Urteil des BFH vom 24.12.1993
BFH: wiedereinsetzung in den vorigen stand, zustellung, anschrift, adresse, zivilrechtliche haftung, unrichtige auskunft, falsche auskunft, öffentliche bekanntmachung, handelsregister, bekanntgabe
1
2
3
4
5
6
Gericht:
Finanzgericht des
Landes Brandenburg
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 2276/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 415 Abs 1 ZPO, § 15 Abs 1
VwZG, § 122 AO 1977
Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung - allgemein
unbekannter Aufenthaltsort des Empfängers
Tatbestand
Der Kläger war in der Zeit vom 24.12.1993 bis zum 12.07.1994 zum Geschäftsführer der
Auto-Salon X.. GmbH - GmbH - bestellt.
In der notariellen Urkunde vom 24.12.1993 über die Bestellung, auf die die vom Kläger
unterschriebene Anmeldung zum Handelsregister Bezug nimmt, wird der Vorname des
Klägers nur mit "Bernd" angegeben.
Da die GmbH laut Lohnsteuerüberwachungsbögen 1993 und 1994 angemeldete Lohn-
und Kirchensteuerbeträge sowie Säumniszuschläge 1993 bis 1994 und einen
Versäumniszuschlag 1994 in Höhe von insgesamt 31.733,26 DM nicht entrichtete und
Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie erfolglos blieben, übersandte das Finanzamt am
14.03.1995 dem Kläger zwecks Inanspruchnahme als Haftungsschuldner ein
Anhörungsschreiben an die dem Finanzamt bekannte Anschrift: L....-Allee 4 in 1 M.....
Dieses Schreiben kam am 17.03.1995 mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurück.
Daraufhin fragte das Finanzamt beim Landeseinwohnermeldeamt M.... - LEA - nach einer
aktuellen Anschrift des Klägers an. Das LEA teilte mit am 13.04.1995 beim Finanzamt
eingegangenem Schreiben mit, dass der Kläger im dortigen Melderegister nicht zu
ermitteln sei. Am 13.04.1995 erkundigte sich das Finanzamt beim Handelsregister, das
am 21.04.1995 folgende Anschrift des Klägers angab: N.... Straße 15 - 16 in 1 M.... 51.
Diese Anschrift teilte auch der Veranlagungsbezirk der Lohnsteuer-Arbeitgeberstelle am
26.04.1995 mit. Am selben Tag gab das Finanzamt das Anhörungsschreiben erneut zur
Post. Nachdem dieses weder als unzustellbar zurückgekommen noch eine Antwort des
Klägers erfolgt war, erließ der Beklagte am 07.06.1995 einen Haftungsbescheid, der mit
Postzustellungsurkunde zugestellt werden sollte. Die Postzustellungsurkunde wurde mit
dem Vermerk des Postbediensteten vom 10.06.1995 "Keine Zustellmöglichkeit"
zurückgesandt. Daraufhin nahm der Beklagte am 23.06.1995 die öffentliche Zustellung
vor.
Bei einer persönlichen Vorsprache des Bevollmächtigten des Klägers am 21.02.2002
wurde diesem eine Kopie des Haftungsbescheides vom 07.06.1995 übergeben.
Daraufhin legte der Kläger am 05.03.2002 Einspruch gegen den betreffenden
Haftungsbescheid ein. Er vertrat die Auffassung, eine öffentliche Zustellung sei
unzulässig gewesen, da das Finanzamt nicht hinreichende Ermittlungen bezüglich seiner
- des Klägers - Anschrift vorgenommen habe. Darüber hinaus sei die fehlerhafte
Auskunft des LEA auf eine unvollständige Namensangabe hinsichtlich des Klägers
zurückzuführen. Bei der Anfrage im Jahr 1995 sei der zweite Vorname des Klägers nicht
aufgeführt worden. Die Rechtsbehelfsfrist beginne deshalb mit der persönlichen
Übergabe des Haftungsbescheids am 21.02.2002. Hilfsweise beantragte der Kläger die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Durch Entscheidung vom 04.09.2002 verwarf der Beklagte den Einspruch als unzulässig.
