Urteil des BFH vom 04.07.2008

BFH: Schadstoffschlüssel für Kraftfahrzeugsteuer verbindlich, rechtssicherheit, verfahrensmangel, verfassung, rüge, zivilprozessordnung, beweisantrag, rückwirkungsverbot, augenschein, bindungswirkung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.7.2008, II B 56/08
Schadstoffschlüssel für Kraftfahrzeugsteuer verbindlich
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist seit 1990 Halter eines Chevrolet Van G20. Der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) besteuerte das Fahrzeug vom 30. Mai 2004 bis zum 11. August 2004 als
Personenkraftwagen (PKW) und nach Auflastung des Fahrzeugs auf 2 810 kg ab 12. August 2004 als Lastkraftwagen
(LKW). Mit Änderungsbescheiden vom 5. Februar 2007 und vom 26. März 2007 setzte das FA die Steuer neu fest und
behandelte das Fahrzeug ab 1. Mai 2005 bis zum Ende der Steuerpflicht wieder als PKW. Da sich aus dem
Fahrzeugschein nicht ergab, dass das Fahrzeug schadstoffarm war (Schadstoffschlüssel "00"), legte das FA den
Steuersatz gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) zugrunde.
2 Einspruch und Klage blieben erfolglos.
3 Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache,
Divergenz und Verfahrensmangels zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet.
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1. Soweit der Kläger geltend macht, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, weil nicht geklärt sei, in
welchem Umfang der Fahrzeugbrief/Fahrzeugschein einen "Grundlagenbescheid für die Kfz-Besteuerung" darstelle,
ist weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt noch die Rechtsfrage klärungsbedürftig.
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a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO) erfordert einen konkreten und substantiierten Vortrag, aus welchen Gründen im Einzelnen die Klärung der
Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der
Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Es ist auch, ggf. in
Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur, darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus
welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und strittig ist (vgl. m.w.N. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32). Diesem gesetzlichen Erfordernis wird die Beschwerde nicht gerecht.
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b) Die Rechtsfrage ist auch nicht klärungsbedürftig. Bei PKW sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG für die Beurteilung
der Schadstoffemissionen und der Kohlendioxidemissionen, für die Beurteilung als schadstoffarm und für die
Beurteilung anderer Besteuerungsgrundlagen technischer Art die Feststellungen der Zulassungsbehörden
verbindlich, also Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung), soweit das KraftStG nichts anderes
bestimmt. Daher ist die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat. Die
Feststellung der Zulassungsbehörde, dass das Fahrzeug nicht schadstoffarm ist (Schadstoffschlüssel "00"), ist für die
Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer verbindlich. Die Eintragung in den ergänzenden Anmerkungen des
Fahrzeugbriefs, dass ein Katalysator eingebaut ist, ändert hieran nichts. Sie kann eine entsprechende Feststellung der
Zulassungsbehörde, dass das Fahrzeug schadstoffarm ist, nicht ersetzen. Auch kann weder das FA noch das FG
diese Feststellung treffen, ohne gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG zu verstoßen. Ist der verkehrsrechtliche
Grundlagenbescheid fehlerhaft, muss dies durch dessen Änderung nicht aber unter Verletzung der Bindungswirkung
des Grundlagenbescheids durch das FA oder das FG korrigiert werden.
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2. Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen, der Bescheid vom 26. März 2007 habe die Steuerfestsetzung
rückwirkend ab August 2004 geändert und verstoße daher gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot,
geltend machen will, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder es liege
eine Divergenz vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO), entspricht die Begründung nicht dem gesetzlichen
Darlegungserfordernis (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Der Kläger zitiert in diesem Zusammenhang ausschließlich
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die zur Frage ergangen sind, ob die Rückwirkung eines Gesetzes
mit der Verfassung vereinbar ist, wendet sich aber in seiner Beschwerde ausdrücklich gegen die "Rückwirkung" eines
Steuerbescheids. Insoweit ist die Begründung unschlüssig und die Beschwerde unzulässig; die Änderung eines
Steuerbescheids auf der Grundlage gesetzlicher Änderungsvorschriften ist keine Rückwirkung eines Gesetzes. Im
Übrigen trägt der Kläger weder konkret und substantiiert vor, aus welchen Gründen im Einzelnen die Klärung welcher
Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der
Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (s.o. 1.) noch legt er dar, welchen
abstrakten Rechtssatz das FG zugrunde gelegt hat, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der
Divergenzentscheidung eines anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. m.w.N. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 54
sowie 48).
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3. Soweit der Kläger schließlich als Verfahrensmangel rügt, das FG habe seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung
verletzt, weil es das streitgegenständliche Fahrzeug trotz eines diesbezüglichen klägerischen Antrags nicht in
Augenschein genommen hat (§ 76 Abs. 1 FGO), hat die Beschwerde jedenfalls deswegen keinen Erfolg, weil der in
der mündlichen Verhandlung fachkundig vertretene Kläger den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die
Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. etwa Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Mai 2006 III B
179/05, BFH/NV 2006, 1683, sowie m.w.N. der Rechtsprechung Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 100). In dem Protokoll
über die mündliche Verhandlung vor dem FG ist keine diesbezügliche Rüge enthalten.
10 Nach Ablauf der Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) hat der Kläger vorgebracht, das FG habe es abgelehnt,
seinen Beweisantrag zu protokollieren. Da der Kläger aber nicht vorträgt, er habe von der Möglichkeit Gebrauch
gemacht, gemäß § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Aufnahme seines Beweisantrags in
das Protokoll noch während der mündlichen Verhandlung bzw. gemäß § 94 FGO i.V.m. § 164 ZPO die Berichtigung
des Protokolls zu beantragen, ist der Verfahrensmangel jedenfalls nicht ordnungsgemäß gerügt (vgl. BFH-Beschlüsse
vom 30. Juni 2005 X B 173/04, BFH/NV 2005, 1850; vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562),
so dass offen bleiben kann, ob die insoweit nachgeschobene Begründung noch berücksichtigt werden könnte (vgl.
m.w.N. der Rechtsprechung Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 22).