angefochtene Urteil und den Ablehnungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben
und das FA zu verpflichten, den verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1994 gemäß
§ 165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig in Höhe von 259 299,71 DM gesondert festzustellen.
7 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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Entgegen der Auffassung des FG ist § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG für die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember
1994 verbleibenden Verlustabzugs mangels einer Änderung der nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge nicht
anwendbar.
10 1. Ein verbleibender Verlustabzug ist auch dann erstmals gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG gesondert festzustellen,
wenn der Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr bestandskräftig ist und darin kein nicht
ausgeglichener Verlust berücksichtigt worden ist. Zur Begründung nimmt der Senat auf sein Urteil vom 17. September
2008 IX R 70/06 (BFHE 223, 50) Bezug. In dem dort entschiedenen Fall war zwar § 10d Abs. 4 EStG i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402)
anzuwenden. Die Fassung des § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 hat sich gegenüber § 10d
Abs. 3 Satz 2 EStG insoweit geändert, als statt des Begriffs des verbleibenden Verlustabzugs der Begriff des
verbleibenden Verlustvortrags und an die Stelle des bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichenen Verlusts die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen
Einkünfte getreten sind. Der Austausch dieser Begriffe ändert aber nichts daran, dass auch nach dem Wortlaut des §
10d Abs. 3 Satz 2 EStG nicht der Gesamtbetrag der Einkünfte zu den "nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträgen"
i.S. des § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG gehört, sondern der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichene Verlust.
11 2. Nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO ist ein zum Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibender Verlustabzug auch
nach Ablauf der für seine gesonderte Feststellung geltenden Feststellungsfrist gesondert festzustellen, wenn dies für
einen späteren Einkommensteuer- oder Feststellungsbescheid nach § 10d EStG von Bedeutung ist, für den die
Festsetzungs- oder Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Juni
2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681, m.w.N.).
12 3. Nach diesen Maßstäben ist der zum 31. Dezember 1994 verbleibende Verlustabzug gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1
EStG i.V.m. § 181 Abs. 5 Satz 1 AO gesondert festzustellen, wenn dies für einen späteren Einkommensteuer- oder
Feststellungsbescheid nach § 10d EStG von Bedeutung ist, für den die Festsetzungs- oder Feststellungsfrist noch
nicht abgelaufen ist; im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ist kein nicht ausgeglichener
Verlust, sondern lediglich ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte ausgewiesen.
13 a) § 181 Abs. 5 Satz 1 AO kommt für die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 1994 verbleibenden
Verlustabzugs in Betracht, weil die für sie geltende Feststellungsfrist abgelaufen ist; sie begann mit Ablauf des
Kalenderjahres 1997 --der Kläger hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Feststellungserklärung (vgl. § 181 Abs. 2 Satz 1
und Abs. 1 Satz 2 AO) eingereicht-- und endete mit Ablauf des Jahres 2001 (vgl. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO).
14 Entgegen der Auffassung des FG hat der im Jahr 2000 gestellte Antrag der Kläger, den Einkommensteuerbescheid für
das Streitjahr nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen nachträglicher Anschaffungskosten nach § 17 EStG zu ändern, keine
Ablaufhemmung der Feststellungsfrist gemäß § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO bewirkt. Dieser Antrag könnte nur
als --nicht ordnungsgemäße (vgl. § 181 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. §§ 149, 150 AO)-- Erklärung zur Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs ausgelegt werden, da der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt seine Erklärungspflicht nach §
181 Abs. 2 Satz 1 AO nicht erfüllt hatte. Eine gesetzlich vorgeschriebene Feststellungserklärung ist jedoch kein Antrag
i.S. des § 171 Abs. 3 AO (BFH-Urteil vom 10. Juli 2008 IX R 90/07, BFHE 222, 32).
15 b) § 181 Abs. 5 Satz 1 AO ist im Streitfall nicht unter der einschränkenden Voraussetzung des § 10d Abs. 4 Satz 6
Halbsatz 2 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878)
anzuwenden, dass die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat.
Denn die Anwendungsregelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 ist ihrerseits gemäß § 52 Abs. 25
Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007 nicht anwendbar, weil die Feststellungsfrist bei Inkrafttreten des
Jahressteuergesetzes 2007 am 19. Dezember 2006 bereits abgelaufen war (hierzu BFH-Urteil vom 10. Juli 2008 IX R
90/07, m.w.N.).
16 4. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist
nicht spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen nicht die Beurteilung, in welcher Höhe zum 31.
Dezember 1994 ein verbleibender Verlustabzug besteht und ob seine gesonderte Feststellung für einen späteren
Einkommensteuer- oder Feststellungsbescheid nach § 10d EStG von Bedeutung ist, für den die Festsetzungs- oder
Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen wird die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
17 5. Ist die Revision bereits aus sachlichen Gründen erfolgreich, kommt es auf die geltend gemachten Verfahrensfehler
nicht an.