Das Einspruchsschreiben sei erst nach Ablauf der Einspruchsfrist und damit verfristet
beim Finanzamt eingegangen. Gemäß § 355 Abgabenordnung - AO - müsse ein
Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des angefochtenen
Verwaltungsaktes eingelegt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2
Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG - gelte ein Schriftstück zwei Wochen nach dem
Tage des Aushängens des Schriftstücks bzw. der Benachrichtigung als zugestellt. Die
Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung des Haftungsbescheides sei am
23.06.1995 ausgehangen worden. Die Zustellung sei somit am 07.07.1995 erfolgt. Die
Frist zur Einlegung des Einspruchs habe gemäß § 355 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 188
7
8
9
10
Frist zur Einlegung des Einspruchs habe gemäß § 355 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 188
Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - am 07.08.1995 geendet. Das
Einspruchsschreiben sei aber erst am 05.03.2002 und deshalb verspätet eingegangen.
Die öffentliche Zustellung des Haftungsbescheides vom 07.06.1995 sei zulässig
gewesen. Der Aufenthaltsort des Klägers sei allgemein unbekannt gewesen, wie es § 15
Abs. 1 a VwZG für die öffentliche Zustellung vorschreibe. Das Finanzamt habe bei den in
Betracht kommenden Behörden - LEA und Amtsgericht C als Registergericht, bei dem
die Steuerschuldnerin im Handelsregister eingetragen gewesen sei - vergeblich nach
einer aktuellen Anschrift nachgefragt. Weitere Ermittlungsmaßnahmen seien nicht
offensichtlich gewesen. Die möglicherweise fehlerhafte Auskunft des LEA vom
10.04.1995 sei auch nicht ursächlich darauf zurückzuführen, dass das Finanzamt bei der
Anfrage nur einen der Vornamen des Klägers angegeben habe. Zum damaligen
Zeitpunkt sei dem Finanzamt der zweite Vorname nicht bekannt gewesen. Diesen habe
das Finanzamt erst durch die Antwort auf eine erneute Anfrage beim LEA im Jahre 1997
erfahren. Bei dieser Anfrage habe das Finanzamt jedoch auch nur den ersten Vornamen
angegeben. Allerdings dürfe von einer öffentlichen Zustellung erst Gebrauch gemacht
werden, wenn alle anderen Möglichkeiten der Zustellung versagt hätten. Diese
Voraussetzung sei hier aber erfüllt, denn weder eine Übersendung mit einfachem Brief
noch eine Zustellung des Haftungsbescheides mit Postzustellungsurkunde seien
erfolgreich gewesen. Schließlich komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gemäß § 110 Abs. 3 AO nicht in Betracht, weil die versäumte Handlung - der Einspruch -
nicht innerhalb eines Jahres nach dem Ende der versäumten Frist nachgeholt worden sei.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Der Kläger macht geltend, der
Haftungsbescheid sei ihm erst am 21.02.2002 wirksam bekannt gegeben worden. Das
Finanzamt habe hier seiner Pflicht zur Erforschung der Adresse nicht genügt, sondern
sich im Wesentlichen auf die falsche Auskunft des LEA verlassen. Diese Auskunft sei
unrichtig, wie aus einer erneuten Abfrage vom 04.01.2002 hervorgehe. Er - der Kläger -
sei in der fraglichen Zeit ununterbrochen in M.... gemeldet gewesen. Demgegenüber
habe sich der Beklagte mit der Auskunft des LEA zufrieden gegeben und weitere
Ermittlungsmaßnahmen wie z. B. die Befragung von Angehörigen oder des bisherigen
Vermieters oder Nachforschung an anderen mutmaßlichen Aufenthaltsorten des
Empfängers unterlassen. Ferner könne aus dem Vermerk auf der
Postzustellungsurkunde "keine Zustellmöglichkeit" nicht geschlossen werden, dass der
Zustellungsempfänger nicht unter der angegebenen Adresse wohne. Der Vermerk des
Postbediensteten, aus dem dieses geschlossen werden könne, laute nach Auskunft der
Bundespost anders, nämlich: Empfänger unbekannt oder Empfänger unbekannt
verzogen oder Empfänger verstorben oder Firma erloschen. Derartige Vermerke habe
der Postbedienstete hier aber nicht angebracht. Im Übrigen handele es sich bei dem
Haus in der N.... Straße 15 - 16 um ein Geschäftshaus, in dem der Kläger als
Hauptgesellschafter und bestellter Geschäftsführer ab 1984 die "Autohaus Y.. GmbH"
betrieben habe. Diese GmbH sei auch Generalmieter des gesamten Objektes, das zur
Straßenseite hin eine Schaufensterfront mit zu verkaufenden Kraftfahrzeugen
aufgewiesen habe, gewesen. Gleichzeitig habe durch diese Geschäftsräume auch die im
Hof gelegene Kraftfahrzeugwerkstatt erreicht werden können, so dass der Eingang
durchgehend von morgens um 7.00 Uhr bis zum Geschäftsschluss um 18.30 Uhr
geöffnet gewesen sei. Neben der Eingangstür zu den Geschäftsräumen habe sich ein
von der Straßenseite zu erreichender Briefkasten befunden. Zwei angestellte
Sekretärinnen hätten sich während der Geschäftszeiten durchgehend in den Räumen
aufgehalten. Er - der Kläger - sei als einziger tätiger Gesellschafter auch wegen der
Länge der Zeit, in der seine Gesellschaft an dem beschriebenen Ort tätig gewesen sei,
allen Briefträgern bestens bekannt gewesen. Andere Sendungen hätten ihn dort
problemlos erreicht.
Außerdem sei ein Haftungsbescheid rechtswidrig, wenn ihm kein wirksamer
Vollstreckungstitel in Form einer Lohnsteueranmeldung zugrunde liege. Ein Vermerk auf
einem Überwachungsbogen könne einen fehlenden Steuerbescheid nicht ersetzen. Da
die in Rede stehenden Lohnsteueranmeldungen nicht vorhanden seien, sei zu vermuten,
dass sie überhaupt nicht vorhanden gewesen seien. Dies sei auch nicht verwunderlich,
denn die Arbeitnehmer der streitigen GmbH hätten öffentlich bekannt gemacht, dass sie
keinen Lohn erhalten hätten. Lohnsteuer könne deshalb nicht entstanden sein. Jedenfalls
sei der Haftungsbescheid rechtswidrig außerhalb der Festsetzungsfrist erlassen worden.
Die Frist für den Erlass eines möglichen Haftungsbescheides sei spätestens am 31.
Dezember 1999 abgelaufen.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 07.06.1995 und die dazu ergangene
Einspruchsentscheidung vom 04.09.2002 aufzuheben sowie die Hinzuziehung eines
11
12
13
14
15
16
17
18
Einspruchsentscheidung vom 04.09.2002 aufzuheben sowie die Hinzuziehung eines
Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, der Haftungsbescheid sei am 07.06.1995, also weit vor Ablauf der
Festsetzungsfrist, zur Post gegeben worden. Eine Bekanntgabe sei allerdings mangels
Zustellmöglichkeit zunächst nicht möglich gewesen. Die Benachrichtigung über die
öffentliche Zustellung sei am 23.06.1995 ausgehängt worden. Der Kläger habe den
Haftungsbescheid schließlich am 21.02.2002 erhalten. Der Bescheid sei inhaltlich
hinreichend bestimmt. Er sei ausweislich des Anschriftenfeldes an den Kläger gerichtet,
während die GmbH als Steuerschuldner bzw. Haftungsschuldner nach § 42 d
Einkommensteuergesetz - EStG - bezeichnet worden sei. Die Beträge, die die GmbH
dem Finanzamt noch schuldete, seien aufgeführt. Die Inanspruchnahme des Klägers sei
gemäß § 69 AO erfolgt. Diese Vorschrift umfasse alle Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis, also sowohl den Steueranspruch als auch den
Haftungsanspruch, den das Finanzamt jeweils gegenüber der GmbH gehabt habe. Zwar
könnten die Lohnsteueranmeldungen für die Jahre 1993 und 1994 nicht mehr vorgelegt
werden, da die Aufbewahrungsfrist abgelaufen sei. Aus den in der Akte enthaltenen
Überwachungsbögen ergebe sich jedoch, dass den Steuerfestsetzungen tatsächliche
Steueranmeldungen zugrunde gelegt hätten. Denn in der Spalte zwei sei jeweils ein "A"
für Anmeldung bzw. "BA" für berichtigte Anmeldung eingetragen. Wäre die Steuer
geschätzt oder vom Finanzamt durch Bescheid festgesetzt worden, so stünde dort die
Abkürzung "SF" bzw. "F".
Der Beklagte meint, die durchgeführten Ermittlungen hätten den Schluss zugelassen,
dass die Anschrift des Klägers allgemein unbekannt sei. Die Kenntnis, die
möglicherweise das LEA von dem Aufenthalt des Klägers gehabt habe, sei dem
Finanzamt nicht zuzurechnen. Im Übrigen habe er - der Beklagte - zumutbare
Ermittlungsmaßnahmen ergriffen, indem er beim Einwohnermeldeamt und beim
Handelsregister nach der Anschrift des Klägers nachgefragt habe. Die öffentliche
Zustellung sei deshalb gemäß § 15 Abs. 1 a VwZG zulässig gewesen. Eine Zustellung
nach § 3 oder § 5 Abs. 1 VwZG sei hier nicht möglich gewesen. Diese
Zustellmöglichkeiten setzten voraus, dass ein Postbediensteter oder ein Bediensteter
der Behörde mit dem Empfänger, das heißt dem Kläger, unmittelbar Kontakt aufnehme,
um ihm das Schriftstück, den Haftungsbescheid, zu übergeben. Dies sei ausweislich der
Postzustellungsurkunde nicht möglich gewesen. Sofern die Ausführungen des Klägers
hinsichtlich des Vermerks "keine Zustellmöglichkeit" zuträfen, habe auch nicht die
Möglichkeit der Ersatzzustellung bestanden. Im Übrigen könne die Höhe der
Haftungsschuld im vorliegenden Verfahren nicht geprüft werden, da lediglich die
Zulässigkeit des Einspruchs strittig sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und
die verletzt die Rechte des Klägers (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldners ist rechtswidrig, da der
Haftungsbescheid erst am 21.02.2002 wirksam bekannt gegeben worden ist. Zu diesem
Zeitpunkt war aber die Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 191 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3
AO) bereits abgelaufen. Maßgeblich ist, dass hier von Lohnsteueranmeldungen für 1993
und 1994 auszugehen ist, weil anderenfalls die sich aus den
Lohnsteuerüberwachungsbögen ergebenden, jeweils unterschiedlichen und "krummen"
Lohnsteuerbeträge nicht erklärbar sind. Es handelt sich offensichtlich nicht um
Schätzungsbeträge, was im Übrigen auch entsprechende Steuerbescheide
voraussetzte. Wie das Finanzamt die betreffenden Lohnsteuerbeträge ohne Vorliegen
von entsprechenden Anmeldungen hätte "erfinden" sollen, ist nicht einmal ansatzweise
ersichtlich. Sofern keine Anmeldungen oder Steuerfestsetzungen durch das Finanzamt
vorliegen sollten, gilt nichts anderes, da die Festsetzungsfrist von 7 Jahren im Jahr 2002
ebenfalls abgelaufen war.
19
20
21
22
23
24
25
Eine andere Beurteilung der Verjährung ergibt sich nicht aus § 191 Abs. 4 AO.
Abgesehen davon, dass für eine zivilrechtliche Haftung des Klägers als Geschäftsführer
der betreffenden GmbH aus Deliktsrecht nichts ersichtlich ist, wäre ein derartiger
Anspruch nach § 852 Abs. 1 BGB alte Fassung spätestens zum 31.12.1997 verjährt.
Entgegen der Auffassung des Finanzamtes ist der streitige Haftungsbescheid, der
allerdings bestimmt genug ist (vergleiche die zutreffenden Ausführungen des Beklagten
in seinem Schriftsatz vom 17.10.2002), nicht bereits am 07.07.1995 gemäß § 15 Abs. 3
Satz 2 VwZG wirksam bekannt gegeben. Die Voraussetzungen für öffentliche Zustellung
sind im Streitfall nicht erfüllt.
Nach § 15 Abs. 1 VwZG kann das Finanzamt durch öffentliche Bekanntmachung
zustellen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Dies liegt hier nicht
vor. Die öffentliche Zustellung ist das letzte Mittel der Bekanntgabe und deshalb erst
zulässig, wenn alle anderen Möglichkeiten, dem Empfänger das Schriftstück zu
übermitteln, erschöpft sind. Die Behörde muss sich daher, bevor sie den Weg der
öffentlichen Zustellung einschlägt, durch die gebotenen Ermittlungen Gewissheit darüber
verschaffen, dass der Aufenthaltsort des Zustellers nicht nur ihr, sondern allgemein
unbekannt ist. Diesen Anforderungen wird die Behörde in aller Regel gerecht, wenn
versucht wird, die Anschrift durch die Polizei bzw. das Einwohnermeldeamt zu ermitteln
(vergleich zu alledem Bundesfinanzhof - BFH - , Urteil vom 06.06.2000 VII R 55/99,
Bundessteuerblatt - BStBl. - II 2000, 560; BFH, Beschluss vom 04.08.1992 VII B 93/92,
Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1993, 701).
Ob weitergehende Ermittlungen erforderlich sind, richtet sich nach den Umständen des
jeweiligen Einzelfalles. Ermittlungen beim Einwohnermeldeamt reichen jedoch dann nicht
aus, wenn die konkrete Sachverhaltsgestaltung es nahe legt, weitere Nachforschungen
bei anderen Einrichtungen oder Personen anzustellen (BFH, Urteil vom 15.01.1991 VII R
86/89, BFH/NV 1992, 81).
Allerdings ist das Finanzamt dem dadurch nachgekommen, dass es sich am 13.04.1995
beim Handelsregister nach der Adresse des Klägers erkundigt hat, obwohl zuvor schon
das LEA mitgeteilt hatte, dass der Kläger im dortigen Melderegister nicht zu ermitteln
sei. Insofern hatte das Finanzamt seine Ermittlungspflicht erfüllt, zumal nicht ersichtlich
ist, wie es Namen und Adressen von Angehörigen des Klägers oder des bisherigen
Vermieters kennen konnte.
Entscheidend ist indes, dass aufgrund der Auskünfte des Handelsregisters und des
Veranlagungsbezirkes der Lohnsteuerarbeitgeberstelle - beim Finanzamt eingegangen
am 21. und 26.04.1995 - eine (neue) Adresse des Klägers bekannt geworden ist, so dass
die Auskunft des LEA vom 10.04.1995 nicht mehr als Grundlage für die Annahme, der
Aufenthaltsort des Klägers sei allgemein unbekannt, dienen konnte. Dies galt jedenfalls
solange, wie sich nicht aus anderen Urkunden oder Indizien ergab, dass auch die später
mitgeteilte Adresse des Klägers unzutreffend ist.
Der Vermerk des Postbediensteten auf der streitigen Postzustellungsurkunde "keine
Zustellmöglichkeit" ließ indes noch nicht die Schlussfolgerung zu, dass sich der Kläger
auch unter der neuen Adresse nicht aufhalte. Die Notwendigkeit hinsichtlich des
betreffenden Vermerks weitere Ermittlungen anzustellen, ergab sich zum einen daraus,
dass das Anhörungsschreiben nicht zurückgekommen war, grundsätzlich also trotz des
insoweit unbeachtlichen Schweigens des Klägers die Möglichkeit berücksichtigt werden
musste, dass der Kläger unter der neuen Adresse postalisch zu erreichen ist. Zum
anderen folgte die Notwendigkeit weiterer Nachforschungen aus dem Umstand, dass der
Postbote als postdienstlichen Vermerk über den Grund der Nichtzustellung nicht
angekreuzt hatte: "Empfänger unbekannt" oder "Empfänger unbekannt verzogen",
sondern als anderen Grund angegeben hatte: "keine Zustellmöglichkeit". Insoweit hat
die Postzustellungsurkunde keine Beweiswirkung im Sinne des § 415 Abs. 1
Zivilprozessordnung - ZPO - hinsichtlich eines unbekannten Aufenthalts des Klägers, da
die nicht mögliche Zustellung des Haftungsbescheides gerade in Abgrenzung zu den
anderen vorgesehenen Vermerken lediglich - wie in den Fällen des § 183 ZPO alte
Fassung üblich - darauf beruhte, dass eine Zustellung an den Kläger persönlich oder
unter Umständen eine Ersatzzustellung an einen Gewerbegehilfen dort nicht ausgeführt
werden konnte. Zumindest kommt ein derartiger Vermerk, wie gerichtsbekannt ist, dann
z. B. in Betracht, wenn ein Geschäftslokal geschlossen ist.
Jedenfalls in Verbindung mit der Tatsache, dass das Anhörungsschreiben
nicht zurückgesandt worden ist, durfte das Finanzamt noch nicht annehmen, der
Aufenthaltsort des Klägers sei allgemein unbekannt. Dass dem Vermerk über die
fehlende Zustellmöglichkeit eine derartige Bedeutung nicht zukommt, ergibt sich auch
26
27
28
29
fehlende Zustellmöglichkeit eine derartige Bedeutung nicht zukommt, ergibt sich auch
aus dem Vorbringen des Klägers zur mündlichen Auskunft der Deutschen Bundespost.
Davon abgesehen ist aus dem streitigen Vermerk noch nicht auf den ungekannten
Aufenthalt des Klägers zu schließen, weil für eine derartige Feststellung andere
Vermerke auf der Postzustellungsurkunde vorgesehen sind (siehe oben). Es besteht kein
Anhaltspunkt dafür, dass der Postbeamte mit dem streitigen Vermerk bestätigen wollte,
der Kläger habe unter der angegebenen Anschrift keine Wohn- oder Geschäftsadresse.
Das Finanzamt hätte vielmehr eine erneute Zustellung versuchen oder bei der Post
nachfragen müssen, welche Bedeutung dem streitigen Vermerk zukomme. Unter
Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu dem betreffenden Geschäftshaus in
der N.... Straße 15 - 16 kann eine derartige Nachfrage auch nicht als von vornherein
aussichtslos angesehen werden. Dem steht die (unrichtige) Auskunft des LEA nicht
entgegen, weil damit die Möglichkeit, dass sich der Kläger unter der vom Handelsregister
und von dem betreffenden Veranlagungsbezirk mitgeteilten Adresse doch aufhält und
nur am 10.06.1995 vom Postbediensteten nicht angetroffen werden konnte, noch nicht
ausgeschlossen werden konnte. Dies hat auch das Finanzamt im Ergebnis so gesehen,
als es für das Anhörungsschreiben und den Haftungsbescheid zunächst diese Adresse
zugrunde gelegt hat. Dafür spricht auch, dass der Kläger unter der streitigen Adresse
auch in einem weiteren Haftungsverfahren wegen von der oben genannten GmbH
geschuldeter Körperschaft- und Umsatzsteuer 1993 mit Schreiben des Finanzamtes
vom 26.04.1995 angehört worden ist, ohne dass dieses Schreiben zurückgesandt
worden ist. Erst die Zustellung des in jenem Haftungsverfahren ergangenen
Haftungsbescheides an den Kläger war am 16.09.1995 nicht möglich, weil der Postbote
auf der Postzustellungsurkunde vermerkt hatte: "Empfänger unbekannt verzogen".
Ist nach alledem der Beklagte seiner Ermittlungspflicht nicht vollständig nachgekommen
und hat diese deshalb verletzt, ist die öffentliche Zustellung unwirksam (vergleiche auch
BFH, Urteil vom 06.06.2000, a.a.o.s. 562).
Schließlich kann das Gericht in der Sache entscheiden, da eine Beschränkung auf die
Frage der Zulässigkeit des Einspruchs nicht besteht (§ 44 Abs. 2 FGO, siehe auch
Gräber, Kommentar zu FGO, 5. Auflage, § 44 Randziffer 36) und die Festsetzungsfrist für
die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldners vor der wirksamen
Bekanntgabe des Haftungsbescheides am 21.02.2002 abgelaufen ist (siehe oben).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3, 151 Abs. 1 und Abs. 3
FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Hinzuziehung war wegen der nicht einfachen Sach- und
Rechtslage notwendig.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da es nur um die Würdigung eines Einzelfalles geht, d.
h. um die Frage, ob der streitige Vermerk den Schluss auf einen allgemein unbekannten
Aufenthalt des Klägers erlaubt.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum